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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_218/2023  
 
 
Urteil vom 19. April 2023  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter von Werdt, Bovey 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Fiona Stämpfli, 
Beschwerdegegnerin, 
 
C.A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Laura Jost, 
betroffenes Kind. 
 
Gegenstand 
Aufenthaltsbestimmungsrecht, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, Kindes- und Erwachsenenschutzgericht, vom 13. Februar 2023 
(KES 22 569 KES 22 570 KES 22 675). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Parteien sind Eltern einer im Frühling 2017 geborenen Tochter. Ihre Ehe wurde im Juni 2019 geschieden. Dabei wurde die gemeinsame elterliche Sorge belassen und eine alternierende Obhut festgelegt. 
Nachdem die Mutter das Kind widerrechtlich nach Prag verbracht hatte, entzog ihr die KESB Mittelland Nord am 28. Dezember 2020 superprovisorisch das Aufenthaltsbestimmungsrecht über das Kind. Im März 2021 ordnete das zuständige Prager Gericht die Rückführung des Kindes in die Schweiz an, worauf Mutter und Tochter hierher zurückkehrten. Mit vorsorglicher Massnahme vom 31. März 2021 bestätigte die KESB den superprovisorischen Entscheid und regelte den persönlichen Verkehr. 
Mit Entscheid vom 4. August 2021 entzog die KESB auch dem Vater vorsorglich das Aufenthaltsbestimmungsrecht, weil er mit der Unterbringung des Kindes in der Institution D.________, wo sich auch die Mutter aufhält, nicht einverstanden war, und brachte das Kind dort unter; sodann regelte sie den persönlichen Verkehr mit dem Vater. Am 25. August 2021 ordnete die KESB ein Erziehungsfähigkeitsgutachten an, welches am 28. Februar 2022 erstattet wurde. 
 
B.  
Mit Entscheid vom 29. Juni 2022 bestätigte die KESB die bislang bloss vorsorglich erfolgte Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gegenüber beiden Eltern sowie die Unterbringung des Kindes in der Institution D.________, unter Regelung des persönlichen Verkehrs mit dem Vater (Besuchsrecht von Freitagabend, 19 Uhr, Abholung im D.________, bis Dienstagmorgen, Bringen in den Kindergarten oder um 08:30 Uhr ins D.________); ferner schränkte es die elterliche Sorge des Vaters bezüglich Kindergarten- und Schulwahl ein und umschrieb die Aufgaben der Beistandsperson neu. 
Beschwerdeweise verlangte der Vater (soweit vorliegend interessierend), dass ihm anstelle des eingeräumten Besuchsrechts von Freitag, 17 Uhr, bis Dienstagmorgen (Kindergarten oder Übergabe um 08:30 im D.________) das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu belassen sei. Mit Entscheid vom 13. Februar 2023 wies das Obergericht des Kantons Bern die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C.  
Mit Beschwerde vom 17. März 2022 wendet sich der Vater an das Bundesgericht. Seine Rechtsbegehren gehen auf Feststellung, dass auch ein teilweiser Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts möglich sei, und auf Belassung des Aufenthaltsbestimmungsrechts von Freitagabend, 19 Uhr, bis Dienstagmorgen statt blosser Einräumung eines Besuchsrechts. Ferner verlangt er die unentgeltliche Rechtspflege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist der kantonal letztinstanzliche Entscheid betreffend die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts; die Beschwerde in Zivilsachen steht offen (Art. 72 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG). 
 
2.  
Der Beschwerdeführer macht ganz am Schluss der Beschwerde geltend, seine Bedenken, dass das D.________ keine geeignete Institution sei, hätten sich bestätigt, weil die Tochter dort ohne Rollenvorbilder sei, und es werde hier bewusst und willkürlich das Kindeswohl vernachlässigt. Indes bleiben diese Ausführungen ohne entsprechendes Rechtsbegehren und ohnehin war die Eignung des Unterbringungsortes nicht Beschwerdegegenstand des obergerichtlichen Verfahrens, sodass die Frage auch nicht im bundesgerichtlichen Verfahren thematisiert werden kann, weil eine Ausdehnung des Anfechtungsgegenstandes im Lauf des Rechtsmittelverfahrens nicht möglich ist (BGE 136 II 457 E. 4.2; 136 V 362 E. 3.4.2; 142 I 155 E. 4.4.2). 
Zu entscheiden ist mithin einzig die Rechtsfrage, ob es möglich ist, das Aufenthaltsbestimmungsrecht gewissermassen begrenzt auf bestimmte Zeiträume zu entziehen. Diesbezüglich hat die Beschwerde eine Begründung zu enthalten, in welcher in gedrängter Form dargelegt wird, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). 
 
3.  
Kern des obergerichtlichen Entscheides bildet die Erwägung, dass es beim Aufenthaltsbestimmungsrecht um die Befugnis geht, über den Wohnort des Kindes zu bestimmen, und dass diese Befugnis den Eltern entweder zusteht oder aber entzogen ist und der Entzug nicht partiell erfolgen kann. Etwas anderes lasse sich auch aus BGE 147 III 121 nicht ableiten, wo es um die alternierende Obhut und nicht um das Aufenthaltsbestimmungsrecht gegangen sei. Selbstverständlich stehe es dem Vater im Rahmen der Obhutsausübung frei, wo er mit der Tochter hingehe und was er mit ihr unternehme, aber das betreffe nicht das Aufenthaltsbestimmungsrecht. 
 
4.  
Die Ausführungen in der Beschwerde bleiben über weite Strecken allgemein (das Kindesschutzrecht sei sehr flexibel formuliert und versuche, das Kindeswohl optimal zu wahren, ohne unnötig in die elterliche Sorge einzugreifen; es gelte das Verhältnismässigkeitsprinzip; Massnahmen nach Art. 310 ZGB könnten als einschneidender empfunden werden als der vollständige Entzug der elterlichen Sorge; im Rahmen der Sorgerechtsrevision sei der Randtitel von Art. 310 ZGB geändert worden, nicht aber der Gesetzestext; eine Person habe in der Regel mehrere Aufenthaltsorte, z.B. wenn ein Kind ein Wochenende oder Ferien bei der Tante verbringe; das Aufenthaltsbestimmungsrecht sei ein wichtiger Aspekt der elterlichen Sorge und untrennbar mit dieser verbunden; materiell sei es stärker als das Besuchsrecht, bei welchem es nicht um einen Teilaspekt der elterlichen Sorge gehe, sondern welches Ausfluss des Persönlichkeitsrechts sei und auch nicht auf Dritte übertragen werden könne). 
Entscheidwesentlich ist die Frage, ob das Aufenthaltsbestimmungsrecht (zeitlich) teilbar ist. Diesbezüglich hält der Beschwerdeführer fest, er habe nichts dagegen, dass ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht während der 3½ Tage, an denen die Tochter im D.________ untergebracht sei, entzogen werde, aber dieses sei ihm für die anderen 3½ Tage zu belassen, an denen sie bei ihm sei. Es sei widersinnig, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Zeit, während der er für die Tochter verantwortlich sei, zu entziehen und in Form eines Besuchsrechts wieder zurückzugeben. Es sei ihm wichtig, für die Zeiträume der Erziehungsverantwortung rechtlich eine vollwertige Beziehung zu seiner Tochter zu haben. 
Das Anliegen des Beschwerdeführers ist an sich verständlich. Indes vermengt er die Obhuts- und Besuchsrechtsfrage mit derjenigen der Aufenthaltsbestimmung, was auf ein Missverständnis im KESB-Verfahren zurückzuführen sein dürfte, welches offensichtlich auch im obergerichtlichen Verfahren nicht geklärt werden konnte: 
Beim Aufenthaltsbestimmungsrecht geht es um die Befugnis, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen. Seit der Sorgerechtsrevision ist es nicht mehr Inhalt des Obhutsrechts, sondern vielmehr ein Element des elterlichen Sorgerechts (Art. 301a Abs. 1 ZGB; BGE 142 III 612 E. 4.1; 147 III 121 E. 3.3.2), welches den Eltern durch entsprechende Beschränkung der elterlichen Sorge entzogen werden kann. Mit der Obhut wird demnach (noch) gesagt, in wessen Haushalt das Kind lebt (BGE 147 III 265 E. 5.5; zuletzt Urteile 5A_230/2022 vom 21. September 2022 E. 5.1.1; 5A_534/2021 vom 5. September 2022 E. 3.1; 5A_157/2021 vom 24. Februar 2022 E. 3.2.1). Sie kann alternierend sein, wenn das Kind abwechselnd in beiden elterlichen Haushalten lebt, wobei der Betreuungsumfang nicht mathematisch je 50 % betragen, aber doch von erheblichem Umfang sein muss (Urteile 5A_373/2018 vom 8. April 2019 E. 3.1; 5A_67/2021 vom 31. August 2021 E. 3.1.2). Soweit ein Elternteil nicht über die Obhut verfügt oder ihm gar die elterliche Sorge entzogen ist, steht ihm von Gesetzes wegen ein Besuchsrecht zu (Art. 273 Abs. 1 ZGB). Dass der betreffende Elternteil keine elterliche Sorge und/oder Obhut hat, ist mithin Voraussetzung für das Besuchsrecht (SCHWENZER/COTTIER, in: Basler Kommentar, N. 8 zu Art. 273 ZGB). Bei diesem geht es darum, dass das Kind auch zu demjenigen Elternteil, bei welchem es nicht (mehr) lebt, eine Beziehung pflegen kann (SCHWENZER/COTTIER, a.a.O., N. 6 m.w.H.). 
Diesen letzten Punkt scheint die KESB wie gesagt verkannt zu haben: Aus mehreren Erwägungen ihres Entscheides ergibt sich klar (besonders deutlich auf S. 10 oben), dass nach wie vor die im Scheidungsurteil angeordnete alternierende Obhut besteht - auch das Obergericht spricht in E. 6.2 von einer dem Beschwerdeführer während den Betreuungszeiten zustehenden alternierenden Obhut - und nie zur Debatte stand, diese dem Vater zu entziehen; eine entsprechende Anordnung ist denn auch nicht aktenkundig. Das Anliegen der KESB war vielmehr, auch dem Vater das Aufenthaltsrecht zu entziehen, um gegen dessen Willen das Kind während der einen Wochenhälfte in der Mutter-Kind-Institution D.________ unterbringen zu können. Verfügt der Vater aber weiterhin über die alternierende Obhut, in deren Ausübung er (zu grossen Teilen mit Hilfe seiner Mutter, d.h. der Grossmutter des Kindes) die Betreuung während der anderen Wochenhälfte wahrnimmt, ist die Einräumung eines Besuchsrechts für die betreffende Zeit nicht nur überflüssig und entgegen jeder Logik, sondern angesichts des gesetzlichen Konzeptes gar nicht statthaft. Vor dem Hintergrund, dass eine alternierende Obhut effektiv besteht, ist ferner die im kantonalen Beschwerdeverfahren Anlass für eine Kontroverse bildende Aussage in BGE 147 III 121 E. 3.2.3 nicht topisch, wonach bei einer Betreuung zu rund 50 % die alternierende Obhut anzuordnen und nicht bloss ein Besuchsrecht zu gewähren ist. 
Das soeben Gesagte dient einzig der Klärung des Ausgangspunktes und beantwortet noch nicht die vorliegend interessierende Rechtsfrage, ob das Aufenthaltsbestimmmungsrecht teilbar ist. Hierzu ist Folgendes zu bemerken: Das Aufenthaltsbestimmungsrecht steht von Gesetzes wegen den Eltern zu (Art. 296 Abs. 2 i.V.m. Art. 301a Abs. 1 ZGB). Wird es ihnen gestützt auf Art. 310 ZGB von der KESB entzogen, geht es auf diese als Behörde über; sie kann das Recht nicht ihrerseits weiterübertragen, sondern übt es vielmehr selbst aus (AFFOLTER-FRINGELI/VOGEL, Berner Kommentar, N. 13 zu Art. 310/314b ZGB m.w.H.), indem sie über die Unterbringung und die Betreuungsverantwortung entscheidet (AFFOLTER-FRINGELI/VOGEL, a.a.O., N. 18 und 19). Die KESB hat mit anderen Worten im Rahmen der auf sie übergegangenen Aufenthaltsbestimmung autoritativ festgelegt, wo das Kind an welchen Tagen untergebracht ist. Hat aber erst der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts den Unterbringungsentscheid durch die KESB möglich gemacht, kann es nicht auf den Beschwerdeführer zurückübertragen werden. Es kann je nach Konstellation gemeinsam oder allein ausgeübt werden, ist aber als solches nicht teilbar, auch nicht in dem Sinn, dass es gewissermassen während der Betreuungszeiten auf den Beschwerdeführer zurückübertragen würde, denn es ist durch die Ausübung konsumiert und die alternierende Betreuung des Kindes ist eine Frage der Obhut, nicht der Aufenthaltsbestimmung. 
 
5.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie einzutreten ist. 
Die Prozessarmut wird mit keinem Wort ausgeführt und es werden auch keinerlei Unterlagen eingereicht. Damit gebricht es am Nachweis der formellen Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege und das entsprechende Gesuch ist abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). 
Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Kindesvertretung, dem Obergericht des Kantons Bern, Kindes- und Erwachsenenschutzgericht, und der KESB Mittelland Nord mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 19. April 2023 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli