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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_538/2024  
 
 
Urteil vom 18. Dezember 2024  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Métral, 
Gerichtsschreiberin Kopp Käch. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Davide Loss, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (vorinstanzliches Verfahren), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. Juli 2024 (IV.2023.00630). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die 1965 geborene A.________ hatte sich am 6. Juli 2021 unter Hinweis auf Beschwerden aus dem urologischen Fachbereich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Die IV-Stelle des Kantons Zürich traf Abklärungen in medizinischer sowie erwerblicher Hinsicht und verneinte mit in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 15. November 2021 einen Leistungsanspruch.  
 
A.b. Am 13. März 2023 liess sich A.________ erneut zur Leistungsausrichtung bei der Invalidenversicherung anmelden. Nach Beizug aktueller Unterlagen sowie durchgeführtem Vorbescheidverfahren wies die IV-Stelle das Leistungsbegehren mit Verfügung vom 26. Oktober 2023 wiederum ab.  
 
B.  
A.________ liess hiegegen Beschwerde führen und beantragen, die Verfügung vom 26. Oktober 2023 sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die IV-Stelle zurückzuweisen; eventualiter sei ihr eine halbe Rente ab 1. Oktober 2023 zuzusprechen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht liess A.________ den Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung stellen. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde mit Urteil vom 23. Juli 2024 ohne deren Durchführung ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Angelegenheit sei zur Neubeurteilung (unter Wahrung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK) an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Während das kantonale Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichten, schliesst die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. 
 
2.  
Die Beschwerdeführerin rügt in formeller Hinsicht, das kantonale Gericht habe das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt, indem es keine öffentliche Verhandlung durchführte. 
 
2.1. Nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört wird, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Die Öffentlichkeit des Verfahrens soll dazu beitragen, dass die Garantie auf ein "faires Verfahren" tatsächlich umgesetzt wird (BGE 142 I 188 E. 3.1.1 und 3.3). Das kantonale Gericht, welchem es primär obliegt, die Öffentlichkeit der Verhandlung zu gewährleisten (BGE 136 I 279 E. 1; 122 V 47 E. 3), hat bei Vorliegen eines klaren und unmissverständlichen Parteiantrags grundsätzlich eine öffentliche Verhandlung durchzuführen (BGE 136 I 279 E. 1; SVR 2014 UV Nr. 11 S. 37, 8C_273/2013 E. 1.2; je mit Hinweisen). Ein während des ordentlichen Schriftenwechsels gestellter Antrag gilt dabei als rechtzeitig (BGE 134 I 331 E. 2.3; SVR 2020 IV Nr. 55 S. 188, 8C_751/2019 E. 3.3 mit Hinweisen; vgl. zum Ganzen: SVR 2023 UV Nr. 18 S. 57, 8C_352/2022 E. 2.1 mit Hinweisen).  
 
2.2. Von einer ausdrücklich beantragten öffentlichen Verhandlung kann abgesehen werden, wenn der Antrag der Partei als schikanös erscheint oder auf eine Verzögerungstaktik schliessen lässt und damit dem Grundsatz der Einfachheit und Raschheit des Verfahrens zuwiderläuft oder sogar rechtsmissbräuchlich ist. Gleiches gilt, wenn sich ohne öffentliche Verhandlung mit hinreichender Zuverlässigkeit erkennen lässt, dass eine Beschwerde offensichtlich unbegründet oder unzulässig ist. Als weiteres Motiv für die Verweigerung einer beantragten öffentlichen Verhandlung fällt die hohe Technizität der zur Diskussion stehenden Materie in Betracht, was etwa auf rein rechnerische, versicherungsmathematische oder buchhalterische Probleme zutrifft, wogegen andere dem Sozialversicherungsrecht inhärente Fragestellungen materiell- oder verfahrensrechtlicher Natur wie die Würdigung medizinischer Gutachten in der Regel nicht darunterfallen. Schliesslich kann das kantonale Gericht von einer öffentlichen Verhandlung absehen, wenn es auch ohne eine solche aufgrund der Akten zum Schluss gelangt, dass dem materiellen Rechtsbegehren der die Verhandlung beantragenden Partei zu entsprechen ist (BGE 136 I 279 E. 1 mit Hinweis auf BGE 122 V 47 E. 3b/ee und 3b/ff.; vgl. zum Ganzen: SVR 2023 UV Nr. 18 S. 57, 8C_352/2022 E. 2.2 mit Hinweisen).  
 
3.  
 
3.1. Vorliegend sind zivilrechtliche Ansprüche im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK streitig (BGE 122 V 47 E. 2a mit Hinweisen). Der Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung im Sinne der EMRK wurde in der im vorinstanzlichen Verfahren eingereichten Beschwerde unbestrittenermassen rechtzeitig gestellt.  
 
3.2. Von der beantragten öffentlichen Verhandlung hätte das kantonale Gericht nur bei Vorliegen von in Erwägung 2.2 hiervor genannten Gründen absehen dürfen. Soweit es sich diesbezüglich darauf beruft, der aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK fliessende Anspruch, im Rahmen einer öffentlichen Verhandlung angehört zu werden, entfalle, da die Beschwerde offensichtlich unbegründet sei, kann ihm nicht gefolgt werden.  
 
3.2.1. Die Verweigerung einer öffentlichen Verhandlung wegen offensichtlicher Unbegründetheit der Beschwerde ist gemäss Rechtsprechung nicht unproblematisch, weil damit bereits über die Streitsache entschieden wird, die Gegenstand einer allfälligen Verhandlung bilden würde. Wohl sind Konstellationen denkbar, in denen von einer öffentlichen Verhandlung zum vornherein keine Auswirkungen auf den zu fällenden Entscheid erwartet werden können und deren Anordnung deshalb im Hinblick auf die gebotene Verfahrensökonomie ohne Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK unterbleiben kann. Dies trifft sicher zu, wenn die Beschwerdeführung als mutwillig oder rechtsmissbräuchlich zu bezeichnen ist. Auch wenn ein überzeugend begründeter Verwaltungsakt mit nicht sachbezogenen Argumenten angefochten wird oder die erhobenen Einwände - selbst wenn sie an sich zutreffen würden - mangels Relevanz für die zu beurteilende Streitfrage am Ergebnis nichts zu ändern vermögen, kann von einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden. Dasselbe gilt, wenn ein vom Gesetz gar nicht vorgesehener Anspruch geltend gemacht wird oder wenn einzig eine Rechtsfrage zur Diskussion steht, deren Antwort sich bereits klar aus der veröffentlichten höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt. In solchen Fällen ist die Beschwerde im erstinstanzlichen Verfahren zum vornherein als aussichtslos zu qualifizieren, weshalb sich auch im Hinblick auf die von Art. 6 Ziff. 1 EMRK gewährleistete Verfahrensgarantie nicht beanstanden lässt, wenn das kantonale Gericht den Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung ablehnt (BGE 136 I 279 E. 1; 122 V 47 E. 3b/cc und 3b/dd; SVR 2023 UV Nr. 18 S. 57, 8C_352/2022 E. 3.2.1; Urteil 8C_810/2023 vom 7. März 2024 E. 3.2.1; je mit Hinweisen).  
 
3.2.2. Die bisher offen gelassene Frage, ob die Rechtsprechung in Bezug auf das Kriterium der offensichtlichen Unbegründetheit mit jener des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vereinbar ist (vgl. SVR 2023 UV Nr. 18 S. 57, 8C_352/2022 E. 3.2.2), braucht auch im hier zu beurteilenden Fall, wie sich aus nachfolgender Erwägung ergibt, nicht abschliessend beantwortet zu werden.  
 
3.3. Das vorliegende Verfahren betrifft den Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung aufgrund einer Neuanmeldung der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdegegnerin hatte das Leistungsbegehren mit Verfügung vom 26. Oktober 2023 abgewiesen mit der Begründung, die Abklärungen hätten ergeben, dass vor Ablauf der einjährigen Wartezeit keine länger dauernde Einschränkung der Arbeitsfähigkeit bestehe. Die Beschwerdeführerin bestritt dies im vorinstanzlichen Verfahren unter Hinweis auf abweichende medizinische Berichte und machte im Wesentlichen geltend, der Sachverhalt sei unrichtig und ungenügend abgeklärt worden.  
Den im kantonalen Verfahren vorgebrachten Einwänden kann nicht von vornherein jegliche Bedeutung abgesprochen werden. Die Argumente waren sachbezogen und für die zu beurteilende Streitfrage grundsätzlich relevant. Wenn die Vorinstanz nach Würdigung der Sach- und Rechtslage zusammenfassend festhielt, die Beschwerde sei offensichtlich unbegründet, weshalb der aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK fliessende Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung entfalle, entschied sie damit bereits über die Streitsache, die Gegenstand dieser Verhandlung hätte bilden sollen. Eine offensichtliche Unbegründetheit der Beschwerde im Sinne von Erwägung 3.2.1 hiervor ist jedoch keineswegs so eindeutig, dass deswegen auf die Durchführung einer beantragten öffentlichen Verhandlung verzichtet werden könnte. 
 
3.4. Andere Gründe, die das Absehen von der ausdrücklich beantragten öffentlichen Verhandlung rechtfertigen würden, werden im angefochtenen Urteil nicht erwähnt und sind auch nicht ersichtlich. Hätte die Vorinstanz Zweifel an der Ernsthaftigkeit des diesbezüglichen Antrags gehabt, wäre sie zur Rückfrage bei der Beschwerdeführerin gehalten gewesen (BGE 127 I 44 E. 2e/bb; Urteile 9C_73/2021 vom 20. September 2021 E. 4.1 und 8C_495/2020 vom 6. Januar 2021 E. 3.2).  
 
3.5. Zusammenfassend bestand für das kantonale Gericht keine Veranlassung und keine Rechtfertigung, von der grundsätzlichen Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung ausnahmsweise abzuweichen. Indem es dennoch auf eine solche verzichtete, wurde der in Art. 6 Ziff. 1 EMRK gewährleisteten Verfahrensgarantie (vgl. auch Art. 30 Abs. 3 BV und Art. 61 lit. a ATSG) nicht Rechnung getragen. Die Sache ist daher an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es diesen Verfahrensmangel behebt und die verlangte öffentliche Verhandlung durchführt. Danach wird es über die Beschwerde materiell neu befinden (vgl. SVR 2023 UV Nr. 18 S. 57, 8C_352/2022 E. 3.5).  
 
4.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat der Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. Juli 2024 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 18. Dezember 2024 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kopp Käch