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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
2C_262/2017  
 
 
Urteil vom 16. Februar 2018  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Zünd, Donzallaz, Stadelmann, Haag, 
Gerichtsschreiberin Petry. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.C.________, 
2. B.C.________, 
Beschwerdeführerinnen, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Simon Epprecht, 
gegen  
 
Migrationsamt des Kantons Thurgau, Langfeldstrasse 53a, 8500 Frauenfeld, 
Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau, 
Regierungsgebäude, 8510 Frauenfeld. 
 
Gegenstand 
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligungen EU/EFTA, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 1. Februar 2017 (VG.2016.102). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.C.________ (geb. 1987) ist deutsche Staatsangehörige. Am 20. Juni 2009 reiste sie in die Schweiz ein und erhielt im Kanton Zürich eine bis zum 19. Juni 2010 für die ganze Schweiz gültige EU/ EFTA-Aufenthaltsbewilligung zu Ausbildungszwecken. Im September 2009 begann sie den Bachelorstudiengang Betriebsökonomie an der Hochschule D.________. Am 13. November 2009 zog sie in den Kanton Thurgau, welcher ihre Aufenthaltsbewilligung zwecks Ausbildung bis zum 19. Juni 2011 verlängerte.  
 
A.b. Am 17. November 2009 wurde A.C.________ notfallmässig im Rahmen eines fürsorgerischen Freiheitsentzuges in die Klinik E.________ eingewiesen. Vom 16. Februar bis 17. März 2010 hielt sich A.C.________ stationär in der Psychiatrie F.________ auf, wo sich der Verdacht der Diagnose auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung auf depressivem Symptomniveau erhärtete.  
A.C.________ beendete ihr Studium ohne Abschluss und wurde per 17. Juni 2010 exmatrikuliert. Vom 12. bis 14. Juli 2010 hielt sie sich erneut im Rahmen eines fürsorgerischen Freiheitsentzuges in der Klinik E.________ auf. Ein dritter stationärer Aufenthalt erfolgte vom 5. bis 9. August 2010, wobei die Diagnose einer instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ gestellt wurde. 
 
A.c. Am 1. September 2010 trat A.C.________ eine Stelle als Haushälterin/Nanny bei G.________ in U.________ an, aufgrund welcher ihr in der Folge eine Aufenthaltsbewilligung als Erwerbstätige mit Gültigkeit bis 31. August 2015 erteilt wurde. Vom 31. Januar 2011 bis 31. Oktober 2011 arbeitete sie zudem zehn Stunden pro Woche als Telefon-Operatrice. Vom 29. September bis 5. Oktober 2011 sowie vom 11. Oktober bis 7. November 2011 hielt sie sich stationär in der Klinik H.________ auf. Das Arbeitsverhältnis mit G.________ wurde Ende Oktober 2011 per 31. Januar 2012 einvernehmlich aufgelöst. Im August 2012 meldete sie sich wegen Depressionen und einer Borderlinestörung bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 11. November 2013 sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Thurgau mit Wirkung ab 1. Februar 2013 eine ganze Invalidenrente zu. Am 13. Dezember 2013 wurde ihr zudem ebenfalls mit Wirkung ab 1. Februar 2013 eine BVG-Invalidenrente zugesprochen. Sodann gewährte ihr die Deutsche Rentenversicherung am 26. September 2014 für die Zeit vom 1. August 2012 bis 31. Oktober 2016 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Zusätzlich zu den Rentenleistungen bezieht A.C.________ Ergänzungsleistungen.  
 
A.d. Am 4. März 2015 brachte A.C.________ ihre Tochter B.________ zur Welt. In der Folge wurde ihre Rente auf eine Dreiviertelsrente reduziert.  
 
A.e. Im Juli/August 2015 ersuchte A.C.________ um Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung und derjenigen ihrer Tochter, wobei sie für sich als jetzigen Aufenthaltszweck "Rentnerin" angab und darauf hinwies, dass sie nach Stabilisierung ihres Gesundheitszustandes ein Studium plane.  
 
B.  
Am 14. März 2016 lehnte das Migrationsamt des Kantons Thurgau das Gesuch um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligungen ab. Dabei verneinte es einen Anspruch von A.C.________ auf eine Aufenthaltsbewilligung als Arbeitnehmerin und als Nichterwerbstätige. Ebenso sah es die Voraussetzungen für ein Verbleiberecht als nicht gegeben an. Ein dagegen erhobener Rekurs beim Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau blieb erfolglos (Entscheid vom 22. Juni 2016). Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Urteil vom 1. Februar 2017 ebenfalls ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 3. März 2017 beantragen A.C.________ und ihre Tochter die Aufhebung von Ziffer 1 und 2 des vorinstanzlichen Urteils. Ihre Aufenthaltsbewilligungen seien zu verlängern. Zudem beantragen sie die unentgeltliche Rechtspflege vor Bundesgericht. 
Während das Staatssekretariat für Migration auf Vernehmlassung verzichtet, beantragen sämtliche Vorinstanzen die Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerdeführerin 1 beruft sich in vertretbarer Weise auf einen freizügigkeitsrechtlichen Bewilligungs- bzw. Verbleiberechtsanspruch (vgl. Art. 6 bzw. Art. 4 Anhang I des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit [Freizügigkeitsabkommen; FZA; SR 0.142.112.681]). Aus einem Bewilligungsanspruch der Beschwerdeführerin 1 könnte sich sodann ein abgeleiteter Aufenthaltsanspruch ihrer minderjährigen Tochter (Beschwerdeführerin 2) ergeben. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist somit zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 83 lit. c Ziff. 2 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG). Ob und in welchem Umfang der behauptete Anspruch tatsächlich besteht, bildet praxisgemäss Gegenstand der materiellen Beurteilung und ist keine Eintretensfrage (vgl. BGE 137 I 305 E. 2.5 S. 315; Urteil 2C_195/2014 vom 12. Januar 2015, in BGE 141 II 1 nicht publizierte E. 1.1). Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2.  
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nur die geltend gemachten Vorbringen, sofern rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 142 I 135 E. 1.5 S. 144). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich, ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Die beschwerdeführende Partei kann die Feststellung des Sachverhalts unter den gleichen Voraussetzungen beanstanden, wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). 
 
3.  
Die Beschwerdeführerinnen rügen, das angefochtene Urteil verletze Art. 4 Anhang I des Freizügigkeitsabkommens. 
 
 
3.1. Gemäss Art. 6 Abs. 1 Anhang I FZA erhält ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei ist und mit einem Arbeitgeber des Aufnahmestaates ein Arbeitsverhältnis mit einer Dauer von mindestens einem Jahr eingeht, eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Erteilung der Erlaubnis (EU/EFTA-B-Bewilligung). Diese wird automatisch um mindestens fünf Jahre verlängert. Bei der ersten Verlängerung kann die Gültigkeitsdauer beschränkt werden, wenn der Inhaber seit mehr als zwölf aufeinanderfolgenden Monaten unfreiwillig arbeitslos ist; die Dauer der Bewilligungsverlängerung darf ein Jahr nicht unterschreiten. Nach Art. 6 Abs. 6 Anhang I FZA darf einer arbeitnehmenden Person eine gültige Aufenthaltsbewilligung nicht allein deshalb entzogen werden, weil sie keine Beschäftigung mehr hat, entweder weil sie infolge von Krankheit oder Unfall vorübergehend arbeitsunfähig oder unfreiwillig arbeitslos geworden ist, falls das zuständige Arbeitsamt dies ordnungsgemäss bestätigt. Dabei gelten die von der zuständigen Behörde ordnungsgemäss bestätigten Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit und die Abwesenheiten infolge Krankheit oder Unfall als Beschäftigungszeiten (vgl. Art. 4 Abs. 2 Anhang I FZA i.V.m. Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 der Verordnung [EWG] Nr. 1251/70 der Kommission vom 29. Juni 1970 über das Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates zu verbleiben [ABl 1970, L 142 vom 30. Juni 1970 S. 24 ff.; hiernach: Verordnung Nr. 1251/70]).  
In Auslegung dieser Grundlagen hat das Bundesgericht entschieden, dass eine arbeitnehmende Person ihren freizügigkeitsrechtlichen Status als unselbständig erwerbstätige Person verlieren kann, (1) wenn sie freiwillig arbeitslos geworden ist, (2) aufgrund ihres Verhaltens feststeht, dass keinerlei ernsthafte Aussichten (mehr) darauf bestehen, dass sie in absehbarer Zeit eine andere Arbeit finden wird, oder (3) ihr Verhalten gesamthaft als rechtsmissbräuchlich bezeichnet werden muss, da sie ihre Bewilligung (etwa) gestützt auf eine fiktive bzw. zeitlich kurze Erwerbstätigkeit einzig zum Zweck erworben hat, von günstigeren Sozialleistungen als im Heimat- oder einem anderen Vertragsstaat zu profitieren (vgl. BGE 141 II 1 E. 2.2.1 S. 4 mit Hinweisen). Die zuständige Behörde kann in diesen Situationen Kurzaufenthalts-, EU/EFTA-Aufenthalts- und EU/EFTA-Grenzgängerbewilligungen widerrufen oder nicht verlängern, wenn die Voraussetzungen für deren Erteilung nicht oder nicht mehr erfüllt sind (Art. 23 der Verordnung vom 22. Mai 2002 über die Einführung des freien Personenverkehrs [VEP; SR 142.203]). 
 
3.2. Darüber hinaus sieht Art. 4 Abs. 1 Anhang I FZA vor, dass die Staatsangehörigen einer Vertragspartei und ihre Familienangehörigen nach Beendigung ihrer Erwerbstätigkeit ein Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei haben. Gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. b Satz 1 der Verordnung Nr. 1251/70, auf welche Art. 4 Abs. 2 Anhang I FZA verweist, besteht ein Verbleiberecht für den "Arbeitnehmer, der infolge dauernder Arbeitsunfähigkeit eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis aufgibt, wenn er sich seit mindestens zwei Jahren im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ständig aufgehalten hat". Ein Verbleiberecht infolge Arbeitsunfähigkeit setzt somit eine vorgängige Arbeitnehmereigenschaft voraus (vgl. Urteil 2C_1034/2016 vom 13. November 2017 E. 2.2 mit Hinweisen; Urteil des EuGH vom 26. Mai 1993 C-171/91  Tsiotras, Slg. 1993, I-2925, Rnr. 18). Zudem ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer die Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis  aufgrund der Arbeitsunfähigkeit aufgegeben hat; nur dann rechtfertigt es sich, seine Rechte als Wanderarbeitnehmer über das Dahinfallen des Arbeitnehmerstatus hinaus fortbestehen zu lassen (vgl. BGE 141 II 1 E. 4.3.2 S. 13). Wer sich auf ein Verbleiberecht berufen kann, behält seine als Arbeitnehmer erworbenen Rechte und hat insbesondere auch Anspruch auf Sozialhilfe (BGE 141 II 1 E. 4.1 S. 11).  
 
3.3. Vorliegend ist streitig, ob der betreffende Wanderarbeitnehmer während des  gesamten in Art. 2 Abs. 1 lit. b Satz 1 geforderten zweijährigen Aufenthalts die Arbeitnehmereigenschaft besitzen muss oder nicht.  
Die Vorinstanz ging davon aus, dass bei der in Art. 2 Abs. 1 lit. b der Verordnung Nr. 1251/70 genannten Aufenthaltsdauer von mindestens zwei Jahren nur der Aufenthalt  als Arbeitnehmer zu berücksichtigen sei. Da die Beschwerdeführerin 1 nicht zwei Jahre lang über die Arbeitnehmereigenschaft verfügt habe, könne sie sich nicht auf das Verbleiberecht der Arbeitnehmer berufen.  
Die Beschwerdeführerinnen machen demgegenüber geltend, die Anwendung der genannten Bestimmung setze lediglich einen  Aufenthalt von zwei Jahren voraus, verlange aber nicht, dass der Anspruchsteller während zwei Jahren Arbeitnehmer gewesen sein müsse. Die Auffassung der Vorinstanz verletze somit Art. 4 Anhang I FZA.  
 
 
3.4. Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich von Sinn und Zweck sowie der dem Text zugrunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen, Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE 140 II 129 E. 3.2 S. 131 mit Hinweisen).  
 
3.5. Art. 2 der Verordnung Nr. 1251/70 regelt das Verbleiberecht nach Beendigung der unselbständigen Erwerbstätigkeit in differenzierter Weise, je nachdem, welches der Grund für die Beendigung der Beschäftigung ist, sei es die Erreichung des Rentenalters (Art. 2 Abs. 1 lit. a), der Eintritt der dauernden Arbeitsunfähigkeit (Art. 2 Abs. 1 lit. b) oder die Aufgabe der Beschäftigung im Wohnsitzstaat unter Beibehaltung des Wohnsitzes, aber Weiterführung der Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat (Art. 2 Abs. 1 lit. c). Bei den jeweiligen Voraussetzungen für die verschiedenen Konstellationen operiert die Verordnung mit zwei Kriterien: einer bestimmten Aufenthaltsdauer und einer bestimmten Beschäftigungsdauer. Wie aus den nachfolgenden Überlegungen hervorgeht, sind diese beiden Kriterien auseinanderzuhalten und nicht miteinander verknüpft.  
 
3.5.1. Dies ergibt sich bereits aus Art. 2 Abs. 1 lit. a der Verordnung: Voraussetzung für das Verbleiberecht bei Aufgabe der Erwerbstätigkeit infolge Eintritts ins Rentenalter ist ein vorausgegangener Mindestaufenthalt von drei Jahren und eine vorausgegangene Beschäftigung von zwölf Monaten. Das Aufenthaltserfordernis von drei Jahren ist somit nicht deckungsgleich mit der Beschäftigungsdauer, sondern davon losgelöst, braucht es doch für das eine drei Jahre und für das andere nur ein Jahr. Das bedeutet, dass beim Eintritt ins Rentenalter eine Arbeitnehmertätigkeit von einem Jahr vorliegen muss. Der vorausgegangene Aufenthalt darf jedoch durchaus auf einem anderen Rechtstitel beruhen und ist nicht zwingend an die Arbeitnehmereigenschaft geknüpft.  
 
Das Verbleiberecht bei Aufgabe der Beschäftigung infolge dauernder Arbeitsunfähigkeit erfordert gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. b der Verordnung Nr. 1251/70 eine Mindestaufenthaltsdauer von zwei Jahren. Die Bestimmung sieht jedoch keine Mindestbeschäftigungsdauer vor. 
Bei Wechsel der Beschäftigung in einen anderen Mitgliedstaat unter Beibehaltung des Wohnsitzes im ersten Staat (Art. 2 Abs. 1 lit. c) werden drei Jahre Beschäftigung und drei Jahre Aufenthalt vorausgesetzt. Auch hier wird - bei gleicher Dauer - explizit zwischen Beschäftigung und Aufenthalt unterschieden. Wenn der Verordnungsgeber in den Fällen von lit. a (Rentenalter) und b (dauernde Arbeitsunfähigkeit) eine mit der Aufenthaltsdauer übereinstimmende Beschäftigungsdauer von drei bzw. zwei Jahren hätte voraussetzen wollen, ist davon auszugehen, dass er dies genau so gehandhabt hätte wie in lit. c. Das hat er aber nicht, sondern zwischen Beschäftigungsdauer und Aufenthaltsdauer differenziert. 
 
3.5.2. Eine weitere Bestätigung dafür, dass zwischen Aufenthaltsdauer und Beschäftigungsdauer zu unterscheiden ist und für die Aufenthaltsdauer nicht der Arbeitnehmerstatus vorausgesetzt werden kann, ergibt sich aus Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1251/70, wo wiederum klar zwischen Dauer des Wohnsitzes und Dauer der Beschäftigung unterschieden wird. Dort wird festgehalten, dass beide für den Fall des Eintritts ins Rentenalter entfallen, wenn der Ehegatte des Arbeitnehmers die Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats besitzt oder sie durch Eheschliessung mit dem Arbeitnehmer verloren hat. Für den Fall der dauernden Arbeitsunfähigkeit dagegen wird ausdrücklich nur festgeschrieben, dass die Voraussetzung der Dauer des Wohnsitzes entfällt, nicht aber eine Beschäftigungsdauer, denn eine solche ist - wie sich aus Art. 2 Abs. 1 lit. b ergibt - ohnehin nicht Voraussetzung.  
 
3.5.3. Nach dem Gesagten ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut als auch der Systematik von Art. 2 der Verordnung Nr. 1251/70, dass die Aufenthaltsdauer nicht an einen bestimmten Status geknüpft und daher von der Beschäftigungsdauer zu unterscheiden ist. Das Verbleiberecht nach Art. 2 Abs. 1 lit. b setzt somit einen Aufenthalt von zwei Jahren voraus, hingegen keine Mindestbeschäftigungsdauer. Es genügt, wenn der Wanderarbeitnehmer diesen Status bei Eintritt dauernder Arbeitsunfähigkeit hat.  
Teleologische Gründe, die für eine Mindestaufenthaltsdauer im Arbeitnehmerstatus sprechen würden, sind keine ersichtlich. Die Verordnung differenziert klar zwischen Beschäftigungsdauer und Wohnsitzdauer. Mit dem Kriterium der Beschäftigungsdauer wird das Erwerbsleben erfasst, wobei nach den Gründen des Ausscheidens differenziert wird. Mit dem Kriterium der Wohnsitzdauer soll dem sozialen Bedürfnis der Wanderarbeitnehmer, nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben im gewohnten Lebensumfeld verbleiben zu können, entsprochen werden (vgl. dazu Urteil 2C_1034/2016 vom 13. November 2017 E. 2.2; CHRISTINA SCHNELL, Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Schweiz, 2010, S. 160 f.; VIKTOR KREUSCHNITZ, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 45 AEUV N 56). 
 
3.6.  
 
3.6.1. Die Beschwerdeführerin 1 ist am 20. Juni 2009 in die Schweiz eingereist und erhielt eine bis zum 19. Juni 2010 gültige EU/EFTA-Aufenthaltsbewilligung zu Ausbildungszwecken (Studium der Betriebsökonomie an der Hochschule D.________). Am 17. Juni 2010 wurde sie exmatrikuliert. Am 1. September 2010 trat sie in einem Privathaushalt eine Stelle als Haushälterin/ Nanny an, woraufhin sie eine bis zum 31. August 2015 gültige Aufenthaltsbewilligung als Erwerbstätige erhielt. Vom 31. Januar bis 31. Oktober 2011 arbeitete sie zudem zehn Stunden pro Woche als Telefon-Operatrice. Das Arbeitsverhältnis im Privathaushalt wurde im Oktober 2011 per 31. Januar 2012 einvernehmlich aufgelöst.  
 
3.6.2. Für den Eintritt der dauernden Arbeitsunfähigkeit ist auf die Ergebnisse im invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren abzustellen (vgl. BGE 141 II 1 E. 4.2.1 S. 11 f.). Gemäss der Verfügung der IV-Stelle des Kantons Thurgau vom 21. August 2013, auf welche die Vorinstanz verweist, ist die Beschwerdeführerin 1 "seit dem 6. September 2011 (Beginn der einjährigen Wartezeit) in ihrer Arbeitsfähigkeit erheblich eingeschränkt". Aufgrund ihrer schweren Krankheit sei sie "bis auf weiteres für jegliche Art von Erwerbstätigkeit auf dem freien Arbeitsmarkt zu 100 % arbeitsunfähig". Auch den übrigen Akten der IV-Stelle lässt sich entnehmen, dass die Beschwerdeführerin 1 gemäss Arztberichten und Versicherungsakten ab dem 6. September 2011 als arbeitsunfähig eingestuft wurde (vgl. Case report der IV-Stelle Thurgau vom 9. Dezember 2013, edossier S. 531-543). Nach Beendigung ihres letzten Arbeitsverhältnisses am 31. Januar 2012 hat sie keine Arbeitstätigkeit mehr aufgenommen.  
 
3.6.3. Damit steht fest, dass die Beschwerdeführerin 1 aufgrund ihrer gesundheitlichen Beschwerden seit September 2011 in ihrer Arbeitsfähigkeit in erheblichem Masse beeinträchtigt ist, was zur Aufgabe ihrer Erwerbstätigkeit führte. Folglich kann sie ab September 2011 als dauernd arbeitsunfähig im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. b der Verordnung Nr. 1251/70 bezeichnet werden. Zu diesem Zeitpunkt hielt sie sich seit mehr als zwei Jahren rechtmässig in der Schweiz auf (Einreise am 20. Juni 2009), womit die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer erfüllt ist. Zudem stand sie im September 2011 seit rund einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis (Stellenantritt am 1. September 2010) und verfügte somit bei Eintritt der dauernden Arbeitsunfähigkeit über den Arbeitnehmerstatus. Damit ist auch die zweite Voraussetzung von Art. 2 Abs. 1 lit. b der Verordnung Nr. 1251/70 erfüllt.  
Mit Blick auf die oben stehenden Ausführungen steht der Beschwerdeführerin 1 damit ein Verbleiberecht nach Art. 4 Anhang I FZA zu. 
 
3.7. Da die Beschwerdeführerin 1 einen Anspruch auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung nach FZA hat, steht der Beschwerdeführerin 2 als minderjährige Tochter der Beschwerdeführerin 1 ein abgeleiteter Aufenthaltsanspruch im Rahmen des Familiennachzugs zu (vgl. Art. 3 Anhang I FZA).  
 
4.  
Demnach erweist sich die Beschwerde als begründet und ist gutzuheissen. Ziff. 1 und 2 des Urteils des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 1. Februar 2017 sind aufzuheben und die Sache an das Migrationsamt zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligungen EU/ EFTA zurückzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat der Kanton Thurgau die Beschwerdeführerinnen für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Das Gesuch der obsiegenden Beschwerdeführerinnen um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren wird damit gegenstandslos. Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen an die Vorinstanz zurückgewiesen (Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Ziff. 1 und 2 des Urteils des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 1. Februar 2017 werden aufgehoben. Die Sache wird an das Migrationsamt des Kantons Thurgau zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligungen EU/EFTA zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Thurgau hat den Beschwerdeführerinnen eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- auszurichten. 
 
4.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau zurückgewiesen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Februar 2018 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Petry