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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_1134/2024  
 
 
Urteil vom 27. November 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiber Schurtenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Gebhard, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Allgemeine Abteilung, Beckenstube 5, 8200 Schaffhausen. 
 
Gegenstand 
Haftentlassung/Verlängerung der Untersuchungshaft, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 26. September 2024 (51/2024/53). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen Verdachts auf mehrfachen Raub, mehrfachen Diebstahl, mehrfache Drohung, Schrecken der Bevölkerung und weiterer Delikte. In deren Rahmen wurde A.________ am 12. Mai 2023 festgenommen und mit Entscheid des Kantonsgerichts Schaffhausen, Zwangsmassnahmengericht, vom 15. Mai 2023 sowie Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 9. Juni 2023 in Untersuchungshaft versetzt. Mit Urteil vom 4. Juli 2023 ordnete das Bundesgericht seine sofortige Freilassung aus der Haft an (Verfahren 1B_323/2023). Am 13. Juni 2024 wurde A.________ erneut polizeilich festgenommen und mit Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 17. Juni 2024 wegen Flucht-, Kollusions- und Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft versetzt. 
 
B.  
Mit Gesuch vom 26. August 2024 verlangte A.________ seine Entlassung aus der Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft beantragte ihrerseits die Abweisung dieses Ersuchens und zugleich die Verlängerung der angeordneten Untersuchungshaft bis zum 29. November 2024 wegen Flucht- und Wiederholungsgefahr. Mit Verfügung vom 4. September 2024 wies das Zwangsmassnahmengericht das Haftentlassungsgesuch von A.________ ab und verlängerte die Untersuchungshaft bis am 29. November 2024. Das Obergericht wies die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 26. September 2024 ab, da es das Vorliegen von Wiederholungsgefahr bejahte. 
 
C.  
Mit Eingabe vom 24. Oktober 2024 erhob A.________ beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, den angefochtenen Entscheid des Obergerichts (wie auch den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts) aufzuheben, und ihn unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Eventualiter sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Dabei sei festzuhalten, "dass die Vorinstanz und das erstinstanzliche Zwangsmassnahmengericht das Beschleunigungsgebot gemäss Art. 5 Abs. 2 StPO und Art. 31 Abs. 4 BV verletzt haben". Weiter beantragt er die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren. 
Die Vorinstanz hat mit Schreiben vom 28. Oktober 2024 die Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Staatsanwaltschaft hat sich mit Eingabe vom 1. November 2024 vernehmen lassen und ebenfalls die Abweisung der Beschwerde beantragt. Mit Schreiben vom 6. November 2024 reichte sie eine forensisch-psychiatrische Risikobeurteilung und Begutachtung vom 5. November 2024 ein. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der angefochtene kantonal letztinstanzliche Entscheid betrifft die Beurteilung eines Gesuchs um Entlassung aus der Untersuchungshaft (Art. 228 StPO). Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und befindet sich, soweit aus den Akten ersichtlich, nach wie vor in Haft. Er ist deshalb nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.  
 
1.2. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Echte Noven, das heisst Tatsachen oder Beweismittel, die sich nach dem angefochtenen Entscheid ereignet haben oder danach entstanden sind, sind unzulässig (BGE 143 V 19 E. 1.2 mit Hinweisen). Das von der Staatsanwaltschaft eingereichte Gutachten wurde erst nach dem angefochtenen Entscheid erstellt und ist für das vorliegende Verfahren daher unbeachtlich.  
 
2.  
Nach Art. 221 StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft unter anderem zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie durch Verbrechen oder schwere Vergehen die Sicherheit anderer unmittelbar erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (Abs. 1 lit. c; sog. einfache Wiederholungsgefahr). Zulässig ist die Haft sodann ausnahmsweise, wenn die beschuldigte Person dringend verdächtig ist, durch ein Verbrechen oder ein schweres Vergehen die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer Person schwer beeinträchtigt zu haben und die ernsthafte und unmittelbare Gefahr besteht, die beschuldigte Person werde ein gleichartiges, schweres Verbrechen verüben (Abs. 1bis; sog. qualifizierte Wiederholungsgefahr). An Stelle der Haft sind Ersatzmassnahmen anzuordnen, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 212 Abs. 2 lit. c und Art. 237 ff. StPO). 
Die Vorinstanz hat sowohl das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts als auch den besonderen Haftgrund der (einfachen) Wiederholungsgefahr bejaht. Ob (auch) die Voraussetzungen des besonderen Haftgrunds der qualifizierten Wiederholungsgefahr erfüllt sind, war nicht Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens. 
 
3.  
 
3.1. Nach dem Wortlaut von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO sind für die Annahme von einfacher Wiederholungsgefahr früher verübte gleichartige Straftaten erforderlich (siehe Urteile 7B_1035/2024 vom 19. November 2024 E. 2, zur Publikation vorgesehen; 7B_1022/2023 vom 11. Januar 2024 E. 4.2.1; 7B_448/2023 vom 5. September 2023 E. 3.3.2).  
 
3.2. Der Beschwerdeführer rügt, mangels einschlägiger rechtskräftiger Verurteilungen sei das Vortatenerfordernis nicht erfüllt und liege damit keine Wiederholungsgefahr im Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO vor.  
 
3.3. Der Vorinstanz ist darin zuzustimmen, dass nach der Rechtsprechung zu aArt. 221 Abs. 1 lit. c StPO - auf die sie sich beruft - die Vortaten (auch bloss) Gegenstand eines noch hängigen Strafverfahrens bilden konnten, sofern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die beschuldigte Person solche Straftaten begangen hat (BGE 150 IV 149 E. 3.1.3; 146 IV 326 E. 3.1; 143 IV 9 E. 2.3.1; 137 IV 84 E. 3.2 mit Hinweisen).  
Mit Urteil 7B_1035/2024 vom 19. November 2024 hat das Bundesgericht indessen festgehalten, dass sich diese Rechtsprechung unter dem neuen Recht nicht weiterführen lässt. Vielmehr ergibt die Auslegung von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO, dass die beschuldigte Person nur noch wegen einfacher Wiederholungsgefahr im Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO inhaftiert werden kann, wenn sie bereits zuvor wegen mindestens zwei gleichartigen Straftaten verurteilt worden ist (E. 2, zur Publikation vorgesehen, mit ausführlichen Nachweisen). 
 
3.4. Da der Beschwerdeführer in der Vergangenheit nicht für gleichartige Straftaten verurteilt worden ist, sind die Voraussetzungen für Untersuchungshaft aufgrund einfacher Wiederholungsgefahr nicht erfüllt. Die Beschwerde erweist sich insoweit als begründet.  
 
4.  
Der Beschwerdeführer beantragt seine unverzügliche Entlassung aus der Sicherheitshaft. 
 
4.1. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde angeführten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 145 V 215 E. 1.1). Dabei legt das Bundesgericht seinem Urteil jedoch grundsätzlich jenen Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 BGG).  
 
4.2. Dem Beschwerdeführer wird insbesondere mehrfacher Raub (unter Mitführung einer Handklappsäge und eines Teppichmessers) vorgeworfen. Dabei handelt es sich um ein mutmasslich schweres Verbrechen, das mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (Art. 140 Ziff. 1 StGB) oder gar Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr bestraft wird, wenn der Räuber zum Zwecke des Raubes eine Schusswaffe oder andere gefährliche Waffe mit sich führt (Art. 140 Ziff. 2 StGB). Die Vorinstanz hält fest, der Beschwerdeführer habe seine Opfer nicht bloss in Angst und Schrecken versetzt, sondern das letzte mutmasslich durch ihn verübte Raubdelikt zeige zudem, dass er auch gewillt sei, seine Opfer körperlich anzugehen. Die Gefahr ähnlicher Raubdelikte sei hoch, weshalb eine unmittelbare und schwere Bedrohung der öffentlichen Sicherheit vorliege. Angesichts dieser Ausführungen der Vorinstanz liegt - im Gegensatz noch zum Zeitpunkt des Urteils 1B_323/2023 vom 4. Juli 2023 - der Haftgrund der qualifizierten Wiederholungsgefahr gemäss Art. 221 Abs. 1bis StPO nahe.  
 
4.3. Das Bundesgericht substituiert indessen nur in Ausnahmefällen selber Haftgründe, zumal diesfalls das rechtliche Gehör des Inhaftierten gewahrt bleiben muss (Urteile 1B_24/2022 vom 3. Februar 2022 E. 5; 1B_478/2021 vom 28. September 2021 E. 4.1). Die Sache ist daher an die Vorinstanz zur Prüfung des Haftgrunds der qualifizierten Wiederholungsgefahr zurückzuweisen.  
 
5.  
Der Beschwerdeführer rügt für den Fall der Rückweisung der Sache an die Vorinstanz eine Verletzung des Beschleunigungsgebots. 
 
5.1. Dabei weist er zu Recht darauf hin, dass die kantonalen Instanzen nach dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen (vgl. Art. 5 Abs. 2 StPO; Art. 31 Abs. 4 BV) sowie aus Gründen der Prozessökonomie grundsätzlich gehalten sind, sämtliche infrage kommenden Haftgründe zu prüfen. Damit soll verhindert werden, dass die Rechtsmittelinstanz die Haftsache bei (teilweiser) Gutheissung der Beschwerde zur Prüfung weiterer Haftgründe zurückweisen muss (Urteile 7B_1035/2024 vom 19. November 2024 E. 3.1, zur Publikation vorgesehen; 7B_1022/2023 vom 11. Januar 2024 E. 3.2; 1B_323/2023 vom 4. Juli 2023 E. 4.1; 1B_197/2023 vom 4. Mai 2023 E. 4.5; je mit Hinweisen).  
 
5.2. Indessen ist zu beachten, dass die Vorinstanz das Vorliegen des Haftgrunds der einfachen Wiederholungsgefahr gestützt auf eine langjährige und etablierte Praxis des Bundesgerichts bejaht hatte und es - gerade mit Blick auf das Beschleunigungsgebot - für sie keinen Anlass gab, auch den Haftgrund der qualifizierten Wiederholungsgefahr zu prüfen. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet.  
 
6.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zur Prüfung des Haftgrunds der qualifizierten Wiederholungsgefahr im Sinne von Art. 221 Abs. 1bis StPO an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Schaffhausen hat dem Beschwerdeführer eine angemessene Entschädigung zu bezahlen (Art. 68 BGG). Da der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege ersucht, ist die Entschädigung praxisgemäss seinem Rechtsvertreter zuzusprechen. Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird damit gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.  
 
1.2. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 26. September 2024 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.  
 
1.3. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.  
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Schaffhausen hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Roger Gebhard, für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.00 zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen und dem Kantonsgericht Schaffhausen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. November 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger