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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_241/2019  
 
 
Urteil vom 3. Juli 2019  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, 
Gerichtsschreiberin Oswald. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Beiträge und Zulagen, 
Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 4. März 2019          (200 18 745 AHV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
B.________, einziger Verwaltungsrat der A.________ AG, meldete diese im Dezember 2014 für das vereinfachte Abrechnungsverfahren an. Mit Verfügung vom 21. August 2015 verneinte die Ausgleichskasse des Kantons Bern (fortan: Ausgleichskasse) für das Jahr 2015 dessen Zulässigkeit, hielt an der ordentlichen Abrechnung fest und veranlagte die Lohnbeiträge für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2015. Den Entscheid vom 11. Dezember 2015, mit dem die Ausgleichskasse auf die hiergegen erhobene Einsprache mangels Rechtsschutzinteresses nicht eingetreten war, hob das kantonale Gericht am 25. Mai 2016 auf und wies die Sache an die Verwaltung zurück, damit diese auf die Einsprache eintrete und über das anwendbare Verfahren entscheide. Die Verwaltung tätigte weitere Abklärungen und verweigerte der A.________ AG das vereinfachte Abrechnungsverfahren am 24. Februar 2017 erneut, weil der Einzellohn des B.________ über der hierfür geltenden Limite liege. 
 
B.  
 
B.a. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 4. Juli 2017 ab, da das vereinfachte Abrechnungsverfahren zur Steuerumgehung verwendet werde. Zu dessen quantitativen Voraussetzungen äusserte es sich nicht.  
 
B.b. Das Bundesgericht hiess die hiergegen gerichtete Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Urteil 9C_577/2017 vom 25. September 2018 gut. Es hob die vorinstanzliche Erkenntnis vom 4. Juli 2017 auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung - nach Abklärung des massgeblichen Sachverhalts bezüglich der quantitativen Voraussetzungen - an die Vorinstanz zurück.  
 
B.c. Das Verwaltungsgericht führte zu den quantitativen Voraussetzungen einen Schriftenwechsel durch. Die A.________ AG äusserte sich mit Eingabe vom 12. November 2018 nicht zum Quantitativ. Die Verwaltung verwies auf die Verfahrensakten, woraus sich nach übereinstimmender Auffassung der Parteien eine Lohnsumme von (ungekürzt) Fr. 30'000.- ergebe. Mit Entscheid vom 4. März 2019 wies die Vorinstanz die Beschwerde (erneut) ab, soweit sie darauf eintrat.  
 
C.   
Die A.________ AG (fortan: Gesellschaft) führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es sei der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 4. März 2019 aufzuheben und durch das Bundesgericht ein endgültiges Urteil kassatorischer Natur zu ihren Gunsten zu fällen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde ist nicht kassatorischer, sondern reformatorischer Natur (Art. 107 Abs. 2 BGG). Daher darf sich die beschwerdeführende Partei grundsätzlich nicht darauf beschränken, die Aufhebung des angefochtenen Entscheids zu beantragen, sondern es ist in der Beschwerdeschrift ein präziser Antrag zur Sache zu stellen. Ein blosser Aufhebungsantrag genügt (von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen) grundsätzlich nicht. Bei der Beurteilung, ob ein genügender Antrag vorliegt, stellt das Gericht indessen nicht nur auf die förmlich gestellten Anträge ab; das Begehren kann sich vielmehr auch aus der Begründung ergeben (vgl. zum Ganzen bereits Urteil 9C_577/2017 vom 25. September 2018 E. 1.1 mit Hinweisen).  
 
1.2. Aus der Beschwerdebegründung geht sinngemäss das Begehren hervor, es sei der Beschwerdeführerin die Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge nach dem vereinfachten Verfahren gemäss Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über Massnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit (BGSA; SR 822.41) zu gewähren. Dabei handelt es sich um einen reformatorischen Antrag. Auf die Beschwerde kann daher eingetreten werden.  
 
2.   
Nach unbestrittener vorinstanzlicher Feststellung betrug das Bruttogehalt des 1945 geborenen B.________ als einzigem Arbeitnehmer der Gesellschaft im Jahr 2015 Fr. 30'000.-. Streitig ist, ob der Arbeitgeberin diesbezüglich die Möglichkeit der vereinfachten Abrechnung für Sozialversicherungsbeiträge und Steuern gemäss Art. 3 BGSA offen stand. 
 
3.  
 
3.1. In materiellrechtlicher Hinsicht sind diejenigen Rechtsvorschriften anwendbar, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts Geltung haben (BGE 144 V 201 E. 4.3.1 S. 213 mit Hinweisen). Da es um die Abrechnung für 2015 geht, sind die vorliegenden Gegebenheiten nach der bis zum 31. Dezember 2017 in Kraft gestandenen Fassung des BGSA zu beurteilen (zit. Urteil 9C_577/2017 E. 2 mit Hinweisen).  
 
3.2. Nach aArt. 2 BGSA wird der Geltungsbereich des vereinfachten Abrechnungsverfahrens wie folgt umschrieben:  
Art. 2       Geltungsbereich 
Arbeitgeber können die Löhne der in ihrem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im vereinfachten Verfahren nach Artikel 3 abrechnen, sofern: 
a. der einzelne Lohn den Grenzbetrag nach Artikel 7 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge nicht übersteigt; 
b. die gesamte jährliche Lohnsumme des Betriebes den zweifachen Betrag der maximalen jährlichen Altersrente der AHV nicht übersteigt; und 
c. die Löhne des gesamten Personals im vereinfachten Verfahren abgerechnet werden. 
Art. 2       Champ d'application 
Les employeurs peuvent effectuer le décompte des salaires des travailleurs occupés dans leur entreprise conformément à la procédure simplifiée prévue à l'art. 3 si les conditions suivantes sont remplies: 
a. le salaire annuel de chaque salarié n'excède pas le salaire minimum fixé à l'art. 7 de la loi fédérale du 25 juin 1982 sur la prévoyance professionnelle viellesse, survivants et invalidité; 
b. la masse salariale annuelle totale de l'entreprise n'excède pas 200 % du montant de la rente de vieillesse annuelle maximale de l'AVS; 
c. le décompte des salaires est effectué selon la procédure simplifiée pour l'ensemble du personnel. 
Art. 2       Campo d'applicazione 
Per i lavoratori occupati nella sua azienda il datore di lavoro può conteggiare gli stipendi secondo l'articolo 3, purché: 
a. il singolo stipendio non superi l'importo limite di cui all'articolo 7 della legge federale del 25 giugnio 1982 sulla previdenza professionale per la vecchiaia, i superstiti e l'invalidità; 
b. la somma totale annua dei salari dell'azienda non superi il doppio della rendita annua massima di vecchiaia dell'AVS; e 
c. i salari di tutto il personale siano conteggiati in procedura semplificata. 
 
4.  
 
4.1. Das kantonale Gericht erwog, gemäss Ziffer 2094.1 der Wegleitung über den Bezug der Beiträge in der AHV, IV und EO (WBB) in der vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2017 gültigen Form seien der Höchstlohn und die Höchstlohnsumme für den Zugang zum vereinfachten Verfahren gegebenenfalls ohne Abzug des Rentnerfreibetrages im Sinne von Art. 6quater AHVV zu ermitteln. Verwaltungsweisungen seien zwar für die Gerichte nicht verbindlich, von ihnen sei aber nicht ohne triftigen Grund abzuweichen, wenn sie eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben darstellten (BGE 144 V 195 E. 4.2 S. 198). Die entsprechende Weisungsziffer gelte zwar erst ab 1. Januar 2016; als Aktualisierung der bisherigen Verwaltungspraxis sei sie indes sofort und überall anzuwenden gewesen. Das Verwaltungsverfahren sei am 1. Januar 2016 noch nicht abgeschlossen gewesen.  
 
4.2. Die Beschwerdeführerin erneuert ihre vor Vorinstanz vorgetragenen Rügen: Die angesprochene Wegleitung sei widersprüchlich, sehe sie eine Ermittlung des Höchstlohnes für den Zugang zum vereinfachten Verfahren ohne Abzug des Rentnerfreibetrages doch nur "gegebenenfalls" vor. Im Übrigen beruft sie sich auf den Schutz berechtigten Vertrauens in das Merkblatt der Ausgleichskasse des Kantons Bern zum Ausfüllen der Lohnbescheinigung für Arbeitgeber im vereinfachten Abrechnungsverfahren gemäss BGSA. Darin sei vermerkt, der Rentnerfreibetrag von Fr. 16'800.- werde automatisch abgezogen. Ihr Verlass darauf sei umso schützenswerter, als namhafte Experten der Sozialversicherungsbranche in ihren Referaten stets den Rentnerfreibetrag vom Basisbruttolohn in Abzug gebracht hätten.  
 
5.  
 
5.1. Die Voraussetzungen von aArt. 2 lit. b. und c BGSA sind bei einem - durch die Vorinstanz grundsätzlich verbindlich festgestellten (Art. 105 Abs. 1 BGG) - Bruttolohn des einzigen Angestellten von Fr. 30'000.- im Jahr 2015 offensichtlich erfüllt (das Doppelte der maximalen jährlichen AHV-Altersrente betrug im Jahr 2015 Fr. 56'400.- gemäss aArt. 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 AHVG in der vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2018 gültigen Fassung). Damit bleibt einzig auszulegen, wie aArt. 2 lit. a BGSA zu verstehen ist. Es handelt sich dabei um eine durch das Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage (Art. 106 Abs. 1 BGG).  
 
