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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1B_350/2019  
 
 
Urteil vom 26. September 2019  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, Präsident, 
Bundesrichter Haag, Muschietti, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
1. unbekannt, 
2. Spital A.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Vetter, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Entsiegelung im Vorverfahren, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau vom 21. Juni 2019 (ZM.2019.58). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Kantonale Staatsanwaltschaft Aargau führt ein Strafverfahren gegen eine unbekannte Täterschaft wegen Betrug, betrügerischem Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage, ungetreuer Geschäftsbesorgung und Urkundenfälschung. Es bestehe der Verdacht, dass durch eine falsche Leistungserfassung in der Angiologie des Spitals A.________ zu hohe Beträge in den Honorarpool geflossen seien, was zu einem Vermögensschaden der Spital A.________ AG geführt habe. 
 
Gestützt auf eine Editionsverfügung gab die Spital A.________ AG der Staatsanwaltschaft am 20. Februar 2019 zwei USB-Sticks mit Daten heraus, wobei sie für einen der Sticks die Siegelung verlangte. 
 
Am 5. März 2019 stellte die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau ein Entsiegelungsgesuch und verlangte, das Zwangsmassnahmengericht habe die Patienten für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2015 zu eruieren und betreffend Entbindung vom Berufsgeheimnis anzufragen. Anschliessend seien die Daten der zustimmenden Patienten auszusondern, zu entsiegeln und der Staatsanwaltschaft für die weiteren Ermittlungen auszuhändigen. Die entstandenen Verfahrenskosten seien zudem der Spital A.________ AG aufzuerlegen. 
 
Am 11. April 2019 verfügte das Zwangsmassnahmengericht im Wesentlichen, der gesiegelte USB-Stick werde der B.________ GmbH mit der Ermächtigung zugestellt, das amtliche Siegel zu brechen. Die B.________ GmbH werde beauftragt, die Daten auf einen anderen Datenträger zu spiegeln und dem Zwangsmassnahmengericht mitzuteilen, wie gross der zeitliche und finanzielle Aufwand für die Anonymisierung aller sich auf dem USB-Stick befindlichen Namen und Wohnadressen der Patienten sei. 
 
Mit Schreiben vom 30. April 2019 teilte die B.________ GmbH dem Zwangsmassnahmengericht mit, es sei eine forensische Datensicherung erstellt worden. Die Daten, aufgeteilt in die drei Datenverzeichnisse "Daten H-Planer", "Fakturierung" und "Honorarabrechnung" seien einwandfrei lesbar. Eine Anonymisierung erfordere einen Aufwand von ca. 80 Arbeitsstunden zu Fr. 240.--. Das Zwangsmassnahmengericht brachte dieses Schreiben der Staatsanwaltschaft und der Spital A.________ AG zur Kenntnis, worauf Letztere beantragte, das Entsiegelungsgesuch abzuweisen. Die Staatsanwaltschaft ihrerseits verlangte, die B.________ GmbH sei zu beauftragen, die Patienten von Dr. med. C.________ schriftlich aufzufordern, diesen vom Arztgeheimnis zu entbinden. Anschliessend seien die Unterlagen und Daten der zustimmenden Patienten auszusondern und zu entsiegeln. Das Entsiegelungsverfahren betreffend die übrigen Patientendaten sei zu sistieren bis feststehe, dass diese Daten nicht mehr benötigt würden. 
 
Am 21. Juni 2019 erliess das Zwangsmassnahmengericht folgende Verfügung: 
 
"1. 
1.1 Das Entsiegelungsgesuch der Kantonalen Staatsanwaltschaft wird gutgeheissen und die Daten des USB-Sticks der Spital A.________ AG werden der Kantonalen Staatsanwaltschaft zur Durchsicht und Auswertung herausgegeben, sofern kumulativ 
a) 10 Tage nach Rechtskraft dieser Verfügung beim Zwangsmassnahmengericht eine Kostengutsprache für die Anonymisierung der Daten von der Kantonalen Staatsanwaltschaft in der Höhe von Fr. 20'000.-- eingeht und 
b) die Anonymisierung der Patientendaten auf dem USB-Stick der Kantonalen Staatsanwaltschaft durch die B.________ GmbH [...] vorgenommen wurde und zwar in der Form gemäss Bericht der B.________ GmbH [...] vom 30. April 2019. 
 
1.2 Der definitive Anonymisierungsauftrag an die B.________ GmbH [...] wird nach Rechtskraft der vorliegenden Verfügung und Eingang der Kostengutsprache mit separater Verfügung erteilt. 
 
2. 
Sollte die Kostengutsprache der Kantonalen Staatsanwaltschaft nicht fristgerecht eingehen, wird der B.________ GmbH [...] mit separater Verfügung der Auftrag zu unwiderruflichen Vernichtung des gespiegelten Original USB-Sticks auf externe Datenträger (Backup) und zur Herausgabe des Original USB-Sticks an das Zwangsmassnahmengericht erteilt. 
 
3. 
Die übrigen Begehren werden abgewiesen. 
 
4. 
Es werden keine Gebühren erhoben und keine Parteientschädigungen zugesprochen." 
 
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 10. Juli 2019 beantragt die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 21. Juni 2019 sei aufzuheben und der USB-Stick sei vollständig, nicht anonymisiert und bedingungslos zu entsiegeln. 
 
Das Zwangsmassnahmengericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Die Spital A.________ AG beantragt die Abweisung der Beschwerde und die Ablehnung der Entsiegelung. 
 
B.   
Das Bundesgericht hat der Beschwerde mit Präsidialverfügung vom 9. August 2019 aufschiebende Wirkung gegeben. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Bei der angefochtenen Verfügung handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid in einer Strafsache (Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 BGG i.V.m. Art. 248 Abs. 3 lit. a und Art. 380 StPO).  
 
1.2. Der Staatsanwaltschaft steht das Beschwerderecht in Strafsachen nach Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG grundsätzlich ohne Einschränkung zu (BGE 134 IV 36 E. 1.4 S. 39 ff. mit Hinweisen). Dies gilt auch für Beschwerden gegen die Ablehnung von Entsiegelungsgesuchen im Vorverfahren (Urteil 1B_249/2015 vom 30. Mai 2016 E. 1.4 mit Hinweisen, nicht publ. in BGE 142 IV 207).  
 
1.3. In Kantonen, in denen eine staatsanwaltliche Behörde für die Strafverfolgung aller Straftaten im ganzen Kantonsgebiet zuständig ist, hat praxisgemäss nur diese Behörde die Beschwerdeberechtigung gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG (BGE 142 IV 196 E. 1.5.2 S. 200). Dies trifft für die hier beschwerdeführende Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau zu (§ 4 Abs. 5 des aargauischen Einführungsgesetzes vom 16. März 2010 zur Schweizerischen Strafprozessordnung [EG StPO; SAR 251.200]).  
 
1.4.  
 
1.4.1. Die Beschwerde richtet sich gegen einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG. Dagegen ist die Beschwerde nach Absatz 1 dieser Bestimmung zulässig, wenn der Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a), oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Vorliegend fällt nur die erstgenannte Variante in Betracht. Beim drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteil muss es sich im Bereich der Beschwerde in Strafsachen um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Ein lediglich tatsächlicher Nachteil, wie die Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens, genügt nicht (BGE 141 IV 289 E. 1.2 S. 291 mit Hinweis). Es ist Sache der Staatsanwaltschaft darzutun, dass die Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG erfüllt sind (BGE 141 IV 289 E. 1.4 S. 292 mit Hinweisen). Geht es um die Frage, ob der Staatsanwaltschaft ein Beweismittel zur Verfügung steht oder nicht, so ist praxisgemäss entscheidend, ob die Weiterführung des Strafverfahrens verunmöglicht oder zumindest stark erschwert wird, beziehungsweise, ob ein empfindlicher und irreversibler Beweisverlust droht. Dies trifft nicht zu, wenn der Staatsanwaltschaft andere Untersuchungsmassnahmen zur Weiterführung des Strafverfahrens zur Verfügung stehen (BGE 141 IV 284 E. 2.4 S. 287 f.; 289 E. 1.4 S. 292; Urteil 1B_36/2016 vom 8. Juni 2016 E. 1.1; je mit Hinweisen).  
 
1.4.2. Die Oberstaatsanwaltschaft macht geltend, im Falle einer Anonymisierung der Patientendaten bestünde die Gefahr, dass der Beschuldigte bei einer Einvernahme nichts sagen könnte. Zudem würde eine Verifizierung seiner Aussagen bezüglich Datum, Art und Durchführung der Behandlung sowie Erstellung der Honorarabrechung etc. erfordern, dass Patienten befragt werden können. Eine Befragung der Patienten als Zeugen sei auch erforderlich, wenn der Beschuldigte keine Angaben mache.  
 
1.4.3. Das Zwangsmassnahmengericht legte dar, es gehe darum, von jedem einzelnen Patienten die ärztlichen Anordnungen und effektiven Behandlungen mit den in den verschiedenen Systemen erfassten Daten zu vergleichen, um Diskrepanzen zu eruieren, die möglicherweise ein deliktisches Verhalten nachweisen würden. Die Personalien der Patienten bzw. weitere Daten, die ihre Identifikation zuliessen, seien hierfür nicht von Bedeutung. Es sei auch nicht einzusehen, dass die unbekannte Täterschaft nur Aussagen über das mögliche deliktische Verhalten machen könnte, wenn sie die Personalien der Patienten kenne. Mit der Anonymisierung der Patientendaten werde die Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung der unbekannten Täterschaft aufrechterhalten und würden die sensiblen Personendaten geschützt.  
 
1.4.4. Im Urteil 1B_36/2016 vom 8. Juni 2016 hatte sich das Bundesgericht mit der Entsiegelung mehrerer tausend Patientenakten einer Ärztin zu befassen. Diese war verdächtigt, in Verletzung des Betäubungsmittelgesetzes suchtgefährdende Medikamente verkauft zu haben. Das Bundesgericht hielt fest, dass die Namen und Adressen der Patienten zu anonymisieren seien. Diese brauche die Staatsanwaltschaft für die Untersuchung nicht. Untersuchungsrelevante allgemeine Personendaten (namentlich Geschlecht und Geburtsjahrgänge) seien grundsätzlich nicht zu anonymisieren, soweit sie keine Identifizierung der einzelnen Personen ermöglichten. Falls sich bei der Durchsuchung herausstellen sollte, dass einzelne Patienten unerklärlich hohe Medikamentenmengen bezogen hätten, könnte die Anonymisierung ihrer Namen und Adressen nötigenfalls (und auf begründetes Teil-Entsiegelungsgesuch hin) immer noch partiell aufgehoben werden (a.a.O., E. 6.3 f. mit Hinweisen). Zu diesem Zweck habe das Zwangsmassnahmengericht den entsprechenden Anonymisierungsschlüssel ("Patient/in A" [mit Angabe Geschlecht und Geburtsjahrgang] = Name und Adresse von A; "Patient/in B" [mit Angabe Geschlecht und Geburtsjahrgang] = Name und Adresse von B usw.) bis zum Abschluss des Strafverfahrens bei sich zu aufzubewahren (a.a.O., E. 7.3).  
 
1.4.5. Im vorliegenden Fall verhält es sich gleich. Gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen und den Ausführungen in der Beschwerdeschrift geht es bei der Strafuntersuchung im Wesentlichen darum zu eruieren, ob Diskrepanzen zwischen den behandelnden Ärzten und denjenigen besteht, auf deren Namen intern die Honorargutschrift erfolgte. Die entsprechenden Daten wurden offenbar in unterschiedlichen Informatiksystemen erfasst. Der erforderliche Vergleich ist voraussichtlich auch ohne Kenntnis von Namen und Adressen der Patienten möglich. Sollte wider Erwarten für notwendige weitergehende Untersuchungen die Kenntnis der Identität der Patienten erforderlich sein, wird die verfahrensleitende Staatsanwaltschaft ein konnexes Teil-Entsiegelungsgesuch stellen können. Angesichts des Umstands, dass das Zwangsmassnahmengericht auch im vorliegenden Fall verpflichtet ist, den Anonymisierungsschlüssel bis zum Abschluss des Strafverfahrens aufzubewahren, droht jedenfalls kein Beweisverlust und damit auch kein nicht wieder gutzumachender Nachteil.  
 
1.4.6. Weiter rügt die Oberstaatsanwaltschaft die vom Zwangsmassnahmengericht für die Entsiegelung geforderte Kostengutsprache über Fr. 20'000.-- und macht unter Hinweis auf BGE 138 IV 225 E. 8.2 S. 231 geltend, dass dafür keine gesetzliche Grundlage bestehe. Wie es sich damit verhält, hat vorliegend offenzubleiben. Dass insofern ein nicht wieder gutzumachender Nachteil droht, wird von der Oberstaatsanwaltschaft nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Die Oberstaatsanwaltschaft wird ihre Kritik nach Vorliegen des Endentscheids (und unabhängig von dessen Inhalt) mit Beschwerde ans Bundesgericht vortragen können (Art. 93 Abs. 3 BGG; BGE 135 III 329 E. 1.2.2 S. 333).  
 
2.   
Im Verfahren vor Bundesgericht gibt es keine Anschlussbeschwerde (BGE 138 V 106 E. 2.1 S. 110 mit Hinweis). Insoweit, als die Spital A.________ AG in ihrer Vernehmlassung beantragt, die Entsiegelung sei abzulehnen, und damit einen Antrag stellt, der über die Abweisung der Beschwerde hinausgeht, ist darauf nicht einzutreten. Die Vernehmlassung kann auch nicht als eigenständige Beschwerde entgegengenommen werden, da sie nicht innerhalb der Beschwerdefrist von Art. 100 Abs. 1 BGG eingereicht wurde. 
 
3.   
Auf die Beschwerde ist aus den genannten Gründen nicht einzutreten. 
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Da der Streitgegenstand nicht den amtlichen Wirkungsbereich der Beschwerdegegnerin betrifft, ist sie in Bezug auf die Entschädigungsfolgen wie eine Privatperson zu behandeln (Art. 68 Abs. 3 BGG e contrario). Somit hat der Kanton Aargau der Beschwerdegegnerin eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Aargau hat der Spital A.________ AG eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- auszurichten. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 26. September 2019 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold