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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.178/2004 /bri 
 
Urteil vom 21. Januar 2005 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, 
Ersatzrichter Killias, 
Gerichtsschreiber Monn. 
 
Parteien 
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, 6002 Luzern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
X.________, 
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat Frischkopf, 
 
Gegenstand 
Qualifizierter Raub (Art. 140 Ziff. 3 Abs. 2 StGB), qualifizierte Erpressung (Art. 156 Ziff. 3 StGB), qualifizierte Geiselnahme (Art. 185 Ziff. 2 StGB), 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Oberge-richts des Kantons Luzern, II. Kammer, vom 23. De-zember 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am Morgen des 29. September 2000 parkierte X.________ seinen Personenwagen auf dem Vorplatz der G.________Bank in Y.________. Mit einer Pistole, die er am Vorabend aus dem Haus seiner Eltern geholt hatte, betrat er maskiert die Schalterhalle. Als er die Sicherheitstrennscheibe zwischen dem Kundenraum und dem Kassenraum bemerkte, richtete er die Pistole drohend auf den Kopf des Kunden A.________. Dadurch veranlasste er die Bankangestellte B.________, ihm und A.________ Einlass in den Kassenraum zu gewähren und das in einer Schublade liegende Geld - insgesamt rund Fr. 93'000.-- in verschiedenen Währungen - in seinen Rucksack zu legen. Dabei bedrohte er B.________ und A.________, wobei er diesem die Waffe allerdings nicht mehr an den Kopf hielt. 
 
Nach einem ähnlichen Muster überfiel X.________ am 11. Januar 2002 die H.________Bank in Z.________. Er bedrohte in der Schalterhalle C.________ und erreichte dadurch, dass die Bankangestellte D.________ ihm das verfügbare Geld unter der Schalterverglasung durchschob. C.________ musste das Geld in den Rucksack von X.________ legen. Während des Vorfalls betraten E.________ mit ihrem Sohn ... und F.________ den Schalterraum, worauf X.________ sie mit vorgehaltener Waffe zwang, vor dem zweiten Schalter in die Knie zu gehen. F.________ verliess indessen sofort den Schalterraum, was X.________ hinnahm. Als er die Bank mit einer Beute von über Fr. 44'000.-- verliess, fiel er einem Ehepaar auf, welches die Nummer seines Wagens notierte und der Polizei meldete. 
B. 
Das Kriminalgericht des Kantons Luzern verurteilte X.________ am 31. Januar 2003 wegen mehrfacher (qualifizierter) Geiselnahme im Sinne von Art. 185 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 2 StGB, wegen Raubes im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 3 Abs. 2 StGB, wegen Erpressung im Sinne von Art. 156 Ziff. 1 und 3 StGB und wegen mehrfachen verbotenen Waffentragens im Sinne von Art. 27 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 1 lit. a WG zu viereinhalb Jahren Zuchthaus, abzüglich 27 Tage erstandener Untersuchungshaft. 
 
Auf Berufung des Verurteilten bestätigte das Obergerichts des Kantons Luzern am 23. Dezember 2003 das Urteil des Kriminalgerichts mit Ausnahme der Anklage der qualifizierten Geiselnahme (im Sinne von Art. 185 Ziff. 2 StGB), von welchem Vorwurf es ihn freisprach (und mit Ausnahme einiger weiterer Nebenpunkte, die für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung sind). Das Gericht reduzierte die Strafe auf dreieinhalb Jahre Zuchthaus, unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft. 
C. 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern gelangt mit eidge-nössischer Nichtigkeitsbeschwerde ans Bundesgericht und beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache sei zur Verurteilung des Beschwerdegegners wegen mehrfacher qualifizierter Geiselnahme im Sinne von Art. 185 Ziff. 2 StGB an die Vorinstanz zu-rückzuweisen. 
 
Die Vorinstanz beantragt in ihrer Stellungnahme, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Weitere Vernehmlassungen wurden nicht eingeholt. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Beschwerde richtet sich nur dagegen, dass die Vorinstanz den Beschwerdegegner vom Vorwurf der mehrfachen qualifizierten Geisel-nahme im Sinne von Art. 185 Ziff. 2 StGB freigesprochen hat. Dabei ist in tatsächlicher Hinsicht nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz davon auszugehen, dass der Beschwerdegegner beim ersten Überfall in Y.________die geladene, jedoch gesicherte Schuss-waffe, in deren Lauf sich keine Patrone befand, gegen den Kopf des Bankkunden A.________ gerichtet hat. Analog bedrohte er beim zweiten Überfall in Z.________ die Bankkundin C.________. 
1.1 Gemäss Art. 185 Ziff. 2 StGB ist wegen qualifizierter Geiselnahme mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren zu bestrafen, wer droht, das Opfer zu töten, körperlich schwer zu verletzen oder grausam zu be-handeln. Nach Ansicht der Vorinstanz liegt kein Fall der qualifizierten Geiselnahme vor. Beim ersten Überfall habe der Beschwerdegegner den Bankkunden A.________ mit einer Pistole bedroht, in deren Magazin sich vier Patronen befunden hätten. Die Pistole sei allerdings nicht durchgeladen und nicht entsichert gewesen, und der Beschwerdegegner habe seinen Finger nicht am Abzugshebel gehabt. Auch habe er keine Todesdrohungen geäussert. Die Geisel habe anfänglich eher an einen Scherz geglaubt, anschliessend aber während kurzer Zeit Todesangst gehabt. Diese bedrohliche Situation habe indessen nur kurze Zeit - weniger als eine Minute - gedauert und jedenfalls nicht genügt, um A.________ in einen Schockzustand zu versetzen. Auch sei ein Vorsatz, wie er nach Ziff. 2 von Art. 185 StGB erforderlich wäre, nicht erwiesen. Aus denselben Überlegungen sprach die Vorinstanz den Beschwerdegegner im Fall der Bankkundin C.________ vom Vorwurf der qualifizierten Geiselnahme frei. Die Geisel habe nach ihren eigenen Angaben keine Angst um ihr Leben gehabt. Deshalb könne nicht von einer ernsthaften Todesdrohung gesprochen werden. 
 
Die Beschwerdeführerin ist demgegenüber der Auffassung, der Tatbestand der qualifizierten Geiselnahme im Sinne von Art. 185 Ziff. 2 StGB sei in beiden Fällen erfüllt. Der Beschwerdegegner habe beide Male eine geladene Pistole mitgeführt, die mit einer Ladebewegung und Entsicherung hätte schussbereit gemacht werden können. Er habe die Waffe jeweils dem Opfer an den Kopf bzw. an die Schläfe gesetzt oder aus kurzer Distanz auf den Kopf gerichtet. Der qualifizierte Tatbestand verlange nicht eine unmittelbare Lebensgefahr für das Opfer, weshalb es nicht darauf ankomme, ob der Täter die Drohung wahr machen wolle. Dass die Drohung in den vorliegenden Fällen rasch beseitigt bzw. entschärft gewesen sei, sei im Übrigen - wie die Vorinstanz selber feststelle - vor allem auf das geschickte Verhalten der Bankangestellten zurückzuführen, die augenblicklich die Forderung des Beschwerdegegners erfüllt hätten. Es gehe indessen nicht an, die Anwendung des qualifizierten Tatbestandes vom Verhalten von Dritt-personen abhängen zu lassen. Im Zusammenhang mit dem Raub-vorwurf habe die Vorinstanz ferner festgestellt, dass die Waffe innert Sekunden hätte schussbereit gemacht werden können, was auch für die Frage der Gefährdung der Geiseln massgeblich sein müsse. Schliesslich sei auch der subjektive Tatbestand erfüllt, da es allein darauf ankomme, ob der Täter gewusst und gewollt eine grundsätzlich schiesstaugliche Waffe zur Bedrohung der Opfer eingesetzt habe. 
1.2 Zu prüfen ist, ob im vorliegenden Fall eine Drohung, das Opfer zu töten oder schwer zu verletzen, vorliegt. Dabei ist davon auszugehen, dass im schweizerischen Strafrecht eine vorsätzliche Gefährdung des Lebens in verschiedener Hinsicht strafbegründend oder strafschärfend eine Rolle spielt. So bildet die unmittelbare Gefährdung des Lebens den Kern des Tatbestandes von Art. 129 StGB, und sie stellt die wichtigste Variante bei der schweren Körperverletzung im Sinne von Art. 122 StGB dar. Weiter führt sie beim Raub im Sinne von Art. 140 Ziff. 4 StGB zu einer Mindeststrafe von fünf Jahren Zuchthaus. Im vorliegend interessierenden Art. 185 Ziff. 2 StGB wiederum geht es um die Drohung, das Opfer zu töten. Da es in all diesen Fällen um die Gefährdung des Lebens des Opfers geht und die Annahme einer solchen regelmässig zu einer erheblich höheren Mindeststrafe führt (oder die Strafbarkeit überhaupt erst begründet), wird in der Rechtsprechung regelmässig eine objektiv manifeste Gefährdung vorausgesetzt. So wurde etwa der Tatbestand von Art. 129 StGB bei der Bedrohung mit Schusswaffen nur als erfüllt erachtet, wenn der Täter geschossen hatte (was z.B. wegen allfälligen Querschlägern eine konkrete Gefahr entstehen liess) oder wenn er das Opfer mit einer entsicherten Waffe bedroht hatte (so in BGE 121 IV 67 S. 75; weitere Beispiele bei Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurz-kommentar, 2. Aufl. 1997, Art. 129 N 3). Zu Art. 140 Ziff. 4 StGB verlangt die bundesgerichtliche Rechtsprechung eine Bedrohung mit einer durchgeladenen und entsicherten Schusswaffe (BGE 117 IV 419 E. 4). In Bezug auf Art. 185 Ziff. 2 StGB hat das Bundesgericht in zwei Urteilen aus dem Jahre 1995 (BGE 121 IV 178 und 269) entschieden, dass die Bedrohung mit einer Spielzeugpistole für die Annahme des qualifizierten Tatbestandes nicht ausreicht, wohl aber die Bedrohung mit einer ungeladenen Pistole. Im ersten Fall ging es um einen ähnlichen Sachverhalt wie im vorliegenden Verfahren. Der Täter drückte anlässlich eines Banküberfalls die Spielzeugpistole einer Kundin an den Kopf, wobei sowohl der Bankangestellte wie auch die Kundin davon ausgingen, es handle sich um eine echte Waffe. In diesem Fall dauerte die Bedrohung nur einige Sekunden. Im zweiten Fall ging es um eine schwere eheliche Auseinandersetzung, bei welcher der Ehemann seine von ihm getrennt lebende Frau zunächst massiv bedrohte, dann die einzige geladene Patrone abfeuerte und der Frau schliesslich die nunmehr ungeladene Pistole wiederholt an den Kopf hielt. Zudem konnte er die Polizei während Stunden in Schach halten und sich mit der Frau für eine ganze Nacht entfernen. 
 
Es rechtfertigt sich, in Anlehnung an BGE 121 IV 178 E. 2c das entscheidende Kriterium in der Schwere der Beeinträchtigung der Opferinteressen zu erblicken. Entscheidend ist folglich nicht, ob die Waffe durchgeladen und entsichert, also augenblicklich schussbereit war und insoweit eine besonders nahe liegende Gefahr für das Leben des Opfers bestand, wie sie in Art. 129 und 140 Ziff. 4 StGB vorausgesetzt wird. Massgebend ist vielmehr, wie sehr das Opfer durch das Vorgehen des Täters in Mitleidenschaft gezogen wurde, wie gross z.B. das Risiko eines Schocks war (BGE 121 IV 269 E. 1c). Ein mögliches Kriterium ist auch die zeitliche Dauer der Bedrohung (BGE 121 IV 178 E. 2c). Allerdings ist immer allen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung ist z.B. zu berücksichtigen, wie leicht die Forderungen des Täters erfüllbar oder ob sie nur schwer erfüllbar waren. 
1.3 Im vorliegenden Fall war die vom Beschwerdegegner eingesetzte Pistole gemäss den Feststellungen der Vorinstanz nicht durchgeladen und nicht entsichert. Es bestand somit keine unmittelbare Lebens-gefahr für die Opfer. Die Drohung mit der Waffe war zudem nur von kurzer Dauer, und sie vermochte die Opfer nicht übermässig zu beeindrucken, da A.________ zunächst an einen Scherz glaubte und auch C.________ keine Angst um ihr Leben hatte. Beim zweiten Überfall konnte die unvermittelt eintretende F.________ den Schalterraum umgehend wieder verlassen, ohne dass sie der Beschwerdegegner daran gehindert oder mit Drohungen zu hindern versucht hätte. Auch dies spricht nicht für eine erhöhte Gewalt-bereitschaft gegenüber den Opfern. Zwar trifft es zu, dass die Lage in beiden Fällen schnell entschärft wurde, weil die Bankangestellten das verlangte Geld herausrückten. Auch ist einzuräumen, dass der Ablauf eines Banküberfalls schwer voraussehbar und letztlich auch für den Täter nicht völlig kontrollierbar ist. Anderseits konnte der Beschwerde-gegner, der keine unerfüllbaren Forderungen gestellt hatte, mit deren Erfüllung vernünftigerweise rechnen, und dem angefochtenen Entscheid ist nichts dafür zu entnehmen, dass sein Vorsatz auch einen dramatischeren Verlauf umfasst hätte. Gesamthaft gesehen verletzt der angefochtene Entscheid Bundesrecht nicht. Die Beschwerde ist deshalb als unbegründet abzuweisen. 
2. 
Gemäss Art. 278 Abs. 2 BStP sind keine Kosten zu erheben. Der Beschwerdegegner wurde nicht zu Vernehmlassung aufgefordert, weshalb er vor Bundesgericht keine Umtriebe hatte. Es muss deshalb keine Parteientschädigung ausgerichtet werden. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben und keine Parteientschädigungen ausgerichtet. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 21. Januar 2005 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: