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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_228/2024  
 
 
Urteil vom 23. September 2024  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Stadelmann, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Beusch, Bundesrichterin Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiberin Bögli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Volker Pribnow, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 28. Februar 2024 (AB.2023.00026). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die A.________ AG war der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, Ausgleichskasse (nachfolgend: Ausgleichskasse), als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen. Aufgrund des Wechsels der A.________ AG zur Ausgleichskasse Zürcher Arbeitgeber AZA führte die Ausgleichskasse bei der A.________ AG am 6. Dezember 2022 eine Arbeitgeberkontrolle betreffend die Beitragsjahre 2018 bis 2021 durch. In Abweichung von den Lohndeklarationen der A.________ AG qualifizierte der Revisor bezüglich der B.________ (Mitglied der Geschäftsleitung) ausbezahlten Entschädigungen unter anderem die Abzüge von 30 % für Unkosten als beitragspflichtigen Lohn. Gestützt darauf erliess die Ausgleichskasse am 21. Dezember 2022 Nachzahlungsverfügungen für die Jahre 2018 bis 2021. Dagegen erhob die A.________ AG Einsprache, wobei sie insbesondere ausführte, der Abzug der Pauschalspesen beruhe auf einer mit der Ausgleichskasse getroffenen Vereinbarung, welche nach wie vor Gültigkeit habe. Die Ausgleichskasse wies die Einsprache mit Einspracheentscheid vom 22. März 2023 ab. 
 
B.  
Die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 28. Februar 2024 ab, nachdem es B.________ zum Prozess beigeladen hatte. 
 
C.  
Die A.________ AG lässt dagegen Beschwerde führen und die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Herabsetzung der Beitrags- resp. Nachzahlungspflicht auf das von Amtes wegen festzustellende Mass beantragen. Eventualiter sei die Sache zur Neubemessung der tieferen Nachzahlungsbeiträge an die Vorinstanz, subeventualiter an die Ausgleichskasse zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 148 V 209 E. 2.2). Zudem legt es seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, welchen die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, die vorinstanzlichen Feststellungen seien offensichtlich unrichtig (Art. 97 Abs. 1 BGG).  
 
1.2. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist. Eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung weist damit die Tragweite von Willkür auf. Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint. Eine Sachverhaltsfeststellung ist etwa dann offensichtlich unrichtig, wenn das kantonale Gericht den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hat. Solche Mängel sind in der Beschwerde aufgrund des strengen Rügeprinzips (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG) klar und detailliert aufzuzeigen (BGE 144 V 50 E. 4.2 mit Hinweisen; Urteile 9C_752/2018 vom 12. April 2019 E. 1.2; 9C_139/2013 vom 26. Juni 2013 E. 2.3.2). Auf ungenügend begründete Rügen oder bloss allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid ist nicht einzugehen (BGE 144 V 50 E. 4.2; Urteile 9C_415/2022 vom 14. November 2022 E. 1.2; 9C_752/2018 vom 12. April 2019 E. 1.2).  
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie die Beschwerdeführerin zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen verpflichtet hat. Umstritten ist dabei insbesondere, ob sich die Beschwerdeführerin in Bezug auf die Vereinbarung mit der Beschwerdegegnerin aus dem Jahr 1978 auf den Vertrauensgrundsatz stützen durfte. 
 
3.  
Das Sozialversicherungsgericht hat im angefochtenen Urteil die gesetzlichen Grundlagen zum massgebenden Lohn (Art. 5 AHVG), den Unkosten (Art. 9 Abs. 1 AHVV) und der Nachzahlung von Beiträgen (Art. 39 Abs. 1 AHVV) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
 
3.1. Nach den zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Urteil kann gemäss dem in Art. 9 BV verankerten Grundsatz von Treu und Glauben eine unrichtige Auskunft, welche eine Behörde einer rechtssuchenden Person erteilt, unter gewissen Umständen Rechtswirkungen entfalten. Voraussetzung dafür ist, dass: a) es sich um eine vorbehaltlose Auskunft der Behörden handelt; b) die Auskunft sich auf eine konkrete, die betroffene Person berührende Angelegenheit bezieht; c) die Amtsstelle, welche die Auskunft gegeben hat, dafür zuständig war oder die betroffene Person sie aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte; d) die betroffene Person die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne Weiteres hat erkennen können; e) die betroffene Person im Vertrauen hierauf nicht ohne Nachteile rückgängig zu machende Dispositionen getroffen hat; f) die Rechtslage zur Zeit der Verwirklichung noch die gleiche ist wie im Zeitpunkt der Auskunftserteilung; g) das Interesse an der richtigen Durchsetzung des objektiven Rechts dasjenige am Vertrauensschutz nicht überwiegt. Diese Bedingungen müssen kumulativ erfüllt sein. Vertrauensschutz setzt nicht zwingend eine unrichtige Auskunft oder Verfügung voraus; er lässt sich auch aus einer blossen behördlichen Zusicherung und sonstigem, bestimmte Erwartungen begründendem Verhalten der Behörden herleiten (BGE 143 V 95 E. 3.6.2; Urteil des Bundesgerichts 9C_296/2020 vom 4. September 2020 E. 2.2).  
 
3.2. Das Sozialversicherungsgericht stellte in Bezug auf die Anforderung der nicht ohne Nachteile rückgängig zu machenden Dispositionen fest, der blosse Verbrauch von Geldmitteln gelte nicht als relevante Disposition. Die Beschwerdeführerin behaupte zwar, irreversible Dispositionen getätigt zu haben, führe dies aber nicht näher aus; es seien auch keine solchen ersichtlich. Da diese Voraussetzung des Vertrauensschutzes zu verneinen sei und die Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssten, könne sich die Beschwerdeführerin nicht auf den Vertrauensschutz berufen.  
 
3.3. Die Beschwerdeführerin macht geltend, der von ihr beim "Chefvertreter" vorgenommene Pauschalabzug von 30 % sei während 45 Jahren nie beanstandet worden. Vorliegend stehe kein "Verbrauch von Geldmitteln" in Frage. Sie habe über Jahre hinweg auf einem Teil des Lohns des B.________ keine Abzüge vorgenommen; die Arbeitnehmerbeiträge könnten rechtlich nicht vom Arbeitnehmer nachgefordert werden, was zu einer Doppelverpflichtung der Arbeitgeberin führe. Zudem sei der Spesen-Pauschalabzug beim Hauptprokuristen B.________ in die Preisgestaltung eingeflossen, was nachträglich nicht mehr geändert werden könne. Wenn die Vorinstanz von etwas anderem ausgegangen wäre, so sei dies - insbesondere im Rahmen der Untersuchungspflicht - geradezu willkürlich. Die irreversiblen Dispositionen seien bereits im vorinstanzlichen Verfahren geltend gemacht worden, weshalb die Feststellung des kantonalen Gerichts, diese Dispositionen seien nicht näher ausgeführt worden, aktenwidrig sei. Eine weitere irreversible Disposition liege darin, dass im Vertrauen auf die Vereinbarung eines Pauschalspesenabzugs auf das Sammeln von Spesenbelegen verzichtet worden sei, weshalb die tatsächlichen Unkosten nun nicht mehr nachgewiesen werden könnten.  
 
3.4. Die Frage, ob im Vertrauen auf eine behördliche Auskunft irreversible Dispositionen vorgenommen wurden, betrifft die Sachverhaltsfeststellung (vgl. Urteil 8C_796/2007 vom 22. Oktober 2008 E. 3.2.1), in die das Bundesgericht nur bei offensichtlicher Unrichtigkeit eingreift (vgl. E. 1 hiervor). Die Beschwerdeführerin verweist in ihrer Beschwerdeschrift auf ihre Beschwerde und Replik im vorinstanzlichen Verfahren um zu belegen, dass das kantonale Gericht den Sachverhalt willkürlich und aktenwidrig festgestellt habe. Allerdings werden in den von der Beschwerdeführerin genannten Stellen der Rechtsschriften keine irreversiblen Dispositionen substanziiert behauptet. Sie machte zwar in der kantonalen Beschwerde geltend, dass ihr durch die Nachzahlungsverpflichtung nicht wieder gutzumachende Nachteile entstehen würden, legte diese Nachteile jedoch nicht dar. In der vorinstanzlichen Replik führte sie aus, die nicht getätigten Lohnabzüge könnten nicht vom Arbeitnehmer zurückgefordert werden, was einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil darstelle, ohne auch hier ihre Behauptung zu substanziieren. Schliesslich hielt sie in der vorinstanzlichen Replik fest, sie könne keine Belege zu den Auslagen des B.________ vorweisen, machte dabei aber nicht geltend, dies stelle eine irreversible Disposition dar. Insgesamt wurden die im bundesgerichtlichen Verfahren vorgebrachten nicht wieder gutzumachenden Nachteile vor dem kantonalen Gericht entweder nur pauschal behauptet, ohne nähere Angaben dazu zu machen, oder nur umschrieben, ohne einen Nachteil überhaupt zu erwähnen. Unter diesem Umständen hat das Sozialversicherungsgericht den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig festgestellt, indem es festgehalten hat, irreversible Dispositionen seien weder näher ausgeführt worden noch ersichtlich. Da im bundesgerichtlichen Verfahren neue Tatsachen nur dann vorgebracht werden können, wenn erst der angefochtene Entscheid dazu Anlass gibt (Art. 99 BGG), und die Beschwerdeführerin nichts Derartiges geltend macht, ist auf die neu geltend gemachten Dispositionen nicht weiter einzugehen. Wenn nicht wieder gutzumachende Nachteile zu verneinen sind, hat das kantonale Gericht demnach auch zu Recht eine Verletzung des Vertrauensgrundsatzes verneint.  
 
4.  
 
4.1. In Bezug auf die Höhe der nachzuzahlenden Beiträge hielt das Sozialversicherungsgericht fest, es sei unbestritten, dass B.________ bei seiner Tätigkeit für die Beschwerdeführerin Unkosten entstanden seien, welche nicht zum massgebenden Lohn gehörten. Die Höhe dieser Unkosten sei jedoch nicht belegt. Der Buchhaltung sei zwar ein monatlicher "Vertreteraufwand" zu entnehmen, dieser entspreche aber wohl nicht den tatsächlichen Unkosten, da die Beschwerdeführerin keinen Aufwand in dieser Höhe geltend mache, sondern einen Pauschalabzug von 30 % vorgenommen habe. Die Beschwerdeführerin und B.________ hätten weder die tatsächlichen Unkosten belegt, noch näher ausgeführt, welche Abklärungen durch die Verwaltung oder das kantonale Gericht zu tätigen seien. Es seien jedenfalls keine konkreten Anhaltspunkte dafür zu finden, dass die jährlichen Unkosten zwischen Fr. 50'000.- und Fr. 60'000.- gelegen hätten, was 30 % des Lohnes des B.________ entsprechen würde. In den Lohnausweisen würden jeweils Pauschalspesen von Fr. 6'000.- angegeben. Aufgrund der Einheit der Rechtsordnung könnten die Unkosten im Steuerrechtsverfahren nicht weniger hoch sein als im AHV-Beitragsverfahren. Die Unkosten seien daher auch im vorliegenden Verfahren anhand der Lohnausweise zu ermitteln.  
 
4.2. Die Beschwerdeführerin hält dagegen, sie habe ihre Buchhaltungsunterlagen offengelegt; der Mangel an Belegen oder Abrechnungen sei direkte Folge der seit über 40 Jahren gültigen Pauschalspesenabrede. Aus dem in den Buchhaltungsunterlagen ersichtlichen "Vertreteraufwand" könne nur abgeleitet werden, dass entsprechende Zahlungen an B.________ belegt seien und die Beschwerdeführerin nur den (tieferen) Pauschalabzug geltend gemacht habe.  
 
4.3. Gemäss unbestrittenen und nicht offensichtlich unrichtigen Feststellungen der Vorinstanz sind den Akten keine Abrechnungen oder Belege über die tatsächlichen Unkosten des B.________ zu entnehmen. Dass die gemäss Buchhaltung unter dem Titel "Vertreteraufwand" an B.________ geleisteten Zahlungen tatsächlich entstandene Unkosten darstellen, behauptet die Beschwerdeführerin auch im bundesgerichtlichen Verfahren nicht. Ausser der Berufung auf den Vertrauensschutz, der - wie dargelegt - vorliegend nicht greift, bringt die Beschwerdeführerin keine Gründe vor, weshalb die vom massgebenden Lohn abzuziehende Unkostenpauschale anders als im steuerrechtlichen Verfahren festgelegt werden sollte. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb von der vorinstanzlichen Festsetzung eines Unkostenabzugs von Fr. 6'000.- jährlich abgewichen werden sollte.  
 
5.  
Zusammenfassend hat die Vorinstanz - nicht offensichtlich unrichtig und damit für das Bundesgericht verbindlich - festgestellt, dass die Beschwerdeführerin keine irreversiblen Dispositionen dargelegt hat und sich daher nicht auf den Vertrauensschutz berufen kann. Ebensowenig sind Gründe ersichtlich, weshalb vorliegend nicht auf die in den Lohnausweisen festgehaltenen Unkosten von Fr. 6'000.- jährlich abgestützt werden sollte. Die Beschwerde ist demnach abzuweisen. 
 
6.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und B.________ schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 23. September 2024 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Stadelmann 
 
Die Gerichtsschreiberin: Bögli