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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_729/2017  
 
 
Urteil vom 26. März 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione. 
Gerichtsschreiberin Kopp Käch. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Familienausgleichskasse des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, Postfach, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
 A.________, vertreten durch B.________, 
Beschwerdegegnerin, 
 
Gegenstand 
Familienzulage, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 21. September 2017 (FZG 2016/7). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die 1967 geborene, mit B.________ verheiratete A.________ meldete sich am 15. November 2013 als Nichterwerbstätige zum (weiteren) Bezug von Familienzulagen ab 1. November 2013 an. Die Familienausgleichskasse des Kantons St. Gallen sprach ihr mit Verfügung vom 13. Dezember 2013 auf provisorischer Basis für ihre Kinder C.________ (geb. 1999), D.________ (geb. 2003) und E.________ (geb. 2008) Kinderzulagen ab 1. November bis 31. Dezember 2013 in der Höhe von monatlich Fr. 600.- zu.  
 
A.b. Mit Verfügung vom 1. Juli 2016 verneinte die Familienausgleichskasse den Anspruch auf Familienzulagen für die Monate November und Dezember 2013, da das massgebende Einkommen von Fr. 53'400.- über der gesetzlichen Einkommensgrenze von Fr. 42'120.-liege. Sie hob die Verfügung vom 13. Dezember 2013 auf mit dem Hinweis, bereits ausbezahlte Familienzulagen würden separat zurückgefordert oder belastet werden. An ihrem Standpunkt hielt sie mit Einspracheentscheid vom 4. November 2016 fest.  
 
B.   
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 21. September 2017 gut und hob den Einspracheentscheid vom 4. November 2016 auf. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Familienausgleichskasse die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Bestätigung des Einspracheentscheids. 
 
A.________ lässt durch ihren Ehemann auf Abweisung der Beschwerde schliessen, während das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) deren Gutheissung beantragt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, indem es den Anspruch der Beschwerdegegnerin auf Familienzulagen für die drei Kinder für die Monate November sowie Dezember 2013 im Betrag von insgesamt Fr. 1'200.- bejahte und eine Rückerstattungspflicht verneinte. Nicht bestritten sind dabei die grundsätzliche Anspruchsberechtigung der Beschwerdegegnerin als Nichterwerbstätige und ihr gemäss Steuermeldung für das Steuerjahr 2013 vom 28. Juni 2016 zusammen mit dem Ehemann erzieltes steuerbares Einkommen in der Höhe von Fr. 53'400.-.  
 
2.2. Im angefochtenen Entscheid sind die Bestimmungen und Grundsätze zum Anspruch auf Familienzulagen (Art. 6 und 7 FamZG), insbesondere zum Anspruch Nichterwerbstätiger (Art. 19 Abs. 1 FamZG), sowie zur Rückerstattung unrechtmässig bezogener Familienzulagen (Art. 1 FamZG i.V. mit Art. 25 Abs. 1 ATSG) zutreffend dargelegt worden. Darauf kann verwiesen werden.  
 
2.3. Bei Nichterwerbstätigen ist der Anspruch auf Familienzulagen gemäss Art. 19 Abs. 2 FamZG an die Voraussetzung geknüpft, dass das steuerbare Einkommen den anderthalbfachen Betrag einer maximalen vollen Altersrente der AHV nicht übersteigt und keine Ergänzungsleistungen zur AHV/IV bezogen werden. Art. 17 FamZV präzisiert, dass für die Bemessung des Einkommens der Nichterwerbstätigen das steuerbare Einkommen nach dem Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG) massgebend ist.  
 
3.  
 
3.1. Das kantonale Gericht hat das Vorgehen der Familienausgleichskasse insoweit bestätigt, als das vom Ehemann der Beschwerdegegnerin im Jahr 2013 im Ausland erzielte Einkommen bei der Ermittlung des massgeblichen steuerbaren Einkommens zu berücksichtigen sei. Es geht bezüglich Art. 19 Abs. 2 FamZG jedoch von einer unechten Gesetzeslücke aus, da die Bestimmung nicht zwischen Ehegatten und Alleinstehenden differenziere und deshalb zu einer unbefriedigenden Lösung in Form einer Ungleichbehandlung von verheirateten und nicht verheirateten Personen führe. Die Vorinstanz schliesst diese in ihren Augen bestehende unechte Lücke, indem sie in Anlehnung an Art. 28 Abs. 4 AHVV nur die Hälfte des steuerbaren Einkommens, mithin Fr. 26'700.-, berücksichtigt. Mit diesem Betrag, so das kantonale Gericht, werde der Grenzbetrag von Fr. 41'420.- nicht erreicht, weshalb der Zulagenanspruch in der Verfügung vom 13. Dezember 2013 zu Recht bejaht worden sei und kein Grund zur Rückforderung der für November und Dezember 2013 ausgerichteten Zulagen bestehe.  
 
3.2. Die vorinstanzliche Auffassung hält vor Bundesrecht nicht stand:  
 
3.2.1. In Art. 19 Abs. 2 FamZG findet sich unbestrittenermassen keine echte Gesetzeslücke, weil das Gesetz zur vorliegenden Rechtsfrage eine Antwort enthält. Selbst wenn die Bestimmung, wovon die Vorinstanz ausgeht, eine unechte bzw. rechtspolitische Lücke, die zu einem sachlich unbefriedigenden Ergebnis führt, enthalten würde, hätte das Gericht eine solche im Allgemeinen hinzunehmen. Sie regelbildend zu schliessen, stünde ihm nur dort zu, wo der Gesetzgeber sich offenkundig über gewisse Tatsachen geirrt hat oder wo sich die Verhältnisse seit Erlass des Gesetzes in einem Masse gewandelt haben, dass die Vorschrift unter gewissen Gesichtspunkten nicht oder nicht mehr befriedigt und ihre Anwendung rechtsmissbräuchlich wird (BGE 124 V 159 E. 4c S. 164 mit Hinweisen; vgl. auch Urteil 8C_496/2017 vom 5. Februar 2018 E. 5.3.3).  
 
3.2.2. Der Anspruch Nichterwerbstätiger auf Familienzulagen knüpft an das steuerbare Einkommen nach dem DBG an (Art. 19 Abs. 2 FamZG i.V. mit Art. 17 FamZV). Gestützt auf Art. 127 Abs. 2 BV gilt der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Ausdruck der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist im schweizerischen Steuersystem das steuerbare Einkommen, welches nach den Bestimmungen des DBG ermittelt wird (Art. 16 ff. DBG). Ehegatten, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben, werden gemeinsam besteuert (Art. 9 DBG); entsprechend resultiert bei der Familienbesteuerung für Ehepaare und deren Kinder unter elterlicher Sorge nur ein steuerbares Einkommen. Da dieses die subjektive Leistungsfähigkeit der steuerbaren Personen berücksichtigt, ist es, wie das BSV in seiner Vernehmlassung darlegt, grundsätzlich sachgerecht, dass Art. 19 Abs. 2 FamZG nur auf ein einziges steuerbares Einkommen abstellt.  
 
3.2.3. Eine sachlich unbefriedigende Lösung in Form einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung verheirateter Paare und nicht verheirateten Personen liegt, wie das BSV aufzeigt, nicht vor:  
 
3.2.3.1. Ausgehend von einem gleich hohen Bruttoeinkommen, identischen Gewinnungskosten und derselben Anzahl Kinder resultiert bei verheirateten Personen infolge des Verheiratetenabzuges (Art. 35 Abs. 1 lit. c DBG) und allenfalls des Zweitverdienerabzuges (Art. 33 Abs. 2 DBG) ein tieferes steuerbares Einkommen als bei einer alleinstehenden (alleinerziehenden) Person. Die in Art. 19 Abs. 2 FamZG statuierte Anknüpfung an das steuerbare Einkommen zur Ermittlung der Einkommensgrenze berücksichtigt demnach die unterschiedliche wirtschaftliche Situation einer Einelternfamilie im Vergleich zu einer Familie mit beiden Elternteilen. Die von der Vorinstanz vorgenommene Halbierung des steuerbaren Einkommens bei verheirateten Eltern würde zu einer diesbezüglichen Schlechterstellung der Einelternfamilien führen.  
 
3.2.3.2. Im Vergleich zu Konkubinatspaaren sind verheiratete Paare in Bezug auf die Familienzulagen für Nichterwerbstätige in der Tat tendenziell schlechter gestellt, da Konkubinatspaare getrennt veranlagt werden und so die Wahrscheinlichkeit, dass das steuerbare Einkommen unter der für den Anspruch massgeblichen Einkommensgrenze bleibt, grösser ist. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung kann indes nicht bejaht werden, stellen doch Ehe und Konkubinat in der schweizerischen Rechtsordnung unterschiedliche Formen des Zusammenlebens mit unterschiedlichen Rechtswirkungen dar (vgl. BGE 140 I 77 E. 9 S. 88). Ein Konkubinatspaar bildet wohl faktisch, nicht jedoch rechtlich eine wirtschaftliche Einheit, führt es doch insbesondere nicht von Gesetzes wegen zu rechtlichen Unterhalts- und Beistandsansprüchen.  
 
3.3. Zusammenfassend bietet das Abstellen auf das ganze steuerbare Einkommen eines Ehepaares hinsichtlich der in Art. 19 Abs. 2 FamZG statuierten Einkommensgrenze für den Bezug von Familienzulagen für Nichterwerbstätige eine sachgerechte Lösung. Wohl mag sie nicht in jeder Hinsicht vollumfänglich befriedigend sein; dies genügt indessen nicht, um die geltende Gesetzesbestimmung als geradezu unhaltbar erscheinen zu lassen. Es ist daher nicht Sache des Gerichts, eine andere Regelung zu treffen (BGE 130 V 39 E. 4.3 S. 47 mit Hinweisen; vgl. Urteil 8C_496/2017 vom 5. Februar 2018 E. 5.3.3). Durch das Ausfüllen einer von ihr angenommenen unechten Lücke hat die Vorinstanz mithin Bundesrecht verletzt, weshalb der angefochtene Entscheid aufzuheben ist.  
 
4.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdegegnerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
  
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 21. September 2017 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Familienausgleichskasse des Kantons St. Gallen vom 4. November 2016 bestätigt. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 26. März 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kopp Käch