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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_619/2023  
 
 
Urteil vom 23. Oktober 2024  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, 
Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiber Grünenfelder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Christe, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung 
(Invalidenrente, Valideneinkommen), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 22. August 2023 (VBE.2022.463). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1972 geborene A.________, ausgebildete Gärtnerin und Pferdepflegerin mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ), arbeitet seit Dezember 2020 im 50 %-Pensum als Sachbearbeiterin (Empfang) bei der B.________ AG. Mitte Juni 2021 meldete sie sich unter Hinweis auf chronische (neuropathische) Schmerzen und Schwäche im linken Arm und Bein (Rückenoperationen in den Jahren 2009 und 2015) bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau führte medizinische sowie erwerbliche Abklärungen durch und unterbreitete die Akten ihrem Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD). Mit Verfügung vom 24. August 2022 verneinte sie einen Rentenanspruch, da keine rentenbegründende Erwerbseinbusse vorliege (Invaliditätsgrad: 38 %). 
 
B.  
Die dagegen erhobene, vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich weitergeleitete Beschwerde der A.________ wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 22. August 2023 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem sinngemässen Rechtsbegehren, in Aufhebung des versicherungsgerichtlichen Urteils und der Verfügung vom 24. August 2022 sei ihr ab 1. Dezember 2021 eine halbe Invalidenrente zuzusprechen. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2 mit Hinweis). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen betreffend Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG) sowie über die Voraussetzungen des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG) korrekt dargelegt. Richtig sind auch die Ausführungen zur Invaliditätsbemessung nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG). Darauf wird verwiesen.  
 
2.2. Das Valideneinkommen ist dasjenige Einkommen, das die versicherte Person erzielen könnte, wäre sie nicht invalid geworden (Art. 16 ATSG). Nach der Rechtsprechung ist entscheidend, was diese im massgebenden Zeitpunkt des frühestmöglichen Rentenbeginns aufgrund ihrer beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Umstände nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit verdient hätte (BGE 145 V 141 E. 5.2.1). In der Regel ist am zuletzt erzielten, nötigenfalls der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung angepassten Lohn anzuknüpfen, da es empirischer Erfahrung entspricht, dass die bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden fortgesetzt worden wäre; Ausnahmen müssen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt sein (BGE 144 I 103 E. 3). Erst wenn sich das Valideneinkommen aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse nicht hinreichend genau beziffern lässt, darf auf statistische Werte wie die vom Bundesamt für Statistik (BfS) herausgegebene schweizerische Lohnstrukturerhebung (nachfolgend: LSE) zurückgegriffen werden, soweit dabei die für die Entlöhnung im Einzelfall relevanten persönlichen und beruflichen Faktoren mitberücksichtigt werden (BGE 144 I 103 E. 5.3 mit Hinweisen; Urteil 8C_523/2022 vom 23. Februar 2023 E. 7.1). Insbesondere wenn die versicherte Person als Gesunde nicht mehr an der bisherigen Arbeitsstelle tätig wäre, ist das Valideneinkommen praxisgemäss mittels statistischer Werte zu bestimmen (statt vieler: SVR 2021 UV Nr. 26 S. 123, 8C_581/2020 E. 6.3 mit Hinweisen; 2009 IV Nr. 58, S. 181, 9C_5/2009 E. 2.3; Urteil 8C_214/2023 vom 20. Februar 2024 E. 4.2.1).  
 
3.  
Unbestritten geblieben sind vorliegend der Grad der noch zumutbaren Arbeitsfähigkeit von 50 % für leidensangepasste Tätigkeiten sowie das in diesem Pensum von der Beschwerdeführerin bei der B.________ AG als Sachbearbeiterin (Empfang) im Jahr 2021 erzielte Invalideneinkommen von Fr. 37'960.-. 
Streitig und zu prüfen ist hingegen die Höhe des hypothetischen Einkommens ohne Invalidität (Valideneinkommen). 
 
3.1. Das kantonale Gericht hat im Wesentlichen befunden, die erlernten Berufe seien der Beschwerdeführerin aus gesundheitlichen Gründen bereits seit dem Jahr 2015 nicht mehr zumutbar. Deren Ausbildungs- und Erwerbsbiografie weise keine Übereinstimmung mit der aktuellen Bürotätigkeit auf. Daher erscheine überwiegend wahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt des frühestmöglichen Rentenbeginns (weiterhin) als Pferdepflegerin arbeiten würde, wäre sie gesund geblieben. Das somit anhand der LSE festzulegende Valideneinkommen belaufe sich, indexiert für das Jahr 2021, auf Fr. 62'508.10 (LSE 2020, Tabelle T17, Ziffer 6, "Fachkräfte in Land- und Forstwirtschaft und Fischerei", Total, Frauen; Fr. 4'781.- x 12 x 43.3 /40 x 108,6 /107.9). Diesem sei das im 50 %-Pensum effektiv erzielte Invalideneinkommen von Fr. 37'960.- gegenüberzustellen. Gestützt darauf hat das kantonale Gericht einen Invaliditätsgrad von (gerundet) 39 % ermittelt und die Verfügung vom 24. August 2022 im Ergebnis bestätigt.  
 
3.2. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, die Vorinstanz sei in Willkür verfallen und habe den Beweisgrundsatz der überwiegenden Wahrscheinlichkeit verletzt, indem sie das Valideneinkommen anhand der früheren Berufstätigkeit als Pferdepflegerin festgelegt habe. Abzustellen sei diesbezüglich vielmehr auf das bei der B.________ AG erzielte Invalideneinkommen, welches auf das Doppelte, nämlich ein 100 %-Pensum, hochgerechnet werden müsse. Daraus resultiere ein Invaliditätsgrad von 50 %, was einen Anspruch auf eine halbe Invalidenrente ab 1. Dezember 2021 zur Folge habe.  
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz hat verbindlich (vgl. E. 1 hiervor) festgestellt, die Beschwerdeführerin verfüge seit dem Jahr 1992 über eine Ausbildung als Gärtnerin und zudem (seit 2010) über eine solche als Pferdepflegerin. Nach der Heirat im Jahr ihres ersten Lehrabschlusses habe sie im landwirtschaftlichen Betrieb ihres Ehegatten eine Pferdepension mit Reitschule sowie eigener Pferdezucht aufgebaut und dabei Lernende im Fachbereich "Pferdewart" betreut. Im Verlaufe der Zeit (seit 2010) sei eine Hundezucht hinzugekommen, welche die Beschwerdeführerin fortan als Nebenerwerb betrieben habe. Ab dem Jahr 2015 habe sie die Tätigkeiten mit Pferden aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen und sich ausschliesslich der Hundezucht gewidmet. Nach der Trennung und nachfolgenden Scheidung sei es schliesslich zur beruflichen Neuorientierung gekommen mit dem Verlassen des ehelichen Betriebs und der Aufnahme der aktuellen Tätigkeit als Sachbearbeiterin (Empfang) im Dezember 2020.  
 
4.2. Wie im versicherungsgerichtlichen Urteil dargelegt, fehlen konkrete Anhaltspunkte, dass die gegenwärtige Administrativtätigkeit bei der B.________ AG im Gesundheitsfall gleichermassen ausgeübt würde. Die Vorinstanz hat die erwerbsbiografischen Angaben der Beschwerdeführerin und dabei insbesondere deren Ausbildung und mehrjährige Tätigkeit im angestammten Beruf als Pferdepflegerin in nicht zu beanstandender Weise berücksichtigt (vorinstanzliche Erwägung 3.3.3). Wird dem seitens der Beschwerdeführerin hauptsächlich entgegengehalten, diese Tätigkeit sei eng mit der Führung des ehelichen Landwirtschaftsbetriebs verbunden gewesen, aus welchem sie nach dem Scheitern ihrer Beziehung habe ausscheiden müssen, so greift dies zu kurz. Wohl würde die Beschwerdeführerin aufgrund der Trennung und späteren Ehescheidung von ihrem Ehemann als Gesunde nicht mehr im gemeinsam geführten Gewerbe arbeiten. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Ende 2020 vollzogene Berufswechsel auch ohne gesundheitliche Beeinträchtigung erfolgt wäre, kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Etwaige in diese Richtung zielende Stellenbemühungen sind denn auch nicht dokumentiert, was den Standpunkt der Vorinstanz stützt. Vielmehr war die Beschwerdeführerin gemäss ihren erwerbsbiografischen Angaben als Gesunde zu keinem Zeitpunkt am Empfang oder anderweitig im Büro erwerbstätig. Selbst nachdem die mit ihrem Rückenleiden zusammenhängenden körperlichen Einschränkungen eine weitere Berufstätigkeit im Bereich Pferdepflege und -zucht verunmöglichten, strebte sie weder innerhalb noch ausserhalb des seinerzeitigen Landwirtschaftsbetriebs eine Tätigkeit an, welche mit derjenigen bei der B.________ AG auch nur ansatzweise vergleichbar gewesen wäre. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die von ihr aufgebaute Hundezucht. Dass sie Jahre nach Eintritt des Gesundheitsschadens die von einer Kundin angebotene Stelle als Sachbearbeiterin (Empfang) annahm, lässt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin für sich allein keine Rückschlüsse auf die (hypothetische) Berufs- und Einkommensentwicklung im Gesundheitsfall zu. Denn dabei handelte es sich, wie die Vorinstanz willkürfrei (vgl. E. 1 hiervor) festgestellt hat, lediglich um einen Wechsel in der Verweistätigkeit. Ein solcher hat im hier interessierenden Zusammenhang unbeachtlich zu bleiben.  
 
4.3. Nichts daran zu ändern vermag das in der Beschwerde angeführte Urteil 9C_189/2008 vom 19. August 2008 (publ. in: SVR 2009 IV Nr. 6 S. 11). Dabei ging es um eine versicherte Person, deren früherer Arbeitgeber die Erhöhung des Pensums von 80 % auf 100 % aus wirtschaftlichen Gründen nicht finanzieren konnte. Somit war ihr anstelle des entsprechenden tatsächlichen Verdienstes das Doppelte des bei 50%iger Arbeitsfähigkeit erzielten Invalideneinkommens als Valideneinkommen anzurechnen. Inwieweit diese Ausgangslage mit der vorliegenden vergleichbar sein soll, ist weder nachvollziehbar noch in der Beschwerde (substanziiert) dargelegt. Die vorinstanzliche Schlussfolgerung, die Beschwerdeführerin würde ohne gesundheitliche Einschränkung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als Pferdepflegerin arbeiten, hält vor Bundesrecht stand. Daraus folgt das von der Vorinstanz zu Recht bestätigte Abstellen auf die einschlägigen LSE-Tabellenwerte (zur Anwendung der Tabelle TA7 respektive T17 [ab 2012]: BGE 148 V 174 E. 6.3; SVR 2022 UV Nr. 47 S. 188, 8C_156/2022 E. 6.1).  
 
5.  
Die übrige Invaliditätsbemessung wird - wie schon im vorinstanzlichen Verfahren - nicht in Abrede gestellt. Da in dieser Hinsicht kein offensichtlicher Rechtsfehler vorliegt (vgl. E. 1 hiervor), erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist daher abzuweisen. 
 
6.  
Dem Verfahrensausgang entsprechend hat die unterliegende Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der B.________ AG schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 23. Oktober 2024 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder