Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_775/2023
Urteil vom 15. Januar 2025
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Viscione, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Heine, Scherrer Reber,
Gerichtsschreiberin Huber.
Verfahrensbeteiligte
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Zürcherstrasse 8 (Neuwiesen), 8400 Winterthur,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung
(Einstellung in der Anspruchsberechtigung),
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 12. Oktober 2023 (AL.2023.00132).
Sachverhalt:
A.
Der 1977 geborene A.________ war ab 3. Mai 2021 in einem Teilzeitpensum als Treuhänder/Buchhalter bei der B.________ AG angestellt. Am 4. Mai 2022 teilte er seiner Arbeitgeberin mit, dass er bis Ende Monat krankgeschrieben sei. Zudem reiche er gleichzeitig per Ende Mai 2022 seine Kündigung ein. Er wies darauf hin, dass die Kündigungsfrist von sechs Monaten im gegenseitigen Einvernehmen auch gekürzt werden könne. Am 10. bzw. 14. Juni 2022 schlossen die B.________ AG und A.________ eine Aufhebungsvereinbarung, mit der sie das Arbeitsverhältnis rückwirkend auf den 31. Mai 2022 hin auflösten.
Am 13. Juli 2022 meldete sich A.________ beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) zur Arbeitsvermittlung an und beantragte mit Gesuch vom 26. Juli 2022 Arbeitslosenentschädigung. Mit Verfügung vom 19. Dezember 2022 stellte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich A.________ wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit mit Wirkung ab dem 1. Juni 2022 für die Dauer von 48 Tagen in der Anspruchsberechtigung ein. Auf die von ihm erhobene Einsprache hin reduzierte die Verwaltung mit Entscheid vom 8. Juni 2023 die Dauer der Einstellung in der Anspruchsberechtigung von 48 auf 41 Tage.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 12. Oktober 2023 gut und hob den Einspracheentscheid auf.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Arbeitslosenkasse die Aufhebung des kantonalen Urteils und die Bestätigung ihres Einspracheentscheids.
A.________ sowie das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) lassen sich nicht vernehmen.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ).
2.
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht den Einspracheentscheid der Beschwerdeführerin aufgehoben und eine selbstverschuldete Arbeitslosigkeit des Beschwerdegegners verneint hat.
2.2.
2.2.1. Die Vorinstanz hat die Grundlagen über die Einstellung in der Anspruchsberechtigung wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit bei Kündigung durch die versicherte Person (Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG; Art. 44 Abs. 1 lit. b AVIV) und die dazu ergangene Rechtsprechung, wonach bei der Frage der Unzumutbarkeit des Verbleibens am Arbeitsplatz ein strenger Massstab anzulegen ist (BGE 124 V 234 E. 4b/bb), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
2.2.2. Anzufügen ist, dass wer eine Kündigung, welche die gesetzliche Frist missachtet, akzeptiert, in eine vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses einwilligt oder die Weiterarbeit bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin ablehnt, nicht etwa auf Lohnansprüche verzichtet, sondern auf die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses. Ein solches Verhalten kann deshalb den Tatbestand der selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit nach Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG erfüllen (BGE 112 V 323 E. 2b; Urteil 8C_99/2021 vom 27. Oktober 2021 E. 4.2 mit Hinweisen).
3.
3.1. Die Vorinstanz hat zunächst festgestellt, dass der Beschwerdegegner die vertragliche Kündigungsfrist von sechs Monaten, jeweils auf Ende eines Monats, nicht eingehalten habe. Zudem sei ihm im Zeitpunkt der Kündigung keine andere Stelle zugesichert gewesen.
Das kantonale Gericht hat weiter erkannt, dass der Beschwerdegegner an einer Zwangsstörung mit Berührungszwang, Zählzwang und dem Bedürfnis nach mehrfachen Wiederholungshandlungen sowie an verschiedenen Kontrollhandlungen leide, was seine Leistungen insbesondere unter Stress und Druck beeinträchtige. Eine Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsplatz sei ihm nach Aussagen seines behandelnden Arztes, Dr. med. C.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zumutbar gewesen. Die Vorinstanz hat dargelegt, dass das Betriebs- und Arbeitsklima als in hohem Masse belastet gegolten habe, weshalb der (vorzeitige) Austritt des Beschwerdegegners per 31. Mai 2022 zur Vermeidung schwerwiegender gesundheitlicher Störungen angezeigt gewesen sei. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdegegner trotz Krankschreibung im Mai 2022 gelegentlich zur Arbeit aufgefordert worden sei (E-Mails vom 6. und 12. Mai 2022). Nach den Angaben des Beschwerdegegners in seiner Einsprache vom 19. Januar 2023 habe ihm Dr. med. C.________ ausdrücklich geraten, das Arbeitsverhältnis so rasch als möglich aufzulösen. Dies ergebe sich sinngemäss auch aus dessen Schreiben vom 18. Januar 2023 und dem Arztzeugnis vom 31. Mai 2023, so das kantonale Gericht weiter. Zudem sei der Beschwerdegegner laut vorinstanzlichen Feststellungen im Vorfeld des Abschlusses der Aufhebungsvereinbarung vom 14. Juni 2022 offenbar unter Druck gesetzt worden.
Das kantonale Gericht ist zum Schluss gekommen, es habe vom Beschwerdegegner unter den gegebenen Umständen aus arbeitslosenversicherungsrechtlicher Sicht nicht verlangt werden können, dass er im Mai 2022 eine Kündigung auf den 30. November 2022 hin hätte aussprechen und sich für diesen Zeitraum eine arbeitsplatzspezifische Arbeitsunfähigkeit hätte attestieren lassen müssen.
Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz erwogen, dass die Arbeitslosigkeit des Beschwerdegegners nicht selbstverschuldet (Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG) gewesen sei und ihn die Arbeitslosenkasse zu Unrecht für die Dauer von 41 Tagen in der Anspruchsberechtigung eingestellt habe.
3.2. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie angenommen habe, dem Beschwerdegegner sei es aus arbeitslosenversicherungsrechtlicher Sicht nicht zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist aufzulösen. Verzichte nämlich eine versicherte Person auf ihren Lohn- oder Krankentaggeldanspruch im Rahmen der Lohnfortzahlungspflicht, indem sie das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der Kündigungsfrist auflöse und sich noch während der ordentlichen Kündigungsfrist zum Taggeldbezug anmelde, so füge sie durch ihr Verhalten der Arbeitslosenversicherung einen Schaden zu. An diesem sei sie mit Blick auf die Schadenminderungspflicht mit einer Einstellung wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit angemessen zu beteiligen.
4.
4.1. Es ist unbestritten, dass dem Beschwerdegegner, der im Zusammenhang mit dem Arbeitsumfeld bei der B.________ AG ab Mai 2022 zu 100 % arbeitsunfähig war, der Verbleib bzw. die Weiterbeschäftigung bei dieser Arbeitgeberin nicht mehr zumutbar war. Es stellt sich jedoch die Frage, ob von ihm aus arbeitslosenversicherungsrechtlicher Sicht die Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist hätte erwartet werden können.
4.2.
4.2.1. Es steht fest, dass Dr. med. C.________ eine Arbeitsunfähigkeit von 100 % bis 31. Juli 2022 attestierte. Da diese mit dem belasteten Verhältnis zur Arbeitgeberin, mit dem Hinweis auf unklare Aufträge und Schuldzuweisungen sowie mit einer Unzufriedenheit und inadäquaten Herausforderungen begründet wurde, ist mit der Beschwerdeführerin davon auszugehen, dass dem Beschwerdegegner bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterhin eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit von 100 % attestiert worden wäre. Eine effektive Wiederaufnahme der Arbeit während dieser Frist wäre somit wohl nicht mehr in Frage gekommen. Anders als die Vorinstanz dargelegt hat, lässt sich weder aus der ärztlichen Bestätigung des Dr. med. C.________ vom 18. Januar 2023 noch aus dessen Zeugnis vom 31. Mai 2023 entnehmen, dass es dem Beschwerdegegner nicht möglich gewesen wäre, die Kündigungsfrist abzuwarten und eine sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses dringend geboten gewesen wäre. Soweit das kantonale Gericht festgestellt hat, der Beschwerdegegner sei vor dem Abschluss der Aufhebungsvereinbarung offenbar unter Druck gesetzt worden, hat es sich einzig auf die Parteibehauptung des Beschwerdegegners gestützt, die er im Rahmen eines Schreibens ("Zusammenfassung Arbeit"; Eingangsdatum 19. Oktober 2022) im Verwaltungsverfahren äusserte.
4.2.2. Mit Blick auf die Schadenminderungspflicht (Art. 17 Abs. 1 AVIG; allgemeiner Grundsatz im Sozialversicherungsrecht: BGE 134 V 109 E. 10.2.7 mit Hinweisen) hätte vom Beschwerdegegner erwartet werden können, dass er das Arbeitsverhältnis nicht vorzeitig auflöst. Mit der Unterzeichnung der Aufhebungsvereinbarung hat er den vorzeitigen Eintritt der Arbeitslosigkeit herbeigeführt. Es ist zwar nachvollziehbar, dass der Beschwerdegegner vor dem Hintergrund des angespannten Arbeitsklimas nicht mehr bei der Arbeitgeberin angestellt sein wollte. Allerdings wurde medizinisch nicht festgehalten, dass sein Gesundheitszustand es ihm unmöglich gemacht hätte, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumindest formell an die Arbeitgeberin gebunden zu bleiben. Daran vermögen auch die beiden E-Mails vom 6. und 12. Mai 2022 nichts zu ändern, wonach er gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen zur Arbeitsleistung aufgefordert worden sei.
4.2.3. Unter diesen Umständen ist es gerechtfertigt, dass der Beschwerdegegner in angemessener Weise zur Tragung des Schadens beiträgt, der durch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden ist, zumal er zu diesem Zeitpunkt noch keinen neuen Arbeitsplatz zugesichert hatte. Es ist nämlich nicht Aufgabe der Arbeitslosenversicherung, an die Stelle der Verpflichtung der Arbeitgeberin oder der Lohnausfallversicherung zu treten, den Lohn bzw. die Lohnausfallentschädigung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses weiter zu entrichten. Damit steht fest, dass der Beschwerdegegner nach Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG selbstverschuldet arbeitslos geworden ist. In diesem Punkt ist die Beschwerde begründet.
4.3. Da das kantonale Gericht zum Schluss gekommen ist, dass die Arbeitslosigkeit des Beschwerdegegners nicht selbstverschuldet sei, hat es den Grad des Verschuldens und die Dauer der Einstellung nicht geprüft. Die S ache wird deshalb an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie sich zu diesen Punkten noch äussert.
5.
Die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu erneuter Beurteilung gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten und der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen der Beschwerdeführerin (BGE 146 V 28 E. 7). Der unterliegende Beschwerdegegner hat somit die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Obwohl sie obsiegt, hat die Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 12. Oktober 2023 wird aufgehoben. Die Sache wird zur Neubeurteilung an das kantonale Gericht zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 15. Januar 2025
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Viscione
Die Gerichtsschreiberin: Huber