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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
4A_315/2022  
 
 
Urteil vom 13. Dezember 2022  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichterin Kiss, 
Bundesrichter Rüedi, 
Gerichtsschreiber Stähle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Lukas Wyss, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Lauri, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arzthaftung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts 
des Kantons Bern, 2. Zivilkammer, vom 15. Juni 2022 (ZK 21 330; ZK 21 379). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
B.________ (Kläger, Beschwerdegegner) unterzog sich am 15. Januar 2013 einer von Dr. med. A.________ (Beklagter, Beschwerdeführer), Facharzt HNO, durchgeführten Operation der Nasennebenhöhlen. Im Rahmen dieser Operation sollten Polypen in der Nase entfernt werden, um wieder ungehindertes Atmen zu ermöglichen. Im Vorfeld der Operation wurde dem Kläger ein Merkblatt ausgehändigt. Dieses Merkblatt enthielt Hinweise auf verschiedene mögliche Nebenwirkungen und Komplikationen, darunter solche nach Verletzungen der Schädelbasis. Diese wurden wie folgt beschrieben: 
 
"Austritt von Hirnwasser mit der Gefahr einer nachfolgenden Hirnhautentzündung oder eines Hirnabszesses; eine sofortige Operation wird dann erforderlich." 
Bei der Operation kam es - wie sich nachträglich herausstellte - zu einer Verletzung der vorderen Schädelbasis und der Hirnhaut mit Austritt von Flüssigkeit und Eintritt von Luft in den Hirnraum, welche das Hirn unter Druck setzte (Spannungs-Pneumencephalon). Das Risiko einer Verletzung der Hirnhaut mit Flüssigkeitsaustritt bei einer solchen Operation ist bekannt. Dessen Eintritt gilt aber als selten (0.2 bis 0.5 %). Die nachfolgende Entwicklung eines Pneumencephalons ist äusserst selten. An der spezialisierten Klinik des Spitals C.________ mit jährlich mehreren hundert solchen Operationen ist in den letzten 20 Jahren kein einziger Fall mit Pneumencephalon nach einer Nasennebenhöhlenoperation aufgetreten. 
Das Vorkommnis wurde drei Tage später nach einem Termin des Klägers beim Beklagten und Erstellen eines Computer-Tomogramms mit einer Notfalloperation im Spital D.________ korrigiert. 
 
B.  
 
B.a. Mit Teilklage vom 11. Januar 2019 machte der Kläger beim Regionalgericht Bern-Mittelland Schadenersatzansprüche aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag wegen Kopf- und Rückenschmerzen als Folge der Operation vom 15. Januar 2013 geltend. Er verlangte, der Beklagte sei zu verurteilen, ihm eine Entschädigung von Fr. 45'664.-- für den in der Periode vom 1. Juni 2013 bis 30. September 2014 erlittenen Erwerbsschaden nebst Zins zu bezahlen, unter Vorbehalt der Nachklage.  
Konkret warf der Kläger dem Beklagten einen Behandlungsfehler vor. Im ersten Parteivortrag an der Hauptverhandlung brachte er zusätzlich eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht ein. 
Der Beklagte trug auf Klageabweisung an. Er stellte sich auf den Standpunkt, den Kläger nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandelt zu haben, und stellte in Abrede, die erforderliche Aufklärung unterlassen zu haben. 
Mit Verfügung vom 3. März 2020 beschränkte das Regionalgericht das Verfahren auf die Frage der Haftung dem Grundsatz nach. 
 
B.b. Mit Zwischenentscheid vom 19. Mai 2021 (Art. 237 ZPO) stellte das Regionalgericht fest, dass der Beklagte dem Kläger für die aus der Operation vom 15. Januar 2013 entstandenen Schäden dem Grundsatz nach hafte.  
Das Regionalgericht verneinte zwar einen relevanten Behandlungsfehler. Es schloss aber, dass der Beklagte seine Aufklärungspflicht verletzt habe und deshalb für sämtliche Folgen des Eingriffs hafte. 
 
