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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_92/2022  
 
 
Verfügung vom 23. Mai 2022  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Monica Frey, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Kantonsgericht von Graubünden, I. Zivilkammer, Poststrasse 14, 7002 Chur, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Rechtsverweigerung/Rechtsverzögerung (Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ und B.________ sind die nicht verheirateten Eltern von C.________ (geb. 2016) und D.________ (geb. 2017). Die Mutter lebte mit diesen teils beim Vater, teils bei Bekannten und wegen psychischer Beschwerden teils in Kliniken. 
 
Zufolge Verdachts auf instabile Persönlichkeit sowie Bindungsstörung und Vernachlässigung der Kinder leitete die KESB Nordbünden getrennte Verfahren betreffend Obhut und Unterhalt ein, wobei auch ein Erziehungsfähigkeitsgutachten eingeholt wurde. Bei der Eröffnung des Gutachtens am 7. November 2019 teilte die KESB den Eltern anschliessend separat mit, dass ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht superprovisorisch entzogen werde. Darauf kam es von mütterlicher Seite zu Aktionen gegen die KESB (Flyer, Facebook-Einträge), in welchen diese als Kindesentführerin dargestellt wurde. 
 
B.  
Mit Entscheid vom 26. November 2019 entzog die KESB beiden Elternteilen das Aufenthaltsbestimmungsrecht und brachte C.________ und D.________ bis auf Weiteres in der SOS-Pflegefamilie der Sozialpädagogischen Fachstelle unter. Mit Entscheid vom 17. Dezember 2019 erteile sie dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht wieder und installierte ein begleitetes Besuchsrecht der Mutter. Mit Entscheid vom 7. Juli 2020 modifizierte die KESB das (neu unbegleitete) Besuchsrecht der Mutter und regelte die weiteren Weisungen an den Vater. 
 
Die Mutter reichte gegen alle drei Entscheide, der Vater gegen den dritten Entscheid beim Kantonsgericht von Graubünden jeweils eine Beschwerde ein; es wurden insgesamt vier Beschwerdeverfahren angelegt und sukzessive miteinander vereinigt. 
 
Aufgrund einer Aufsichtsbeschwerde der Mutter wurde am 14. Januar 2021 die Beiständin durch einen neuen Beistand ersetzt. Es folgten weitere Eingaben, wobei der Schriftenwechsel mit der Replik der Mutter vom 16. April 2021 abgeschlossen wurde. Gestützt auf ihr Akteneinsichtsgesuch in Bezug auf die frühere Beiständin reichte sie am 30. April 2021 noch eine Noveneingabe ein. Mit Schreiben vom 5. August 2021 beschwerte sie sich gegenüber dem Kantonsgericht über die Verfahrensdauer, worauf ihr der Vorsitzende am 13. August 2021 mitteilte, dass die Vorbereitungen für die Urteilsberatung im Sinn von Art. 23 ff. KGV/GR im Gang seien. Trotzdem reichte die Mutter am 9. November 2021 nochmals neue Beweismittel ein und forderte, dass die sich daraus ergebenden neuen Erkenntnisse zufolge der Offizialmaxime zu berücksichtigen seien; mit Hinweis auf den erfolgten Aktenschluss leitete das Kantonsgericht die Eingabe an die KESB weiter. Am 7. Dezember 2021 modifizierte die KESB die am 17. Dezember 2019 verfügte Besuchsregelung in Richtung einer stufenweisen Ausdehnung; dagegen erhob der Vater Beschwerde, welche vorliegend nicht weiter interessiert. Mit Eingabe vom 5. Januar 2022 beantragte die Mutter, die neusten Ereignisse und Akten zu berücksichtigen. 
 
C.  
Am 7. Februar 2022 reichte die Mutter beim Bundesgericht eine Beschwerde wegen Rechtsverzögerung bzw. Rechtsverweigerung ein. Im Rahmen der erstreckten Vernehmlassungsfrist entschied das Kantonsgericht schliesslich mit Entscheid vom 29. März 2022 über die erwähnten vier Beschwerden. Diesen übermachte es auch dem Bundesgericht zuhanden des vorliegenden Rechtsverzögerungsdossiers; gleichzeitig verwies es im Begleitschreiben für die Ursachen der langen Verfahrensdauer auf die im Gesuch um Fristerstreckung für die Vernehmlassung vom 9. März 2022 angeführten Gründe (dazu E. 2) und bat um Abschreibung des Rechtsverzögerungsverfahrens zufolge Gegenstandslosigkeit der betreffenden Beschwerde. 
 
In der Folge forderte das Bundesgericht die Beschwerdeführerin auf, sich zur Frage der Gegenstandslosigkeit des bundesgerichtlichen Verfahrens und den Kostenfolgen zu äussern. 
 
Mit Stellungnahme vom 21. April 2022 erläuterte die Beschwerdeführerin nochmals ihre Ansicht zur erfolgten Verzögerung und verlangte eine pauschale Parteientschädigung von Fr. 5'000.-- für das bundesgerichtliche Verfahren. 
 
Mit Eingabe vom 26. April 2022 reichte sie ein auf ihre Anfrage hin erfolgtes Schreiben des Kantonsgerichts vom 25. April 2022 nach, wonach für das kantonale Beschwerdeverfahren weder ein Aufschrieb der einzelnen Verfahrensschritte noch ein Verfahrensprotokoll bestehe; vorhanden sei das Zirkulationsblatt, bei dem es sich aber um ein gerichtsinternes Dokument handle, welches als Teil des Beratungsprozesses dem Beratungsgeheimnis unterliege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht ist zur Beurteilung von Beschwerden gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen in Kindesschutzsachen (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 und Art. 75 Abs. 1 BGG) zuständig. Wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung kann jederzeit Beschwerde erhoben werden (Art. 100 Abs. 7 BGG). Sobald jedoch der als verzögert monierte Entscheid ergangen ist, wird die Rechtsverzögerungsbeschwerde gegenstandslos. Nachdem das Kantonsgericht vorliegend am 29. März 2022 entschieden hat, ist das Beschwerdeverfahren 5A_92/2022 durch den Abteilungspräsidenten als gegenstandslos geworden abzuschreiben (Art. 32 Abs. 2 und Art. 71 BGG i.V.m. Art. 72 BZP). 
 
2.  
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind mit summarischer Begründung aufgrund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes zu verteilen (Art. 71 BGG i.V.m. Art. 72 BZP). 
 
In seinem Schreiben vom 9. März 2022, mit welchem das Kantonsgericht eine Erstreckung der Vernehmlassungsfrist verlangt und eine Entscheidung innerhalb der erstreckten Frist in Aussicht gestellt hatte, begründete es die lange Verfahrensdauer mit der Vereinigung der früheren mit den späteren Beschwerdeverfahren, mit den weiteren Eingabe namentlich der Beschwerdeführerin, mit der umfangreichen und komplexen Aktenlage sowie mit gegen weitere Entscheide der KESB Nordbünden eingegangenen anderen Beschwerden; sodann hielt das Kantonsgericht fest, dem Bundesgericht sei bekannt, dass sich als Folge einer jahrelangen personellen Unterdotierung sowie der krankheitsbedingten 20-monatigen Abwesenheit eines Richters die Pendenzen noch erhöht hätten, was in vielen Fällen zu einer langen Verfahrensdauer geführt habe, wobei mit der zwischenzeitlich genehmigten Stellenaufstockung die erforderlichen Schritte für die künftige Gewährung einer ordnungsgemässen Rechtspflege eingeleitet worden, aber gleichzeitig die angehäuften Pendenzen abzubauen seien. 
 
Was eine angemessene Verfahrensdauer ist, lässt sich nicht abstrakt sagen; die Angemessenheit beurteilt sich nach der Art des Verfahrens und den konkreten Umständen der Angelegenheit, namentlich den Regelungsgegenstand, dem Umfang und der Komplexität der zu entscheidenden Fragen, der Bedeutung des Verfahrens für die Beteiligten etc. (BGE 135 I 265 E. 4.4; 144 I 318 E. 7.1). 
Vorliegend ging es um die Regelung des Eltern-Kind-Verhältnisses; gerade der heikle und eingriffsintensive Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts erfordert naturgemäss eine gewisse zeitliche Priorisierung, dies auch vor dem Hintergrund der ganz anderen Zeitwahrnehmung durch Kinder, um deren Wohl es bei Kindesschutzmassnahmen geht. Die Vereinigung der vier Beschwerdeverfahren darf vorliegend als zweckmässig bezeichnet werden und sie impliziert, dass die als erstes eingegangenen Beschwerden dadurch eine gewisse weitere Verzögerung erfahren können; dies ist gewissermassen ein hinzunehmender Nebeneffekt. Der Schriftenwechsel war Ende April 2021 abgeschlossen. Anschliessend passierte nichts mehr und die Kritik der Mutter, ohne ihre Rechtsverzögerungseingabe wäre auch heute noch nicht über die Beschwerden entschieden, kann nicht nur nicht von der Hand gewiesen werden, sondern wird durch das Ersuchen des Kantonsgerichts um Fristerstreckung für die Vernehmlassung und das Inaussichtstellen einer bis dahin ergehenden Entscheidung sowie durch die Verweise auf die langjährige personelle Unterdotierung und zusätzliche Anspannung zufolge krankheitsbedingter Abwesenheiten vielmehr gestützt. 
 
Hierfür kann den Mitgliedern und Mitarbeitern des Kantonsgerichts kein Vorwurf gemacht werden. Indes sind die Kantone zur Gewährung einer ordnungsgemässen Rechtspflege verpflichtet; sie haben daher für ausreichend Personal zu sorgen und es kann für sie nicht ohne finanzielle Folgen bleiben, wenn sie sich dieser Verpflichtungen entziehen und für ihre Versäumnisse haftbar gemacht werden (BGE 107 III 3 E. 3; 119 III 1 E. 3; 121 III 142 E. 1b; 130 I 312 E. 5.2; Urteil 1B_122/2020 vom 20. März 2020 E. 3.1). 
 
Insgesamt war fast ein Jahr nach Abschluss des Schriftenwechsels das Einreichen einer Rechtsverzögerungsbeschwerde gerechtfertigt, nachdem die Beschwerdeführerin vorher das Kantonsgericht erfolglos abgemahnt hatte, zumal davon ausgegangen werden muss, dass es ohne diese Vorkehrung noch deutlich länger bis zum Erlass des Beschwerdeentscheides gegangen wäre. Die Rechtsverzögerungsbeschwerde wäre deshalb begründet gewesen und der Kanton Graubünden hat für die entstandenen Kosten einzustehen. 
 
3.  
Nach dem Gesagten ist das Beschwerdeverfahren als gegenstandslos geworden abzuschreiben. Gerichtskosten werden keine erhoben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Indes hat der Kanton Graubünden die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen (Art. 66 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt der Präsident:  
 
1.  
Das Verfahren 5A_92/2022 wird als gegenstandslos geworden vom Protokoll abgeschrieben. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Graubünden hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Diese Verfügung wird den Parteien, der KESB Nordbünden und B.________ mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. Mai 2022 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli