Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1C_417/2023
Urteil vom 9. Oktober 2024
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
Bundesrichter Chaix, Haag,
Gerichtsschreiber Dold.
Verfahrensbeteiligte
1. A.A.________ und B.A.________,
2. D.C.________ und E.C.________,
3. F.________ und G.________,
4. I.H.________ und J.H.________,
5. L.K.________ und M.K.________,
Beschwerdeführende,
alle vertreten durch Rechtsanwältin Flavia Brülisauer,
gegen
Wohnbaugenossenschaft N.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Reto Nigg,
Gemeinde Domleschg,
Dorfstrasse 5, 7418 Tumegl/Tomils.
Gegenstand
Baueinsprache,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 5. Kammer, vom 27. Juni 2023 (R 22 33).
Sachverhalt:
A.
Der Gemeindevorstand Domleschg beschloss am 22. August 2017 den Arealplan Pardieni. Mit diesem sollte der neugegründeten Wohnbaugenossenschaft N.________ ermöglicht werden, auf den Parzellen Nrn. 10032 und 9732 eine Überbauung des Pardieni genannten Gebiets zu verwirklichen. Dagegen beschritten verschiedene Personen den Rechtsweg. Mit Urteil vom 9. Dezember 2021 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden als letzte kantonale Instanz eine gegen den Arealplan gerichtete Beschwerde im Kostenpunkt teilweise gut, wies sie jedoch im Übrigen ab. Das Urteil erwuchs in der Folge unangefochten in Rechtskraft.
Am 7. März 2022 bewilligte die kommunale Baukommission ein vom 7. Oktober 2021 datiertes Baubewilligungsgesuch der Wohngenossenschaft N.________ mit gewissen Auflagen und Anpassungen. Die erhobenen Einsprachen von A.A.________ und B.A.________, D.C.________ und E.C.________, F.________, G.________, I.H.________ und J.H.________ sowie L.K.________und M.K.________ wies sie im Wesentlichen ab. Daraufhin erhoben die Einsprecherinnen und Einsprecher Beschwerde ans Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses wies ihr Rechtsmittel mit Urteil vom 27. Juni 2023 ab.
B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 28. August 2023 beantragen die genannten Personen im Wesentlichen, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Baubewilligung zu verweigern, eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz oder an die Gemeinde Domleschg zurückzuweisen. Zudem stellen sie Anträge zu den vorinstanzlichen Gerichtskosten und den Parteientschädigungen.
Das Verwaltungsgericht und die Wohnbaugenossenschaft N.________ beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Gemeinde hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Die Beschwerdeführenden haben eine Replik eingereicht, mit der sie an ihren Anträgen festhalten.
Mit Präsidialverfügung vom 20. September 2023 hat das Bundesgericht der Beschwerde aufschiebende Wirkung verliehen.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde richtet sich gegen einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid über die Erteilung einer Baubewilligung. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zur Verfügung (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG ). Die Beschwerdeführenden haben am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und sind als Eigentümer bzw. Eigentümerinnen sowie Mieter bzw. Mieterinnen von Liegenschaften in unmittelbarer Nähe des Baugrundstücks zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
2.1. Unter dem Titel "Überschreitung Fassadenhöhe traufseitig" rügten die Beschwerdeführenden im vorinstanzlichen Verfahren, mit den Firstkoten sei im Arealplan eine Abweichung von der Regelbauweise betreffend die Gesamthöhe des Gebäudes geregelt worden. Dagegen fänden sich weder im Arealplan noch in den Arealplanbestimmungen (APB) Abweichungen von den in Art. 13 und Art. 15 des Baugesetzes der Gemeinde Almens vom 7. Dezember 2011 (BauG) festgelegten maximalen traufseitigen Fassadenhöhen. Somit seien diesbezüglich die Bestimmungen des Baugesetzes anwendbar. Gemäss dem in Art. 13 BauG festgelegten Zonenschema dürften diese Höhen 6,60 m + z m betragen (der Zuschlag z entspricht gemäss der genannten Bestimmung der halben Höhendifferenz des massgebenden Terrains und beträgt maximal 3 m). Eine abschliessende Überprüfung der traufseitigen Fassadenhöhen, gemessen ab dem gewachsenen Terrain, sei mangels Angaben in den Baugesuchsunterlagen nicht möglich. Es sei aber auch ohne solche Angaben offensichtlich, dass die Überschreitungen massiv seien.
2.2.
2.2.1. Das Verwaltungsgericht legte dar, die Auffassung, wonach mangels besonderer Vorschriften in den APB zu den traufseitigen Fassadenhöhen die Bestimmungen des Baugesetzes Anwendung fänden, sei unzutreffend. Die traufseitigen Fassadenhöhen der projektierten Häuser ergäben sich vielmehr bereits aus den Vorgaben des Arealplans zur Firsthöhe Koten, der gemäss Arealplan vorgeschriebenen Neigung der Giebeldächer von minimal 30 % und maximal 80 % und aus den höchstzulässigen Fassadenbreiten. Aus diesem Grund sei zudem die Angabe der traufseitigen Fassadenhöhen in den Baugesuchsunterlagen nicht erforderlich gewesen.
2.2.2. In ihrer Beschwerde ans Bundesgericht entgegnen die Beschwerdeführenden, es sei nicht nachvollziehbar, inwiefern höchstzulässige Fassadenbreiten für die Ermittlung der maximal zulässigen traufseitigen Fassadenhöhen eine Rolle spielen sollten. Wie in Bezug auf die Gesamthöhe und die Dachneigung sähen die Arealplanbestimmungen auch in Bezug auf die höchstzulässigen Fassadenbreiten im Gegensatz zum Baugesetz Almens (Art. 13 i.V.m. Art. 16) keine feste Grösse vor; sie könnten beliebig bis flächenmässig um insgesamt 5 % unter- oder überschritten werden. Da der Arealplan für die traufseitigen Fassadenhöhen keine Abweichung von der Regelbauweise vorsehe, gelte diesbezüglich das Baugesetz. Hinzu komme, dass nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung an in Arealplänen vorgesehene Abweichungen von der Regelbauweise strenge Massstäbe anzusetzen seien, wenn diese Arealpläne lediglich vom Gemeindevorstand erlassen worden seien (BGE 149 II 79). Implizite Abweichungen, wie sie das Verwaltungsgericht in Bezug auf die traufseitigen Fassadenhöhen annehme, würden grosse Spielräume eröffnen und widersprächen dieser Rechtsprechung. Entsprechend verliere die Vorinstanz denn auch kein Wort darüber, wie hoch die maximal zulässige traufseitige Fassadenhöhe ihrer Auffassung nach effektiv sein solle. Das angefochtene Urteil habe zur Folge, dass anstelle der gesetzlich zulässigen traufseitigen Fassadenhöhen von maximal 9,6 m (unter der Annahme, dass für den in Art. 13 BauG vorgesehenen Zuschlag [z] das Maximum von 3 m eingesetzt werde) solche von 11,52 m bis 14,33 m bewilligt würden. Dies bedeute eine Überschreitung von fast 50 % und verstosse gegen das Willkürverbot.
2.2.3. Die Beschwerdegegnerin weist in ihrer Beschwerdeantwort darauf hin, dass der Arealplan Pardieni rechtskräftig sei und nicht mehr überprüft werden könne. Er diene dazu, das zu Grunde liegende Überbauungskonzept zu ermöglichen. Seine Vorgaben bedingten, dass bei der traufseitigen Fassadenhöhe von der Regelbauweise abgewichen werden dürfe. Andernfalls würden sich Hausformen mit tiefen Fassaden, hohen Firsthöhen und steilen Dächern ergeben, was aus ästhetischen Gründen und mit Blick auf das raumplanerisch erwünschte Ziel der Verdichtung nicht haltbar wäre, nicht dem Überbauungskonzept entsprechen würde und gegen die Vorgaben des Baugesetzes und der Arealplanbestimmungen verstossen würde. Die Ausschöpfung der gemäss Arealplan zulässigen Firstkoten sei unter Einhaltung der in Art. 13 BauG vorgegebenen traufseitigen Fassadenhöhe nicht möglich, jedenfalls nicht, ohne die Vorgaben betreffend die Dachneigung zu verletzen.
2.3. Willkür in der Rechtsanwendung liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht. Zudem ist erforderlich, dass der Entscheid nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist (BGE 145 II 32 E. 5.1; 142 V 513 E. 4.2; je mit Hinweisen).
2.4. Art. 1 APB sieht Folgendes vor:
"Soweit diese Arealplanbestimmungen nicht besondere Vorschriften enthalten, gelten die Bestimmungen des jeweils rechtsgültigen übergeordneten Rechts, insbesondere des Kantonalen Raumplanungsrechts (KRG und KRVO), der kommunalen Nutzungsplanung und des Baugesetzes der Gemeinde Almens."
Der Arealplan enthält für die traufseitige Fassadenhöhe keine besonderen Vorschriften, doch ist das Verwaltungsgericht, wie erwähnt, der Auffassung, dass sich diese indirekt bzw. implizit aus den im Arealplan definierten Höhenkoten für die Firste, der zulässigen Dachneigung und den zulässigen Fassadenbreiten ergibt. Zutreffend ist an dieser Feststellung, dass sich Firsthöhe, Dachneigung, Fassadenbreite und traufseitige Fassadenhöhe gegenseitig bedingen. Indessen ist unklar, von welchen zulässigen Fassadenbreiten das Verwaltungsgericht ausgeht und weshalb gerade dieser Wert verbindlich, die traufseitige Fassadenhöhe jedoch flexibel bzw. die für sie in Art. 13 BauG vorgesehenen Höchstmasse unverbindlich sein sollten. Hinzu kommt, dass die im Arealplan definierten Höhenkoten für Firste gemäss Art. 8 Abs. 3 APB bis zu 3 m unterschritten werden dürfen. Das Argument der Beschwerdegegnerin, es würden sich Hausformen mit tiefen Fassaden, hohen Firsthöhen und steilen Dächern ergeben, ist insofern zu relativieren. Zwar mag zutreffen, dass bei einer Absenkung der Firsthöhe eine Baute resultieren würde, die nicht dem Überbauungskonzept entspricht. Dies ist jedoch nicht relevant, da das Überbauungskonzept nicht zu den verbindlichen Planbestandteilen gehört (vgl. Art. 4 APB). Jedenfalls liegt auf der Hand, dass der im Arealplan bzw. den Arealplanbestimmungen vorgesehene Spielraum für die Festlegung der Firsthöhe ausgeschöpft werden muss, um die in Art. 13 BauG vorgesehene maximale traufseitige Fassadenhöhe einzuhalten. Der angefochtene Entscheid, der stattdessen trotz Fehlen besonderer Vorschriften in den Arealplanbestimmungen von der Unverbindlichkeit der betreffenden gesetzlichen Vorgaben ausgeht, ist nicht haltbar und damit willkürlich.
3.
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen gutzuheissen und der angefochtene Entscheid sowie die mit diesem bestätigte Baubewilligung aufzuheben. Die Sache ist zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen Verfahrens an das Kantonsgericht zurückzuweisen (vgl. Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG ).
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat den anwaltlich vertretenen Beschwerdeführenden eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 27. Juni 2023 und die Baubewilligung vom 7. März 2022 werden aufgehoben. Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen Verfahrens an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführenden mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Gemeinde Domleschg und dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 9. Oktober 2024
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kneubühler
Der Gerichtsschreiber: Dold