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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_299/2023  
 
 
Urteil vom 12. Dezember 2024  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Haag, 
Gerichtsschreiber Mattle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Zweckverband Betreuungs- 
und Pflegezentrum Schlossgarten, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Corinne Saner, 
 
gegen  
 
Regierungsrat des Kantons Solothurn, 
vertreten durch das Departement des Innern des Kantons Solothurn. 
 
Gegenstand 
Genehmigung der Änderung der Statuten des Zweckverbandes Betreuungs- und Pflegezentrum Schlossgarten, Niedergösgen, 
 
Beschwerde gegen den Regierungsratsbeschluss vom 8. Mai 2023 des Regierungsrats des Kantons Solothurn (2023/768). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 28. April 2021 genehmigten die Delegierten des Zweckverbands Betreuungs- und Pflegezentrum Schlossgarten eine vom Vorstand des Zweckverbands beantragte Statutenrevision. Dem Zweckverband gehörten bis anhin die Einwohnergemeinden Lostorf, Niedergösgen, Stüsslingen und Rohr sowie die Bürgergemeinde Niedergösgen an. Die Statutenänderung soll unter anderem die Fusion der Gemeinden Rohr und Stüsslingen zur Einheitsgemeinde Stüsslingen und den bereits beschlossenen Austritt der Bürgergemeinde Niedergösgen aus dem Zweckverband umsetzen. Die Gemeindeversammlungen der Einheitsgemeinde Stüsslingen und der Einwohngergemeinde Lostorf stimmten der Statutenänderung am 14. bzw. 23. Juni 2021 zu. Der Gemeinderat der Einwohnergemeinde Niedergösgen erklärte sich an einer Sitzung vom 25. Mai 2021 mit der Statutenänderung nicht einverstanden. Er beschloss, Verhandlungen mit den übrigen Verbandsgemeinden und dem Vorstand des Zweckverbands aufzunehmen. 
 
B.  
Mit Schreiben vom 8. November 2021 ersuchte der Zweckverband das kantonale Amt für Gemeinden um Genehmigung der geänderten Statuten. Am 8. Juni 2022 wurde der Gemeindeversammlung der Einwohnergemeinde Niedergösgen die Statutenänderung zwar vorgelegt, die Gemeindeversammlung fällte darüber jedoch keinen Beschluss. Am 14. März 2023 wandte sich der Zweckverband an den Regierungsrat des Kantons Solothurn. Der Zweckverband ersuchte den Regierungsrat, über seinen Antrag vom 8. November 2021 zu entscheiden und die Statutenrevision zu genehmigen. Mit Beschluss vom 8. Mai 2023 entschied der Regierungsrat, die Statutenänderung vom 28. April 2021 nicht zu genehmigen, weil die Einwohnergemeinde Niedergösgen der Statutenänderung nicht gültig zugestimmt habe. Gleichzeitig wies der Regierungsrat die Einwohnergemeinde Niedergösgen an, umgehend einen förmlichen Beschluss über die Änderung der Statuten zu fassen. 
 
C.  
Gegen den Beschluss des Regierungsrats hat der Zweckverband am 14. Juni 2023 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiäre Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben. Der Zweckverband beantragt, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben und sein Antrag vom 8. November 2021 auf Genehmigung der Statutenrevision vom 28. April 2021 zu genehmigen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an den Regierungsrat zurückzuweisen. Das Departement des Innern des Kantons Solothurn für den Regierungsrat beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. Die entsprechenden Bemerkungen des Departements wurden dem Beschwerdeführer am 24. August 2023 zugestellt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig unter anderem gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen, sofern nicht die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zulässig ist (Art. 82 lit. a i.V.m. Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG), und gegen kantonale (inklusive kommunale) Erlasse, sofern kein kantonales Rechtsmittel ergriffen werden kann (Art. 82 lit. b i.V.m. Art. 87 Abs. 1 BGG).  
Bei den Statuten des Beschwerdeführers handelt es sich um einen Erlass (vgl. § 166 ff. des kantonalen Gemeindegesetzes vom 16. Februar 1992 [GG/SO; BGS 131.1]). Bedarf ein kommunaler Erlass bzw. ein Erlass eines Gemeindeverbands der Genehmigung einer kantonalen Behörde, ist zu unterscheiden. Wird der Erlass genehmigt, ist Anfechtungsobjekt der genehmigte Erlass, nicht der Genehmigungsakt. Wird hingegen der Erlass nicht genehmigt, kann sich die betroffene Gemeinde dagegen im Verfahren der Einzelaktanfechtung zur Wehr setzen, wenn sie eine Autonomieverletzung rügt (vgl. Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG). Anfechtungsobjekt bildet dann der Nichtgenehmigungsakt (vgl. zum Ganzen: AEMISEGGER/SCHERRER REBER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 42 zu Art. 82 BGG). 
 
2.2. Für die Anfechtung des Nichtgenehmigungsakts des Regierungsrats vom 8. Mai 2023 durch den Beschwerdeführer gilt folglich Art. 86 BGG. Gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung setzen die Kantone als unmittelbare Vorinstanzen des Bundesgerichts obere Gerichte ein, soweit nicht nach einem anderen Bundesgesetz Entscheide anderer richterlicher Behörden der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen. Nach Abs. 3 können die Kantone für Entscheide mit vorwiegend politischem Charakter anstelle eines Gerichts eine andere Behörde als unmittelbare Vorinstanz des Bundesgerichts einsetzen. Art. 86 Abs. 3 BGG konkretisiert die nach Art. 29a Satz 2 BV zulässigen Ausnahmen von der Rechtsweggarantie (vgl. BGE 141 I 172 E. 4.4.1).  
Die Frage, ob ein Entscheid vorwiegend politischen Charakter hat und damit als Ausnahmefall im Sinne von Art. 29a Satz 2 BV infrage kommt, beurteilt sich grundsätzlich nicht nach dem kantonalen Recht, sondern aufgrund der Einheit des Verfahrens gestützt auf Bundesrecht (vgl. Art. 111 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 86 Abs. 3 BGG). Das kantonale Recht darf bei der Beschränkung des Zugangs zum Gericht nicht strenger sein als die Regelung im Bundesgerichtsgesetz (vgl. BGE 149 I 146 E. 3.4.1 mit Hinweisen). 
 
3.  
Beim Regierungsrat, dessen Beschluss der Beschwerdeführer angefochten hat, handelt es sich nicht um ein (oberes) Gericht im Sinne von Art. 86 Abs. 2 BGG. Damit stellt sich die Frage, ob der Kanton Solothurn die Beschwerde an ein oberes Gericht gegen den Regierungsratsbeschluss ausgeschlossen hat und falls ja, ob dies nach Art. 86 Abs. 3 BGG i.V.m. Art. 29a BV zulässig ist. 
 
3.1. Die §§ 48 ff. des kantonalen Gesetzes vom 13. März 1977 über die Gerichtsorganisation (GO/SO; BGS 125.12) regeln die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn. Gemäss § 49 Abs. 1 GO/SO ist das Verwaltungsgericht allgemeine Beschwerdeinstanz für Beschwerden gegen Verfügungen und Entscheide in Verwaltungssachen von Behörden des Kantons und der Gemeinden. Nach § 50 Abs. 4 GO/SO ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zulässig gegen Erlasse und gegen Verfügungen und Entscheide über die Genehmigung von Erlassen und - insbesondere zwischen Gemeinden geschlossenen - Verträgen.  
Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, mit § 50 Abs. 4 GO/SO werde auch der negative Genehmigungsentscheid des Regierungsrats von der Beschwerde an das Verwaltungsgericht ausgenommen, weshalb der Entscheid unmittelbar beim Bundesgericht anfechtbar sei. Der Regierungsrat hat seinem Entscheid keine Rechtsmittelbelehrung angefügt und sich im bundesgerichtlichen Verfahren nicht zur Frage geäussert, ob sein Entscheid beim Verwaltungsgericht anfechtbar sei. Ob der kantonale Gesetzgeber mit § 50 Abs. 4 GO/SO die Beschwerde ans Verwaltungsgericht auch für den Fall ausschliessen wollte, dass sich eine Gemeinde bzw. ein Gemeindeverband gegen die Nichtgenehmigung eines kommunalen Erlasses wehren will, ist fraglich. Dies kann jedoch offen bleiben, weil - wie nachfolgend aufzuzeigen ist - der Ausschluss der Beschwerde an ein oberes Gericht nach Art. 86 Abs. 3 BGG i.Vm. Art. 29a BV ohnehin unzulässig wäre. 
 
3.2. Was unter dem unbestimmten Rechtsbegriff "Entscheide mit vorwiegend politischem Charakter" gemäss Art. 86 Abs. 3 BGG zu verstehen ist, wird in den Materialien nicht näher erläutert. Die mit Art. 86 Abs. 3 BGG vorgesehene Ausnahme von der Rechtsweggarantie ist jedoch restriktiv auszulegen. Der Ausschluss der richterlichen Beurteilung auf kantonaler Ebene kommt nur für Ausnahmefälle in Betracht. Der politische Charakter der Angelegenheit muss offensichtlich sein. Dass die Sache eine politische Bedeutung hat, genügt nicht. Diese muss vielmehr unzweifelhaft im Vordergrund stehen und mögliche, auf dem Spiel stehende private Interessen in den Hintergrund treten lassen (BGE 149 I 146 E. 3.3.2; 147 I 1 E. 3.3.2; je mit Hinweisen; Urteile 1C_430/2024 vom 30. September 2024 E.3.3.1, 9C_577/2023 vom 31. Juli 2024 E. 1.1.2 und 1C_51/2022 vom 10. März 2022 E. 1.2).  
Der Ausschluss der gerichtlichen Überprüfung kann wegen des politischen Inhalts eines Entscheids oder seines politischen Umfelds infrage kommen. Folglich ist der Begriff des vorwiegend politischen Charakters namentlich durch die fehlende Justiziabilität sowie die spezifische Ausgestaltung der demokratischen Mitwirkungsrechte und die damit verbundenen Aspekte der Gewaltenteilung geprägt. Die Zuständigkeit einer oberen politischen Behörde oder die Einräumung von Ermessen bei der Entscheidfindung sind zwar mögliche Indizien für den politischen Charakter, rechtfertigen für sich allein aber noch nicht eine Ausnahme (BGE 149 I 146 E. 3.3.3 mit Hinweisen; vgl. Urteil 8C_231/2020 vom 7. Oktober 2020 E. 3.4). Namentlich wenn ein Entscheid in die Zuständigkeit des kantonalen Parlaments fällt, kann dies als Indiz für den vorwiegend politischen Charakter des Entscheids gewertet werden (Urteil 1C_430/2024 vom 30. September 2024 E. 3.3.1). 
 
3.3. Die bisherigen und die neu beschlossenen Statuten des Beschwerdeführers sehen vor, dass Beschlüsse des Zweckverbands, die - wie bestimmte Statutenänderungen - von Gesetzes wegen einer Zustimmung aller Verbandsgemeinden bedürfen (vgl. § 170 Abs. 2 GG/SO; BGS 131.1), auch dann als beschlossen gelten, wenn eine Verbandsgemeinde bzw. deren Gemeindeversammlung dem Geschäft nicht innert sechs Monaten ausdrücklich zustimmt.  
Der Regierungsrat ist der Auffassung, bei der ihm vorgelegten Statutenrevision des Zweckverbands handle es sich um eine Änderung im Sinne von § 170 Abs. 2 GG/SO, der alle Verbandsgemeinden zustimmen müssten, und die in den Statuten vorgesehene Zustimmungsfiktion sei, jedenfalls in der vorliegend zu beurteilenden Konstellation, mit den Bestimmungen des Gemeindegesetzes nicht vereinbar. Weil die Einwohnergemeinde Niedergösgen der Statutenrevision nicht gültig zugestimmt habe, könne die Statutenrevision nicht genehmigt werden. Der Beschwerdeführer rügt eine falsche bzw. willkürliche Anwendung des Gemeindegesetzes und damit verbunden eine Verletzung seiner Autonomie. Umstritten sind die Auslegung des kantonalen Gemeindegesetzes und die Bedeutung des Umstands, dass der Regierungsrat die bisherigen Verbandsstatuten seinerzeit trotz der auch schon darin vorgesehenen Zustimmungsfiktion genehmigt hat. 
 
3.4. Die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen betreffen das im kantonalen Gemeindegesetz geregelte Verfahren, nach dem Zweckverbände im Kanton Solothurn bzw. die am Zweckverband beteiligten Gemeinden die Verbandsstatuten beschliessen und genehmigen lassen. Die aufgeworfenen Fragen mögen zwar eine gewisse politische Bedeutung haben, sie sind jedoch ohne weiteres justiziabel. Der angefochtene Beschluss betrifft die Ausgestaltung und Handhabung der Mitwirkungsrechte der Gemeinden in Zweckverbänden. Indirekt betroffen sind auch die individuellen Mitwirkungsrechte der Einwohnerinnen und Einwohner der einzelnen Verbandsgemeinden. Die politische Komponente des Beschlusses des Regierungsrats lässt die auf dem Spiel stehenden öffentlichen und privaten Interessen nicht unzweifelhaft in den Hintergrund treten.  
 
4.  
Der angefochtene Beschluss stellt somit keinen Entscheid mit vorwiegend politischem Charakter gemäss Art. 86 Abs. 3 BGG dar. Da kein Ausnahmefall im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, hat nach Art. 86 Abs. 2 BGG als unmittelbare Vorinstanz des Bundesgerichts ein oberes kantonales Gericht, konkret das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn, zu entscheiden (vgl. § 49 Abs. 1 GO/SO). Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist mangels Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs nicht einzutreten. Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist mangels Letztinstanzlichkeit ebenfalls ausgeschlossen (vgl. Art. 113 f. BGG), sodass auch auf sie nicht einzutreten ist. Die Sache ist zur weiteren Behandlung an das Verwaltungsgericht zu überweisen (Art. 30 Abs. 2 BGG analog; vgl. BGE 147 I 333 E. 2; 135 II 94 E. 6; Urteil 1C_430/2024 vom 30. September 2024 E. 4). Die Überweisung an das Verwaltungsgericht rechtfertigt sich umso mehr, als der angefochtene Beschluss keine Rechtsmittelbelehrung enthält. 
 
5.  
Für das bundesgerichtliche Verfahren sind keine Gerichtskosten zu erheben (vgl. Art. 66 Abs. 4 BGG) und keine Parteientschädigungen anzuordnen (vgl. Art. 68 Abs. 1-3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Sache wird zur weiteren Behandlung im Sinne der Erwägungen an das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn überwiesen. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Regierungsrat des Kantons Solothurn und dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 12. Dezember 2024 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Mattle