5.2. Ausgangspunkt der Gesetzesauslegung ist der Wortlaut der Bestimmung (grammatikalisches Element). Ist er klar, d.h. eindeutig und unmissverständlich, darf von ihm nur abgewichen werden, wenn ein triftiger Grund für die Annahme besteht, er ziele am "wahren Sinn" der Regelung vorbei. Anlass für eine solche Annahme können die Entstehungsgeschichte der Bestimmung (historisches Element), ihr Zweck (teleologisches Element) oder der Zusammenhang mit anderen Vorschriften (systematisches Element) geben, so namentlich, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann (BGE 145 V 57 E. 9.1 S. 68 mit Hinweis).  
 
5.2.1. Aus dem Wortlaut von aArt. 2 lit. a BGSA (oben E. 3.2) ergibt sich als massgebliche Referenzgrösse der einzelne Lohn - der Jahreslohn, wie die französische Sprachfassung explizit festhält - des Beschäftigten. Dieser darf den Grenzbetrag nach Art. 7 BVG nicht übersteigen (im Jahr 2015: Fr. 21'150.- gemäss aArt. 7 Abs. 1 BVG in der vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2018 gültigen Fassung). Das Gesetz äussert sich nicht dahingehend, dass statt des tatsächlich bei einer bestimmten Arbeitgeberin erzielten Lohnes einzig der für die Bemessung der AHV-Beiträge massgebliche Teil hiervon (vgl. sogleich E. 5.2.2) zu berücksichtigen wäre. Der Wortlaut der Bestimmung ist in diesem Sinne grundsätzlich klar.  
 
5.2.2. Triftige Gründe für eine Abweichung hiervon macht die Beschwerdeführerin weder geltend noch sind sie ersichtlich. Historisch hat der Gesetzgeber in keiner Weise zu erkennen gegeben, dass er den Grenzbetrag für den Zugang zum vereinfachten Abrechnungsverfahren für Beschäftigte im Rentenalter anders (höher) als für alle anderen Beschäftigten hätte ansetzen wollen (vgl. AB 2004 N 1193; 2004 S 924 f., 2005 N 211 ff., 695 ff.; 2005 S 469). Da im vereinfachten Verfahren nicht einzig über die Sozialversicherungsabgaben abgerechnet, sondern zudem eine Quellensteuer zur Abgeltung der direkten Steuern von Bund, Kanton und Gemeinde erhoben wird (Art. 3 Abs. 1 und 2 BGSA), hätte dadurch für Personen im Rentenalter die Möglichkeit bestanden, unter den Voraussetzungen des aArt. 2 BGSA Einkommen bis Fr. 37'950.- (Fr. 21'150.- + Fr. 16'800.-) einer gesonderten Besteuerung zuzuführen (insbesondere ausserhalb der ordentlichen Progression dank eines Einheitssatzes von total 5 % [vgl. Art. 37a Abs. 1 des Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer {DBG, SR 642.11} sowie Art. 11 Abs. 4 des Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden {StHG, SR 642.14} i.V.m. den kantonalen Steuerordnungen; ausserdem Ziff. 52 des Kreisschreibens des Bundesamtes für Sozialversicherungen {BSV} über die Quellensteuer {KSQST}]). Einen dahingehenden Willen hat der Gesetzgeber nicht im Ansatz geäussert (vgl. Materialien a.a.O.). Die von der Beschwerdeführerin vertretene Auslegung kann sich auch nicht auf eine systematische oder teleologische Sicht stützen. Dass das Rentnereinkommen bis Fr. 16'800.- auch im Sinne des aArt. 2 lit. a BGSA ausser Acht gelassen werden müsste, ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 6quater AHVV. Mit der dortigen Festlegung des Rentnerfreibetrags auf jährlich Fr. 16'800.- hat der Bundesrat einzig von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht, Einkommen von Personen im (ordentlichen) AHV-Rentenalter bis zur Höhe des anderthalbfachen Mindestbetrags der Altersrente von der Beitragsbemessung auszunehmen (Art. 4 Abs. 2 lit. b AHVG). Argumente für eine steuerliche Vorzugsbehandlung von Renterinnen und Rentnern lassen sich daraus nicht ableiten, genausowenig wie sich eine solche teleologisch mit der Verhinderung von Schwarzarbeit begründen lässt.  
 
5.3. Soweit sich die Beschwerdeführerin im Übrigen auf den Schutz berechtigten Vertrauens (insbesondere in ein Merkblatt der Ausgleichskasse zum Ausfüllen der Lohnbescheinigung für Arbeitgeber im vereinfachten Abrechnungsverfahren gemäss BGSA) sowie auf ein wohlerworbenes Recht zu berufen scheint, genügen ihre Rügen nicht den Anforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG. Darauf ist nicht weiter einzugehen. Gleiches gilt hinsichtlich ihres pauschalen Verweises auf Eingaben in einem früheren Verfahren (vgl. etwa Urteil 9C_454/2018 vom 13. November 2018 E. 4.1).  
 
5.4. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde unbegründet.  
 
6.   
Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 3. Juli 2019 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Oswald