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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_379/2024  
 
 
Urteil vom 11. Dezember 2024  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiber Walther. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kaspar Saner, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Suva, Abteilung Militärversicherung, 
6009 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Militärversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 2. Mai 2024 (MV.2023.00002). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1969, leistete 1990 unter anderem vom 5. Februar bis 2. Juni und 1994 vom 26. August bis 16. September Militärdienst. Am 9. November 1998 wurde bei ihm eine beidseitige Hochtonsenke bei 6000 Hz von 35 dB rechts und 40 dB links mit stärker störendem Tinnitus und daraus resultierender eingeschränkter Schiesstauglichkeit festgestellt. Am 10. Juni 1999 wurde er wegen der Gehörschädigung für schiessuntauglich erklärt. Mit E-Mail vom 15. Mai 2005 erkundigte sich A.________ im Hinblick auf seine Entlassung aus dem Militärdienst per 30. Juni 2005 beim damaligen Bundesamt für Militärversicherung, ob und wie er auch nach seiner Entlassung einen Anspruch auf Versicherungsleistungen wegen seiner Gehörschädigung geltend machen könne. Im Januar 2017 meldete er sich wegen eines dekompensierten Tinnitus beidseits nach zwei Knalltraumata während des Militärdienstes 1990 und 1994 sowie einer Hyperakusis nach einem erneuten akuten Lärmtrauma durch Böllerschüsse am 31. Dezember 2016 bei der Suva, Abteilung Militärversicherung (im Folgenden: Suva-MV oder Beschwerdegegnerin) an. Am 7. Juli 2017 teilte ihm die Suva-MV mit, dass sie die Kosten für die Heilbehandlung der Hochtonperzeptionsstörung übernehme, für den subjektiven Tinnitus jedoch mangels adäquater Kausalität der beiden Lärmtraumata von 1990 und 1994 keine Haftung bestehe. Gestützt auf ein Gutachten von Prof. Dr. med. B.________, Fachärztin für Oto-Rhino-Laryngologie am Spital C.________, vom 31. Dezember 2019 hielt die Suva-MV mit Verfügung vom 1. Mai 2020 an der Ablehnung der Haftung für den Tinnitus fest. Auf Einsprache von A.________ hin holte die Suva-MV unter anderem eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. med. B.________ ein (Expertise vom 21. November 2022). Mit Einspracheentscheid vom 21. März 2023 wies sie die Einsprache ab. 
 
B.  
Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Urteil vom 2. Mai 2024). 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, unter Aufhebung des kantonalen Urteils seien ihm wegen seines Tinnitusleidens Leistungen nach MVG (insbesondere Übernahme von Heilbehandlungskosten, Abgeltung des Integritätsschadens) zuzusprechen. 
Das Bundesgericht zieht die vorinstanzlichen Akten bei. Einen Schriftenwechsel führt es nicht durch. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 148 V 366 E. 3.1 mit Hinweisen). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militärversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2.  
Streitig ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat, indem es eine Leistungspflicht der Suva-MV für das Tinnitusleiden des Beschwerdeführers verneint hat. 
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Leistungspflicht der Militärversicherung für Gesundheitsschädigungen, die während des Dienstes in Erscheinung treten (Art. 5 MVG) und solche, die erst nach dem Dienst festgestellt werden (Art. 6 MVG), zutreffend dargelegt. Gleiches gilt bezüglich des für die Leistungspflicht des Militärversicherers erforderlichen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden im Allgemeinen (BGE 129 V 177 E. 3.1 f.; 123 V 137) und im Falle eines subjektiven Tinnitus im Besonderen (BGE 138 V 248; 123 V 137; 115 V 133). Darauf wird verwiesen.  
 
3.2. Korrekt ist auch die vorinstanzliche Wiedergabe des Gutachtens der Prof. Dr. med. B.________ vom 31. Dezember 2019 und ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 21. November 2022. Hierauf kann ebenfalls verwiesen werden.  
 
4.  
Die Vorinstanz hielt fest, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sei die Haftung der Suva-MV nicht unter dem Blickwinkel von Art. 5 MVG, sondern nach Art. 6 MVG zu prüfen. Die Suva-MV bestreite diesbezüglich weder die vom Beschwerdeführer geschilderten Knalltraumata während des Militärdienstes in den Jahren 1990 und 1994 noch den Umstand, dass diese nach der überzeugenden Beurteilung der Gutachterin Prof. Dr. med. B.________ (nebst dem Böllerschuss an Silvester 2016) den schweren beidseitigen Tinnitus zumindest teilweise natürlich-kausal verursacht hätten. Der Tinnitus des Beschwerdeführers könne nach der gutachterlichen Würdigung für Aussenstehende nicht hörbar gemacht werden; eine dem Leiden zugrunde liegende organische Schädigung habe durch apparative oder bildgebende Abklärungen nicht bestätigt werden können. Wie Prof. Dr. med. B.________ in überzeugender Auseinandersetzung mit dem Bericht des Prof. Dr. med. D.________, leitender Arzt an der Klinik für Ohren-, Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie des Spital E.________, vom 1. Februar 2018 erläutert habe, sei der Umstand, dass der Beschwerdeführer den Tinnitus bei unabhängigen Messungen jeweils im Bereich der initialen Hochtonsenke bei 6 kHz angegeben habe, kein Hinweis auf einen objektiven Tinnitus. Auch sonst ergäben sich aus den medizinischen Unterlagen keine Hinweise auf eine organische Ursache des Tinnitus in Form einer Missbildung, eines Tumors oder einer muskulären Veränderung. Damit fehle es am Nachweis einer organisch objektivierbaren Grundlage der Gesundheitsschädigung. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass neben dem Tinnitus noch eine (objektivierbare) Gehörschädigung vorliege. Es bestehe daher kein Anlass, von der vom Bundesgericht in BGE 138 V 248 bereinigten und seither mehrfach bestätigten Rechtsprechung zum subjektiven Tinnitus abzuweichen. Dementsprechend sei im vorliegenden Fall eine besondere Adäquanzprüfung vorzunehmen, wobei die Kriterien nach der Praxis bei psychischen Fehlentwicklungen gemäss BGE 115 V 133 zur Anwendung kämen. Gegen das Ergebnis dieser Prüfung durch die Suva-MV, welche auf der Grundlage einer rechtskonformen Sachverhaltsfeststellung und unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung erfolgt sei, habe der Beschwerdeführer zu Recht keine Einwände erhoben, weshalb sich Weiterungen erübrigten. 
 
5.  
 
5.1. Der Beschwerdeführer hält vor Bundesgericht daran fest, dass es sich beim Tinnitus um ein objektiv ausgewiesenes Leiden handle, weshalb die Adäquanz ohne besondere Prüfung zu bejahen sei. Allenfalls sei sie nicht anhand der Kriterien von BGE 115 V 133, sondern nach der allgemeinen Adäquanzformel zu prüfen und zu bejahen. Dementsprechend sei die Suva-MV leistungspflichtig. Seine Argumente vermögen jedoch nicht zu überzeugen, wie im Folgenden aufgezeigt wird.  
 
5.1.1. Laut Gutachten der Prof. Dr. med. B.________, dessen Beweiskraft der Beschwerdeführer ausdrücklich anerkennt, handelt es sich bei seinem Leiden um einen subjektiven Tinnitus, der sich einem bildgebenden oder apparativen Nachweis entzieht. Inwiefern die darauf beruhende Feststellung des kantonalen Gerichts, der Tinnitus sei organisch objektiv nicht hinreichend nachweisbar, bundesrechtswidrig sein soll, vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen. Soweit er geltend macht, die Knalltraumata hätten auch eine (objektivierbare) Schwerhörigkeit verursacht, ändert dies ebenso wenig an der fehlenden organischen Nachweisbarkeit des Tinnitus wie der Umstand, dass Prof. Dr. med. B.________ in ihrer ergänzenden Stellungnahme festhielt, der Tinnitus sei als direkte Folge bzw. in direktem Zusammenhang mit dem Knalltrauma und der dadurch erlittenen Höreinbusse zu sehen. Gleiches gilt für das Argument des Beschwerdeführers, er habe in den mehrfach unabhängig voneinander und in zeitlichem Abstand durchgeführten Reintonaudiogrammen jeweils die identische Frequenz und Lautstärke angegeben. Mit der schliesslich unter Bezugnahme auf eine medizinische Fachpublikation geltend gemachte Entstehung des Tinnitus durch eine Schädigung der Cochlea hat sich sodann bereits Prof. Dr. med. B.________ auseinandergesetzt.  
 
5.1.2. Steht somit fest, dass der Tinnitus im vorliegenden Fall nicht auf eine organisch (hinreichend) nachweisbare Unfallfolge zurückzuführen ist, zielen auch die weiteren Rügen ins Leere. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers stellt es keinen "Bruch in der Logik" dar, den adäquaten Kausalzusammenhang gesondert zu prüfen und gegebenenfalls zu verneinen, auch wenn ein (zumindest teilweiser) natürlicher Kausalzusammenhang zwischen dem Knalltrauma und dem Tinnitus bejaht wurde. Weiter trifft es zwar zu, dass der grundlegende BGE 138 V 248 nicht ein Knalltrauma, sondern einen Sturz vom Fahrrad betraf. Dies steht der Anwendbarkeit der durch dieses Urteil bereinigten Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall jedoch nicht entgegen, da es für die Frage der besonderen Adäquanzprüfung nach BGE 115 V 133 nicht auf die Art des schädigenden Ereignisses, sondern auf das Fehlen organisch objektiv ausgewiesener Unfallfolgen ankommt (BGE 134 V 109 E. 2.1; 127 V 102 E. 5b/bb). Aus dem gleichen Grund erweist sich auch das Vorbringen als unbehelflich, die Prüfung der Adäquanz anhand der Kriterien dieser Rechtsprechung sei sachfremd, weil es sich beim Tinnitus nicht um ein psychisches Leiden handle. Ernsthafte Gründe für eine Änderung der Rechtsprechung (dazu vgl. BGE 149 V 177 E. 4.5) dahingehend, dass im Zusammenhang mit dem Beschwerdebild des subjektiven Tinnitus die allgemeine Adäquanzformel (vgl. BGE 129 V 177 E. 3.2) anzuwenden wäre, werden in der Beschwerde nicht aufgezeigt und sind auch nicht ohne Weiteres ersichtlich. Der vom Beschwerdeführer angerufene Ueli Kieser beschränkt sich in seiner Entscheidbesprechung zu BGE 138 V 248 nebst einer allgemein gehaltenen Kritik an der sozialversicherungsrechtlichen Adäquanzprüfung auf den Hinweis, dass es offensichtlich unmöglich sei, ein Knalltrauma als leichtes, mittleres oder schweres Unfallereignis einzustufen (vgl. Ueli Kieser, Entscheidbesprechungen, Bundesgericht, I. sozialrechtliche Abteilung, Urteil vom 3. Mai 2012 i.S. W. c. SUVA, 8C_498/2001 = BGE 138 V 248, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, in: AJP 2012 S. 1643 ff., S. 1645). Dies ist hier schon deshalb unbehelflich, weil die Suva auf eine Einstufung des Ereignisses verzichten konnte, da unbestrittenermassen keines der sieben massgebenden Kriterien gemäss BGE 115 V 133 erfüllt war. Der vom Beschwerdeführer zudem herangezogene BGE 139 V 346 beschlägt den Bereich der Invalidenversicherung, welche im Gegensatz zur Unfallversicherung alle Leiden unabhängig von ihrer Ursache zu berücksichtigen hat und bei welcher sich die Frage eines allfällligen Kausalzusammenhangs daher von vornherein erübrigt (Urteil 8C_628/2023 vom 9. April 2024 E. 5.3.1). Soweit der Beschwerdeführer sodann das Urteil 8C_660/2012 vom 23. März 2013 wohl dahingehend interpretiert, dass im Zusammenhang mit den dort erwähnten Phantomschmerzen auf eine besondere Adäquanzprüfung verzichtet wurde, kann dem mangels entsprechender Hinweise im genannten Urteil nicht gefolgt werden.  
 
5.2. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, indem sie zum Schluss gelangte, der adäquate Kausalzusammenhang zwischen den im Militärdienst erlittenen Knalltraumata und dem Tinnitus könne nicht ohne besondere Prüfung nach BGE 115 V 133 bejaht werden. Gegen die konkrete Verneinung der einzelnen Kriterien durch die Suva-MV wird, wie bereits im kantonalen Beschwerdeverfahren, nichts Begründetes vorgebracht, weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist (vorne E. 1). Die Beschwerde ist somit unbegründet.  
 
6.  
Der unterliegende Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 11. Dezember 2024 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Walther