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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_1429/2017  
 
 
Urteil vom 21. Dezember 2018  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Bundesrichter Rüedi, 
Gerichtsschreiber Held. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch 
Rechtsanwältin Jeanine Breunig-Hollinger, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Fahrlässige Tötung; willkürliche Beweiswürdigung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts 
des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, 
vom 21. September 2017 (SST.2016.375). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
X.________ verliess am 10. April 2015 mit seinem Lastwagen, nachdem er zuvor Beton abgeladen hatte, eine Baustelle an der Kreuzung Süssbachweg/Fröhlichstrasse in Brugg und erfasste an der Baustellenausfahrt den unmittelbar vor dem Lastwagen vorbei laufenden A.________, der noch an der Unfallstelle verstarb. 
Das Bezirksgericht Brugg sprach X.________ am 21. Juni 2016 vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Auf Berufung der Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach verurteilte das Obergericht des Kantons Aargau X.________ im schriftlichen Verfahren wegen fahrlässiger Tötung zu einer bedingten Geldstrafe von 200 Tagessätzen zu Fr. 80. -. 
 
B.  
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben, die Berufung der Staatsanwaltschaft abzuweisen und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Eventualiter sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau verzichten auf Vernehmlassungen. 
 
 
Erwägungen:  
 
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine unvollständige und willkürliche Sachverhaltsfeststellung. Aktenwidrig sei, dass der Verstorbene von der Fahrzeugfront erfasst worden sei und es keinen toten Winkel für das Sichtfeld des Beschwerdeführers gegeben habe. Das Gutachten halte lediglich fest, die erhobenen Befunde sprächen dafür, dass der Verstorbene (mittig) von der Fahrzeugfront erfasst worden sei, stelle dies jedoch nicht verbindlich fest. Die Vorinstanz habe diesbezüglich auch die Aussage des einzigen Zeugen, der den Unfall von seinem Kran aus beobachtet habe, nicht berücksichtigt. Dieser habe ausgesagt, der Beschwerdeführer habe den Verstorbenen "genau mit der rechten Vorderkante im toten Winkel [a]uf der Höhe der Scheinwerfer" erfasst. Wo der Verstorbene sich befand, als er vom Lastwagen erfasst wurde, sei relevant für die Beurteilung, ob der Beschwerdeführer diesen im Spiegel hätte sehen können. Die realitätsfremd, mit einer gut erkennbaren Person in Leuchtkleidung durchgeführte Sichtfeldvermessung habe einen toten Winkel im rechten Frontbereich des Fahrzeugs ergeben. Zudem verfalle die Vorinstanz in Willkür, wenn sie dem Beschwerdeführer entgegen der Anklageschrift vorwerfe, er habe die Spiegel bei der Wegfahrt vernachlässigt.  
Der Beschwerdeführer habe sich zudem nicht sorgfaltswidrig verhalten. Der Unfall sei für ihn weder vorhersehbar noch vermeidbar gewesen. Der Beschwerdeführer habe aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht damit rechnen müssen, dass sich in der konkreten Situation unmittelbar vor seinem Lastwagen mit laufendem Motor eine Person befinde. Die Vorinstanz berücksichtige das verkehrswidrige Verhalten des Verstorbenen nicht, obwohl sie selbst für nicht nachvollziehbar erachte, dass der im Quartier wohnhafte, mit der Baustellensituation vertraute und in seiner Mobiliät sowie seinem Hörvermögen stark eingeschränkte Verstorbene sich unmittelbar vor einem Lastwagen mit laufendem Motor begab, der sich an der Grenze des umzäunten Bereichs einer Baustelle im Arbeitsbetrieb befand. 
 
1.2. Die Vorinstanz erwägt, dass der Beschwerdeführer den Tod des Verstorbenen verursacht habe, sei unstrittig. Er bestreite jedoch, fahrlässig gehandelt respektive eine Sorgfaltspflichtverletzung begangen zu haben. Entgegen der Ansicht des Bezirksgerichts sei die Kollisionsstelle nicht unklar und es könne zugunsten des Beschwerdeführers nicht angenommen werden, der Verstorbene habe sich rechtsseitig des Lastwagens in einem sichttoten Winkel befunden. Aus den Akten ergebe sich, dass der Verstorbene durch die Fahrzeugfront des Lastwagens erfasst worden sei. Aufgrund der von der Kantonspolizei vorgenommenen Sichtfeldvermessung sei erstellt, dass der Beschwerdeführer mittels Front- und Rampenspiegel auch den rechten Frontbereich des Lastwagen vollständig habe einsehen können, es mithin keinen sichttoten Winkel gebe, was der Beschwerdeführer auch nicht bestreite. Zwar sei das Abbild (der Vergleichsperson) im Spiegel leicht verzerrt, jedoch hätte der Beschuldigte den Verstorbenen aufgrund der durch den mitgeführten Rollator erhöhten Grundfläche wahrnehmen müssen. Es sei ausgeschlossen, dass der Verstorbene sich vor der Kollision in einem für den Beschwerdeführer nicht einsehbaren Bereich befunden habe, weshalb offenbleiben könne, wo genau vor dem Fahrzeug sich der Verstorbene unmittlebar vor der Kollision befand, da der Beschwerdeführer diesen durch den Front- oder Rampenspiegel auf jeden Fall hätte wahrnehmen können. Der Beschwerdeführer habe sich kurz vor dem Herausfahren aus dem Baustellenbereich jedoch auf den Verkehr auf der (rechtsseitigen) Fröhlichstrasse konzentriert und dabei die Spiegel vernachlässigt. Hätte er kurz vor der Abfahrt noch einmal in den Front- oder Rampenspiegel geblickt, hätte er den Verstorbenen wahrgenommen. Soweit der Beschwerdefürhrer geltend mache, er habe sämtliche Spiegel regelkonform konsultiert, den Verstorbenen aber nicht sehen können, handle es sich um eine reine Schutzbehauptung. Der Beschwerdeführer habe demnach aufgrund der erwähnten Umstände seine erhöhte Sorgfaltspflicht verletzt.  
 
1.3. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist eine Sachverhaltsfeststellung, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht (BGE 143 IV 500 E. 1.1, 241 E. 2.3.1; je mit Hinweis).  
Den kantonalen Instanzen steht bei der Beweiswürdigung nach Art. 10 StPO ein weiter Beurteilungsspielraum zu, weshalb es im Rahmen der Sachverhaltsrüge nicht genügt, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern. Dass die von den Sachgerichten gezogenen Schlüsse nicht mit der Darstellung der beschwerdeführenden Partei übereinstimmen oder eine andere Würdigung ebenfalls vertretbar erscheint, begründet keine rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung der Sachinstanzen (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1; 141 IV 369 E. 6.3; je mit Hinweisen). Auf ungenügend begründete Rügen oder eine bloss allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid, wie sie vor den kantonalen Instanzen mit voller Sachkognition vorgebracht werden kann, tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 142 III 364 E. 2.4 S. 368 mit Hinweisen). 
 
1.4.  
 
1.4.1. Die Sachverhaltsrügen des Beschwerdeführers erweisen sich als unzutreffend und gehen an der Sache vorbei, soweit sie über eine appellatorische Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung hinausgehen. Der Beschwerdeführer setzt sich nur punktuell mit den Erwägungen der Vorinstanz auseinander und zeigt nicht auf, inwiefern deren Feststellungen offensichtlich unhaltbar sein sollen und die vorhandenen Beweise andere Schlussfolgerungen geradezu aufdrängen. Unzutreffend ist, die Sichtfeldvermessung hätte einen toten Winkel im rechten (vorderen) Bereich des Lastwagen ergeben. Die Akten stützen die vorinstanzliche Feststellung, dass das (ohne Spiegel) eingeschränkte Sichtfeld nach vorne und im rechten Frontbereich mit Hilfe des Front- und Rampenspiegels vollumfänglich einsehbar ist. Daran kann die subjektive Einschätzung des Kranführers, der Verstorbene habe sich im "toten Winkel" befunden, nichts ändern. Mangels toten Winkels ist nicht ersichtlich, inwieweit der Umstand, ob der Verstorbene durch die Fahrzeugfront mittig oder rechts erfasst worden ist, für den Verfahrensausgang entscheidend sein soll.  
 
1.4.2. Warum der Unfall nicht vorhersehbar und vermeidbar gewesen sein soll, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf. Er verneint eine Pflichtverletzung in erster Linie mit der von verbindlichen und rechtsfehlerfreien Sachverhaltsfeststellungen abweichenden Behauptung, der Verstorbene habe sich im toten Winkel befunden. Hiermit ist er nicht zu hören. Front- und Rampenspiegel dienen dazu, das (ansonsten) eingeschränkte Sichtfeld zu vergrössern und die ohne Hilfsmittel/Spiegel nicht einsehbaren Bereiche des Fahrzeugs soweit wie möglich zu minimieren und sichtbar zu machen. Dies gilt insbesondere für den Aussenbereich um die Führerkabine. Den Spiegeln kommt neben dem Rangieren in erster Linie beim Losfahren und der Einordnung in den Strassenverkehr Bedeutung zu. In diesen Situationen kann der Fahrer den unmittelbaren Bereich vor dem Fahrzeug nur mit Hilfe der Spiegel einsehen und bewegt das Fahrzeug nicht wie bei der Fahrt in einen von ihm vorher weiträumig einsehbaren Bereich. Die Vorinstanz führt zutreffend aus, was vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten wird, dass der in seiner Mobilität eingeschränkte Verstorbene, der sich mit Hilfe eines Rollators fortbewegte, nicht plötzlich und überraschend vor dem Lastwagen hätte erscheinen können, so dass der Beschwerdeführer diesen bei einem Blick in die Spiegel nicht rechtzeitig hätte sehen können. Ob der Beschwerdeführer nicht in die Spiegel geschaut oder den Verstorbenen trotz Spiegelkontrolle schlichtweg übersehen hat, ist im Hinblick auf den Tatbestand der fahrlässigen Tötung nicht entscheidend.  
 
1.4.3. Der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung verletzt kein Bundesrecht.  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Strafzumessung. Er rügt ausschliesslich die Höhe und nicht die Anzahl der gegen ihn ausgesprochenen Tagessätze. Er moniert, die Vorinstanz sei bei der Berechnung des Tagessatzes von falschen Tatsachen ausgegangen und habe nicht beachtet, dass er Vater von drei Kindern und nicht bloss von einem Kind ist, weshalb der Tagessatz zu hoch sei.  
 
2.2. Die Rüge erweist sich als begründet. Ob die gesetzlichen Voraussetzungen zur Durchführung des nach kantonaler Praxis üblichen schriftlichen Berufungsverfahrens vorliegend gegeben waren, obwohl die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hat und somit zur Berufungsverhandlung vorzuladen war (vgl. Art. 405 Abs. 3 lit. b StPO) und zudem der Sachverhalt in wesentlichen Punkten strittig war (vgl. Art. 406 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 StPO), kann mangels einer Rüge des Beschwerdeführers offenbleiben. Will das Berufungsgericht entgegen der gesetzlichen Prämisse die Berufung nicht im mündlichen, sondern im schriftlichen Verfahren behandeln (vgl. Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1316 Ziff. 2.9.3.2; BGE 143 IV 483 E. 2.1 1), ist neben den gesetzlichen Voraussetzungen von Art. 406 StPO erforderlich, dass es über alle für den Schuld- und Strafpunkt erforderlichen Informationen und Nachweise verfügt. Hierzu gehören namentlich die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person im Zeitpunkt der Urteilsfällung. Sind die Angaben nicht vollständig oder Änderungen aufgrund der Zeitspanne zwischen dem erstinstanzlichen und dem Berufungsurteil nicht auszuschliessen, hat das Berufungsgericht alle erforderlichen Beweise von Amtes wegen zu erheben (vgl. Art. 389 Abs. 2 und 3 StPO).  
Dies war vorliegend offensichtlich nicht der Fall. Aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer bereits im erstinstanzlichen Verfahren im Juni 2016 angab, seine Frau erwarte zwischen Mitte August und Anfang September (2016) das dritte Kind. Warum die Vorinstanz bei der Berechnung der Tagessatzhöhe nur von einem Kind ausgegangen ist, ergibt sich weder aus dem angefochten Urteil noch den Parteieingaben im Berufungsverfahren. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet. 
 
3.  
Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Verfahrenskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen, soweit er mit seinen Rechtsbegehren unterliegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Kanton Aargau trägt keine Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 4 BGG), hat jedoch den Beschwerdeführer im Umfang dessen Obsiegens angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, Ziffer 2 des Urteils des Obergerichts des Kantons Aargau vom 21. September 2017 aufgehoben und die Sache in diesem Punkt zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Dem Beschwerdeführer werden Gerichtskosten von Fr. 2'000.- auferlegt. 
 
3.  
Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. Dezember 2018 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Held