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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_473/2022  
 
 
Urteil vom 12. April 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Müller, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Merz, Kölz, 
Gerichtsschreiber Hahn. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Advokat Alain Joset, 
 
gegen  
 
Jugendanwaltschaft Basel-Landschaft, Rheinstrasse 55, 4410 Liestal, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Entsiegelung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 22. September 2022 (350 22 341). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen Vergewaltigung, ev. Schändung und Drohung. Im Rahmen dieser Strafuntersuchung wurde am 10. August 2022 das Mobiltelefon von A.________ sichergestellt und auf dessen Antrag hin gesiegelt. In der Folge stellte die Jugendanwaltschaft beim Zwangsmassnahmengericht des Kantons Basel-Landschaft am 30. August 2022 fristgerecht ein Gesuch um Entsiegelung des sichergestellten Mobiltelefons. Das Zwangsmassnahmengericht hiess das Gesuch mit Entscheid vom 22. September 2022 gut und gab das Mobiltelefon ohne Einschränkungen zur Durchsuchung frei. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ordnete es zudem an, dass das Mobiltelefon nach Ablauf von sieben Tagen nach Zustellung des Entscheids mit dem Auftrag zur Datenauswertung an die IT-Forensik der Polizei Basel-Landschaft weitergeleitet werde, sofern A.________ nicht nachweise, dass er im Rahmen einer Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht ein Begehren um aufschiebende Wirkung gestellt habe. 
 
B.  
Mit Eingaben vom 30. September 2022 und 24. Oktober 2022 erhebt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, der Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 22. September 2022 sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei die Entsiegelung in Bezug auf die E-Mail-Korrespondenz mit seinem Rechtsvertreter zu verweigern. In prozessualer Hinsicht ersucht er um die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Zudem sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen. 
Die Jugendanwaltschaft und das Zwangsmassnahmengericht beantragen die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hält replikweise an seinen Anträgen fest. 
 
C.  
Mit verfahrensleitender Verfügung vom 20. Oktober 2022 erteilte das präsidierende Mitglied der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde antragsgemäss die aufschiebende Wirkung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entsiegelungs-entscheid eines Zwangsmassnahmengerichts (Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BGG i.V.m. Art. 248 Abs. 3 lit. a StPO). Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG grundsätzlich offen (Urteile 1B_603/2022 vom 22. Februar 2023 E. 1.1; 1B_602/2020 vom 23. Februar 2021 E. 1).  
 
1.2. Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ab (vgl. Art. 90 f. BGG); es liegt ein selbstständig eröffneter Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 Abs. 1 BGG vor. Der Beschwerdeführer legt schlüssig dar, dass auf dem sichergestellten Mobiltelefon Anwaltskorrespondenz zwischen ihm und seinem Verteidiger gespeichert sei. Damit droht ihm praxisgemäss ein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, weshalb die Beschwerde gegen den Zwischenentscheid zulässig ist (BGE 143 IV 462 E. 1; Urteil 1B_602/2020 vom 23. Februar 2021 E. 1). Als beschuldigte Person und Inhaber des sichergestellten Mobiltelefons ist der Beschwerdeführer zudem zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 1 BGG). Auch sonst steht einem Eintreten auf die Beschwerde nichts entgegen.  
 
2.  
Der Beschwerdeführer bestreitet die grundsätzliche Zulässigkeit der Durchsuchung seines Mobiltelefons vor Bundesgericht nicht. Er wendet sich aber insofern gegen den angefochtenen Entscheid, als darauf verzichtet wurde, die von ihm geltend gemachte Anwaltskorrespondenz zwischen ihm und seinem Verteidiger auszusondern. Er rügt, mit dem Hinweis, dass sich auf dem Mobiltelefon geheimnisgeschützte E-Mail-Korrespondenz zwischen ihm und seinem Verteidiger befinde, sei er seiner diesbezüglichen Substanziierungspflicht hinreichend nachgekommen, weshalb der angefochtene Entscheid Art. 248 StPO verletze. 
 
3.  
 
3.1. Nach der bundesgerichtlichen Praxis trifft die Inhaberschaft von zu Durchsuchungszwecken sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen, die ein Siegelungsbegehren gestellt hat, die prozessuale Obliegenheit, die von ihr angerufenen Geheimhaltungsinteressen (im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO) ausreichend zu substanziieren. Kommt die betroffene Person ihrer Mitwirkungs- und Substanziierungsobliegenheit im Entsiegelungsverfahren nicht nach, ist das Zwangsmassnahmengericht nicht gehalten, von Amtes wegen nach allfälligen materiellen Durchsuchungshindernissen zu forschen. Tangierte Geheimnisinteressen sind wenigstens kurz zu umschreiben und glaubhaft zu machen. Auch sind diejenigen Aufzeichnungen und Dateien zu benennen, die dem Geheimnisschutz unterliegen. Dabei ist die betroffene Person nicht gehalten, die angerufenen Geheimnisrechte bereits inhaltlich offenzulegen (zum Ganzen: Urteile 1B_563/2022 vom 19. Januar 2023 E. 3.1; 1B_369/2022 vom 10. Oktober 2022 E. 4.2; 1B_611/2021 vom 12. Mai 2022 E. 7.1; je mit Hinweisen). Dies gilt auch im Zusammenhang mit der Anrufung des Anwaltsgeheimnisses als gesetzliches Entsiegelungshindernis (Urteile 1B_369/2022 vom 10. Oktober 2022 E. 4.3; 1B_427/2021 vom 21. Januar 2022 E. 6.6.2; 1B_243/2020 vom 26. Februar 2021 E. 3.2).  
 
3.2. Zusammengefasst erwog die Vorinstanz, der Beschwerdeführer habe lediglich pauschal geltend gemacht, dass sich auf dem Mobiltelefon Verteidigerkorrespondenz befinde, ohne dabei jedoch darzutun, wo diese genau gespeichert sei. Zwar mache er geltend, die Korrespondenz habe vor allem per E-Mail stattgefunden. Insoweit gebe sein Verteidiger aber nicht an, über welche E-Mailadresse die Kommunikation mit dem Beschwerdeführer erfolgte. Auch sonst nenne er keine Stichworte, mit welchen innerhalb der gespeicherten Daten nach der fraglichen Anwaltskorrespondenz gesucht werden könne. Derart vage Beschreibungen allfälliger Verteidigerkorrespondenz genügten der dem Beschwerdeführer im Entsiegelungsverfahren obliegenden Substanziierungspflicht nicht, weshalb das versiegelte Mobiltelefon zur Durchsuchung freizugeben sei.  
 
3.3. Dieser Rechtsauffassung der Vorinstanz kann nicht beigepflichtet werden.  
 
3.3.1. Die prozessuale Obliegenheit, angerufene Geheimhaltungs-interessen ausreichend zu substanziieren, ist kein Selbstzweck, sondern soll dem Zwangsmassnahmengericht eine sachgerechte und gezielte Triage ermöglichen (Urteile 1B_563/2022 vom 19. Januar 2023 E. 3.3.1; 1B_611/2021 vom 12. Mai 2022 E. 7.4.2). Angesichts des in Art. 6 StPO für den Strafprozess normierten Untersuchungsgrundsatzes dürfen die Anforderungen an die Mitwirkungs- und Substanziierungspflicht im Entsiegelungsverfahren nicht übertrieben hoch bzw. überspitzt formalistisch angesetzt werden (vgl. Urteil 1B_611/2021 vom 12. Mai 2022 E. 7.4.2). Im Zusammenhang mit der Anrufung des Anwaltsgeheimnisses ist es deshalb nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausreichend, wenn der Speicherort der geheimnisgeschützten Dateien und die Namen der Anwältinnen und Anwälte bekannt sind. Dadurch ist es mittels Suchfunktion ohne Weiteres möglich, nach der geschützten Anwaltskorrespondenz zu suchen und ist damit deren Aussonderung ohne grossen Aufwand bzw. aufwändige Nachforschungen möglich (Urteile 1B_563/2022 vom 19. Januar 2023 E. 3.3.1; 1B_611/2021 vom 12. Mai 2022 E. 7.4.2; 1B_602/2020 vom 23. Februar 2021 E. 4.3). Etwas anderes mag gelten, wenn die E-Mail-Korrespondenz vom Anwalt etwa unter Verwendung von Pseudonymen oder von (zumindest nicht ohne weiteres erschliessbaren) Abkürzungen erfolgt ist. Voraussetzung für eine hinreichende Substanziierung des Anwaltsgeheimnisses ist zudem, dass für den von der Staatsanwaltschaft umschriebenen Durchsuchungszeitraum ein tatsächliches anwaltliches Vertretungsverhältnis plausibel aufgezeigt wird (Urteil 1B_427/2021 vom 21. Januar 2022 E. 6.6.2).  
 
3.3.2. Vorliegend hat der Beschwerdeführer zwar relativ allgemein gehaltene Angaben zum Speicherort und der Art der geschützten Anwaltskorrespondenz gemacht, indem er gegenüber der Vorinstanz ausführte, er habe mit seinem Verteidiger, der ihn seit April 2021 auch in einem anderen Strafverfahren vertrete, per E-Mail kommuniziert. Wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, hat er mit diesen Vorbringen jedoch hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, dass sich die fragliche Verteidigerkorrespondenz auf der E-Mail-Applikation seines Mobiltelefons befindet. Zugleich ist damit aber auch gesagt, dass mangels weitergehender Substanziierung die Vorinstanz nicht verpflichtet war, auch andere gängige Kommunikationsapplikationen (z.B. SMS, Whatsapp oder Snapchat) nach allfälliger Anwaltskorrespondenz zu durchsuchen.  
Unbestritten ist weiter, dass es sich bei den fraglichen E-Mail-Nachrichten um Korrespondenz mit dem den Beschwerdeführer im Hauptverfahren vertretenden Verteidiger handelt. Mithin ist der Name des Verteidigers bekannt und ist ein tatsächliches Mandatsverhältnis ohne Weiteres dargetan. Zudem erweist es sich bei dieser Sachlage auch ohne nähere Ausführungen zum Inhalt der Anwaltskorrespondenz als plausibel, dass der jugendliche Beschwerdeführer bis zum Zeitpunkt der Sicherstellung seines Mobiltelefons mit seinem Verteidiger über die gängigen Kommunikationskanäle, also auch per E-Mail, kommunizierte, zumal ihn dieser auch noch in anderen Strafverfahren zu vertreten scheint. Auch wenn der Beschwerdeführer nicht wortwörtlich angab, über welche E-Mail-Adresse seines Verteidigers die Korrespondenz erfolgte, erweist es sich unter den gegebenen Umständen für die Durchführung einer sachgerechten Triage als hinreichend, wenn in den auf dem Mobiltelefon gespeicherten E-Mails mittels Suchfunktion nach dem Namen des Verteidigers des Beschwerdeführers gesucht werden kann (vgl. vorne E. 3.3.1). Soweit die Jugendanwaltschaft vor Bundesgericht insoweit geltend macht, eine E-Mail-Adresse müsse nicht zwingend aus dem Vor- und Nachnamen einer Person bestehen, weshalb die Angaben des Beschwerdeführers zu allgemein seien, mag dies für private E-Mail-Adressen regelmässig zutreffend sein. Vorliegend geht es allerdings um den Mailverkehr zwischen einer beschuldigten Person und ihrem Verteidiger. Mithin ist davon auszugehen, dass der Verteidiger ohne anderslautende Hinweise mit seiner Klientschaft über seine geschäftliche E-Mail-Adresse kommuniziert, welche in der Regel auf der Webseite des betroffenen Anwalts bzw. der Anwältin mit wenig Aufwand abrufbar sein dürfte. Der vorliegende Fall ist in dieser Hinsicht zwar insoweit etwas speziell gelagert, als der Verteidiger des Beschwerdeführers auf seiner Webseite zwei geschäftliche E-Mail-Adressen angibt. Diese sind aber öffentlich einsehbar und die Suche nach zwei anstatt einer E-Mail-Adresse dürfte für das Zwangsmassnahmengericht mit keinem grossen Mehraufwand verbunden sein. Sollte dies wider Erwarten nicht der Fall sein, steht es der Vorinstanz offen, für die Aussonderung der Verteidiger-korrespondenz bei Bedarf eine sachverständige Person (vgl. Art. 248 Abs. 4 StPO) beizuziehen (BGE 142 IV 372 E. 3.1). 
 
3.3.3. Zusammengefasst ist der Beschwerdeführer unter den gegebenen Umständen seiner Substanziierungspflicht in Bezug auf die von ihm geltend gemachte Verteidigerkorrespondenz hinreichend nachgekommen. Wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, wäre die Vorinstanz daher gehalten gewesen, das sichergestellte Mobiltelefon auf das Vorhandensein von Anwaltskorrespondenz zu sichten, und hätte sie diese bei entsprechender Auffindung aussondern müssen. Indem sie stattdessen die Jugendanwaltschaft mit dem angefochtenen Entscheid berechtigt erklärte, das sichergestellte Mobiltelefon vollständig zu durchsuchen, handelte sie folglich bundesrechtswidrig. Die Beschwerde erweist sich damit als begründet. Die Vorinstanz wird vor der Freigabe des sichergestellten Mobiltelefons zur Durchsuchung im Rahmen einer Triage allfällige sich darauf befindliche Verteidigerkorrespondenz auszusondern haben. Auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers braucht infolge Gutheissung der Beschwerde nicht eingegangen zu werden.  
 
4.  
Die Beschwerde ist aus den genannten Gründen gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Entsiegelungssache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Basel-Landschaft hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird damit gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 22. September 2022 wird aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Basel-Landschaft hat Advokat Alain Joset für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 12. April 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Müller 
 
Der Gerichtsschreiber: Hahn