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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.63/2003 /pai 
 
Urteil vom 2. April 2003 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen, 
Gerichtsschreiber Garré. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Adrian Fiechter, Postfach 239, 9443 Widnau, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh., Rathaus, 9043 Trogen. 
 
Gegenstand 
Art. 41 Ziff. 1 StGB, bedingter Strafvollzug (Fahren in angetrunkenem Zustand); 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts von Appenzell A.Rh., 2. Abteilung, vom 10. Dezember 2002. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am 7. Februar 2002 wurde im Rahmen einer polizeilichen Verkehrskontrolle in Heiden (AR) eine Blutprobe gegen X.________ angeordnet, weil er als Lenker eines Motorfahrzeugs Anzeichen von Angetrunkenheit aufwies. Die rechtsmedizinische Analyse ergab eine minimale Blutalkohol-Konzentration von 1,72 Gewichtspromillen. 
B. 
Das Kantonsgericht von Appenzell Ausserrhoden sprach mit Urteil vom 1. Juli 2002 X.________ des Fahrens in angetrunkenem Zustand schuldig und verurteilte ihn zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von 4 Wochen und zu einer Busse von Fr. 900.--. 
C. 
Auf Berufung des Angeklagten hin bestätigte das Obergericht von Appenzell Ausserrhoden mit Urteil vom 10. Dezember 2002 den erstinstanzlichen Entscheid. 
D. 
Gegen dieses Urteil führt X.________ eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Angelegenheit zur Neubeurteilung bezüglich der Gewährung des bedingten Strafvollzuges an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er stellt zudem ein Gesuch um aufschiebende Wirkung und um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
E. 
Das Obergericht verzichtet auf Gegenbemerkungen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. schliesst auf Abweisung, soweit eingetreten werden könne. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Vorinstanz führt zur Begründung ihres Entscheides an, der Beschwerdeführer sei am 27. Februar 1996 von der Gerichtskommission Untertoggenburg wegen mehrfachen Diebstahls und mehrfacher Sachbeschädigung zu 14 Monaten Zuchtaus bedingt auf eine Probezeit von 2 Jahren sowie mit Strafbescheid des Bezirksamtes Untertoggenburg vom 29. Juni 1999 im Zusatz zum vorerwähnten Urteil wegen Diebstahls und Hausfriedensbruchs zu 3 Monaten Gefängnis bedingt auf eine Probezeit von 5 Jahren verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe sich weder durch die laufende Strafuntersuchung, die zum Urteil vom 27. Februar 1996 führte, noch durch die in diesem Urteil angesetzte Probezeit von der Begehung neuer Delikte abhalten lassen. Durch dieses Verhalten habe er gezeigt, dass er nicht willens und in der Lage sei, sich an das Gesetz zu halten und den ihm durch die Rechtsordnung auferlegten Pflichten nachzukommen. Die Deliktszeit lasse zudem auf eine beachtliche kriminelle Energie schliessen. Zu berücksichtigen sei auch die Persönlichkeit, die in einem während des Scheidungsverfahrens erstellten Arztbericht gewürdigt worden sei. Aus diesen Gründen sei es nicht möglich, dem Beschwerdeführer eine günstige Prognose i.S.v. Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB zu stellen (Urteil OG, S. 8 ff.). 
2. 
Der Beschwerdeführer wendet ein, die Vorinstanz habe verkannt, dass das letzte Delikt 6 Jahre zurückliege. Seither habe er sich keinerlei Vergehen oder Verbrechen mehr schuldig gemacht. Dies sei ein eindrückliches Zeichen dafür, dass er die bedingt ausgesprochene Strafe sehr ernst nehme und er deswegen sein Leben von Grund auf verändert habe. Die Prognose bezüglich eines Rückfalles müsse zudem aufgrund seines strassenverkehrsrechtlich tadellosen Leumundes zu seinen Gunsten ausfallen, zumal er bereits durch den Entzug des Führerausweises genügend bestraft worden sei. Schliesslich würden die Folgerungen bestritten, die die Vorinstanz aus dem sozialen und familiären Verhalten des Beschwerdeführers ziehe (Beschwerde, S. 6 ff.). 
3. 
3.1 Nach Art. 41 Ziff. 1 StGB kann der Vollzug einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als 18 Monaten aufgeschoben werden, wenn Vorleben und Charakter des Verurteilten erwarten lassen, er werde dadurch von weiteren Delikten abgehalten. Der Richter hat über das zukünftige Verhalten des Täters eine Prognose anzustellen, wobei ihm ein erhebliches Ermessen zusteht. Das Bundesgericht hebt den Entscheid der Vorinstanz nur auf, wenn sie nicht von rechtlich massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen ist oder diese in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens unrichtig gewichtet hat (BGE 118 IV 97 E. 2a; 116 IV 279 E. 2a). 
 
Ob der Verurteilte für ein andauerndes Wohlverhalten Gewähr bietet, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände zu entscheiden. In die Beurteilung miteinzubeziehen sind neben den Tatumständen das Vorleben und der Leumund sowie alle weiteren Tatsachen, die gültige Schlüsse auf den Charakter des Täters und die Aussichten seiner Bewährung zulassen. Es ist unzulässig, unter den nach Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB zu berücksichtigenden Umständen einzelnen eine vorrangige Bedeutung beizumessen und andere zu vernachlässigen oder überhaupt ausser acht zu lassen (BGE 128 IV 193 E.3; 117 IV 3 E. 2b; 101 IV 122 E. 2 b). 
3.2 Nach der neueren Rechtsprechung sind bei der Gewährung oder Verweigerung des bedingten Strafvollzuges beim Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand die gleichen Kriterien anzulegen wie bei anderen Delikten (BGE 118 IV 97). Die Besonderheit des Straftatbestandes, aufgrund welcher nach der früheren Rechtsprechung höhere Anforderungen an die Gewähr künftigen Wohlverhaltens gestellt wurden, ist ein Gesichtspunkt, der bei der Gesamtwürdigung gleichwertig neben allen übrigen zu berücksichtigen ist. Dasselbe gilt für den Rückfall. So kann ebenso eine Rolle spielen, dass der Täter bei einem Aufschub des Strafvollzuges eine Busse zu bezahlen hat, die nach der Praxis vieler kantonaler Gerichte gerade bei der Gewährung des bedingten Strafvollzuges ausgesprochen und deren Höhe überdies aufgrund der finanziellen Verhältnisse des Täters festgesetzt wird (vgl. BGE 116 IV 4). Ferner ist bedeutsam, dass ihm nach Art. 16 Abs. 3 lit. b i.V.m. Art. 17 Abs. 1 lit. b SVG der Führerausweis für die Dauer von mindestens zwei Monaten entzogen wird, für welche Massnahme das Gesetz die Möglichkeit des bedingten Vollzuges nicht vorsieht. 
3.3 Nach den für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Behörde (Art. 277bis Abs. 1 BStP) lebt der Beschwerdeführer in unstabilen familiären, sozialen und beruflichen Verhältnissen. Gemäss dem Leumundsbericht unterhält er weder zu seiner angestammten noch zu der von ihm gegründeten Familie eine nähere Beziehung. Auch andere soziale Kontakte beschränken sich auf ein Minimum. Die Vorstrafen sind in diesem Kontext zu sehen. Gesamthaft entsteht der Eindruck eines Menschen, dem moralische und rechtliche Verpflichtungen gleichgültig zu sein scheinen. Dieser Befund wird auch durch den Arztbericht von Dr. med. A.________ vom 20. November 1995 bestätigt, der von den kantonalen Instanzen zu Recht für die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers herangezogen wurde. Der Charakter des Täters stellt einen wichtigen Faktor zur Beurteilung der Prognose dar (Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB; BGE 105 IV 291 E. 2a; 100 IV 9 E. 3; zusammenfassend Mark Pieth, Bedingte Freiheit, Basel 2001, S. 232-236 und Markus Hans Knüsel, Die teilbedingte Freiheitsstrafe, Diss. iur, Bern 1995, S. 154-158). 
 
Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer sich in den letzten sechs Jahren mit Ausnahme der hier beurteilten Tat gesetzeskonform verhalten hat, genügt nicht ohne weiteres, um dieses Bild des Verurteilten umzustossen. Nach Lehre und Rechtsprechung kann bei einem mehrfach Vorbestraften nicht allein darauf abgestellt werden, dass er sich in den letzten Jahren vor der neuen Tat klaglos verhalten hat. Vor allem wenn - wie zutreffend von der Staatsanwaltschaft in der Vernehmlassung betont - zwischen der letzten Verurteilung und der neu zu beurteilenden Straftat nicht einmal drei Jahre liegen. Vielmehr gehört zum Vorleben auch das soziale Umfeld. Für die Bewährungsaussichten ist massgebend, ob persönliche Beziehungen bestehen, von denen eine stabilisierende Wirkung erwartet wird (Roland M. Schneider, Basler Kommentar StGB I, Art. 41 N. 91 und 94 mit Hinweisen). Auch wenn die Vorinstanz zu Recht davon ausgegangen ist, dass das soziale Umfeld gravierend belastet ist, hätte sie den Umstand, dass die alten Taten und das Arztzeugnis sechs bzw. sieben Jahren zurückliegen, nicht ausblenden dürfen. Die Berücksichtigung des Verhaltens des Beschwerdeführers auch in diesem Zeitraum ist für eine rechtsgenügende Gesamtwürdigung unumgänglich. 
3.4 Bei der Charakterwürdigung spielt auch der Leumund eine wichtige Rolle (BGE 104 IV 35 E. 3; 99 IV 190 E. 2). Ist dieser in jeder Hinsicht ausgezeichnet, erlaubt er in gewissen Fällen selbst beim Vorliegen einer einschlägigen Vorstrafe eine günstige Prognose (BGE 115 IV 85 E. 3b). Umgekehrt mindert ein getrübter Leumund die Erwartung künftigen Wohlverhaltens (Schneider, a.a.O., N. 92). 
 
Von Belang ist auch der automobilistische Leumund (BGE 100 IV 9 E. 1). Dabei fällt auf, dass der Beschwerdeführer im strassenverkehrsrechtlichen Bereich nicht vorbestraft ist. Mit diesem Umstand setzt sich die kantonale Vorinstanz nicht rechtsgenügend auseinander. Der nicht-automobilistische Leumund des Beschwerdeführers ist, vor allem was den Zeitraum bis 1996 anbelangt, sehr besorgniserregend. Aber einzig gestützt darauf kann nicht auf eine schlechte Prognose geschlossen werden. Schliesslich gewichtet die Vorinstanz die Warnungswirkung des administrativen Führerausweisentzuges in unzutreffender Art (BGE 118 IV 97 E. 2d S. 102). Von einer oberen kantonalen Instanz werden präzise Angaben über den Entzug des Führerausweises, insbesondere dessen Dauer sowie über seine Auswirkung auf den Betroffenen erwartet (vgl. Schneider, a.a.O., N. 332). 
3.5 Die kantonalen Richter haben wesentliche Gesichtspunkte nicht in Erwägung gezogen, die bei der Prognosestellung i.S.v. Art. 41 StGB hätten geprüft werden müssen. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung der Frage des bedingten Strafvollzuges für die Gefängnisstrafe von 4 Wochen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Vorinstanz wird die genannten Umstände abzuklären und aufgrund einer Gesamtwürdigung neu über den bedingten Strafvollzug zu befinden haben. 
4. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 278 Abs. 1 BStP) und ist dem Beschwerdeführer aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung zuzusprechen (Art. 278 Abs. 3 BStP). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gegenstandslos. 
 
Mit dem Entscheid in der Sache wird auch der Antrag um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts von Appenzell Ausserrhoden vom 10. Dezember 2002 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Dem Beschwerdeführer wird aus der Bundesgerichtskasse eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.- ausgerichtet. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. und dem Obergericht von Appenzell A.Rh., 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 2. April 2003 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: