Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_664/2024
Urteil vom 21. Oktober 2024
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichter Denys,
Bundesrichter von Felten,
Gerichtsschreiberin Frey Krieger.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Keine Berufungserklärung eingereicht (Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit),
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts
des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 4. Juli 2024 (SST.2024.111).
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Bezirksgericht Zurzach sprach den Beschwerdeführer mit Urteil vom 11. März 2024 vom Vorwurf des pflichtwidrigen Verhaltens nach Verkehrsunfall mit Sachschaden durch Unterlassen der Meldung und Verlassen der Unfallstelle ohne Erlaubnis frei und der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit schuldig. Es bestrafte ihn mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je Fr. 110.--. Dagegen meldete der Beschwerdeführer am 27. März 2024 fristgerecht Berufung an, woraufhin das Bezirksgericht das Urteil begründete.
Am 4. Juli 2024 verfügte das Berufungsgericht, dass auf die Berufung des Beschwerdeführers nicht eingetreten werde, nachdem er innert der Frist von 20 Tagen nach der Zustellung des begründeten Urteils keine Berufungserklärung eingereicht habe. Das begründete und eingeschrieben versandte bezirksgerichtliche Urteil sei ihm am 17. Mai 2024 zur Abholung bereit gemeldet, innert Frist nicht abgeholt und folglich an die Vorinstanz retourniert worden. Da der Beschwerdeführer mit einer Zustellung habe rechnen müssen, gelte das begründete Urteil gemäss Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellversuch und damit am 24. Mai 2024 als zugestellt.
2.
Der Beschwerdeführer wendet sich an das Bundesgericht. Der Fall sei "von Anfang an sehr komisch" verlaufen. Dabei stellt er nicht in Abrede, dass er mit einer Zustellung des Urteils rechnen musste. Er macht indes geltend, "die Zustellung" des Bezirksgerichts Zurzach nie erhalten respektive keine Einladung zur Abholung im Briefkasten vorgefunden zu haben. "Diese Situation" sei bereits "bei der ersten Zustellung des Urteils vom März 2024" ein Problem gewesen, worauf er durch den Erhalt der Rechnungen des Bezirksgerichts Zurzach aufmerksam geworden sei. Als er auf die "nächste Zustellung" gewartet habe, seien erneut Rechnungen "von Zurzach" bei ihm eingetroffen und zwar mit der Überschrift Urteil vom 11. März und 4. Juli "des OG Aargau". Mithin sei er erneut mittels Rechnungen darüber informiert worden, dass ihn eine weitere Zustellung nicht erreicht gehabt habe. Auf Nachfrage sei ihm vom Obergericht mitgeteilt worden, dass die Sendung retourniert worden sei, jedoch am folgenden Tag per A-Post Plus versandt werde, was er erleichtert zur Kenntnis genommen habe. Es stelle sich indes die Frage, weshalb nicht auch seitens des Bezirksgerichts Zurzach eine (zusätzliche) Zustellung mittels A-Post Plus erfolgt sei.
3.
Gegenstand des vorliegenden bundesgerichtlichen Verfahrens ist einzig, ob die Vorinstanz zu Unrecht auf die Berufung nicht eingetreten ist. Zur materiellen Seite der Angelegenheit kann sich das Bundesgericht nicht äussern. Diese war nicht Verfahrensgegenstand vor Vorinstanz und ist es folglich auch nicht vor Bundesgericht. Die entsprechenden Ausführungen des Beschwerdeführers sind unbeachtlich. Dasselbe gilt, wenn er die Nichtgewährung der amtlichen Verteidigung moniert.
4.
4.1. Die Zustellung einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (vgl. Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO).
4.2. Die Beweislast für die Zustellung von Verfügungen und Entscheiden trägt die Behörde. Sie hat auf geeignete Art den Beweis dafür zu erbringen, dass und wann die Zustellung erfolgt ist (BGE 129 I 8 E. 2.2) bzw. dass der erste - erfolglose - Zustellungsversuch tatsächlich stattgefunden hat (Urteil 2C_780/2010 vom 21. März 2011 E. 2.3 und 2.4). Entgegen dieser allgemeinen Beweislastverteilung gilt bei eingeschriebenen Postsendungen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts eine widerlegbare Vermutung, dass der oder die Postangestellte den Avis ordnungsgemäss in den Briefkasten oder in das Postfach des Empfängers gelegt hat und das Zustellungsdatum korrekt registriert worden ist. Es findet in diesem Fall eine Umkehr der Beweislast in dem Sinne statt, als bei Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten des Empfängers ausfällt, der den Erhalt der Abholungseinladung bestreitet. Diese Vermutung kann durch den Gegenbeweis umgestossen werden. Sie gilt so lange, als der Empfänger nicht den Nachweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der Zustellung erbringt. Da der Nichtzugang einer Abholungseinladung eine negative Tatsache ist, kann dafür naturgemäss kaum je der volle Beweis erbracht werden. Die immer bestehende Möglichkeit von Fehlern bei der Poststelle genügt nicht, um die Vermutung zu widerlegen. Vielmehr müssen konkrete Anzeichen für einen derartigen Fehler vorhanden sein (BGE 142 IV 201 E. 2.3 mit zahlreichen Hinweisen; Urteile 7B_664/2023 vom 4. September 2024 E. 4.3; 6B_1002/2023 vom 15. November 2023 E. 3; 6B_1057/2022 vom 30. März 2023 E. 1.1).
5.
5.1. Aus der Sendungsverfolgung der Schweizerischen Post ergibt sich, dass dass Bezirksgericht Zurzach das begründete Urteil am 16. Mai 2024 als Einschreiben zum Versand aufgegeben und es am 17. Mai 2024 mittels Abholungseinladung zur Abholung gemeldet worden ist. Am 25. Mai 2024 wurde die Sendung mit dem Vermerk "nicht abgeholt" retourniert. Damit besteht die Vermutung, dass die Abholungseinladung in den Briefkasten des Beschwerdeführers gelegt und deren Zustelldatum korrekt vermerkt worden ist.
5.2. Diese Vermutung vermag der Beschwerdeführer weder mit dem pauschalen Einwand eines "komischen" Verfahrensganges noch mit der blossen Behauptung von angeblich zu Beginn an bestehenden Zustellungsschwierigkeiten zu widerlegen. Umso weniger, als sich letzteres nicht ansatzweise aus den vorinstanzlichen Akten ergibt, im Gegenteil: Der Sendungsverfolgung der Post lässt sich entnehmen, dass das Urteilsdispositiv vom Bezirksgericht Zurzach am 12. März 2024 als Einschreiben zum Versand aufgegeben, am 13. März 2024 mittels Abholungseinladung zur Abholung gemeldet und dem Beschwerdeführer am 20. März 2024 und damit am letzten Tag der Abholfrist am Schalter zugestellt worden ist. Dass er auf die laufende, das Urteilsdispositiv betreffende Abholfrist einzig durch vom Bezirksgericht Zurzach (in der gleichen Sache) versandte Rechnungen aufmerksam geworden sein will, bleibt nicht nur unbelegt sondern erscheint auch unwahrscheinlich, da die Gerichtskasse gemäss der im Urteilsdispositiv getroffenen Zustellungs- und Mitteilungsanordnung erst nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils mit einer entsprechenden Mitteilung bedient wird. Insofern der Beschwerdeführer schliesslich moniert, das Bezirksgericht Zurzach habe zu Unrecht davon abgesehen, ihm das begründete Urteil mit einer zweiten, A-Post Plus versandten Zustellung zukommen zu lassen, verkennt er, dass die Strafbehörden ihre Post eingeschrieben oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung, insbesondere durch die Polizei, zustellen (Art. 85 Abs. 2 StPO). Zusätzliche Mitteilungen per A-Post (Plus) sind nicht notwendig und im Gesetz auch nicht vorgesehen (Urteile 6B_972/2020 vom 19. November 2020 E. 5; 6B_947/2020 vom 19. November 2020 E. 6).
5.3. Zusammenfassend geht damit die Vorinstanz zu Recht davon aus, dass dem Beschwerdeführer das begründete Urteil rechtswirksam zugestellt worden ist und es ist folglich nicht zu beanstanden, wenn sie die Zustellfiktion zur Anwendung bringt. Da der Beschwerdeführer alsdann innert der Frist von 20 Tagen nach der Zustellung des begründeten Urteils keine Berufungserklärung eingereicht hat, verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, wenn sie auf seine Berufung nicht eintritt (vgl. Art. 399 Abs. 3 und Art. 403 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 StPO ).
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet.
6.
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). In Berücksichtigung des relativ geringen Aufwandes ist eine Entscheidgebühr von Fr. 1'000.-- angemessen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. Oktober 2024
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Die Gerichtsschreiberin: Frey Krieger