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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_460/2024, 6B_508/2024  
 
 
Urteil vom 13. September 2024  
 
I. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichter von Felten, 
Gerichtsschreiberin Erb. 
 
Verfahrensbeteiligte 
6B_460/2024 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Maurerstrasse 8, 8510 Frauenfeld, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Otmar Kurath, 
Beschwerdegegner, 
 
und 
 
6B_508/2024 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Otmar Kurath, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Maurerstrasse 8, 8510 Frauenfeld, 
2. B.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin 
Dr. Nicole Zürcher Fausch, 
Beschwerdegegnerinnen, 
 
Gegenstand 
6B_460/2024 
Freiheitsberaubung; Strafzumessung; ambulante Massnahme; Willkür, 
 
6B_508/2024 
Vergewaltigung; Landesverweisung; Beweiswürdigung, 
 
Beschwerden gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 20. März 2024 (SBR.2022.71). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Entscheid vom 24. Februar 2022 sprach das Bezirksgericht Münchwilen A.________ frei vom Vorwurf der Vergewaltigung zum Nachteil von B.________, der Freiheitsberaubung sowie des Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz. In weiteren Anklagepunkten (sexuelle Belästigung, Übertretung gegen das Betäubungsmittelgesetz) stellte das Gericht das Verfahren infolge Verjährung ein. Die Anträge auf Anordnung einer vollzugsbegleitenden ambulanten Behandlung sowie auf eine Landesverweisung wies das Gericht ab. 
 
B.  
 
B.a. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch A.________ und B.________ meldeten dagegen Berufung an. Die Anträge bezogen sich auf den Schuldpunkt und die damit zusammenhängenden Punkte des angefochtenen Entscheids. A.________ zog am 18. Oktober 2022 seine Berufungsanmeldung zurück, behielt sich aber vor, Anschlussberufung zu erheben. Am 17. November 2022 beantragte er anschlussberufungsweise, es sei ihm eine Genugtuung von Fr. 16'200.-- nebst Zins von 5 % seit dem 28. Juni 2018 zu bezahlen.  
 
B.b. Am 6. Januar 2023 ersuchte A.________ um Zweiteilung der Berufungsverhandlung, indem zuerst nur über den Schuld- oder Freispruch verhandelt und entschieden werde.  
Mit Entscheid vom 31. Januar 2023 erkannte das Obergericht des Kantons Thurgau, der Antrag von A.________ werde geschützt, die Hauptverhandlung werde zweigeteilt und die Berufungsverhandlung vom 13. Februar 2023 thematisch auf die Tat- und Schuldfrage, die von A.________ geltend gemachten Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche, die von B.________ geltend gemachten Zivilansprüche sowie die Kosten- und Entschädigungsfolgen beschränkt. Über die Sanktion und die Landesverweisung werde gegebenenfalls in einem zweiten Teil verhandelt und entschieden. 
 
B.c. Der erste Teil der Berufungsverhandlung fand am 13. Februar 2023 statt. Das Obergericht des Kantons Thurgau sprach A.________ vom Vorwurf der Freiheitsberaubung und des Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz frei (Ziff. 2a). In weiteren Anklagepunkten (sexuelle Belästigung, Übertretung gegen das Betäubungsmittelgesetz) stellte es das Verfahren zufolge Verjährung ein (Ziff. 2b). Es sprach A.________ der Vergewaltigung schuldig (Ziff. 2c) und verpflichtete ihn, B.________ mit Fr. 20.-- zzgl. Zins von 5 % seit dem 3. Juni 2018 zu entschädigen und ihr eine Genugtuung von Fr. 20'000.-- nebst Zins von 5 % seit dem 3. Juni 2018 zu bezahlen (Ziff. 3).  
 
B.d. Am 20. März 2024 fand der zweite Teil der Berufungsverhandlung statt. Das Obergericht des Kantons Thurgau verurteilte A.________ zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten, unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 46 Tagen (Ziff. 5a). Für 24 Monate gewährte es den bedingten Strafvollzug mit einer Probezeit von zwei Jahren (Ziff. 5b). Das Obergericht des Kantons Thurgau ordnete gegen A.________ eine Landesverweisung für die Dauer von 10 Jahren an (Ziff. 6). Den Antrag auf Anordnung einer Massnahme wies es ab (Ziff. 7). Weiter verfügte es über die beschlagnahmten und sichergestellten Gegenstände und entschied über die Kosten- und Entschädigungsfolgen (Ziff. 8 ff.).  
 
C.  
A.________ (nachfolgend: Beschwerdeführer) beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Entscheid vom 13. Februar 2023 bzw. 20. März 2024 sei aufzuheben und er sei vom Vorwurf der Vergewaltigung freizusprechen. Er sei nicht des Landes zu verweisen. Der Staat sei zu verpflichten, ihm wegen schwerer Persönlichkeitsverletzungen und für die erstandene Untersuchungshaft eine Genugtuung von Fr. 16'200.-- nebst Zins von 5 % seit dem 28. Juni 2018 zu bezahlen. Ebenso sei der Staat zu verpflichten, ihm Schadenersatz von Fr. 7'740.65 nebst Zins von 5 % seit dem 28. Juni 2018 zu bezahlen. Eventualiter sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und mit der Anweisung an die Vorinstanz, über die Berufungen neu zu verhandeln, zurückzuweisen (6B_508/2024). 
Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (nachfolgend: Beschwerdeführerin) beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Entscheid vom 13. Februar 2023 bzw. 20. März 2024 sei teilweise aufzuheben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (6B_460/2024). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht vereinigt mehrere Verfahren, wenn sie in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen, namentlich wenn sie sich gegen denselben Entscheid richten und wenn sie die gleichen Parteien sowie ähnliche oder gleiche Rechtsfragen betreffen (vgl. Art. 71 BGG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 lit. b BZP; BGE 133 IV 215 E. 1; 126 V 283 E. 1; 113 Ia 390 E. 1). Dies ist vorliegend der Fall. Es rechtfertigt sich daher, die beiden Verfahren 6B_460/2024 und 6B_508/2024 zu vereinigen und die Beschwerden in einem einzigen Entscheid zu behandeln. 
 
2.  
Gegenstand des bundesgerichtlichen Verfahrens 6B_508/2024 ist die Frage, ob der Beschwerdeführer zu Recht der Vergewaltigung schuldig gesprochen und in der Folge des Landes verwiesen wurde. Der Beschwerdeführer macht jedoch vorab geltend, dass Verfahrensgarantien nicht eingehalten wurden. Er rügt namentlich, die Hauptverhandlung hätte aufgrund Ausfalls eines Richters i.S.v. Art. 335 Abs. 2 StPO wiederholt werden müssen. Dieser Anspruch ist formeller Natur und die Verletzung führt ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels grundsätzlich zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 144 I 11 E. 5.3; 142 I 172 E. 3.2). Diese Rügen sind dementsprechend vorab zu behandeln. 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 335 StPO und macht geltend, die gesamte Berufungsverhandlung hätte wiederholt werden müssen.  
 
3.2. Die Vorinstanz stellt fest, die Präsidentin des Obergerichts des Kantons Thurgau habe am 29. September 2023 den Parteien mitgeteilt, dass Oberrichter Matthias Kradolfer aus dem Spruchkörper ausscheide, da er per 1. Januar 2024 zum Bundesrichter gewählt worden sei. Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts sei ein Wechsel im Spruchkörper zulässig, wenn er auf einem sachlichen Grund beruhe und das rechtliche Gehör den Parteien gewahrt werde. Die Wahl in ein anderes Gericht stelle einen solchen sachlichen Grund dar. Der Anspruch auf rechtliches Gehör der Parteien sei gewahrt und frühere Verfahrensschritte müssten nicht wiederholt werden, wenn sich alle Gerichtsmitglieder den Prozessstoff durch Aktenstudium aneignen könnten und den gleichen Kenntnisstand hätten. Diese Rechtsprechung gelte ausdrücklich auch im Strafrecht. Scheide eine Richterin oder ein Richter nach der Berufungsverhandlung aus, weil er oder sie ein neues Amt antrete, könne der Spruchkörper durch ein anderes Gerichtsmitglied komplettiert werden, ohne dass die Verhandlung nochmals durchgeführt werden müsste.  
Weiter erwägt die Vorinstanz, der im zweiten Teil der Berufungsverhandlung vorsitzenden Obergerichtspräsidentin sei es ohne Weiteres möglich gewesen, sich gestützt auf die Akten in den Fall einzulesen. Sämtliche Verfahrenshandlungen und Parteiäusserungen seien protokolliert. Der Beschwerdeführer sei am 20. März 2024 nochmals persönlich befragt worden. Es spreche nichts gegen einen Richterwechsel; es könne vollumfänglich auf die Ausführungen im Schreiben vom 29. September 2023 verwiesen werden. 
Schliesslich führt die Vorinstanz aus, der Verteidiger des Beschwerdeführers habe am 13. Oktober 2023 geltend gemacht, das Berufungsverfahren leide mit dem gesetzwidrigen Schuldinterlokut an einem grundlegenden Mangel. Jede neu eingewechselte Gerichtsperson werde ohne Wiederholung im zweiten Teil nur noch mit nachvollziehen können, was unzulässigerweise bereits im ersten Teil vorgespurt worden sei. Am 3. November 2023 habe der Verteidiger vorgebracht, er habe mit Schreiben vom 13. Oktober 2023 Einwände gegen den beabsichtigten Richterwechsel erhoben. Die Vorinstanz erachtet es als fraglich, ob das Schreiben des Verteidigers vom 13. Oktober 2023 für eine rechtzeitige Geltendmachung eines entsprechenden formellen Mangels genügen würde. Nachdem ein Wechsel im Spruchkörper vorliegend jedoch zulässig sei, brauche diese Frage nicht abschliessend beantwortet zu werden. Die bereits durchgeführte erste Berufungsverhandlung habe somit nicht nochmals wiederholt werden müssen. 
 
3.3.  
 
3.3.1. Nach Art. 30 Abs. 1 BV hat jede Person Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Jede Besetzung, die sich nicht mit sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, verletzt die Garantie des verfassungsmässigen Richters. Besteht eine Behörde aus einer bestimmten Zahl von Mitgliedern, so müssen - unter Vorbehalt einer abweichenden gesetzlichen Regelung - alle am Entscheid mitwirken. Die Behörde, welche in unvollständiger Besetzung entscheidet, begeht eine formelle Rechtsverweigerung. Jeder Verfahrensbeteiligte hat Anspruch darauf, dass die Behörde in richtiger Besetzung, d.h. vollständig und ohne Anwesenheit Unbefugter, entscheidet (BGE 144 I 37 E. 2.1; 137 I 340 E. 2.2.1; 127 I 128 E. 4b; je mit Hinweisen).  
Diese Verfassungsnorm verlangt nicht, dass sich der Spruchkörper während des gesamten Verfahrens aus denselben Personen zusammensetzt (vgl. BGE 141 V 495 E. 2.3; 117 Ia 133 E. 1e). Die Änderung der Spruchkörperzusammensetzung während des Verfahrens stellt nicht per se eine Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV dar. Sie ist namentlich notwendigerweise erforderlich, wenn ein Mitglied des Spruchkörpers durch ein anderes ersetzt werden muss, nachdem es in den Ruhestand getreten ist, in ein anderes Gericht gewählt wurde, verstorben ist oder im Falle einer längeren Arbeitsunfähigkeit oder eines Mutterschaftsurlaubs (Urteile 7B_154/2022 vom 19. Juli 2023 E. 2.2; 6B_434/2020 vom 14. September 2021 E. 2.2.2; 1B_311/2016 vom 10. Oktober 2016 E. 2.2; je mit Hinweisen). Hingegen wäre es unzulässig, einen Richter ohne Grund zu ersetzen, nachdem wichtige Untersuchungsmassnahmen vorgenommen worden sind, wie beispielsweise die Hauptverhandlung in Strafsachen, welche die Mündlichkeit des Strafverfahrens garantiert (Urteile 7B_154/2022 vom 19. Juli 2023 E. 2.2; 1C_279/2016 vom 27. Februar 2017 E. 4.2; je mit Hinweisen). 
Als Ausfluss der Garantie von Art. 30 Abs. 1 BV bestimmen Art. 405 Abs. 1 i.V.m. Art. 335 Abs. 1 StPO für Strafverfahren, dass das Gericht während der gesamten Hauptverhandlung, mithin von der Eröffnung der Verhandlung (Art. 339 Abs. 1 StPO) bis zur Urteilseröffnung (Art. 351 StPO), in seiner gesetzmässigen Zusammensetzung und im Beisein einer Gerichtsschreiberin oder eines Gerichtsschreibers tagt (Urteile 6B_904/2015 vom 27. Mai 2016 E. 2.3.1; 6B_596/2012 vom 25. April 2013 E. 1.3; Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 1085 ff., 1278 ff., Ziff. 2.7 zum Unterschied der Begriffe Hauptverfahren und Hauptverhandlung). Fällt während der Hauptverhandlung eine Richterin oder ein Richter aus, so wird gemäss Art. 335 Abs. 2 StPO die gesamte Hauptverhandlung wiederholt, es sei denn, die Parteien verzichteten darauf. Die Verfahrensleitung kann anordnen, dass von Anfang an ein Ersatzmitglied des Gerichts an den Verhandlungen teilnimmt, um nötigenfalls ein Mitglied des Gerichts zu ersetzen (Art. 335 Abs. 3 StPO). 
 
3.3.2. Das Gericht kann auf Antrag der beschuldigten Person oder der Staatsanwaltschaft oder von Amtes wegen die Hauptverhandlung zweiteilen. Dabei kann es beispielsweise bestimmen dass in einem ersten Verfahrensteil nur die Tat- und die Schuldfrage, in einem zweiten die Folgen eines Schuld- oder Freispruchs behandelt werden (sog. Schuldinterlokut; Art. 342 Abs. 1 lit. a StPO).  
 
3.4. Vorliegend hat die Vorinstanz auf Antrag des Beschwerdeführers die Berufungsverhandlung zweigeteilt. Der erste Teil der Hauptverhandlung fand am 13. Februar 2023 statt; der zweite Teil am 20. März 2024. Im ersten Teil waren Oberrichter Matthias Kradolfer, Oberrichterin Irene Herzog und Ersatzrichter Andreas Hebeisen in der Besetzung. Im zweiten Teil wurde der Vorsitzende Matthias Kradolfer durch die Obergerichtspräsidentin Anna Katharina Glauser Jung ersetzt. Bei einer Zweiteilung der Verhandlung i.S.v. Art. 342 Abs. 1 StPO gilt die zweite Verfahrensphase gemäss klarem Gesetzeswortlaut als zweiter Verfahrensteil der Hauptverhandlung, nicht jedoch als selbständige Hauptverhandlung (vgl. PETRA VENETZ, Die Zweiteilung des Verfahrens, in: forumpoenale 6/2012, S. 356 ff. Fn. 5 mit Hinweis). Der Ausfall von Oberrichter Matthias Kradolfer nach dem ersten Verhandlungsteil fällt damit in den Anwendungsbereich von Art. 335 Abs. 2 StPO.  
Die Vorinstanz verweist zur Begründung der Zulässigkeit der neuen Besetzung ohne Wiederholung des ersten Teils der Berufungsverhandlung auf das Urteil 7B_154/2022 vom 19. Juli 2023 E. 2.2. Die diesem Urteil zugrunde liegende Konstellation ist indes nicht mit derjenigen in casu vergleichbar. Es fand nicht eine durch Interlokut i.S.v. Art. 342 StPO zweigeteilte Berufungsverhandlung statt. Vielmehr kam es insgesamt zu drei (jeweils durch Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen abgeschlossene) Berufungsverfahren, da die vom Beschwerdeführer erhobenen Beschwerden in Strafsachen jeweils vom Bundesgericht gutgeheissen wurden. Während der Berufungsverhandlung im Sinne von Art. 335 Abs. 2 StPO (vgl. oben E. 3.3.1) fiel in der Ausgangslage des Urteils 7B_154/2022 kein Richter aus und es kam nicht zu einem Wechsel in der Zusammensetzung des Gerichts. Art. 335 Abs. 2 StPO kam mangels Ausfalls während der Hauptverhandlung daher nicht zur Anwendung und wurde entsprechend weder gerügt noch behandelt. Diese Konstellation wurde unter dem allgemeinen Aspekt des Anspruchs auf ein rechtmässig besetztes Gericht i.S.v. Art. 30 BV behandelt (vgl. oben E. 3.3.1). Gleiches gilt für das Urteil 4A_233/2016 vom 12. September 2016, auf das die Vorinstanz ebenfalls verweist. 
 
