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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_724/2022  
 
 
Urteil vom 29. März 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, Beusch, 
Gerichtsschreiber Seiler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________ und B.A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Veranlagungsbehörde Solothurn, Werkhofstrasse 29c, 4509 Solothurn, 
Kantonales Steueramt Solothurn, Schanzmühle, Werkhofstrasse 29c, 4509 Solothurn, 
 
Kantonale Steuerverwaltung Wallis, Bahnhofstrasse 35, 1951 Sitten. 
 
Gegenstand 
Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Solothurn und direkte Bundessteuer, Steuerperioden 2014-2016, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonalen Steuergerichts Solothurn vom 29. August 2022 (SGSTA.2021.21 / BST.2021.20). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.A.________ und B.A.________ wohnen in der Stadt B.________/SO. Sie erwarben im Jahr 2013 in C.________/VS eine Alphütte für Fr. 210'000.-, die sie in den Jahren 2014 bis 2016 sanierten und umbauten. Die Kosten für diese Arbeiten betrugen insgesamt Fr. 136'988.- (2014), Fr. 161'184.- (2015) und Fr. 88'811.- (2016). In ihren Steuererklärungen für die Jahre 2014, 2015 und 2016 machten sie werterhaltende Aufwendungen und Kosten für Energiesparmassnahmen im Umfang von Fr. 71'026.- (2014), Fr. 63'859.- (2015) und Fr. 35'082.- (2016) geltend. 
 
B.  
In den definitiven Veranlagungen für die Staatssteuer und die direkte Bundessteuer vom 2. August 2018 verweigerte die Veranlagungsbehörde Solothurn den geltend gemachten Abzug von Unterhaltskosten und Kosten für Energiesparmassnahmen, weil es sich bei den Arbeiten an der Alphütte um einen sogenannten "wirtschaftlichen Neubau" gehandelt habe. Die kantonalen Rechtsmittel von A.________ hiergegen blieben erfolglos (Einspracheentscheid der Veranlagungsbehörde Solothurn vom 20. Mai 2021; Urteil des Steuergerichts des Kantons Solothurn vom 29. August 2022). 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 14. Oktober 2022 beantragen A.A.________ und B.A.________ die Aufhebung des Urteils des Steuergerichts vom 29. August 2022 und (zusammengefasst) die deklarationsgemässe Festsetzung der Abzüge und der Steuerfaktoren für die direkte Bundessteuer und die Staatssteuer, eventualiter die Rückweisung zur Neubeurteilung an die Vorinstanz. 
Das Steueramt des Kantons Solothurn beantragt die Abweisung der Beschwerde, das Steuergericht die Abweisung, soweit auf die Beschwerde einzutreten sei. 
 
 
Erwägungen:  
 
I. Prozessuales  
 
1.  
Die Beschwerde wurde unter Einhaltung der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) eingereicht und richtet sich gegen einen Endentscheid einer letzten, oberen kantonalen Instanz in einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit (Art. 82 lit. a BGG, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG). Die Beschwerdeführer sind als Steuerpflichtige gemäss Art. 89 Abs. 1 sowie Abs. 2 lit. d BGG in Verbindung mit Art. 73 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14) zur Beschwerde legitimiert. 
Die Vorinstanz hat ein einziges Urteil für die Kantonssteuern sowie für die direkte Bundessteuer erlassen, was zulässig ist, soweit die zu entscheidenden Rechtsfragen im Bundesrecht und im harmonisierten kantonalen Recht gleich geregelt sind (BGE 135 II 260 E. 1.3.1). Unter diesen Umständen ist den Beschwerdeführern nicht vorzuwerfen, nicht zwei getrennte Beschwerden eingereicht zu haben; aus ihrer Eingabe geht deutlich hervor, dass Letztere beide Steuerarten betrifft (BGE 135 II 260 E. 1.3.2; Urteil 2C_839/2021 vom 27. Januar 2022 E. 1.2). 
 
2.  
 
2.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Berichtigung oder Ergänzung der vorinstanzlichen Feststellungen ist von Amtes wegen (Art. 105 Abs. 2 BGG) oder auf Rüge hin (Art. 97 Abs. 1 BGG) möglich. Von den tatsächlichen Grundlagen des vorinstanzlichen Urteils weicht das Bundesgericht jedoch nur ab, wenn diese offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen und die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang zudem entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 142 I 135 E. 1.6). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2). Eine entsprechende Rüge ist hinreichend zu substanziieren (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 147 I 73 E. 2.2).  
 
2.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es prüft die Anwendung des harmonisierten kantonalen Steuerrechts gleich wie Bundesrecht mit freier Kognition, jene des nicht-harmonisierten, autonomen kantonalen Rechts hingegen bloss auf Verletzung des Willkürverbots und anderer verfassungsmässiger Rechte (BGE 143 II 459 E. 2.1; 134 II 207 E. 2). Mit freier Kognition ist zu prüfen, ob das kantonale Recht mit dem Bundesrecht, namentlich dem StHG, vereinbar ist (Urteil 2C_1081/2015 vom 12. Dezember 2016 E. 1.4, nicht publ. in: BGE 143 II 33). In Bezug auf die Verletzung der verfassungsmässigen Rechte gilt nach Art. 106 Abs. 2 BGG eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (BGE 147 I 73 E. 2.1; 143 II 283 E. 1.2.2; 139 I 229 E. 2.2; 138 I 274 E. 1.6).  
 
II. Direkte Bundessteuer  
 
3.  
Die Vorinstanz hat den Abzug von werterhaltenden Aufwendungen und von Kosten für Energiesparmassnahmen für die Steuerjahre 2014, 2015 und 2016 vollständig verweigert. Sie war der Ansicht, dass die Beschwerdeführer die Alphütte einem "wirtschaftlichen Neubau" unterzogen hätten, weswegen die Aufwendungen integral als wertvermehrend zu charakterisieren seien und der Abzug bei der Einkommenssteuer gesamthaft zu verweigern sei. 
Die Beschwerdeführer machen geltend, dass es gegen Art. 32 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) verstosse, wenn ihnen für die streitbetroffene Abzug der Abzug von Unterhaltskosten und Kosten für Energiesparmassnahmen verweigert werde, obschon sie die angefallenen Aufwendungen in werterhaltende, wertvermehrende sowie Aufwendungen für Energiesparmassnahmen aufgeschlüsselt hätten. 
 
4.  
Die Vorinstanz stützte sich in ihrer Begründung auf mehrere, unpublizierte Urteile des Bundesgerichts (vgl. etwa Urteil 2C_153/2014 vom 9. September 2014 E. 2.2 f., in: StE 2014 B 25.6 Nr. 63; StR 70/2015 S. 157). Die in diesem Urteil vertretene Auffassung hat das Bundesgericht kürzlich in einem Leiturteil aufgegeben. Es hielt dafür, dass eine "wirtschaftliche" Gesamtbetrachtung eines Totalsanierungs-, Renovierungs- oder Umbauprojekts auf einer neu erworbenen Liegenschaft, aufgrund derer der einkommenssteuerliche Kostenabzug schematisch komplett und damit auch für Kostenbestandteile verweigert wird, die bei individueller Betrachtung aufgrund ihrer objektiv-technischen Natur eigentlich werterhaltender Natur wären, weder mit dem Wortlaut noch mit der Entstehungsgeschichte von Art. 32 Abs. 2 DBG vereinbar ist (Urteil 9C_677/2021 vom 23. Februar 2023 E. 4.5, zur Publikation vorgesehen). Nach dem Willen des Gesetzgebers ist für alle Arbeiten an einer neu erworbenen Liegenschaft - wie bei allen anderen Liegenschaftskosten - individuell aufgrund ihres objektiv-technischen Charakters - und unter Mitwirkung der steuerpflichtigen Person (Art. 126 Abs. 1 und 2 DBG) - abzuklären, ob sie dazu dienen, einen früheren Zustand der Liegenschaft wiederherzustellen, mithin werterhaltend wirken. Kann dies nicht festgestellt werden, ist im Bereich der Einkommenssteuer gemäss der Normentheorie (Art. 8 ZGB analog) zulasten der steuerpflichtigen Person davon auszugehen, dass die Kosten nicht der Instandstellung dienen und folglich nicht abgezogen werden können (Urteil 9C_677/2021 vom 23. Februar 2023 E. 4.5, zur Publikation vorgesehen, mit Hinweis auf KOCHER/ANZANTE, Von "Dumont" zum wirtschaftlichen Neubau, StR 75/2020 S. 710, S. 723). 
 
5.  
Das Vorbringen der Beschwerdeführer erweist sich vor dem Hintergrund dieser Praxisänderung als begründet (vgl. zur Anwendbarkeit von Praxisänderungen auf alle hängigen Fälle BGE 142 V 551 E. 4.1; 132 II 153 E. 5.1; 122 I 57 E. 3c/bb). Die Beschwerdeführer haben im kantonalen Verfahren detailliert aufgezeigt, welche Aufwendungen ihrer Ansicht nach werterhaltenden Charakter hätten oder Energiesparmassnahmen dienten. Die Vorinstanz hat die vorgenommenen Arbeiten zwar analysiert, sie aber letztlich doch nur im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gewürdigt, um daraus den Schluss zu ziehen, es liege ein wirtschaftlicher Neubau vor, weswegen der Abzug vollständig zu verweigern sei (vgl. angefochtenes Urteil E. 3.5.1-3.5.7). Aufgrund dieser im Lichte von E. 4 nunmehr rechtsfehlerhaften Auffassung hat sie die Darstellung der Beschwerdeführer hinsichtlich des objektiv-technischen Charakters der individuellen Arbeiten nicht geprüft. Da es nicht am Bundesgericht ist, die Sachverhaltsdarstellung und Beweismittel der Beschwerdeführer wie eine erste Gerichtsinstanz zu würdigen, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu Sachverhaltsergänzung und Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 BGG). 
 
III. Staatssteuer  
 
6.  
Die kantonale Regelung über den Abzug von Unterhalts- und insbesondere Instandstellungskosten für neu erworbene Liegenschaften sowie von Kosten für Energiesparmassnahmen entspricht der Regelung auf Bundesebene und ist im Übrigen durch das Harmonisierungsrecht vorgegeben (vgl. § 39 Abs. 3 des Gesetzes des Kantons Solothurn vom 1. Dezember 1985 über die Staats- und Gemeindesteuern [StG/SO; BGS 614.11] und Art. 32 Abs. 2 DBG sowie Art. 9 Abs. 3 StHG). Es kann daher auf die vorstehenden Erwägungen zur direkten Bundessteuer verwiesen werden. Auch betreffend die Staatssteuer ist die Sache folglich zur Sachverhaltsergänzung und Neubeurteilung (betr. satzbestimmendes Einkommen) an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
IV. Verfahrensausgang und Kosten  
 
7.  
Die Beschwerde erweist sich sowohl betreffend die direkte Bundessteuer als auch betreffend die Staats- und Gemeindesteuern als begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache ist an die Vorinstanz zur Sachverhaltsergänzung und Neubeurteilung zurückzuweisen. Die Gerichtskosten sind dem Kanton Solothurn aufzuerlegen, da er Vermögensinteressen verfolgt (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Die Beschwerdeführer haben sich vor Bundesgericht selbst vertreten. Ihnen steht demnach keine Parteientschädigung zu, zumal keine besonderen Verhältnisse ersichtlich sind (vgl. Art. 11 des Reglements vom 31. März 2006 über die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im Verfahren vor dem Bundesgericht [SR 173.110.210.3]). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird betreffend die direkte Bundessteuer gutgeheissen. D as Urteil des Kantonalen Steuergerichts Solothurn vom 29. August 2022 wird aufgehoben und die Sache wird an das Steuergericht zur Sachverhaltsergänzung und Neubeurteilung zurückgewiesen. 
 
2.  
Die Beschwerde wird betreffend die Staats- und Gemeindesteuer gutgeheissen. Das Urteil des Kantonalen Steuergerichts Solothurn vom 29. August 2022 wird aufgehoben und die Sache wird an das Steuergericht zur Sachverhaltsergänzung und Neubeurteilung zurückgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.- werden dem Kanton Solothurn auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonalen Steuergericht Solothurn und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 29. März 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Seiler