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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_53/2024  
 
 
Urteil vom 24. Juli 2024  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Haag, Müller, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. Gemeinderat Herisau, 
Poststrasse 6, Postfach 1160, 9102 Herisau, 
2. Beratungsstelle für Flüchtlinge, 
Bahnhofstrasse 4, 9100 Herisau, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. A.________, 
2. B.________ GmbH, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Petrik, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Datenauskunft, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden, Einzelrichter, vom 18. Dezember 2023 (ERV 23 39). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die B.________ GmbH erbringt u.a. Dienstleistungen im Bereich der sozialpädagogischen Familienbegleitung von Flüchtlingen in der Gemeinde Herisau. Ihr Geschäftsführer ist A.________. Mit Eingabe vom 24. Januar 2023 ersuchten die B.________ GmbH und A.________ den Rechtsdienst der Gemeinde Herisau um Auskunft darüber, welche Daten im Zusammenhang mit der Tätigkeit als migrationssensitive sozialpädagogische Familienbegleitung (MSPF) bearbeitet würden. Begründet wurde das Gesuch damit, dass eine von der B.________ GmbH begleitete Familie der kommunalen Beratungsstelle für Flüchtlinge (im Folgenden: Beratungsstelle) mittels Formular über die Arbeitszeiten der Mitarbeitenden der B.________ GmbH und die Inhalte der Gespräche habe Bericht erstatten müssen. Mit Verfügung vom 7. Februar 2023 hielt die Beratungsstelle fest, dass es keine Datenbearbeitung über die B.________ GmbH, A.________ oder andere Mitarbeitende gegeben habe. Es gebe weder Formulare noch seien Personen zur Berichterstattung aufgefordert worden. Einen von der B.________ GmbH und A.________ gegen diese Verfügung erhobenen Rekurs wies der Gemeinderat Herisau mit Entscheid vom 20. Juni 2023 ab. 
In der Folge legten die B.________ GmbH und A.________ beim Obergericht Appenzell Ausserrhoden Rekurs ein. Mit Urteil vom 18. Dezember 2023 hiess das Obergericht (bzw. dessen Einzelrichter) die Beschwerde gut und hob den Rekursentscheid des Gemeinderats auf. Es wies die Beratungsstelle für Flüchtlinge an, der B.________ GmbH und A.________ umgehend nach Rechtskraft Einsicht in allfällige weitere Daten zu gewähren, in denen Flüchtlingsfamilien dazu angehalten worden waren, Informationen über die Tätigkeit der B.________ GmbH und deren Mitarbeitende zu beschaffen. Zur Begründung führte es aus, die B.________ GmbH und A.________ hätten ihrer Rechtsmitteleingabe an den Gemeinderat ein Formular beigelegt, das die Spalten "Datum", "Zeit von bis", "Personen", "Name" und "Thema/Warum Termin" enthalte. In diesem Formular seien zu verschiedenen Besprechungen handschriftliche Informationen einer von der B.________ GmbH begleiteten Familie enthalten. C.________ habe das ausgefüllte Formular am 7. November 2022 der Beratungsstelle für Flüchtlinge per E-Mail geschickt. Mit Duplik vom 8. Mai 2023 habe die Beratungsstelle eingeräumt, die Bereichsleiterin habe das Formular der Familie D.________/C.________ auf deren Wunsch als Muster für die Terminplanung mitgegeben. Die Beratungsstelle habe erklärt, ein Missverständnis sei aufgrund der mangelhaften Deutschkenntnisse der Familie nicht ausgeschlossen; man habe das E-Mail vom 7. November 2022 bzw. die Tabelle denn auch nicht im Dossier abgelegt, sondern gelöscht und erst für die Zwecke des Verfahrens aus dem Archivordner wiederhergestellt. Das Obergericht hielt allerdings nicht für glaubhaft, dass das Formular bloss eine Hilfestellung für die Organisation der Termine der betroffenen Familie gewesen sei. Gegen diese Darstellung spreche, dass in der Namensspalte die Namen von Mitarbeitenden der B.________ GmbH vorgedruckt seien. Insgesamt hätte die Einreichung des Formulars im Rekursverfahren vor dem Gemeinderat zu einer Gutheissung des Rekurses führen müssen. 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 24. Januar 2024 beantragen der Gemeinderat Herisau und die Beratungsstelle für Flüchtlinge, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und der Entscheid des Gemeinderats zu bestätigen.  
Das Obergericht beantragt die Abweisung der Beschwerde und verweist zur Begründung auf das angefochtene Urteil. Der Gemeinderat hat sich in der Folge zweimal unaufgefordert vernehmen lassen und weitere Unterlagen eingereicht. Die Beschwerdegegner beantragen ebenfalls die Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdeführer haben eine Replik eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend Informationszugang gestützt auf das Gesetz des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 18. Juni 2001 über den Datenschutz (Datenschutzgesetz; bGS 146.1). Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zur Verfügung (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG).  
 
1.2. Zu prüfen ist, ob der Gemeinderat und die Beratungsstelle für Flüchtlinge gemäss Art. 89 BGG zur Beschwerde berechtigt sind. Nach Art. 42 Abs. 1 BGG müssen die Beschwerdeführer die Tatsachen darlegen, aus denen sich ihre Beschwerdeberechtigung ergibt, soweit diese nicht offensichtlich gegeben ist (BGE 141 IV 289 E. 1.3 mit Hinweisen). Eine Bejahung des Beschwerderechts nach Art. 89 Abs. 2 lit. c oder d BGG fällt nicht in Betracht und wird von den Beschwerdeführern auch nicht geltend gemacht. Sie sind vielmehr der Auffassung, nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt zu sein. In den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen jedoch einzig Rechtssubjekte, wozu auch Gemeinden als öffentlich-rechtliche Körperschaften gehören, nicht aber Behörden oder Verwaltungszweige (BGE 141 I 253 E. 3.2; Urteile 2C_557/2023 vom 1. Mai 2024 E. 3.2; 9C_460/2021 vom 1. April 2022 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 148 V 242; 1C_241/2022 vom 3. November 2022 E. 1.3; je mit Hinweisen). Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass im bundesgerichtlichen Verfahren der Gemeinderat als Organ der Gemeinde Herisau handelt - und somit entgegen den Angaben in der Beschwerdeschrift nicht Ersterer, sondern Letztere als Verfahrenspartei zu betrachten wäre - wäre das Beschwerderecht zu verneinen, wie aus den nachfolgenden Erwägungen hervorgeht.  
 
1.3. Gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a), durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist (lit. b), und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c). Diese Regelung ist in erster Linie auf Privatpersonen zugeschnitten, doch kann sich auch das Gemeinwesen darauf stützen, falls es durch einen angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich wie eine Privatperson oder aber in spezifischer, schutzwürdiger Weise in der Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe betroffen wird, namentlich wenn einem Entscheid präjudizielle Bedeutung für die öffentliche Aufgabenerfüllung zukommt. Die Beschwerdebefugnis zur Durchsetzung hoheitlicher Anliegen setzt eine erhebliche Betroffenheit in wichtigen öffentlichen Interessen voraus. Das allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung begründet keine Beschwerdebefugnis im Sinne dieser Regelung. Gestützt auf die allgemeine Legitimationsklausel von Art. 89 Abs. 1 BGG sind Gemeinwesen nur restriktiv zur Beschwerdeführung zuzulassen (BGE 147 II 227 E. 2.3.2; 138 II 506 E. 2.1.1; Urteil 2C_557/2023 vom 1. Mai 2024 E. 3.5; je mit Hinweisen).  
Die hier umstrittene Datenbearbeitung betrifft die amtliche Tätigkeit der Gemeinde (vgl. dazu auch Art. 1 Datenschutzgesetz, wonach das Gesetz dem Schutz der Grundrechte von Personen dient, über welche öffentliche Organe Daten bearbeiten). Diese ist durch das angefochtene Urteil deshalb nicht wie eine Privatperson betroffen (Urteil 1C_566/2021 vom 2. August 2023 E. 1.2.2).  
Hinsichtlich der Durchsetzung hoheitlicher Anliegen als weiterer Anwendungsfall der Beschwerdelegitimation nach Art. 89 Abs. 1 BGG weisen die Beschwerdeführer auf angebliche finanzielle Auswirkungen hin, deren Erheblichkeit sie jedoch nicht aufzeigen (vgl. Art. 42 Abs. 1 BGG und E. 1.2 hiervor). Zudem befürchten sie einen Reputationsschaden sowie personalrechtliche, aufsichtsrechtliche und allenfalls gar strafrechtliche Konsequenzen für die Gemeinde und deren Personal, wenn der Vorwurf zuträfe, dass "hinterrücks und unrechtmässig" Daten beschafft worden seien. Auch behaupten sie, die Gemeinde hätte dem angefochtenen Urteil zufolge jegliche ihr zugegangenen Daten zu speichern und zu archivieren, völlig unabhängig von Inhalt und Relevanz. Mit diesen Vorbringen überschätzen sie jedoch die präjudizielle Bedeutung des angefochtenen Entscheids. Dieser verpflichtet die Gemeinde keineswegs dazu, sämtliche ihr zugegangenen Daten zu speichern und zu archivieren. Vielmehr liegt seine Bedeutung im Wesentlichen in der Interpretation der konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. Urteil 1C_566/2021 vom 2. August 2023 E. 1.2.5). Dass die Aussicht darauf besteht, dass sich diese Umstände in Zukunft wiederholen könnten, behaupten die Beschwerdeführer nicht. Vielmehr machten sie gemäss den vorinstanzlichen Ausführungen im kantonalen Verfahren sogar geltend, dass mit der Abgabe des Formulars keine Absicht der Informationsbeschaffung verbunden gewesen sei und wiesen auf ein mögliches sprachliches Missverständnis hin. Streitgegenstand im Verfahren vor Obergericht war weiter nicht eine Feststellung betreffend eine geheime Überwachung, sondern lediglich der Anspruch auf Auskunft über bearbeitete Daten. Dass die Bejahung dieses Anspruchs im konkreten Einzelfall die Gemeinde erheblich in wichtigen öffentlichen Interessen betreffen könnte, ist nicht erkennbar. 
 
2.  
Auf die Beschwerde ist aus diesen Erwägungen nicht einzutreten. 
Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Die unterliegenden Beschwerdeführer haben den anwaltlich vertretenen Beschwerdegegnern eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Die Beschwerdeführer haben den Beschwerdegegnern eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht Appenzell Ausserrhoden, Einzelrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 24. Juli 2024 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold