Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
7B_1092/2024
Urteil vom 11. Februar 2025
II. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichterin van de Graaf,
Bundesrichter Kölz,
Gerichtsschreiberin Lustenberger.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kenad Melunovic Marini,
Beschwerdeführerin,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern,
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Abteilung 4 Spezialdelikte,
Eichwilstrasse 2, 6011 Kriens.
Gegenstand
Amtliche Verteidigung,
Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 28. August 2024 (2N 24 92).
Sachverhalt:
A.
Die Abteilung 4 (Spezialdelikte) der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern führt ein Verfahren gegen A.________ wegen Geldwäscherei (Art. 305bis StGB). Sie wirft ihr vor, seit dem 15. Juni 2023 inkriminierte Gelder von Drittpersonen auf ihre Bankkonten erhalten und weitergeleitet zu haben ("Money Mule").
B.
B.a. Mit Schreiben vom 28. Mai 2024 ersuchte A.________ um Beiordnung einer amtlichen Verteidigung. Dieses Ersuchen lehnte die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 4. Juni 2024 ab.
B.b. Das Kantonsgericht Luzern wies eine von A.________ hiergegen erhobene Beschwerde mit Beschluss vom 28. August 2024 ab.
C.
A.________ wendet sich mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Sie beantragt, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben und es sei für sie im Strafverfahren rückwirkend per 28. Mai 2024 die amtliche Verteidigung anzuordnen. Ausserdem sei ihr für das Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Die Akten des kantonalen Beschwerdeverfahrens wurden antragsgemäss beigezogen.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid (Art. 80 Abs. 1 BGG), mit dem der beschuldigten Beschwerdeführerin ein Anspruch auf amtliche Verteidigung abgesprochen wurde. Ein derartiger Zwischenentscheid kann nach der Rechtsprechung einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken (BGE 140 IV 202 E. 2.2; Urteil 7B_935/2023 vom 28. August 2024 E. 1.1; je mit Hinweisen). Da auch die übrigen Eintretensvoraussetzungen (Art. 81 Abs. 1 lit a und lit. b Ziff. 1 BGG und Art. 100 Abs. 1 BGG) erfüllt sind, erweist sich die Beschwerde in Strafsachen (Art. 78 Abs. 1 BGG) gru ndsätzlich als zulässig.
2.
2.1. Die Beschwerdeführerin ist - kurz zusammengefasst - der Ansicht, beim vorgeworfenen Delikt handle es sich nicht mehr um einen Bagatellfall. Ausserdem weise der Fall tatsächliche und vor allem rechtliche Schwierigkeiten auf, die eine amtliche Verteidigung gebieten würden.
2.2. Von vornherein nicht berücksichtigt werden kann das Vorbringen, dass sich die Beschwerdeführerin aufgrund eines im Kanton Uri eröffneten Strafverfahrens nun auch mit dem Vorwurf des Betrugs konfrontiert sehe. Zunächst ist das Bundesgericht nach Art. 105 Abs. 1 BGG an den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt gebunden. Darin taucht der Betrugsvorwurf nicht auf und die Beschwerdeführerin rügt in diesem Zusammenhang weder eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung, noch eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs durch die Vorinstanz (vgl. zur Willkürkognition des Bundesgerichts in Sachverhaltsfragen und der diesbezüglich nach Art. 106 Abs. 2 BGG qualifizierten Rügepflicht der beschwerdeführenden Partei: BGE 148 IV 356 E. 2.1; 146 IV 88 E. 1.3.1; je mit Hinweisen). Davon abgesehen erläutert die Beschwerdeführerin entgegen den Vorgaben von Art. 42 Abs. 2 BGG nicht näher, worin der Betrugsvorwurf genau besteht. Damit lässt sich weder beurteilen, wie schwer dieser wiegt, noch, welche Schwierigkeiten er im Verfahren mit sich bringt. Der Betrugsvorwurf hat für das Bundesgericht somit unbeachtlich zu bleiben.
2.3. Nach Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO ordnet die Verfahrensleitung eine amtliche Verteidigung an, wenn die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist. Letzteres ist nach Art. 132 Abs. 2 StPO namentlich dann der Fall, wenn es sich nicht um einen Bagatellfall handelt und der Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre. Ein Bagatellfall liegt jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Monaten oder eine Geldstrafe von mehr als 120 Tagessätzen zu erwarten ist (Art. 132 Abs. 3 StPO).
Bei der Prüfung von Art. 132 Abs. 3 StPO ist nicht die abstrakte Strafandrohung massgebend, sondern eine konkrete Betrachtungsweise (vgl. BGE 143 I 164 E. 3.3 mit Hinweisen; Urteil 1B_228/2021 vom 16. Juli 2021 E. 3.2). Nach der Rechtsprechung ist zudem nicht automatisch von einem Bagatellfall auszugehen, wenn die in dieser Bestimmung genannten Schwellenwerte nicht erreicht sind. Wie Art. 132 Abs. 2 StPO durch die Verwendung des Worts "namentlich" zum Ausdruck bringt, kann die Gewährung der amtlichen Verteidigung sodann auch aus anderen als den im Gesetz genannten Voraussetzungen geboten sein. Ausschlaggebend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls. Je schwerwiegender der Eingriff in die Interessen der betroffenen Person ist, desto geringer sind die Anforderungen an die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten und umgekehrt (BGE 143 I 164 E. 3.6; Urteile 7B_935/2023 vom 28. August 2024 E. 2.1; 1B_228/2021 vom 16. Juli 2021 E. 2; je mit Hinweisen). Droht zwar ein erheblicher, nicht aber ein besonders schwerer Eingriff, müssen zur relativen Schwere des Eingriffs besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen die betroffene Person - auf sich allein gestellt - nicht gewachsen wäre. Als besondere Schwierigkeiten, die eine amtliche Vertretung rechtfertigen können, fallen namentlich in der betroffenen Person liegende Gründe in Betracht, insbesondere deren Unfähigkeit, sich im Verfahren zurechtzufinden (Urteile 7B_935/2023 vom 28. August 2024 E. 2.1; 1B_72/2021 vom 9. April 2021 E. 4.1; je mit Hinweisen). Selbst in Bagatellfällen ist eine amtliche Verteidigung nicht ausgeschlossen, ein Anspruch auf amtliche Verteidigung besteht jedoch nur ausnahmsweise. Dies kann zutreffen, wenn der Fall ganz besondere Schwierigkeiten bietet oder eine besondere Tragweite aufweist, zum Beispiel wenn der Entzug einer Berufsausübungsbewilligung oder der elterlichen Sorge droht (vgl. Urteile 1B_94/2023 vom 4. Mai 2023 E. 2.1; 1B_618/2021 vom 15. Februar 2022 E. 3.3; je mit Hinweisen).
2.4.
2.4.1. Zur Frage, ob ein Bagatellfall gegeben ist, erwägt die Vorinstanz, zum gegenwärtigen Zeitpunkt gehe die Staatsanwaltschaft ungeachtet des abstrakten Strafrahmens davon aus, dass bei Erhärtung des Tatverdachts ein Strafbefehl erlassen werde. Eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als vier Monaten oder einer Geldstrafe von mehr als 120 Tagessätzen sei dabei nicht zu erwarten. Dies spreche für das Vorliegen eines Bagatellfalls.
Diesen Überlegungen kann grundsätzlich gefolgt werden. Zwar kann sich die Beschwerdeinstanz nicht allein auf die Äusserungen der Staatsanwaltschaft, wonach eine Strafe unter der Bagatellgrenze zu erwarten sei, verlassen (vgl. Urteil 1B_239/2021 vom 20. August 2021 E. 2.3). Die Beschwerdeführerin bringt jedoch nichts vor, was diese Einschätzung vorliegend ernsthaft in Zweifel ziehen würde. Sie wendet einzig ein, die Ermittlungen seien zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen, weshalb eine solche Prognose nicht abschliessend gestellt werden könne. Laut angefochtenem Beschluss erschöpft sich der Tatverdacht jedoch darin, dass die Beschwerdeführerin seit dem 15. Juni 2023 auf fünf Konten betrügerische Zahlungen von unbekannten Dritten erhalten und diese (teilweise ins Ausland) weitertransferiert habe (Deliktsbetrag ca. Fr. 11'000.--). Die Beschwerdeführerin zeigt nicht auf, weshalb im Falle einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe von vier Monaten oder eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen nicht als schuldangemessen angesehen werden könnte. Es gilt insbesondere zu berücksichtigen, dass sogennante "Money Mules" gemäss dem Schrifttum klassischerweise über Stellenangebote im Internet von Kriminellen angeworben werden und im Rahmen dieser vermeintlichen Anstellung ihre Bankkonten zur Verfügung stellen. Ihr Verschulden, sofern sie denn überhaupt (eventual-) vorsätzlich handeln, dürfte häufig im unteren Bereich anzusiedeln sein (vgl. zum Phänomen "Money Mule": GALLIANO/MARFORIO, Le phénomène des money mules en Suisse, AJP 2020 S. 750 ff.). Warum dies vorliegend anders sein sollte, geht aus der Beschwerde nicht hervor. Auch der Einwand, dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien, zielt letztlich ins Leere, denn die Beschwerdeführerin benennt keine konkreten Aspekte, die im weiteren Verlauf der Untersuchung zu einer Erhöhung der zu erwartenden Sanktion führen könnten. Sollte die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Strafuntersuchung eine höhere Strafe beantragen, stünde es ihr im Übrigen frei, erneut ein Gesuch um amtliche Verteidigung zu stellen (vgl. Urteile 1B_12/2020 vom 24. Januar 2020 E. 3.2 mit Hinweis; 1B_192/2018 vom 17. Juli 2018 E. 2.3). Gründe, warum vorliegend aufgrund der konkreten Umstände ungeachtet der drohenden Sanktion ein Bagatellfall zu verneinen wäre, trägt die Beschwerdeführerin schliesslich ebenfalls keine vor und solche sind auch nicht ersichtlich.
2.4.2. Tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten, denen die Beschwerdeführerin - in Relation zur geringen Eingriffsintensität des Tatvorwurfs - alleine nicht gewachsen wäre, bringt der Tatvorwurf ebenfalls nicht mit sich.
Was den Sachverhalt angeht, verweist die Beschwerdeführerin wiederum (einzig) darauf, dass dieser noch nicht abschliessend untersucht sei und deshalb entgegen der Vorinstanz nicht von einem klar umgrenzten Sachverhalt ausgegangen werden könne. Dieser Einwand erweist sich jedoch wie bereits ausgeführt als unbehelflich, wird damit doch nicht bestritten, dass der Sachverhalt nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen keine besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist.
Die rechtliche Seite betreffend wendet die Beschwerdeführerin ein, dass sie juristische Laiin sei. Daran ändere auch nichts, dass sie in der Vergangenheit bereits einmal strafrechtlich verurteilt worden sei. Als Laiin könne sie sich insbesondere keine genaue Vorstellung davon machen, was der Tatbestand der Geldwäscherei alles umfasse und ihre Verfahrensrechte nicht richtig ausüben. Anders als die Beschwerdeführerin meint, ist jedoch nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz ihr aufgrund ihrer Vorstrafe eine gewisse Prozesserfahrung zuerkennt (vgl. Urteil 7B_348/2023 vom 5. August 2024 E. 2.2.3). Nebst dem ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Tatbestand der Geldwäscherei für juristisch nicht gebildete Personen tendenziell schwerer zu verstehen ist als andere Straftatbestände. Ausserdem besteht beim Phänomen "Money Mule" im Besonderen nicht selten die Schwierigkeit, eventualvorsätzliches Handeln von bewusster Fahrlässigkeit abzugrenzen (vgl. GALLIANO/MARFORIO, a.a.O., S. 753 ff.). Dies bringt eine erhöhte rechtliche Komplexität mit sich. Nichtsdestoweniger scheinen die rechtlichen Schwierigkeiten nicht derart gross, dass sie eine rechtliche Verbeiständung im Strafverfahren erfordern würden. Insbesondere war die Beschwerdeführerin gemäss unbestritten gebliebener Feststellung der Vorinstanz in der Lage, sich in mehreren, teils detaillierten Einvernahmen zu den Tatvorwürfen ausführlich und differenziert zu äussern, was zwangsläufig ein entsprechendes Verständnis voraussetzt. Die Frage, ob sie einen Anwalt oder eine Anwältin beiziehen und die amtliche Verteidigung beantragen wolle, verneinte sie dabei jeweils ausdrücklich und sie war bereit, ohne anwaltliche Vertretung Aussagen zu machen. Sie ist zudem, so die weiteren unstreitigen Feststellungen im angefochtenen Beschluss, deutscher Muttersprache und in der Lage, Mitteilungen und Entscheide der Strafbehörden zu verstehen. Mit Blick auf das relativ geringe zu erwartende Strafmass darf somit von ihr erwartet werden, auch die rechtlichen Schwierigkeiten des vorliegenden Straffalls selber zu bewältigen. Mit der Vorinstanz ist nicht ersichtlich, dass eine amtliche Verteidigung zur Wahrung der Interessen der Beschwerdeführerin geboten wäre.
3.
Die Beschwerde erweist sich im Ergebnis als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang würde die Beschwerdeführerin an sich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie stellt jedoch ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung, welches in Anwendung von Art. 64 Abs. 1 BGG gutzuheissen ist. Folglich sind keine Gerichtskosten zu erheben und ihrem Rechtsvertreter ist aus der Gerichtskasse eine angemessene Entschädigung auszurichten.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
2.1. Rechtsanwalt Kenad Melunovic Marini wird als unentgeltlicher Rechtsvertreter ernannt und aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.
2.2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 11. Februar 2025
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Abrecht
Die Gerichtsschreiberin: Lustenberger