B.c. Gegen diesen Zwischenentscheid erhob der Beklagte Berufung und der Kläger Anschlussberufung an das Obergericht des Kantons Bern.  
Mit Entscheid vom 15. Juni 2022 wies das Obergericht die Berufung des Beklagten ab (Dispositiv-Ziffer 1). Auf die Anschlussberufung trat es nicht ein (Dispositiv-Ziffer 2). Die Prozesskosten des Berufungsverfahrens auferlegte es vollumfänglich dem Beklagten (Dispositiv-Ziffern 3-4). Es gewährte dem Kläger die unentgeltliche Rechtspflege (Dispositiv-Ziffer 5). 
 
C.  
Der Beklagte verlangt mit Beschwerde in Zivilsachen die Abweisung der Klage, mit entsprechenden Kosten- und Entschädigungsfolgen. Eventualiter seien die Dispositiv-Ziffern 1 und 3-5 aufzuheben und die Sache in diesen Punkten zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Subeventualiter seien die Dispositiv-Ziffern 3-5 aufzuheben, die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens den Parteien je hälftig aufzuerlegen und die Parteientschädigungen wettzuschlagen. Ausserdem sei der Beschwerde in Bezug auf die Dispositiv-Ziffern 3 und 4 die aufschiebende Wirkung zu gewähren. 
Das Obergericht verzichtete auf Vernehmlassung. Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Ausserdem ersucht er auch für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege samt Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands. 
Der Beschwerdeführer reichte eine Replik ein. 
Mit Verfügung vom 29. September 2022 wurde das Gesuch um auf-schiebende Wirkung hinsichtlich Dispositiv-Ziffer 4 (Zusprechung einer Parteientschädigung) gutgeheissen, im Übrigen aber abgewiesen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Beim angefochtenen Entscheid des Obergerichts handelt es sich um einen Vor- und Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG. Dagegen ist die Beschwerde nur unter den Voraussetzungen von Abs. 1 lit. a oder lit. b dieser Bestimmung zulässig. Es obliegt der beschwerdeführenden Partei, im Einzelnen darzutun, dass die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Anfechtbarkeit eines Vor- und Zwischenentscheids erfüllt sind, soweit deren Vorliegen nicht offensichtlich in die Augen springt (BGE 141 III 395 E. 2.5 mit Hinweisen).  
Wiewohl die Vorinstanz in ihrer Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich darauf aufmerksam machte, dass es sich um einen Zwischenentscheid handle und in der Beschwerde an das Bundesgericht darzulegen sei, inwiefern die Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit. a oder b BGG erfüllt seien, geht der Beschwerdeführer von einem Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG aus. Er äussert sich entsprechend nicht zu den Eintretensvoraussetzungen von Art. 93 BGG
Mit Blick auf das anstehende, aufwändige Beweisverfahren zur Bestimmung des Erwerbsschadens des Beschwerdegegners springt hier aber offensichtlich in die Augen, dass bei einer Gutheissung der Beschwerde sofort ein Endentscheid (Abweisung der Klage) herbeigeführt und damit ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisprozedere erspart würde (siehe im Einzelnen zur hier vorliegenden Konstellation - Bejahung der Arzthaftung dem Grundsatz nach, noch verbleibende Bestimmung des Schadens aus der körperlichen Schädigung - im Lichte von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG: Urteil 4A_48/2010 vom 9. Juli 2010 E. 1.3.3). Der angefochtene Entscheid bildet daher gestützt auf Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG ausnahmsweise ein zulässiges Anfechtungsobjekt. 
 
1.2. Das Obergericht hat als letzte kantonale Instanz im Sinne von Art. 75 BGG entschieden. Weiter übersteigt der Streitwert den nach Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG geltenden Mindestbetrag von Fr. 30'000.--. Die Beschwerde in Zivilsachen ist gegeben.  
 
2.  
 
2.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören sowohl die Feststellungen über den streitgegenständlichen Lebenssachverhalt als auch jene über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens, also die Feststellungen über den Prozesssachverhalt (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2; 135 III 397 E. 1.5).  
 
2.2. Soweit die Parteien die vorinstanzliche Beweiswürdigung kritisieren, ist entsprechend zu beachten, dass das Bundesgericht in diese nur eingreift, wenn sie willkürlich ist. Willkür liegt nach der Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls in Betracht zu ziehen oder gar vorzuziehen wäre, sondern bloss, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 141 III 564 E. 4.1; 140 III 16 E. 2.1; je mit Hinweisen). Die Beweiswürdigung ist mithin nicht schon dann willkürlich, wenn sie nicht mit der Darstellung der beschwerdeführenden Partei übereinstimmt, sondern bloss, wenn sie offensichtlich unhaltbar ist (BGE 141 III 564 E. 4.1; 135 II 356 E. 4.2.1). Dies ist dann der Fall, wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 140 III 264 E. 2.3; 137 III 226 E. 4.2; 136 III 552 E. 4.2). Inwiefern die Beweiswürdigung willkürlich sein soll, ist in der Beschwerde klar und detailliert aufzuzeigen (BGE 134 II 244 E. 2.2). Namentlich genügt es nicht, einzelne Beweise anzuführen, die anders als im angefochtenen Entscheid gewichtet werden sollen, und dem Bundesgericht in appellatorischer Kritik die eigene Auffassung zu unterbreiten, als ob diesem freie Sachverhaltsprüfung zukäme (vgl. BGE 140 III 264 E. 2.3; 116 Ia 85 E. 2b).  
 
3.  
Sowohl das Regional- als auch das Obergericht verneinten einen Behandlungsfehler des Beschwerdeführers. Sie bejahten dessen Haftung vielmehr deshalb, weil er der ärztlichen Aufklärungspflicht nicht hinreichend nachgekommen sei. 
 
4.  
Es gehört zu den vertraglichen Pflichten eines Arztes, den Patienten klar, verständlich und so vollständig wie möglich über die Diagnose, die Behandlungsmethode und -aussichten, Alternativen zur vorgeschlagenen Behandlung, die Risiken einer Operation, die Heilungschancen und finanzielle Fragen aufzuklären. Es obliegt grundsätzlich dem Arzt zu beweisen, dass er den Patienten in diesem Sinne ausreichend informiert und dieser in den Eingriff eingewilligt hat (BGE 133 III 121 E. 4.1.1-4.1.3; Urteile 4A_255/2021 vom 22. März 2022 E. 3.1.5; 4A_547/2019 vom 9. Juli 2020 E. 4.2.1 f.). 
 
5.  
Das Obergericht gelangte nach Würdigung der im Recht liegenden Beweismittel zum Beweisergebnis, dass dem Beschwerdegegner vor der Operation ein Merkblatt ausgehändigt worden sei, in dem auf die mögliche Komplikation eines Hirnwasseraustritts mit der Gefahr einer nachfolgenden Hirnhautentzündung hingewiesen werde. Nicht erstellt sei, dass dazu eine mündliche Erläuterung erfolgt sei und dass der Beschwerdegegner das Merkblatt gelesen und verstanden habe (dazu nachstehende Erwägung 6). 
Nun sei es aber - so die rechtliche Subsumtion der Vorinstanz - mit der Abgabe eines Merkblatts allein nicht getan, da dieses für den Patienten in der Regel nicht selbsterklärend sei. Vielmehr müsse das Merkblatt dem Patienten grundsätzlich mündlich erläutert werden, und der Arzt müsse sich vergewissern, dass der Patient die Erläuterungen verstanden habe. Dies habe der Beschwerdeführer unterlassen. Er sei deshalb seiner Aufklärungspflicht nicht in rechtsgenüglicher Weise nachgekommen (dazu nachstehende Erwägung 7). 
 
6.  
Der Beschwerdeführer kritisiert die vorinstanzlichen Feststellungen zur Frage, inwieweit er den Beschwerdegegner mündlich aufgeklärt habe. 
 
6.1. Der Beschwerdeführer verweist diesbezüglich auf eigene Aussagen, die er anlässlich seiner Befragungen im kantonalen Verfahren getätigt habe und aus denen sich ergebe, dass er den Beschwerdegegner circa zwei Monate vor der Operation mündlich über die mit der Operation verbundenen Risiken aufgeklärt habe. Er bekräftigt, dass diese Aussagen glaubhaft, da "konkret", "detailliert", "überzeugend", "aktenbasiert" und im ganzen Verfahren "konsistent" erfolgt seien. Dagegen habe der Beschwerdegegner betreffend die mündliche medizinische Risikoaufklärung "erstelltermassen und offenkundig die Unwahrheit" gesagt. Ihm (dem Beschwerdegegner) komme "offenkundig keine Glaubwürdigkeit" zu.  
Der Beschwerdeführer bringt vor Bundesgericht weiter vor, dass er für die von ihm behaupteten Besprechungen circa zwei Monate vor der Operation zweimal 20 Minuten fakturiert habe. Diese Rechnungen seien vom Beschwerdegegner bezahlt worden, was bestätige, "dass die Aufklärung stattgefunden" habe. 
 
6.2. Das Obergericht hat nicht in Abrede gestellt, dass persönliche Konsultationen stattgefunden haben. Es hat aber erwogen, dass angesichts der divergierenden Aussagen der Parteien nicht ermittelt werden könne, "was genau der Inhalt dieser Besprechungen war". Die Vorinstanz stellte (für das Bundesgericht verbindlich) namentlich fest, dass in diesem Zusammenhang Aufzeichnungen in der Krankengeschichte oder in einer Aufklärungsdokumentation fehlten. Sie hat ferner darauf hingewiesen, dass (auch) die Aussagen des Beschwerdeführers nicht frei von Widersprüchen gewesen seien, habe er selbst doch anfänglich angegeben, nicht auf die Folgen einer Hirnhautverletzung hingewiesen zu haben, und diese Aussage später korrigiert.  
Schliesslich bemerkte das Obergericht Folgendes: Das Merkblatt, welches der Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner ausgehändigt habe, sei auf der Rückseite mit "Dokumentation" überschrieben. Zum Aufklärungsgespräch solle auf dieser Seite angekreuzt werden, dass der Aufklärungsbogen gelesen und verstanden worden sei, dass im Aufklärungsgespräch alle interessierenden Fragen gestellt werden konnten und dass diese vollständig sowie verständlich beantwortet worden seien. Die Vorinstanz stellte fest, dass diese Seite leer geblieben, mithin nichts angekreuzt worden sei. 
 
6.3. Bei dieser Ausgangslage tut der Beschwerdeführer mit Hinweis auf die teilweise widersprüchlichen Aussagen des Beschwerdegegners und die fakturierten sowie bezahlten Konsultationen keine Willkür in der obergerichtlichen Beweiswürdigung dar. Es ist unter Willkürgesichtspunkten nicht am Bundesgericht, die verschiedenen Aussagen der Parteien zu interpretieren, mögliche Widersprüche aufzudecken oder umgekehrt auszuräumen und unter freier Einschätzung der Glaubhaftigkeit der Äusserungen einem unter verschiedenen vertretbaren Beweisergebnissen den Vorzug zu geben. Mögen auch die Aussagen des Beschwerdegegners seinerseits nicht konsistent sein - worauf der Beschwerdeführer vor Bundesgericht insistiert -, so begründet dies für sich allein noch keine Willkür. Es hilft dem Beschwerdeführer auch nicht, dass er auf eine "PowerPoint-Präsentation" verweist, die er dem Beschwerdegegner gezeigt habe und die er "bei allen Patienten mit Nasenkrankheiten [verwende], nicht nur bei solchen, die operiert würden". Daraus ergibt sich nicht, dass er den Beschwerdegegner mündlich über die Risiken der konkret in Frage stehenden Operation informiert hätte. Auf den bedeutenden Umstand, dass der Beschwerdegegner auf dem Merkblatt nichts angekreuzt hatte (insbesondere nicht die Rubrik "Den Aufklärungsbogen habe ich gelesen und verstanden. Ich konnte im Aufklärungsgespräch alle mich interessierenden Fragen stellen. Sie wurden vollständig und verständlich beantwortet"), geht der Beschwerdeführer gar nicht erst ein.  
Die Erkenntnis der Vorinstanz, es sei weder erstellt, dass hinsichtlich der relevanten Risiken eine mündliche Erläuterung erfolgt ist, noch dass der Beschwerdegegner das Merkblatt tatsächlich gelesen und verstanden hat, erscheint nach dem Gesagten zumindest nicht offensichtlich unrichtig. 
 
6.4. Somit ist vom Sachverhalt auszugehen, wie ihn das Obergericht festgestellt hat.  
 
7.  
Ob der Beschwerdeführer angesichts der vorinstanzlich festgestellten Tatsachen seiner Aufklärungspflicht rechtsgenüglich nachgekommen ist, ist eine vom Bundesgericht überprüfbare Rechtsfrage (Urteil 4A_547/2019 vom 9. Juli 2020 E. 4.4). Der angefochtene Entscheid hält dieser höchstrichterlichen Überprüfung nicht stand: 
 
7.1. Die ärztliche Aufklärung ist grundsätzlich nicht an eine bestimmte Form gebunden. Es ist vielmehr anhand der Umstände im Einzelfall zu entscheiden, ob der Patient im Ergebnis klar und verständlich über die Diagnose, die Behandlungsmethode und die Risiken aufgeklärt wurde (siehe neben den in Erwägung 4 zitierten Urteilen etwa Urteil 4P.237/2006 vom 16. Januar 2007 E. 3.4.2). Dies übersieht die Vorinstanz im vorliegenden Fall, wenn sie davon ausgeht, eine schriftlich erfolgte Aufklärung genüge der ärztlichen Aufklärungspflicht selbst in Bezug auf sehr unwahrscheinliche Komplikationen per se nicht. Darin kann ihr nicht gefolgt werden.  
 
7.2. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer den Beschwerdegegner in Bezug auf die streitbetroffene Komplikation wie folgt aufgeklärt:  
(i) Es steht fest, dass dem Beschwerdegegner ein Merkblatt abgegeben wurde, mit der Aufforderung, dieses zu lesen. (ii) In diesem Merkblatt wurde in verständlichen Worten (das Gegenteil ist nicht festgestellt) auf eben jenes spezifische Risiko hingewiesen, wie es sich nun verwirklicht hat. (iii) Es handelt sich dabei um eine ausgesprochen seltene Komplikation (siehe Sachverhalt Bst. A). Es ist zudem nicht festgestellt, dass sie besonders gravierend wäre; sie konnte korrigiert werden. (iv) Der Beschwerdegegner hatte ausdrücklich die Möglichkeit, das Merkblatt zu Hause zu studieren, dort Fragen vorzubereiten und diese Fragen nach entsprechender Bedenkfrist bei einer anschliessenden Konsultation zu stellen. Darauf verzichtete er aber. So sagte der Beschwerdegegner denn auch aus, sein Wissen, dass jede Operation mit Risiken verbunden sei, habe ihm "gereicht", weshalb er "nicht direkt" nach Risiken der Operation gefragt habe. 
Unter diesen Umständen kann dem Beschwerdeführer keine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht vorgeworfen werden, wenn er es unterliess, zusätzlich zum schriftlichen Merkblatt mündlich explizit auf die hier infrage stehende, äusserst seltene Komplikation hinzuweisen, zumal ein Patient auf weitergehende ärztliche Informationen auch ausdrücklich oder konkludent verzichten kann, wie dies nach den eigenen Aussagen des Beschwerdegegners damals geschehen ist (siehe BGE 105 II 284 E. 6c; Urteil 6B_170/2017 vom 19. Oktober 2017 E. 3.2.2). Zu betonen ist ferner, dass es stets auch eine Frage der Angemessenheit im Ton und Umgang ist, mit welcher Behutsamkeit, welchem Nachdruck und welcher Intensität ein Arzt den Patienten über bestimmte - insbesondere seltene - Risiken aufklärt, um nicht gleichsam einen für dessen Gesundheit schädlichen Angstzustand auszulösen, freilich stets unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten und unter sorgfältiger Prüfung im Einzelfall (sog. "therapeutisches Privileg"; vgl. BGE 105 II 284 E. 6c; Urteile 6B_170/2017 vom 19. Oktober 2017 E. 3.2.2; 4P.110/2003 vom 26. August 2003 E. 3.1.1; 4P.265/2002 vom 28. April 2003 E. 4.2). Zu beachten ist zudem, dass einem Patienten mit einem Übermass an (schriftlichen oder mündlichen) Informationen ebenfalls nicht gedient ist, kann doch auch dies eine sachgerechte Entscheidfindung - um die allein es bei der ärztlichen Aufklärung letztlich geht - verunmöglichen. In diesem Zusammenhang fallen namentlich das für den Arzt erkennbare medizinische Vorwissen und die intellektuellen Fähigkeiten des Patienten ins Gewicht. Ein Arzt, der in diesem Sinn triagiert und es für sehr seltene Komplikationen bei einer schriftlichen Aufklärung - mit der Möglichkeit, Nachfragen zu stellen - belässt, begeht nicht ohne Weiteres eine Pflichtverletzung. Der im vorliegenden Fall allein damit begründete Vorwurf greift damit zu kurz. Entgegen der Vorinstanz ist der Beschwerdeführer seiner Aufklärungspflicht rechtsgenüglich nachgekommen. Die Beschwerde ist insoweit begründet. 
 
7.3. Nach dem Gesagten ist von einer gehörigen Risikoaufklärung auszugehen und eine ärztliche Pflichtverletzung zu verneinen. Somit fehlt es an einer Haftungsvoraussetzung. Die Klage des Beschwerdegegners ist folglich abzuweisen.  
 
8.  
Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, wie es sich mit den weiteren Rügen des Beschwerdeführers verhält, so namentlich mit seinem Eventualstandpunkt, bei Bejahung einer Aufklärungspflichtverletzung sei ohnehin von einer hypothetischen Einwilligung auszugehen. Ebenso wenig ist auf die Kritik einzugehen, welche der Beschwerdeführer gegen die vorinstanzliche Verteilung der Prozesskosten des Berufungsverfahrens vorträgt. 
 
9.  
 
9.1. Die Beschwerde ist gutzuheissen. Die Dispositiv-Ziffern 1 sowie 3-5 des angefochtenen Entscheids sind aufzuheben, und die Klage des Beschwerdegegners ist in Anwendung von Art. 107 Abs. 2 BGG abzuweisen.  
Die Sache ist - insoweit entgegen dem Hauptantrag des Beschwerdeführers - zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen (vgl. Art. 67 und 68 Abs. 5 BGG). 
 
 
9.2. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren kosten- und entschädigungspflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).  
Er ersucht für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege mit Herrn Rechtsanwalt Christian Lauri als unentgeltlichem Rechtsbeistand. Diese ist ihm zu gewähren, da die diesbezüglichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 BGG) : Die Bedürftigkeit kann mit Blick auf die eingereichten Unterlagen angenommen werden. Der Standpunkt des Beschwerdegegners kann nicht als aussichtslos bezeichnet werden, nachdem die Vorinstanz entsprechend entschieden hat. Der Beizug eines Rechtsanwalts erscheint notwendig. Demnach sind die Gerichtskosten einstweilen auf die Gerichtskasse zu nehmen. Herrn Rechtsanwalt Christian Lauri wird ein Honorar von Fr. 3'500.-- aus der Gerichtskasse entrichtet. Der Beschwerdegegner wird darauf hingewiesen, dass er der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten hat, falls er dazu später in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG). 
Hingegen entbindet die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege den Beschwerdegegner nicht davon, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (vgl. Art. 64 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Dispositiv-Ziffern 1 sowie 3-5 des Entscheids des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Zivilkammer, vom 15. Juni 2022 werden aufgehoben. Die Klage von B.________ wird abgewiesen. Die Sache wird zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird gutgeheissen. Es wird ihm Rechtsanwalt Christian Lauri, Bern, als unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.  
Der Beschwerdegegner hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'500.-- zu entschädigen. 
 
5.  
Rechtsanwalt Christian Lauri, Bern, wird aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 3'500.-- entschädigt. 
 
6.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 13. Dezember 2022 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Hohl 
 
Der Gerichtsschreiber: Stähle