Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_531/2024
Urteil vom 12. Mai 2025
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Viscione, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard,
Bundesrichterin Heine,
Bundesrichterin Scherrer Reber,
Bundesrichter Métral,
Gerichtsschreiberin Polla.
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Solothurn,
Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdeführerin,
gegen
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn,
Amthaus 1, 4500 Solothurn,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Invalidenversicherung (Gerichtskosten, Kosten),
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 12. Juli 2024 (VSBES.2022.60).
Sachverhalt:
A.
Der 1974 geborene A.________ meldete sich am 3. Februar 2020 bei der Invalidenversicherung wegen eines Rückenleidens zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Solothurn veranlasste im Rahmen ihrer Abklärungen eine polydisziplinäre Begutachtung (Fachrichtungen: Allgemeine Innere Medizin, Neurologie, Rheumatologie und Psychiatrie) bei der Begutachtungsstelle SMAB AG (fortan SMAB; Expertise vom 22. Dezember 2021. Mit Verfügung vom 3. März 2022 verneinte die IV-Stelle einen Anspruch auf berufliche Massnahmen und eine Invalidenrente.
B.
Die dagegen geführte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 12. Juli 2024 ab. Es überband der IV-Stelle die Kosten des eingeholten polydisziplinären Gerichtsgutachtens bei der Begutachtungsstelle GA eins AG (Fachrichtungen: Allgemeine Innere Medizin, Neurologie, Rheumatologie und Psychiatrie) vom 22. Juni 2023 in der Höhe von Fr. 15'669.90 (Dispositiv-Ziffer 4).
C.
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, in Aufhebung von Dispositiv-Ziffer 4 des angefochtenen Urteils seien ihr die Kosten des polydisziplinären Gerichtsgutachtens in der Höhe von Fr. 15'669.90 nur teilweise zu überbinden. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zur rechtsgenüglichen Begründung und Neubeurteilung zurückzuweisen.
Die Vorinstanz schliesst auf Abweisung der Beschwerde, ohne sich materiell zur Sache zu äussern.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1).
2.
2.1. Streitig und zu beurteilen ist einzig die Frage, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die IV-Stelle zur Übernahme der gesamten Kosten des polydisziplinären Gerichtsgutachtens in der Höhe von Fr. 15'669.90 verpflichtete. Nicht umstritten ist, dass die Voraussetzungen für die Kostenüberbindung an sich erfüllt sind (vgl. dazu BGE 143 V 269 E. 3.3; 140 V 70 E. 6.1; 139 V 496 E. 4.4; Urteil 9C_325/2024 vom 24. Oktober 2024 E. 6.1.1, zur Publikation bestimmt). Die Beschwerdeführerin wendet sich jedoch gegen die vollständige Kostenübernahme, wobei insbesondere der nach dem Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG ) erforderliche Abklärungsumfang mittels Gerichtsgutachtens im Fokus steht.
2.2. Administrativgutachten sind für die Verwaltung und im Beschwerdeverfahren für das Gericht verbindlich, sofern nicht konkrete Indizien gegen deren Zuverlässigkeit sprechen (BGE 135 V 465 E. 4.4; 125 V 351 E. 3b/bb; Urteile 8C_776/2018 vom 9. Mai 2019 E. 5.1 und 9C_609/2018 vom 6. März 2019 E. 3.2.2). Entscheidend für die Frage, ob weitere Abklärungen angeordnet werden können und müssen, ist somit, inwieweit die bereits vorliegenden Gutachten die von der Rechtsprechung gestellten inhaltlichen und beweismässigen Anforderungen erfüllen (Urteile 9C_542/2022 vom 15. November 2023 E. 2.3; 8C_604/2021 vom 25. Januar 2022 E. 8; 8C_133/2021 vom 25. August 2021 E. 4.2).
3.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz hätte den Versicherten nicht in sämtlichen medizinischen Fachrichtungen neu gutachterlich abklären lassen dürfen, nachdem sie nur die rheumatologische Beurteilung als nicht beweiskräftig erachtet und die übrigen administrativen Teilgutachten implizit als schlüssig und nachvollziehbar beurteilt habe. Die Begründung der Vorinstanz, wonach Unzulänglichkeiten in der Konsensbeurteilung der SMAB-Gutachter bestünden, sei zudem unzureichend für die Veranlassung eines umfassenden polydisziplinären Gerichtsgutachtens.
4.
4.1.
4.1.1. Die Vorinstanz sprach dem rheumatologischen Teilgutachten der SMAB den Beweiswert mangels nachvollziehbarer Begründung ab. Der Gutachter habe ohne Relevanz für die Arbeitsfähigkeit eine "Krallenfehlstellung unklarer Genese (DD Aggravation) " und "Diskrete Fingerpolyarthrose (DIP II rechts, andeutungsweise DIP II und III links) " diagnostiziert. Zu seiner Einschätzung einer fehlenden Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit (als Sägereimitarbeiter) habe er festgehalten, dass aus rheumatologischer Sicht lediglich eine leichte Einschränkung der zumutbaren Belastungsfähigkeit des Achsenskelettes und der "Funktionseinheit Lendenwirbelsäule Beckengürtel" begründet werden könne. Zudem bestehe eine Reduktion der zumutbaren Belastbarkeit der Fingergelenke für alle manuell betonten und ausgerichteten Tätigkeiten. Bezüglich des Zumutbarkeitsprofils für eine angepasste Tätigkeit habe er unter anderem angegeben, es seien sämtliche Arbeitstätigkeiten zu vermeiden, die eine normale Fingerfertigkeit (sowohl grob als auch feinmotorisch) voraussetzten. Die gutachterliche Beurteilung sei somit im Ergebnis nicht schlüssig.
4.1.2. Die vorinstanzliche Beweiswürdigung ist in diesem Punkt nachvollziehbar begründet und nicht offensichtlich unrichtig. Die Vorinstanz durfte erkennen, dass das rheumatologische Teilgutachten insofern Fragen aufwirft, als der Gutachter zusätzlich zur (leichten) Einschränkung der zumutbaren Belastbarkeit des Achsenskelettes und der "Funktionseinheit Lendenwirbelsäule Beckengürtel" eine reduzierte Belastbarkeit der Fingergelenke für alle manuell betonten und ausgerichteten Tätigkeiten festhielt. Er berücksichtigte die Fingerproblematik auch bei der Formulierung des zumutbaren Belastbarkeitsprofils, obwohl die Krallenfehlstellung der Finger wie auch die diskrete Fingerpolyarthrose als Diagnosen ohne Relevanz für die Arbeitsfähigkeit aufgeführt wurden. Dass die Vorinstanz entschied, in rheumatologischer Hinsicht ein Gerichtsgutachten zu veranlassen, verletzt jedenfalls kein Bundesrecht, auch wenn sich die soeben dargelegten Unstimmigkeiten und Widersprüche allenfalls bereits durch eine Rückfrage bei den Gutachtern hätten klären lassen.
4.2.
4.2.1. Zu beurteilen bleibt, ob es vor Bundesrecht standhält, dass die Vorinstanz dem gesamten Gutachten der SMAB den Beweiswert aberkannte, indem sie aus polydisziplinärer Sicht einen Untersuchungsmangel bejahte.
4.2.2. Die Frage, ob ein Gutachten beweiskräftig ist oder nicht, beurteilt sich im konkreten Einzelfall danach, ob sich gestützt auf die Expertise die rechtsrelevanten Fragen beantworten lassen oder nicht. Mit anderen Worten verletzt das Abstellen auf ein polydisziplinäres Gutachten Art. 43 Abs. 1 ATSG nicht allein schon deshalb, weil einem Teilgutachten der Beweiswert abgesprochen wird. Auch umgekehrt kann praxisgemäss einem überzeugenden Teilkonsilium voller Beweiswert zuerkannt werden, auch wenn einem weiteren Teil des polydisziplinären Gutachtens die Beweiskraft fehlt (vgl. BGE 143 V 124 E. 2.2.4; Urteil 8C_54/2021 vom 10. Juni 2021 E. 2.2).
4.3.
4.3.1. Wie die Vorinstanz feststellte, enthalten das psychiatrische und das internistische Teilgutachten der SMAB (je vom 27. September 2021) keine Diagnose mit Relevanz für die Arbeitsfähigkeit. Neurologisch ergab sich in Übereinstimmung mit dem rheumatologischen Gutachter das Bild eines chronischen Schmerzsyndroms im Bereich der Lendenwirbelsäule nach Spondylodese L5/S1 (Teilgutachten vom 20. Oktober 2021). Eine Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit verneinte der Neurologe ebenso wie der Rheumatologe. Unter optimal angepassten Bedingungen erachtete er den Versicherten als vollständig arbeitsfähig. Die Krallenfehlstellung der Finger unklarer Genese (DD Aggravation) konnte auf keinem Fachgebiet plausibel erklärt werden und wurde, wie auch die diskrete Fingerpolyarthrose, konsensual im Rahmen der medizinischen Gesamtwürdigung unter die Diagnosen ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit subsumiert, wie die Vorinstanz feststellte. Im Einklang mit diesen Ergebnissen der Teilgutachten beeinflusste aus interdisziplinärer Sicht demnach einzig das chronifizierte lumbospondylogene Schmerzsyndrom die Arbeitsfähigkeit. Mit Blick auf die funktionellen Auswirkungen desselben wurde aus konsensualer gutachtlicher Sicht auf eine deutliche Minderbelastbarkeit mit chronischem Schmerzsyndrom verwiesen. Der Versicherte könne nur noch leichte Tätigkeiten ohne körperliche Zwangshaltungen verrichten. Zu den Einzelheiten wurde auf das neurologische und rheumatologische Fachgutachten verwiesen. Gemäss dem neurologischen Teilgutachter sollte eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit in wechselnden Körperpositionen ohne Heben und Tragen von schweren Gegenständen und ohne Arbeiten in Zwangspositionen erfolgen. Der rheumatologische Teilgutachter erachtete bezüglich der Rückenproblematik das Heben und Tragen von Gewichten über sieben Kilogramm als unzumutbar, wie die Vorinstanz erkannte.
4.3.2. Damit kann der vorinstanzlichen Beweiswürdigung insofern nicht gefolgt werden, als sie Unzulänglichkeiten in der Konsensbeurteilung der SMAB-Gutachter im Umstand erblicken will, dass eine eingehende Diskussion der gesundheitlichen Einschränkungen aus verschiedenen Fachdisziplinen fehle. Zweck interdisziplinärer Gutachten ist es, alle relevanten gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erfassen und die sich daraus je einzeln ergebenden Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit in ein Gesamtergebnis zu fassen (BGE 143 V 124 E. 2.2.4; 137 V 210 E. 1.2.4; SVR 2008 IV Nr. 15 S. 43, I 514/06 E. 2.1).
Dass in der vorliegenden Konstellation eine komplexe gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegen würde, die bezüglich der Einschätzung der Leistungsfähigkeit zwingend einer eingehenderen interdisziplinären konsensualen Beurteilung bedurft hätte, ist nicht ersichtlich und wurde von der Vorinstanz auch nicht erwogen (vgl. BGE 137 V 210 E. 1.2.4). Die medizinische Frage, ob sich die einzelnen, aus mehreren Behinderungen resultierenden Einschränkungsgrade summieren und in welchem Masse (vgl. Urteile 9C_517/2023 vom 13. Juni 2024 E. 5.2; 9C_519/2022 vom 26. Januar 2023 E. 3.3; 9C_461/2019 vom 22. November 2019 E. 4.1) blieb, wie dargelegt, nicht unbeantwortet. Daher erschliesst sich nicht, welche interdisziplinäre fachliche Diskussion das SMAB-Gutachten gemäss Auffassung der Vorinstanz vermissen liess. Die Vorinstanz zeigte denn auch nicht auf, weshalb sie aufgrund der widersprüchlichen Angaben im rheumatologischen Gutachten die Konsensbeurteilung der Gutachter als nur bedingt überzeugend erachtete. Vielmehr wurden alle in den Teilgutachten für die Arbeitsfähigkeit als relevant erachteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen berücksichtigt und die sich ergebenden Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit in einem nachvollziehbaren Gesamtergebnis festgehalten.
4.4. Die Vorinstanz hat unter den gegebenen Umständen nicht schlüssig begründet, weshalb sie auch den übrigen Teilgutachten den Beweiswert vollständig absprach. Zusammenfassend bestand nach dem soeben Dargelegten zwar insoweit ein Untersuchungsmangel, als der rheumatologische Teilgutachter hinsichtlich des zumutbaren Leistungsprofils die (von keinem Gutachter) objektiv erklärbare Krallenfehlstellung wie auch die diskrete Fingerpolyarthrose mitberücksichtigte, obwohl er diese als Diagnosen ohne Relevanz für die Arbeitsfähigkeit ansah. Diese Ungereimtheit hätte aber lediglich zu Rückfragen an die Gutachter oder zur Einholung eines rheumatologischen Gerichtsgutachtens führen dürfen. Der erforderliche Zusammenhang der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes mit der Kostenüberbindung an die Beschwerdeführerin liegt daher lediglich im Umfang eines monodisziplinären, rheumatologischen Gerichtsgutachtens vor (vgl. Art. 45 Abs. 1 ATSG; BGE 143 V 269 E. 3.3; 139 V 496 E. 4.4; Urteil 8C_64/2019 vom 27. November 2019 E. 8.1 mit Hinweisen).
Dem Untersuchungsgrundsatz folgend wäre die Beschwerdeführerin selber im Verwaltungsverfahren demnach einzig gehalten gewesen, in rheumatologischer Hinsicht weitere Abklärungen in die Wege zu leiten. Damit hält die vorinstanzliche Auflage der gesamten Kosten für das Gerichtsgutachten der Begutachtungsstelle GA eins AG vom 22. Juni 2023 in der Höhe von Fr. 15'669.90 vor Bundesrecht nicht stand.
4.5. Bei diesem Ergebnis rechtfertigt es sich, die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie sich mit der Honorarrechnung vom 27. Juni 2023 auseinandersetze und über die Höhe der von der IV-Stelle zu tragenden Gutachtenskosten im Sinne der Erwägungen neu entscheide (vgl. zur Höhe der von der IV-Stelle zu tragenden Kosten eines polydisziplinären Gutachtens: BGE 143 V 269). Für eine in das bundesgerichtliche Ermessen gestellte Reduktion um mindestens zwei Drittel gemäss Hauptantrag findet sich in der Beschwerdeschrift keine Begründung. Darauf ist deshalb nicht weiter einzugehen.
5.
Umständehalber wird auf die Erhebung der Gerichtskosten verzichtet (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Dispositiv-Ziffer 4 des Urteils des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 12. Juli 2024 wird aufgehoben und die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie über die Höhe der von der IV-Stelle zu tragenden Kosten für das Gerichtsgutachten vom 22. Juni 2023 neu befinde. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und A.________ schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 12. Mai 2025
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Viscione
Die Gerichtsschreiberin: Polla