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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_232/2022  
 
 
Urteil vom 17. April 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, Kölz, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
beide vertreten durch Herr lic. iur. Loris Fabrizio Mainardi, 
Beschwerdeführerinnen, 
 
gegen  
 
Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern, Stabsdienst, 
Bahnhofstrasse 15, 6003 Luzern. 
 
Gegenstand 
Ausstand (Bau- und Planungsrecht), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung, vom 28. März 2022 (7H 21 223). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Im Mai 2017 führte der Stadtrat Luzern innerhalb der städtischen Grünanlage beim Churchillquai probeweise eine Hundefreilaufzone ein. In einer Medienmitteilung vom 23. Juli 2019 teilte er mit, sie habe sich dem Grundsatz nach bewährt und werde weitergeführt. 
In der Folge forderten unter anderem A.________, C.________ und B.________, für die Hundefreilaufzone müsse ein Baubewilligungsverfahren durchgeführt werden. Die Stadt Luzern legte ein entsprechendes Baugesuch vom 12. Juni bis zum 1. Juli 2020 öffentlich auf. Mit Eingabe vom 26. Juni 2020 an das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern (JSD) stellten die genannten und weitere Personen den Antrag, die Baubewilligung sei zu verweigern. Zuständig zur Behandlung ihrer Einsprache sei das JSD, weil der Stadtrat Luzern und die Baudirektion der Stadt Luzern wegen der Äusserungen in der Medienmitteilung vom 23. Juli 2019 befangen seien. 
 
Mit Entscheid vom 4. September 2020 wies die JSD das Ausstandsgesuch ab, soweit es darauf eintrat. Eine von A.________, C.________ und B.________ dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde hiess das Kantonsgericht Luzern mit Urteil vom 8. Januar 2021 im Sinne der Erwägungen gut. Es hob den Entscheid des JSD auf und wies die Sache zur Behandlung der Finanzdirektion der Stadt Luzern zu. Es erwog, die Finanzdirektorin sei die Stellvertreterin der Baudirektorin und habe deshalb über deren Ausstand zu befinden. Falls sie das Ausstandsgesuch als begründet erachte, sei es ihr unbenommen, das Baubewilligungsverfahren fortzusetzen. 
Eine von den erwähnten Personen dagegen erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten hiess das Bundesgericht mit Urteil 1C_38/2021 vom 16. August 2021 teilweise gut und wies die Sache zur weiteren Beurteilung im Sinne der Erwägungen an das Kantonsgericht zurück. Das wiederum mit der Sache befasste Kantonsgericht wies die Beschwerde mit Urteil vom 28. März 2022 ab. 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 25. April 2022 beantragen A.________ und B.________ die Aufhebung des kantonsgerichtlichen Urteils vom 28. März 2022. 
Das JSD hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Kantonsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdeführerinnen haben dazu Stellung genommen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass (vgl. das ebenfalls die Beschwerdeführerinnen betreffende Urteil 1C_38/2021 vom 16. August 2021 E. 1). 
 
2.  
 
2.1. Das Kantonsgericht legte dar, die Mitglieder des Stadtrats hätten sich ausdrücklich und in guten Treuen für unbefangen erklärt. Eine solche Erklärung sei zwar für sich allein nicht ausschlaggebend, immerhin gebe sie aber einen nicht unbedeutenden Anhaltspunkt für die Intention der Behördenmitglieder.  
Vor der Medienmitteilung vom 23. Juli 2019 sei jahrelang darüber diskutiert worden, wie den Interessen der Hundehalter und dem Interesse an der Vermeidung von Konflikten beim freien Laufenlassen von Hunden in der Stadt Luzern Rechnung getragen und wie negative Auswirkungen des Hundefreilaufs auf die Tier- und Pflanzenwelt vermieden werden könnten. Im Oktober 2015 sei eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden und mit einer Medienmitteilung vom 17. März 2017 habe der Stadtrat bekannt gemacht, dass die Stadt zwei zusätzliche Hundefreilaufzonen (nebst einer damals bereits bestehenden) einrichte: eine beim Churchillquai und eine im Tribschenhorn. Beide hätten Teil eines auf zwei Jahre befristeten Pilotprojekts gebildet. In der von den Beschwerdeführerinnen beanstandeten Medienmitteilung vom 23. Juli 2019 sei der Gesamtstadtrat vor dem Hintergrund verschiedenster Rückmeldungen aus der Bevölkerung zum Schluss gekommen, dass eine Abwägung der Konfliktlage vor und nach dem Versuch zu Gunsten einer Weiterführung des Hundefreilaufs am Churchillquai spreche. 
Mit der Medienmitteilung sei jedoch keine rechtliche Prüfung erfolgt, vielmehr habe es sich um eine politische Beurteilung des eingeschlagenen Wegs zur Gestaltung des Nebeneinanders von verschiedenen Nutzungen des öffentlichen Raums gehandelt. Insbesondere gehe daraus nicht hervor, wie die Baudirektorin als Vorsteherin der Baubewilligungsbehörde zur Bewilligungsbedürftigkeit und -fähigkeit des Projekts stehe. 
Die Fragen, mit denen sich die Baudirektion im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens auseinandersetzen müsse, unterschieden sich somit von denjenigen, die nach Abschluss der Probephase im Rahmen der politischen Entscheidung über die Gestaltung des Nebeneinanders von Hundefreilauf und übriger Nutzung im dafür bestimmten Perimeter am Churchillquai vom Stadtrat als Kollegium geprüft worden seien. Von einer Vorbefassung, welche das Baubewilligungsverfahren als nicht mehr offen erscheinen lasse, könne deshalb keine Rede sein. Daran ändere auch nichts, dass gegen die Mitglieder des Stadtrats eine Strafanzeige wegen fahrlässiger Widerhandlung gegen baurechtliche Pflichten eingereicht worden sei. Andernfalls könnten Verfahrensbeteiligte ihnen missliebige Mitglieder einer Behörde mit dem Einreichen einer Strafanzeige aus dem Verfahren drängen. 
 
2.2. Die Beschwerdeführerinnen sind dagegen der Auffassung, der Stadtrat habe mit seinem Entscheid, die Hundefreilaufzone Churchillquai definitiv weiterzuführen, pflichtwidrig vorweggenommen, was im Rahmen eines ordentlichen Baubewilligungsverfahrens hätte beurteilt werden müssen. Die in der Medienmitteilung vom 23. Juli 2019 kommunizierte Haltung gehe auf einen Stadtratsbeschluss vom 3. Juli 2019 zurück. Das Kantonsgericht habe dies nicht erwähnt und damit zum einen den Sachverhalt offensichtlich falsch festgestellt, zum andern aber auch die Begründungspflicht verletzt. Sämtlichen Stadtratsmitgliedern habe bewusst sein müssen, dass die Umnutzung ohne Baubewilligungsverfahren umgesetzt worden sei. Am 17. März 2020 habe der Bereich Städtebau denn auch zu Recht die von ihnen verlangte Einleitung eines nachträglichen Baubewilligungsverfahrens verfügt. Selbst wenn die Baubewilligungspflicht nur fahrlässig und nicht (eventual-) vorsätzlich missachtet worden sei, liege ein Befangenheitsgrund vor. Dass nun gegen Mitglieder des Stadtrats Strafuntersuchungen durchgeführt würden, sei in diesem Zusammenhang sehr wohl zu berücksichtigen und verstärke den Anschein von Befangenheit.  
 
2.3. An der Sitzung des Stadtrats Luzern vom 3. Juli 2019 berichtete die städtische Umwelt- und Mobilitätsdirektion über die Hundehaltung im öffentlichen Raum im Allgemeinen und über die Hundefreilaufzone Churchillquai im Besonderen. Der Stadtrat nahm die Ausführungen zustimmend zur Kenntnis. Inwiefern das Kantonsgericht den Sachverhalt in Verletzung von Bundesrecht festgestellt haben soll, indem es auf das in den Akten befindliche Protokoll dieser Sitzung nicht einging, legen die Beschwerdeführerinnen nicht substanziiert dar, weshalb auf die Rüge nicht einzutreten ist (Art. 97 Abs. 1, Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG).  
 
2.4. Die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge der Verletzung der Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV) ist unbegründet. Es reicht aus, dass das Kantonsgericht die aus seiner Sicht wesentlichen Überlegungen aufgeführt hat. Die Beschwerdeführerinnen waren gestützt darauf ohne Weiteres in der Lage, den Entscheid sachgerecht anzufechten (vgl. BGE 143 III 65 E. 5.2).  
 
3.  
 
3.1. Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem durch Gesetz geschaffenen, zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Gericht ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Dieser Anspruch ist verletzt, wenn bei einer Gerichtsperson aus objektiver Sicht Umstände vorliegen, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Eine gewisse Besorgnis der Voreingenommenheit und damit Misstrauen in das Gericht kann bei den Parteien immer dann entstehen, wenn einzelne Gerichtspersonen in einem früheren Verfahren mit der konkreten Streitsache schon einmal befasst waren. Für nichtgerichtliche Behörden - wie hier für die Mitglieder des Stadtrats - gelangen Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK allerdings nicht zur Anwendung. Stattdessen gewährleistet Art. 29 Abs. 1 BV den Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung durch Exekutivbehörden. Das Gebot der Unbefangenheit bildet einen Teilgehalt dieses Grundrechts. Im Kern geht es darum, dass sich die für einen Entscheid zuständigen Personen in Bezug auf die Beurteilung des Sachverhalts nicht bereits festgelegt haben. Die für Gerichte geltenden Anforderungen an die Unbefangenheit können allerdings nicht unbesehen auf das Verwaltungsverfahren übertragen werden. Denn Exekutivbehörden sind, anders als ein Gericht, nicht allein zur (neutralen) Rechtsanwendung oder Streitentscheidung berufen. Sie tragen zugleich eine Verantwortung zur Erfüllung ihrer weiteren öffentlichen Aufgaben. Ob eine systembedingt vorbefasste Amtsperson tatsächlich voreingenommen erscheint, entscheidet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (zum Ganzen: BGE 140 I 326 E. 5.1 und 5.2; Urteil 1C_388/2018 vom 8. Januar 2019 E. 3.2 mit Hinweisen).  
 
3.2. Mit der Medienmitteilung vom 23. Juli 2019 erläuterte die Abteilung Kommunikation der Stadt Luzern, der Stadtrat sei nach eingehender Analyse aller Informationen und Rückmeldungen zum Schluss gekommen, die Hundefreilaufzone beim Churchillquai habe sich grundsätzlich bewährt. Sie sei in einer guten Intensität genutzt worden und die allgemeine Situation vor Ort habe sich verbessert. Mit der Medienmitteilung erfolgte eine Darstellung des Anlasses für das Pilotprojekt und die Ergebnisse des Monitorings während der zweijährigen Pilotphase. Namentlich wurde erwähnt, dass es zu keinen gravierenden Vorfällen gekommen sei und keine Anzeigen wegen Hundebissen oder Bissattacken erstattet worden seien. Hervorgehoben wurde, dass Nutzungskonflikte hätten entschärft werden können. Die Sicherheit der Nutzenden sei jederzeit gewährleistet gewesen und die Lärmbeeinträchtigung durch Hundegebell habe reduziert werden können. Deshalb solle die Hundefreilaufzone am Churchillquai definitiv eingeführt werden, auch wenn sich während der zweijährigen Pilotphase einzelne Verbesserungsmassnahmen als notwendig erwiesen hätten: insbesondere solle die für die Abgrenzung ungenügende Hecke durch einen Zaun ergänzt werden.  
 
3.3. In einem ebenfalls die Stadt Luzern betreffenden Urteil hat das Bundesgericht festgehalten, dass es einer Gemeinde von Bundesrechts wegen nicht verwehrt sei, über ihr eigenes Baugesuch und die dagegen erhobenen Einsprachen zu entscheiden. Bei der Wahrung öffentlicher Interessen bestehe grundsätzlich keine Ausstandspflicht (Urteil 1C_278/2010 vom 31. Januar 2011 E. 2; vgl. auch Urteil 1C_97/2014 vom 9. Februar 2015 E. 3.4; je mit Hinweisen).  
Wenn eine Gemeindeexekutivbehörde ein Baubewilligungsgesuch für ein kommunales Bauprojekt ausarbeiten will, trifft sie zudem zwangsläufig zunächst einen entsprechenden Entscheid. Nach der erwähnten Rechtsprechung bedeutet dies nicht, dass sie als Baubewilligungsbehörde in der Folge befangen wäre. Dass sie ihre Absicht im Rahmen einer Medienmitteilung öffentlich kommuniziert, ändert daran grundsätzlich nichts. Die Information der Bevölkerung über behördliche Tätigkeiten - insbesondere wenn diese wie hier ein offenbar kontroverses Thema betreffen - kann ohne Weiteres als Teil eines dem Stadtrat obliegenden Informationsauftrags angesehen werden (vgl. Urteil 1C_477/2016 vom 16. August 2017 E. 3.2). 
Ein Anschein der Befangenheit könnte in dieser Konstellation lediglich dann entstehen, wenn sich ein Mitglied des Stadtrats, das in der Folge das Baugesuch zu beurteilen hat, zuvor in einer Weise äussert, die eine definitive Auffassung über das Bauvorhaben zum Ausdruck bringt und so das Baubewilligungsverfahren als nicht mehr offen erscheinen lässt (vgl. BGE 140 I 326 E. 6.3 S. 334 mit Hinweis). Dies ist hier allerdings zu verneinen. Zwar hat der Stadtrat in seiner Medienmitteilung klar festgehalten, dass die Hundefreilaufzone Churchillquai definitiv eingeführt werden solle. Zudem geht aus der Mitteilung hervor, dass er die Frage im Rahmen eines Pilotprojekts eingehend geprüft hat. Entscheidend ist jedoch, dass diese Prüfung und der darauf basierende Schluss der definitiven Einführung der Hundefreilaufzone nicht auf einer Beurteilung der bau- und planungsrechtlichen Bewilligungsfähigkeit beruht, sondern im Wesentlichen auf einer Abwägung der Interessen von Hundehalterinnen und Hundehaltern, anderen Spaziergängerinnen und Spaziergängern und Anwohnerinnen und Anwohnern. Das Fazit der Vorinstanz, mit der Medienmitteilung sei keine rechtliche Prüfung erfolgt, vielmehr habe es sich um eine politische Beurteilung des eingeschlagenen Wegs zur Gestaltung des Nebeneinanders von verschiedenen Nutzungen des öffentlichen Raums gehandelt, ist somit zutreffend. 
An diesem Ergebnis vermag auch nichts zu ändern, dass gestützt auf eine vom Rechtsvertreter der Beschwerdeführerinnen eingereichte Strafanzeige wegen Missachtung der Baubewilligungspflicht (§ 213 Abs. 1 i.V.m. § 184 Abs. 1 des kantonalen Planungs- und Baugesetzes vom 7. März 1989 [PBG; SRL Nr. 735]) ein Strafverfahren eröffnet wurde. Selbst wenn der Stadtrat in dieser Hinsicht einen Verfahrensfehler begangen haben sollte, ist dieser jedenfalls nicht derart schwer, dass er einen Anschein der Voreingenommenheit begründen würde (vgl. 1C_657/2017 vom 30. Oktober 2018 E. 3.3). 
 
4.  
Die Beschwerde ist aus diesen Erwägungen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten den Beschwerdeführerinnen aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1-3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden den Beschwerdeführerinnen auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführerinnen, dem Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern und dem Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 17. April 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold