Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_409/2023  
 
 
Urteil vom 19. August 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Kölz, 
Gerichtsschreiber Hahn. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Fingerhuth, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz, Postfach 1201, 6431 Schwyz, 
 
und 
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr.iur.Nathan Landshut, 
Beschwerdegegnerinnen, 
 
Gegenstand 
Unentschuldigtes Fernbleiben von der mündlichen Berufungsverhandlung, Rückzug der Berufung (mehrfache Veruntreuung etc.), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Schwyz, Strafkammer, vom 16. Januar 2023 (STK 2021 45). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Strafgericht Schwyz verurteilte A.________ am 27. Januar 2021 wegen mehrfacher Veruntreuung, mehrfacher ungetreuer Geschäftsbesorgung, Urkundenfälschung und mehrfacher Erschleichung einer falschen Beurkundung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 36 Monaten. Den unbedingten Strafteil setzte es auf 18 Monate fest. Im Übrigen sprach es A.________ frei. Weiter befand es über die Ersatzforderung des Staates, die Zivilforderungen, die Beschlagnahmen sowie die Kosten- und Entschädigungsfolgen. 
 
B.  
Das Kantonsgericht Schwyz schrieb mit Beschluss vom 16. Januar 2023 die Berufung von A.________ und die Anschlussberufungen der Staatsanwaltschaft und der Privatklägerin ab. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, es sei der Beschluss des Kantonsgerichts Schwyz vom 16. Januar 2023 aufzuheben und das Verfahren sei an dieses zurückzuweisen. Das Kantonsgericht sei zu verpflichten, die am 17. September 2021 erhobene Berufung an die Hand zu nehmen, darauf einzutreten und das Berufungsverfahren durchzuführen. Er stellt zudem ein Gesuch um aufschiebende Wirkung. 
Das Bundesgericht teilte A.________ mit Schreiben vom 16. März 2023 mit, dass sein Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos sei. 
Die kantonalen Akten wurden beigezogen. Mit Eingabe vom 18. Juni 2024 verzichtete das Kantonsgericht Schwyz auf eine Vernehmlassung. Mit Eingabe vom 2. Juli 2024 beantragte B.________ als Privatklägerin, die Beschwerde sei kostenpflichtig abzuweisen. Diese Eingabe wurde A.________ am 5. Juli 2024 zur Kenntnis zugestellt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Auf die frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und formgerecht (Art. 42 Abs. 1 BGG) eingereichte Beschwerde des Beschuldigten (Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 1 BGG) gegen einen Endentscheid (Art. 90 BGG) einer oberen kantonalen Instanz (Art. 80 Abs. 1 BGG) betreffend eine Strafsache (Art. 78 Abs. 1 BGG) ist einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Abschreibung des Berufungsverfahrens zufolge Rückzugs der Berufung verstosse gegen Bundesrecht (Art. 205 Abs. 2 und Art. 407 Abs. 1 lit. a StPO). Er habe am 7. November 2022 um Verschiebung der auf den Folgetag angesetzten Berufungsverhandlung ersucht. Er sei berufsbedingt in Tansania gewesen und positiv auf Covid-19 getestet worden. Sein Verteidiger habe angesichts dieser Umstände damit rechnen dürfen, dass die Verhandlung verschoben werde, weshalb es überspitzt formalistisch gewesen sei, von jenem ein Erscheinen am Verhandlungstermin zu verlangen. Zufolge notwendiger Verteidigung sei es ausserdem rechtlich ohnehin nicht zulässig, die Rückzugsfiktion nach Art. 407 Abs. 1 lit. a StPO zur Anwendung zu bringen.  
 
2.2.  
 
2.2.1. Hat die beschuldigte Person Berufung erhoben und bleibt sie der Berufungsverhandlung unentschuldigt fern und lässt sie sich (ausser in Fällen der amtlichen oder notwendigen Verteidigung) auch nicht vertreten, gilt die Berufung als zurückgezogen (Art. 407 Abs. 1 lit. a StPO; Urteile 6B_1293/2018 vom 14. März 2019 E. 3.3.2; 6B_876/2013 vom 6. März 2014 E. 2.4.1; je mit Hinweisen). Ist die beschuldigte Person Berufungsklägerin und erscheint zur Berufungsverhandlung die Verteidigung, nicht aber die beschuldigte Person, ist die Berufungsverhandlung ohne die säumige beschuldigte Person durchzuführen, ein Abwesenheitsverfahren gemäss den Art. 366 ff. StPO findet nicht statt (Art. 407 Abs. 2 StPO, e contrario; Urteile 6B_671/2021 vom 26. Oktober 2022 E. 5.4; 6B_1293/2018 vom 14. März 2019 E. 3.3.2).  
 
2.2.2. Die amtliche und die notwendige Verteidigung haben an der Berufungsverhandlung persönlich teilzunehmen (Art. 336 Abs. 2 i.V.m. Art. 405 Abs. 1 StPO). Bleibt die amtliche oder die notwendige Verteidigung aus, so wird die Verhandlung verschoben (Art. 336 Abs. 5 i.V.m. Art. 405 Abs. 1 StPO).  
 
2.2.3. Im Falle der Abwesenheit des notwendigen Verteidigers anlässlich der Hauptverhandlung gelangt die Rückzugsfiktion nach Art. 407 Abs. 1 lit a StPO nicht zur Anwendung (Urteile 6B_876/2013 vom 6. März 2014 E. 2.4.1; 6B_37/2012 vom 1. November 2012 E. 4; je mit Hinweisen). Denn die notwendige Verteidigung ist bis zum Abschluss des Rechtsmittelverfahrens zu gewähren (BGE 129 I 281 E. 4.3). Bleibt die (amtliche) notwendige Verteidigung aus, wird die Verhandlung verschoben (Art. 336 Abs. 5 StPO i.V.m. Art. 405 Abs. 1 StPO; Urteil 6B_876/2013 vom 6. März 2014 E. 2.4.1; siehe auch Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1317). Diese Rechtsfolge gilt unabhängig davon, ob das Nichterscheinen der amtlichen Verteidigung entschuldigt oder unentschuldigt erfolgt ist, wobei ein unentschuldigtes Fernbleiben durch das Berufungsgericht mit entsprechenden Massnahmen geahndet werden kann (siehe BGE 113 Ia 218 E. 3c, RAFFAEL RAMEL, in: Basler Kommentar StPO, 3. Aufl. 2023, N. 23 f. zu Art. 336 StPO; PIERRE-HENRI WINZAP, in: Commentaire romand Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl. 2019, N. 6 zu Art. 336 StPO). Dies gilt auch für den Fall, dass sowohl die beschuldigte Person wie auch ihre notwendige amtliche Verteidigung von der Berufungsverhandlung fernbleiben (ZIMMERLIN SVEN, in: Schulthess Kommentar StPO, 3. Aufl. 2020, N. 4 zu Art. 407 StPO).  
 
2.3. Der Beschwerdeführer wurde im vorinstanzlichen Verfahren von einem privat mandatierten Anwalt verteidigt. Dabei liegt gemäss der Vorinstanz ein Fall notwendiger Verteidigung vor. Unabhängig davon, ob der private Verteidiger des Beschwerdeführers darauf vertrauen durfte, dessen Covid-19-Infektion stelle einen hinreichenden Entschuldigungsgrund für ein Fernbleiben von der Berufungsverhandlung dar oder er gestützt auf die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten als amtlicher Verteidiger nicht vielmehr gehalten gewesen wäre, dennoch an der Berufungsverhandlung zu erscheinen, stellt die gleichzeitige Abwesenheit des Beschwerdeführers und des notwendigen amtlichen Verteidigers angesichts der vorerwähnten Rechtsprechung keine Grundlage dar, damit die Rückzugsfiktion nach Art. 407 Abs. 1 lit a StPO greift. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz überzeugt nicht. Vielmehr wäre sie gehalten gewesen, die Berufungsverhandlung zu verschieben und die Parteien neu vorzuladen. Darüber hinaus könnte sie - sofern sie dies als notwendig erachtet - zudem den amtlichen Verteidiger für seine aus ihrer Sicht nicht entschuldbare Abwesenheit adäquat sanktionieren (siehe vorne E. 2.2.3). Die Beschwerde erweist sich als begründet.  
 
2.4. Die Beschwerde ist gutzuheissen und die Sache zur Durchführung der Berufungsverhandlung sowie zum neuen Entscheid über die Kosten- und Entschädigungsfolgen zurückzuweisen. Es erübrigt sich, auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers, namentlich die Frage der Willkür in der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung sowie die Rechtmässigkeit der vorinstanzlichen Annahme, der Beschwerdeführer sei unentschuldigt abwesend gewesen, einzugehen.  
 
3.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer keine Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese sind im Umfang von Fr. 1'500.-- der unterliegenden Privatklägerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Schwyz und die Privatklägerin haben dem Beschwerdeführer zu gleichen Teilen je eine angemessene Entschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Beschluss des Kantonsgerichts Schwyz vom 16. Januar 2023 wird aufgehoben und die Sache zur Durchführung der Berufungsverhandlung sowie zum neuen Entscheid über die Kosten- und Entschädigungsfolgen an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden der Privatklägerin auferlegt. 
 
3.  
Der Kanton Schwyz und die Privatklägerin haben dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von je Fr. 1'500.--, d.h. insgesamt Fr. 3'000.--, zu bezahlen, unter solidarischer Haftbarkeit eines jeden für den vollen Betrag. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Schwyz, Strafkammer, und der Privatklägerin schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 19. August 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Hahn