3.5. Der Beschwerdeführer rügt zu Recht, die von der Vorinstanz zitierte Rechtsprechung finde im vorliegenden Fall keine Anwendung. Zwar ist der Vorinstanz insoweit zuzustimmen, als dass die Rechtsprechung zu den Anforderungen an den Spruchkörper und allfällige Wechsel i.S.v. Art. 30 BV auch in Strafverfahren zur Anwendung kommt. Ebenso ist durchaus denkbar, dass eine Änderung des Spruchkörpers in engen Grenzen zulässig ist (vgl. Urteil 6B_434/2020 vom 14. September 2021 E. 3). Jedoch geht die strafprozessuale Regelung in Art. 335 StPO in Bezug auf die Kontinuität der Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung weiter als der aus Art. 30 Abs. 1 BV abgeleitete Minimalanspruch auf ein rechtmässig besetztes Gericht, wie OBERHOLZER zutreffend ausführt (NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. Aufl. 2020, N. 1890). Dies bildet Ausdruck des Unmittelbarkeitsprinzips (vgl. ANDREAS EICKER/ROLAND HUBER/NURTEN BARIS, Grundriss des Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2020, S. 38 f.; vgl. ARIANE KAUFMANN, Das Unmittelbarkeitsprinzip und die Folgen seiner Einschränkung in der Schweizerischen Prozessordnung, Diss. Luzern 2012, S. 243). Die Richter sollen ihre innere Überzeugung auf Grundlage des Inhalts der Hauptverhandlung, insbesondere der dort vorgebrachten Beweise und der von den Parteien vorgebrachten Argumente, bilden (Urteil 6B_14/2012 vom 15. September 2012 E. 3.4; vgl. MOREILLON/PAREIN-REYMOND, Code de procédure pénale, Petit commentaire, 2. Aufl. 2016, N. 1a und 6 zu Art. 335 StPO). Verhandlung, Beratung und Abstimmung sollen in der gleichen gesetzmässigen Besetzung durchgeführt werden (FINGERHUTH/GUT, in: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2020, N. 4 zu Art. 335 StPO; vgl. PIERRE-HENRI WINZAP, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl. 2019, N. 1 zu Art. 335 StPO; KAUFMANN, a.a.O., S. 243 mit Hinweis auf den Konzeptbericht der Expertenkommission "Vereinheitlichung des Strafprozessrechts" aus dem Jahr 1997, S. 140; JONAS ACHERMANN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2023, N. 4 zu Art. 335 StPO). Von dieser Besetzung während der Hauptverhandlung kann auch nicht aus zwingenden oder anderen sachlichen Gründen abgewichen werden (OBERHOLZER, a.a.O., N. 1890; KAUFMANN, a.a.O., S. 243 mit Hinweis auf die frühere Praxis in BGE 117 Ia 133 E. 1e vor Inkrafttreten von Art. 335 Abs. 2 StPO; FINGERHUTH/GUT, a.a.O., N. 4 zu Art. 335 StPO).  
 
3.6. Folglich hätte die Hauptverhandlung aufgrund des Ausfalls eines Richters zwischen dem ersten und zweiten Verhandlungsteil (grundsätzlich) i.S.v. Art. 335 Abs. 2 StPO wiederholt werden müssen. Inwieweit sachliche Gründe für die neue Besetzung vorliegen - Oberrichter Matthias Kradolfer wurde am 27. September 2023 als Bundesrichter mit Amtsantritt per 1. Januar 2024 gewählt -, ist bei dieser Ausgangslage nicht von Relevanz. Ebenso wenig, dass es gemäss Ansicht der Vorinstanz der neu vorsitzenden Obergerichtspräsidentin möglich gewesen sei, sich gestützt auf die Akten in den Fall einzulesen, da sämtliche Verfahrenshandlungen und Parteiäusserungen protokolliert seien und der Beschwerdeführer am 20. März 2024 nochmals persönlich befragt worden sei.  
 
3.7. Eine Wiederholung könnte nur dann entfallen, wenn die Parteien darauf verzichten (vgl. Art. 335 Abs. 2 StPO). Auf die Möglichkeit des Verzichts sind die Parteien hinzuweisen, wobei dieser Verzicht ausdrücklich und aufgrund des höchstpersönlichen Charakters der Erklärung durch die Partei persönlich zu erfolgen hat (vgl. FINGERHUTH/GUT, a.a.O., N. 10 zu Art. 335 StPO mit Hinweis).  
Die Vorinstanz führt aus, am 13. Oktober 2023 habe sich der Verteidiger des Beschwerdeführers geäussert und geltend gemacht, das Berufungsverfahren leide mit dem gesetzwidrigen Schuldinterlokut an einem grundlegenden Mangel. Jede neu eingewechselte Gerichtsperson werde ohne Wiederholung im zweiten Teil nur noch mit nachvollziehen können, was unzulässigerweise bereits im ersten Teil vorgespurt worden sei. Diesbezüglich erwägt die Vorinstanz, es erscheine fraglich, ob das Schreiben des Verteidigers des Beschwerdeführers vom 13. Oktober 2023 für eine rechtzeitige Geltendmachung eines formellen Mangels genügen würde. Nachdem ein Wechsel im Spruchkörper jedoch zulässig gewesen sei, brauche diese Frage nicht abschliessend beantwortet zu werden. Die Auffassung der Vorinstanz erweist sich als nicht zutreffend. Bei korrektem prozessualen Vorgehen hätte die Vorinstanz dem Beschwerdeführer den Ausfall von Oberrichter Matthias Kradolfer für den zweiten Teil der Hauptverhandlung - wie erfolgt - mitteilen müssen. Ebenfalls hätte sie ihn indes auf den Grundsatz der Wiederholung und auf sein Recht, i.S.v. Art. 335 Abs. 2 StPO auf eine solche zu verzichten, hinweisen müssen. Anstatt dem Beschwerdeführer aber sein Recht auf Verzicht einer Wiederholung einzuräumen, auferlegt sie ihm die Pflicht zur aktiven Erhebung einer formellen Rüge gegen den angekündigten Wechsel in der Besetzung des Gerichts. Diese Optik ist mit Blick auf die in Art. 335 Abs. 2 StPO gesetzlich geregelte Möglichkeit des Verzichts verfehlt. 
 
3.8. Die Rüge des Beschwerdeführers erweist sich als begründet.  
 
4.  
 
4.1. Die Beschwerde im Verfahren 6B_508/2024 ist gutzuheissen. Die Verletzung von Art. 335 Abs. 2 StPO ist formeller Natur und führt zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Die weiteren Rügen des Beschwerdeführers - inkl. dessen Antrag betreffend die Verwertbarkeit von Einvernahmen (vgl. Beschwerde S. 3) - sind bei dieser Ausgangslage nicht zu prüfen. Die Vorinstanz wird die Hauptverhandlung wiederholen und eine neue Entscheidung treffen müssen.  
Aufgrund der Gutheissung der Beschwerde im Verfahren 6B_508/2024 wird das Verfahren 6B_460/2024 gegenstandslos, das die Anfechtung des Schuldspruchs wegen Freiheitsberaubung sowie der Strafzumessung zum Inhalt hat. 
 
4.2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Thurgau wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer im Verfahren 6B_508/2024 eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 4 i.V.m. Art. 66 Abs. 3 BGG). Dies gilt grundsätzlich auch für das gegenstandslos gewordene Verfahren 6B_460/2024, da er die Verantwortung für die Gegenstandslosigkeit trägt. Jedoch ist der Beschwerdeführerin als Behörde keine Entschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG).  
 
4.3. Die Rückweisung an die Vorinstanz erfolgt prozessualiter. Die Sache wird damit nicht präjudiziert, sodass auf die Einholung von Vernehmlassungen verzichtet werden kann (vgl. Urteile 6B_178/2024 vom 27. März 2024 E. 5; 6B_151/2019 vom 17. April 2019 E. 5).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Verfahren 6B_460/2024 und 6B_508/2024 werden vereinigt. 
 
2.  
Die Beschwerde im Verfahren 6B_508/2024 wird gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 20. März 2024 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Obergericht des Kantons Thurgau zurückgewiesen. 
 
3.  
Die Beschwerde im Verfahren 6B_460/2024 wird zufolge Gegenstandslosigkeit abgeschrieben. 
 
4.  
Für die Verfahren 6B_460/2024 und 6B_508/2024 werden keine Kosten erhoben. 
 
5.  
Der Kanton Thurgau hat dem Beschwerdeführer im Verfahren 6B_508/2024 eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen. 
 
6.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 13. September 2024 
 
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Erb