Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
2C_265/2023
Urteil vom 9. Juli 2024
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Hänni, Ryter,
Gerichtsschreiberin Wortha.
Verfahrensbeteiligte
A.A.________,
handelnd durch seine Eltern B.A.________,
und diese vertreten durch Advokat Oliver Wamister,
Beschwerdeführer,
gegen
Departement für Gesundheit und Soziales, Abteilung Gesundheit, Kantonsärztlicher Dienst, Bachstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Anordnung einer Quarantäne infolge Coronavirus COVID-19,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 3. Kammer,
vom 15. März 2023 (WBE.2022.259).
Sachverhalt:
A.
A.A.________ besuchte im Schuljahr 2021/2022 die Bezirksschule U.________. Einer seiner Mitschüler wurde am 23. August 2021 positiv auf SARS-CoV-19 getestet. Der erkrankte Schüler leitete am 26. August 2021 eine Textnachricht des Contact Tracing Centers an A.A.________ weiter. Gemäss dieser hatten sich Kontaktpersonen des Erkrankten vorsorglich in Quarantäne zu begeben.
Am 31. August 2021 abends wurde A.A.________ folgende Textnachricht vom erkrankten Schüler weitergeleitet:
"Fall-Nummer: 54633
Voraussichtliche Quarantänedauer bis und mit: 44441
Guten Tag A.A.________
Wie bereits telefonisch besprochen, hatten Sie nahen Kontakt zu einer mit COVID-19 infizierten Person und müssen sich daher sofort in Quarantäne begeben. Sie haben die Möglichkeit, am Tag 7 (44438) durch einen negativen PCR- ODER ANTIGEN SCHNELLTEST die Quarantäne vorzeitig zu beenden, indem Sie uns das negative Testresultat als PDF-Datei an conti@ag.ch zusenden. Sobald Sie unsere Bestätigung erhalten haben, dürfen Sie die Quarantäne verlassen. Im E-Mail werden folgende weitere Daten von Ihnen benötigt: Vor- und Nachname, Fall Nr., Telefonnummer und Testdatum.
Wichtig: Bedenken Sie, dass bei der Feststellung von engen Kontakten zu weiteren infizierten Personen die Quarantäne unter Umständen verlängert werden kann. Daraus resultiert eine Verschiebung des 7. Tages (Durchführung eines COVID-19 Tests) für eine frühzeitige Quarantäneentlassung zu einem späteren Zeitpunkt.
Diese SMS gilt als Bestätigung Ihrer Quarantäne und kann dem Arbeitgeber vorgelegt werden. Sie werden am Ende Ihrer Quarantäne eine Verfügung erhalten.
Bitte beachten Sie den Link mit weiteren wichtigen Informationen: www.ag.ch/infoip
Kanton Aargau
Abteilung Gesundheit
CONTI - Contact Tracing Center
Corona Info-Hotline: +41 (0) 62 835 51 10"
Am 5. September 2021 telefonierte das Contact Tracing Center mit dem Vater von A.A.________.
B.
B.a. Mit Verfügung vom 4. Oktober 2021 stellte der Kantonsärztliche Dienst des Kantons Aargau fest, dass gegen A.A.________ gestützt auf Art. 35 Abs. 1 lit. a EpG vom 23. August 2021 bis 2. September 2021 eine Quarantäne angeordnet worden war (Dispositiv-Ziffer 1). Ferner wurde darin verfügt, dass die Quarantäne mit Zwangsmassnahmen durchgesetzt werden könnte und einer allfälligen Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zukäme (Dispositiv-Ziffern 2 und 3).
B.b. Dagegen erhob A.A.________ Beschwerde an den Regierungsrat. Er beantragte die Feststellung, dass die kantonsärztliche Verfügung nichtig sei. Im Eventualstandpunkt beantragte er die Aufhebung der Verfügung. Mit Beschluss vom 11. Mai 2022 trat der Regierungsrat auf die Beschwerde nicht ein. Zur Begründung führte er an, es fehle A.A.________ an einem Rechtsschutzinteresse zur Feststellung der Nichtigkeit und an der Aufhebung der Verfügung, da er durch die Bestätigung der Quarantäne mittels Verfügung keine Nachteile erlitten habe.
B.c. Dagegen erhob A.A.________ Beschwerde ans Verwaltungsgericht des Kantons Aargau. Er beantragte die Aufhebung des regierungsrätlichen Beschlusses und die Feststellung, dass die kantonsärztliche Verfügung nichtig sei. Das Verwaltungsgericht hiess die Beschwerde mit Urteil vom 15. März 2023 teilweise gut. Es erklärte die Dispositiv-Ziffern 2 und 3 der kantonsärztlichen Verfügung für nichtig, da Zwangsmassnahmen und Entzug der aufschiebenden Wirkungen in einer Feststellungsverfügung nach abgelaufener Quarantäne sinnwidrig seien. Im Übrigen wies es die Beschwerde hinsichtlich des Eventualbegehrens, die Verfügung aufzuheben, auf das der Regierungsrat nicht eingetreten war, ab. Es bestätigte die regierungsrätliche Begründung, wonach die Aufhebung der Feststellungsverfügung die tatsächliche und rechtliche Situation von A.A.________ nach Ablauf der Quarantäne nicht verbessere, weshalb es ihm an einem Rechtsschutzinteresse mangele.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 8. Mai 2023 gelangt A.A.________ (nachfolgend Beschwerdeführer), gesetzlich vertreten durch seine Eltern, ans Bundesgericht. Er beantragt soweit ersichtlich sinngemäss die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils, soweit seinen Begehren damit nicht entsprochen wurde, sowie die Feststellung der Nichtigkeit von Dispositiv-Ziffer 1 der Verfügung vom 4. Oktober 2021, eventualiter die Rückweisung an die Vorinstanz, subeventualiter an den Regierungsrat.
Der Kantonsärztliche Dienst hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Vorinstanz schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat von seinem Replikrecht keinen Gebrauch gemacht.
Erwägungen:
1.
1.1. Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 149 II 476 E. 1; 149 II 462 E. 1.1).
1.2. Das angefochtene Urteil ist ein verfahrensabschliessender, kantonal letztinstanzlicher Entscheid in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts, weshalb es der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unterliegt (Art. 82 lit. a, Art. 83
e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 90 BGG ).
1.3. Als Inhaber der elterlichen Sorge steht den Eltern des Beschwerdeführers die Vertretung ihres minderjährigen Sohnes von Gesetzes wegen zu (Art. 304 Abs. 1 ZGB). Sie sind damit zur Ergreifung des Rechtsmittels im Namen ihres Sohnes berechtigt (vgl. Urteil 2C_227/2023 vom 29. September 2023 E. 1.2).
1.4.
1.4.1. Zur Erhebung der Beschwerde ist gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG berechtigt, wer am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat, durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Änderung oder Aufhebung hat. Das schutzwürdige Interesse im Sinne von Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG besteht im praktischen Nutzen, der sich ergibt, wenn der Beschwerdeführer mit seinem Anliegen obsiegt und dadurch seine tatsächliche oder rechtliche Situation unmittelbar beeinflusst werden kann (BGE 141 II 14 E. 4.4); das Rechtsschutzinteresse muss daher grundsätzlich aktuell sein. Das Bundesgericht verzichtet aber ausnahmsweise auf dieses Erfordernis, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (BGE 147 I 478 E. 2.2; 146 II 335 E. 1.3; 137 I 23 E. 1.3.1; Urteil 2C_730/2022 vom 21. Dezember 2022 E. 3.2.2).
1.4.2. Der Beschwerdeführer ist bereits im kantonalen Verfahren als Partei beteiligt gewesen und dort mit seinen Anträgen nur teilweise durchgedrungen ( Art. 89 Abs. 1 lit. a und b BGG ). Er beantragt die Feststellung, dass Dispositiv-Ziffer 1 der Verfügung des Kantonsärztlichen Dienstes vom 4. Oktober 2021, mit der die Anordnung und die Dauer der Quarantäne festgestellt wurde, nichtig und das vorinstanzliche Urteil entsprechend aufzuheben sei.
1.4.3. Für die Feststellung der Nichtigkeit ist wiederum ein Rechtsschutzinteresse erforderlich, d.h. ein genügendes Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit durch das Bundesgericht (BGE 136 II 415 E. 1.2 und 1.3; Urteile 1C_561/2021 vom 15. August 2023 E. 2.4.1; 1C_627/2012 vom 24. April 2013 E. 2). Allein, dass die Nichtigkeit von Amtes wegen zu beachten ist und auch im Rechtsmittelverfahren festgestellt werden kann (BGE 136 II 415 E. 1.2; Urteile 2C_1022/2020 vom 18. Mai 2021 E. 3.1; 4A_364/2017 vom 28. Februar 2018 E. 7.2.2 nicht publ. in: BGE 144 III 100), begründet keinen Anspruch auf Prüfung durch das Bundesgericht und ersetzt nicht das schutzwürdige Interesse (Urteil 1C_561/2021 vom 15. August 2023 E. 2.4.1).
1.4.4. Das Bundesgericht hat im Urteil 2C_214/2023 vom 7. Mai 2024 festgehalten, dass Quarantäne-Anordnungen in Form von E-Mails Verfügungscharakter haben. Auch wenn diese Quarantäne-Anordnungen allenfalls in formeller Hinsicht Eröffnungsmängel wie fehlende Unterschrift, fehlende Rechtsmittelbelehrungen oder fehlerhafte Zustellung aufwiesen, handelt es sich um Verfügungen im materiellen Sinn (Urteil 2C_214/2023 vom 7. Mai 2024 E. 4.6.6 mit Hinweisen). SMS und E-Mail unterscheiden sich - im vorliegend relevanten Kontext - denn auch einzig in der Versandart voneinander: Während Ersteres über das Mobilfunknetz versendet wird, erfolgt bei Letzterem der Versand über das Internet. Dies beschlägt indes allein die Zustellungsform. Nachdem SMS und E-Mail abgesehen von der Übermittlungsform gleich sind und mit beiden explizit eine Quarantäne angeordnet wurde (vgl. vorstehend Bst. A sowie Urteil 2C_214/2023 vom 7. Mai 2024 Bst. A.b), gilt die vorgenannte Rechtsprechung auch im vorliegenden Fall. Damit entfällt das schutzwürdige Interesse des Beschwerdeführers an der Klärung dieser Frage. Dass das SMS, mit der die Quarantäne über den Beschwerdeführer verhängt wurde, andere, insbesondere gravierende Eröffnungsmängel aufweisen würde, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich.
Der Beschwerdeführer vermag auch nicht aufzuzeigen, inwiefern die Feststellungsverfügung nichtig sein sollte, ausser dass er das SMS nicht als taugliche Quarantäne-Anordnung betrachtet. Nachdem die Quarantäne bereits vorüber ist, der Beschwerdeführer sich gemäss eigenen Angaben nicht in Quarantäne begeben hat und die gegenteilige Feststellung der Vorinstanz als willkürlich rügt (vgl. Beschwerdeschrift Rz. 35 f.) und er schliesslich nicht in vertretbarer Weise geltend machen kann, inwieweit er im Übrigen ein Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit hat, fehlt es am Rechtsschutzinteresse in Form des besonderen Feststellungsinteresses.
1.4.5. Aus der Beschwerdeschrift geht nicht hervor - weder aus den Anträgen noch aus der Begründung (vgl. Urteil 2C_942/2021 vom 2. März 2022 E. 5.1) -, ob der Beschwerdeführer neben der beantragten Nichtigkeit der Verfügung auch die Rechtmässigkeit der Quarantäne überprüft haben möchte. Falls sich die Beschwerde auch gegen die Rechtmässigkeit der Quarantäne richten sollte, könnte nicht auf das Erfordernis des aktuellen Rechtsschutzinteresses verzichten werden: Dass die 10-tägige Quarantäne für ein Schulkind, dessen Mitschüler positiv auf SARS-CoV-19 getestet wurden, verfassungskonform ist, hat das Bundesgericht bereits entschieden (Urteil 2C_214/2023 vom 7. Mai 2024 E. 10).
1.4.6. Nach dem Gesagten kann vorliegend weder auf das Erfordernis des aktuellen Interesses verzichtet werden noch kann der Beschwerdeführer ein besonderes schutzwürdiges Interesse an seinem Feststellungsbegehren geltend machen. Auf die Beschwerde ist daher nicht einzutreten, soweit sie nicht ohnehin gegenstandslos geworden ist.
2.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs.1 BGG), wobei die Eltern die Kosten ihres beschwerdeführenden Sohnes tragen (Art. 304 Abs. 1 ZGB; Urteil 2C_1022/2021 vom 6. April 2023 E. 9). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten, soweit sie nicht gegenstandslos geworden ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 3. Kammer, mitgeteilt.
Lausanne, 9. Juli 2024
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin
Die Gerichtsschreiberin: A. Wortha