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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_91/2025  
 
 
Urteil vom 7. März 2025  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Moser-Szeless, Präsidentin, 
Bundesrichter Stadelmann, Beusch, 
Gerichtsschreiberin Keel Baumann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Leo Sigg, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Lagerhausstrasse 19, 8400 Winterthur, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Rechtsverzögerungsbeschwerde gegen das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1961 geborene A.________ meldete sich im März 2015 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich verneinte einen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung (Verfügung vom 13. Oktober 2018). Die von A.________ dagegen am 12. November 2018 erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich (nachfolgend: Sozialversicherungsgericht) ab (Urteil vom 10. August 2020). A.________ gelangte ans Bundesgericht, welches seine Beschwerde teilweise guthiess, das vorinstanzliche Urteil aufhob und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückwies (Urteil 9C_603/2020 vom 3. Februar 2021). Es erkannte, die Vorinstanz habe den rechtserheblichen Sachverhalt ergänzend abzuklären, gestützt darauf ein strukturiertes Beweisverfahren durchzuführen und über die Beschwerde betreffend Rente und berufliche Massnahmen neu zu entscheiden (E. 3.3).  
 
A.b. Nachdem A.________ ihm am 12. März 2021 als Gutachter die beiden Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie FMH Dr. med. B.________ und PD Dr. med. C.________ vorgeschlagen hatte, entschied das Sozialversicherungsgericht mit Beschluss vom 3. Mai 2021, dass bei Dr. med. D.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ein psychiatrisches Gutachten eingeholt werde. Es setzte den Parteien Frist, um allfällige Ablehnungsgründe zu nennen sowie Änderungen und Ergänzungen zur Fragestellung zu beantragen. Die daraufhin eingegangenen Anträge des A.________ auf Wechsel des Gutachters und Anordnung einer tontechnischen Aufzeichnung während der Begutachtung (Eingabe vom 10. Mai 2021) wies es ab. Seinem Antrag auf Abänderung von Frage 7 des in Aussicht genommenen Fragekatalogs (Eingabe vom 6. Mai 2021) entsprach es insoweit, als es die betreffende Frage neu formulierte (Beschluss vom 15. Juli 2021). Am 1. Oktober 2021 erteilte das Sozialversicherungsgericht Dr. med. D.________ den Auftrag für die psychiatrische Begutachtung. Mit Schreiben vom 23. Februar 2022 monierte A.________ beim Sozialversicherungsgericht, dass seit der Auftragserteilung an den Gutachter und Übermittlung der Akten fast fünf Monate vergangen seien und ihm noch nicht einmal der Begutachtungstermin bekannt sei; weiter ersuchte er erneut darum, eine andere Gutachterperson zu beauftragen. Nach telefonischer Rücksprache mit Dr. med. D.________, welcher eine Erstellung des Gutachtens bis etwa Ende Mai 2022 als realistisch erachtete, teilte das Sozialversicherungsgericht A.________ am 1. März 2022 mit, dass am beauftragten Gutachter festgehalten werde. Am 12. Mai 2022 fand die Begutachtung statt. Das Gutachten wurde am 27. Juni 2022 erstattet. Die Parteien erhielten die Gelegenheit, sich dazu zu äussern, wovon beide Gebrauch machten. Während die IV-Stelle sich dahingehend äusserte, dass ein Leistungsanspruch gestützt auf das Gutachten zu verneinen sei, stellte sich A.________ auf den Standpunkt, das eingeholte Gutachten sei nicht beweiskräftig, es müsse ein neues bei einem der vorgeschlagenen Gutachter veranlasst werden. Weiter beantragte er den Ausstand der Richter und des Gerichtsschreibers, die am Verfahren beteiligt waren (Eingabe vom 13. Oktober 2022). Mit Beschluss vom 14. November 2022 trat das Sozialversicherungsgericht auf das Ausstandsbegehren nicht ein.  
 
A.c. In einem Schreiben vom 5. Dezember 2024 erkundigte sich A.________ beim Sozialversicherunsgericht nach dem Verfahrensstand; gleichzeitig drohte er die Anhebung einer Rechtsverzögerungsbeschwerde an. Nachdem er auf sein Schreiben keine Antwort erhalten hatte, versandte er am 10. Januar 2025 ein Mahnschreiben, in welchem er dem Sozialversicherungsgericht Frist bis 31. Januar 2025 für den Versand des Urteils ansetzte, und ankündigte, dass er im Fall, dass das Urteil bis 3. Februar 2025 nicht vorliege, Rechtsverzögerungsbeschwerde erheben werde.  
 
B.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, es sei festzustellen, dass eine Rechtsverzögerung vorliegt, und das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich sei anzuweisen, innert einer vom Bundesgericht festzusetzenden Frist das längst überfällige Urteil zu erlassen oder ein neues Gutachten bei einem der ursprünglich vorgeschlagenen unabhängigen Gutachter der damaligen IV-Liste in Auftrag zu geben. 
In seiner Vernehmlassung informierte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich dahingehend, dass der nächste Verfahrensschritt zur Zeit der Erhebung der Beschwerde ans Bundesgericht in Bearbeitung gestanden habe. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen das unrechtmässige Verzögern oder Verweigern eines anfechtbaren Entscheides kann Beschwerde geführt werden (Art. 94 BGG). Jede Person hat im Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV; vgl. auch Art. 61 lit. a ATSG sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Eine Rechtsverzögerung und damit eine Verletzung dieser Verfahrensgarantie liegt nach der Rechtsprechung unter anderem dann vor, wenn eine Gerichts- oder Verwaltungsbehörde einen Entscheid nicht binnen der Frist fasst, welche nach der Natur der Sache und der Gesamtheit der übrigen Umstände als angemessen erscheint. Ob sich die gegebene Verfahrensdauer mit dem Anspruch des Bürgers auf Rechtsschutz innert angemessener Frist verträgt oder nicht, ist am konkreten Einzelfall zu prüfen. Massgeblich ist namentlich die Art des Verfahrens, die Schwierigkeit der Materie und das Verhalten der Beteiligten (Urteile 9C_74/2021 vom 11. März 2021 E. 1; 5A_768/2020 vom 23. November 2020 E. 2; Felix Uhlmann, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 6 zu Art. 94 BGG mit weiteren Hinweisen). Dabei kann die Gesamtdauer des Verfahrens auch dann als unangemessen erscheinen, wenn die Verfahrensdauer vor der jeweiligen Instanz für sich allein noch als angemessen gilt (Urteil 8C_633/2014 vom 11. Dezember 2014 E. 3.1, in: SVR 2015 IV Nr. 12 S. 33; UHLMANN, a.a.O., N. 6 zu Art. 94 BGG). So bejahte das Bundesgericht beispielsweise eine unrechtmässige Verzögerung des Verfahrens in einem Fall, in welchem die gesamte Verfahrensdauer 33 Monate seit Anhängigmachen und 27 Monate seit Eintritt der Behandlungsreife erreicht hatte (BGE 125 V 373). Ebenso entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass eine Verfahrensdauer von neuneinhalb Jahren im Streit um eine Invalidenrente im Hinblick auf die Bedeutung des Entscheides für die leistungsansprechende Person zu lang sei (Urteil des EGMR Stamoulakatos gegen Griechenland vom 26. November 1997, 164/1996/783/984, § 39, vgl. Recueil CourEDH 1997-VII S. 2640). 
 
2.  
 
2.1. Es steht fest und ist unbestritten, dass die Vorinstanz, nachdem die Sache mit Urteil vom 3. Februar 2021 an sie zurückgewiesen worden war, zwar ein Gerichtsgutachten einholte, welches am 27. Juni 2022 erstattet wurde. Die von ihr seit dessen Eingang unternommenen Schritte scheinen sich nach den Akten allerdings darauf beschränkt zu haben, dass sie den Parteien die Gelegenheit einräumte, zum Gutachten Stellung zu nehmen (wovon der Beschwerdeführer am 13. Oktober 2022 Gebrauch machte), und dass sie auf das Ausstandsbegehren des Beschwerdeführers nicht eintrat (Beschluss vom 14. November 2022).  
 
2.2. Der Beschwerdeführer lässt vorbringen, die Vorinstanz habe seit dem Erlass des Nichteintretensentscheids vom 14. November 2022 sämtliche weiteren Verfahrenshandlungen eingestellt. Auch auf seine beiden Schreiben vom 5. Dezember 2024 und 10. Januar 2025 habe sie nicht reagiert; ebensowenig habe sie diese der ins Beschwerdeverfahren involvierten IV-Stelle zugestellt. Die Vorinstanz bestreitet diese Sachverhaltsdarstellung nicht, sondern verweist lediglich darauf, dass "der nächste Verfahrensschritt" - um welchen es sich handelt, führt sie nicht aus und ergibt sich auch nicht aus den von ihr eingereichten Akten - zur Zeit der Erhebung der Rechtsverzögerung in Bearbeitung gestanden habe.  
 
2.3. Das Verfahren war seit der mit Urteil vom 3. Februar 2021 erfolgten Rückweisung erneut bei der Vorinstanz hängig, im Zeitpunkt der Erhebung der Rechtsverzögerungsbeschwerde mithin seit etwa vier Jahren. Da es sich dabei um die Fortsetzung des bei ihr bereits im November 2018 - mithin mehr als zwei Jahre zuvor - eingeleiteten Beschwerdeverfahrens handelt, wäre die Vorinstanz umso mehr verpflichtet gewesen, weitere Verfahrensschritte zügig zu unternehmen, dies unabhängig davon, ob sie die Sache aufgrund des Gerichtsgutachtens vom 27. Juni 2022 für spruchreif oder weitere Abklärungen für angezeigt hielt. Anfänglich trug der Beschwerdeführer mit seinen Eingaben zwar dazu bei, dass sich das Verfahren in die Länge zog, aber spätestens seit seiner letzten, am 13. Oktober 2022 erfolgten Eingabe war er für weitere Verzögerungen nicht mehr mitverantwortlich. Es ist einzig der Vorinstanz anzulasten, dass sie in den seither verstrichenen mehr als zwei Jahren untätig blieb und das Verfahren in dieser Zeit keine Fortschritte mehr nahm. An der ihr demnach vorzuwerfenden Verfahrensverzögerung vermag der gemäss ihrer Vernehmlassung inzwischen eingeleitete, nicht näher dokumentierte Verfahrensschritt nichts zu ändern. So ist insbesondere auch das aktuelle Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers immer noch gegeben, da noch kein Urteil ergangen ist (vgl. BGE 125 V 373 E. 1; Urteil 7B_60/2023 vom 13. März 2024 E. 1.2.1).  
 
2.4. Nach dem Gesagten erweist sich die Rechtsverzögerungsbeschwerde als begründet. Die Vorinstanz wird angewiesen, das am 12. November 2018 eingeleitete und bei ihr seit der Rückweisung mit Urteil vom 3. Februar 2021 wieder anhängige Verfahren zügig an die Hand zu nehmen, d.h. im Falle fehlender Spruchreife beförderlich weitere Abklärungen zu veranlassen, und über die Beschwerde vom 12. November 2018 so rasch wie möglich zu entscheiden. Die Ansetzung einer konkreten Behandlungsfrist, wie vom Beschwerdeführer gefordert, kann aus Gründen der Rechtsgleichheit grundsätzlich nicht angeordnet werden (Urteil 2C_119/2024 vom 1. März 2024 E. 5; UHLMANN, a.a.O., N. 8 zu Art. 94 BGG).  
 
3.  
Bei diesem Verfahrensausgang steht dem obsiegenden Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Der unterliegende Kanton Zürich trägt keine Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen und es wird eine Rechtsverzögerung durch das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich festgestellt. Dieses wird angewiesen, die Sache an die Hand zu nehmen und so rasch wie möglich zum Entscheid zu führen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 7. März 2025 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Moser-Szeless 
 
Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann