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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_95/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 16. Oktober 2014  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Rüedi, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel U. Walder, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,  
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Aufschub des Strafvollzugs zugunsten der ambulanten Massnahme (Art. 63 StGB); rechtliches Gehör, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 1. Oktober 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
 X.________ werden Straftaten in erster Linie zum Nachteil seiner früheren Freundin vorgeworfen. Er soll diese über längere Zeit in erheblicher Weise bedrängt, eingeschüchtert, bedroht und genötigt haben. 
 
B.  
 
 Das Bezirksgericht Uster sprach X.________ am 1. November 2012 u.a. wegen Freiheitsberaubung, Verleumdung, mehrfacher Drohung, mehrfacher versuchter Nötigung, Beschimpfung sowie mehrfachen Missbrauchs einer Fernmeldeanlage schuldig. Es bestrafte ihn mit 24 Monaten Freiheitsstrafe sowie mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 50.-- und einer Busse von Fr. 500.--, teilweise als Zusatzstrafe zum Strafbefehl des Untersuchungsamts Uznach vom 14. Juli 2010. Es erklärte die Strafen für vollziehbar. Den Vollzug der Freiheitsstrafe schob es zugunsten der angeordneten ambulanten Behandlung auf. 
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich legte Berufung ein, beschränkt auf die Bemessung der Strafe und den Aufschub des Vollzugs der Freiheitsstrafe zugunsten der ambulanten Massnahme. 
Das Obergericht des Kantons Zürich stellte am 1. Oktober 2013 die Rechtskraft des bezirksgerichtlichen Urteils betreffend Schuldpunkt, Massnahmeanordnung sowie Kosten- und Entschädigungsregelung fest. Es bestätigte die Höhe der Geldstrafe und der Busse. Die Freiheitsstrafe setzte es auf 27 Monate fest (Dispositivziffer 1). Es erklärte die Strafen für vollziehbar (Dispositivziffer 2). Den Vollzug der Freiheitsstrafe schob es nicht zum Zweck der angeordneten ambulanten Behandlung auf (Dispositivziffer 3). 
 
C.  
 
 Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, es sei Dispositivziffer 3 des obergerichtlichen Urteils aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen, verbunden mit der Anweisung, ein aktuelles Gutachten, eventualiter einen aktuellen Zwischenbericht zur Frage einzuholen, ob die tatsächliche Aussicht auf eine erfolgreiche Behandlung durch den sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafe erheblich beeinträchtigt würde und dieser deshalb aufzuschieben sei. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
 Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verweigerung des Aufschubs des Strafvollzugs zwecks ambulanter Behandlung. Er macht geltend, das Gutachten vom 5. März 2012 sei unvollständig und zudem überholt, weil sich seine Lebensverhältnisse zwischen Begutachtung und vorinstanzlichem Urteil grundlegend verändert hätten. Er arbeite seit dem 22. April 2013 wieder bei seiner langjährigen Arbeitgeberin und habe am 7. September 2013 seine neue Freundin geheiratet. Ausserdem habe er eine eigene Wohnung bezogen und einen grossen Teil seiner Schulden zurückgezahlt. Die Vorinstanz hätte unter diesen Umständen - wie von ihm beantragt - ein aktuelles Gutachten, mindestens aber einen aktuellen Zwischenbericht des ihn behandelnden Therapeuten einholen müssen. Der angefochtene Entscheid verletze Art. 63 Abs. 2 StGB, Art. 29 Abs. 2 BV sowie Art. 343 StPO
 
2.  
 
 Soweit der Beschwerdeführer ergänzend darauf hinweist, dass seine Ehefrau am 12. Januar 2014 in die Schweiz einreiste, um hier in Zukunft mit ihm zu leben, handelt es sich um ein unzulässiges Novum, welches im bundesgerichtlichen Verfahren unbeachtlich bleibt (Art. 99 BGG). 
 
3.  
 
 Das Gericht kann den Vollzug einer zugleich ausgesprochenen Freiheitsstrafe zu Gunsten einer ambulanten Massnahme aufschieben, um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen (Art. 63 Abs. 2 StGB). Der Strafaufschub ist nach der Praxis des Bundesgerichts anzuordnen, wenn eine tatsächliche Aussicht auf erfolgreiche Behandlung durch den sofortigen Vollzug der ausgefällten Freiheitsstrafe erheblich beeinträchtigt würde. Die Therapie geht vor, falls eine sofortige Behandlung gute Resozialisierungschancen bietet, welche der Strafvollzug klarerweise verhindern oder vermindern würde. Dabei sind einerseits die Auswirkungen des Strafvollzuges, die Erfolgsaussichten der ambulanten Behandlung und die bisherigen Therapiebemühungen zu berücksichtigen, andererseits aber auch das kriminalpolitische Erfordernis, Straftaten schuldangemessen zu ahnden bzw. rechtskräftige Strafen grundsätzlich zu vollziehen. Der Aufschub ist die Ausnahme und muss sich aus Gründen der Heilbehandlung hinreichend rechtfertigen (BGE 129 IV 161 E. 4.1 und E. 4.3; Urteil 6B_495/2012 vom 6. Februar 2013 E. 6.2 mit Hinweis). 
Für die Beurteilung der Frage, ob der sofortige Vollzug der Strafe den Therapieerfolg erheblich gefährden würde, muss das Gericht ein Gutachten einholen (vgl. Art. 56 Abs. 3 lit. c StGB; BGE 129 IV 161 E. 4.1; 116 IV 101 E. 1b; 115 IV 89 E. 1c und 3d). Ob ein Gutachten noch hinreichend aktuell ist, ist nicht primär eine Frage seines formalen Alters. Vielmehr ist relevant, ob sich die Ausgangslage seit der Erstellung des Gutachtens gewandelt hat (BGE 134 IV 246 E. 4.3; 128 IV 241 E. 3.4). 
 
4.  
 
4.1. Nach dem psychiatrischen Gutachten vom 5. März 2012 sind die Voraussetzungen für eine ambulante Massnahme namentlich aufgrund der akzentuierten narzisstisch-unreifen Persönlichkeitszüge des Beschwerdeführers und der belasteten Legalprognose gegeben. Die Rückfallgefahr sei insbesondere bezüglich der Geschädigten und deren Umfeld gegeben, bezüglich künftiger Partnerinnen sollte sie günstiger ausfallen, wiewohl die prognostisch ungünstige Persönlichkeitsdisposition bei defizitärer Beziehungsfähigkeit fortbestehe. Mit Hilfe einer einzeltherapeutischen deliktpräventiven Psychotherapie bestehe eine intakte Aussicht, die Legalprognose signifikant zu verbessern. Ein stationäres Setting sei nicht notwendig. Im Falle der Weiterführung der Haft entstünden durch eine strafvollzugsbegleitende Therapie keine Nachteile hinsichtlich der Effizienz der Behandlung. Ein Aufschub des Strafrests könnte indes die Motivation zur Rückfallfreiheit begünstigen, um einen erneuten Arbeitsstellenverlust zu verhindern (Entscheid, S. 15).  
 
4.2. Der Beschwerdeführer begann im Juli 2012 mit einer ambulanten therapeutischen Behandlung. Vom 23. Mai 2012 bis zum 23. August 2012 befand er sich im Strafvollzug. Er delinquierte zwischen dem 2. Juni 2012 und dem 3. Oktober 2012 erneut einschlägig. Ab 4. Oktober 2012 war er für 20 Tage in Untersuchungshaft (Entscheid, S. 16 f.).  
 
4.3. Nach dem Zwischenbericht des behandelnden Therapeuten vom 27. April 2013 wurde die psychoedukative und deliktorientierte Therapie im Oktober 2012 durch die 20-tägige Untersuchungshaft unterbrochen und gelang der eigentliche Therapieeinstieg erst Ende Oktober 2012 nach Entlassung des Beschwerdeführers. Das Rückfallrisiko bezüglich der Anlasstaten (Drohung, Nötigung) präsentiert sich laut dem Therapeuten im Berichtszeitraum im Vergleich zum Therapiebeginn im Wesentlichen unverändert. Abzuwarten bleibe, wie sich die Therapie vor dem Hintergrund einer sich neu anbahnenden Beziehung des Beschwerdeführers zu einer andern Frau und der Rückkehr zum alten Arbeitsplatz entwickeln werde. Zumindest hätten sich damit die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Therapie deutlich verbessert (Entscheid, S. 15 f).  
 
5.  
 
5.1. Die Vorinstanz stützt sich bei ihrem Entscheid auf das psychiatrische Gutachten vom 5. März 2012. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde befasst sich dieses hinreichend mit der Frage des Strafaufschubs. Danach entstehen durch eine strafvollzugsbegleitende Therapie keine Nachteile in Bezug auf die Effizienz der Behandlung. Mit andern Worten ist es im Hinblick auf den Therapieerfolg nicht entscheidend, ob der Beschwerdeführer in Freiheit oder im Strafvollzug behandelt wird. Aus gutachterlicher Sicht sind Strafvollzug und ambulante Therapie miteinander vereinbar. Dass sich das Gutachten auch dazu äussert, wie vorzugehen wäre, falls die ambulante Behandlung in Freiheit durchgeführt würde, ist kein Zeichen von Unsicherheit, sondern spricht dafür, dass die Materie abschliessend beurteilt wurde.  
 
5.2. Dass sich die Situation des Beschwerdeführers teilweise verändert und damit beruhigt hat, ist nicht streitig. Die Vorinstanz stellt fest, dass dieser seit dem 22. April 2013 wieder bei seiner früheren Arbeitgeberin arbeitet, er im Haus seiner Familie eine eigene Wohnung bezogen, am 7. September 2013 seine neue Freundin geheiratet und seine Schulden zum Teil zurückgezahlt hat (Entscheid, S. 18). Unter diesen Umständen leuchtet ein, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe den weiteren Therapieverlauf beeinträchtigen und zu Rückschlägen führen könnte. Nicht ersichtlich ist jedoch, weshalb die Weiterführung der ambulanten Behandlung im Strafvollzug nicht mehr möglich und die gutachterliche Beurteilung damit nicht mehr zutreffend sein sollte. Allgemeine destabilisierende Folgen des Strafvollzugs - zum Beispiel wegen eines Abbruchs von gefestigten familiären, sozialen oder beruflichen Strukturen - genügen nicht, um einen Aufschub der Freiheitsstrafe anzuordnen (vgl. statt vieler Urteile 6B_107/2011 vom 23. Mai 2011 E. 5.3). Der Freiheitsentzug ist für jede beruflich und sozial integrierte Person ein Härtefall.  
Auch der Zwischenbericht vom 27. August 2013 legt entgegen den Andeutungen in der Beschwerde nicht nahe, dass sich ein Strafaufschub aus Gründen der Heilbehandlung aufdrängen würde. Aufgrund der sich neu anbahnenden Beziehung des Beschwerdeführers zu einer anderen Frau und der Wiederaufnahme seiner beruflichen Tätigkeit beim früheren Arbeitgeber ist nach dem Therapeuten zwar von verbesserten Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Therapie auszugehen. Indessen bleibe abzuwarten, wie sich die Therapie vor diesem Hintergrund entwickeln werde. Damit bringt der Therapeut nach der nicht zu beanstandenden Auffassung der Vorinstanz lediglich seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die bisher nicht als vorbehaltlos erfolgreich eingestufte Therapie beim Beschwerdeführer nunmehr besser anschlagen werde. Hingegen gibt er damit nicht zu verstehen, dass die in Freiheit günstigen Bewährungsaussichten der ambulanten Therapie durch den Strafvollzug zunichte gemacht oder erheblich beeinträchtigt würden. 
 
5.3. Wesentliche Umstände, die eine Neubegutachtung erfordern würden, sind insgesamt nicht erkennbar. Das Gutachten ist vollständig und weiterhin aktuell. Die Vorinstanz durfte daher auf ein neues Gutachten oder einen neuen Therapiebericht verzichten, ohne das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers zu verletzen. Sie hat Bundesrecht auch dadurch nicht verletzt, dass sie den Vollzug der Strafe nicht zum Zweck der angeordneten ambulanten Behandlung aufschob. Dazu kann auf ihre Ausführungen verwiesen werden (Entscheid, S. 17 f.). Der angefochtene Entscheid ist bundesrechtskonform.  
Unter diesen Umständen muss auf die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seiner Gefährlichkeit nicht weiter eingegangen werden . 
 
6.  
 
 Die Beschwerde ist abzuweisen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Oktober 2014 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill