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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.73/2006 /rom 
 
Urteil vom 5. Februar 2007 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Zünd, Mathys, 
Gerichtsschreiber Borner. 
 
Parteien 
U.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Hans Wipfli, 
 
gegen 
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Zurechnungsfähigkeit (Art. 13 Abs. 1 StGB), 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 30. November 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
In der Nacht vom 20./21. August 2003 drang U.________ zusammen mit mehreren Komplizen in eine Wohnung des Wohn- und Geschäftshauses der D.________ GmbH in Giswil-Ried ZH ein. Sie hatten die Absicht, im Hanfladen "D.________" insbesondere Marihuana und Geld zu erbeuten. Die sechs Täter waren maskiert, mit Handschuhen ausgerüstet und mit zwei Vorderschaftsrepetierflinten (Pump-Action) sowie einer Selbstladepistole bewaffnet. Die aus dem Schlaf aufgeschreckten Bewohner wurden gefesselt. Die Täter erbeuteten zwei Natels, einen Führerausweis und ca. Fr. 250.-- bis 350.-- in bar. U.________ trug bei der Ausführung der Tat keine Waffe auf sich, drang aber zusammen mit einem bewaffneten Mittäter ins Zimmer eines Bewohners ein. 
B. 
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte U.________ - zusammen mit weiteren Mittätern - am 30. November 2005 wegen qualifizierten Raubs und Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu 2 ½ Jahren Zuchthaus. 
C. 
U.________ erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, die Sache sei an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Ergänzung des Verfahrens und zu neuer Entscheidung. 
 
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. 
D. 
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies am 18. Dezember 2006 eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde eines Mittäters von U.________ ab, soweit es darauf eintrat. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das angefochtene Urteil ist vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) am 1. Januar 2007 ergangen. Auf das Rechtsmittel dagegen ist noch das bisherige Verfahrensrecht anwendbar (Art. 132 Abs. 1 BGG, e contrario), hier somit dasjenige der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 268 ff. BStP
Am 1. Januar 2007 ist auch der revidierte Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches in Kraft getreten. Die neuen Bestimmungen sind hier aber noch nicht von Bedeutung, da das Bundesgericht im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde nur prüft, ob das kantonale Gericht das eidgenössische Recht richtig angewendet habe (Art. 269 Abs. 1 BStP), mithin das Recht, welches im Zeitpunkt der Ausfällung des angefochtenen Urteils noch gegolten hat (BGE 129 IV 49 E. 5.3 S. 51 f., mit Hinweisen). 
2. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe es unterlassen, gestützt auf Art. 13 StGB ein psychiatrisches Gutachten zur Frage der Zurechnungsfähigkeit einzuholen. Das über den Beschwerdeführer erstellte Gutachten habe lediglich die Thematik der Arbeitserziehungsanstalt im Sinne von Art. 100bis StGB zum Gegenstand gehabt, nicht aber jene von Art. 11 StGB
2.1 Die Frage der verminderten Zurechnungsfähigkeit war im vorinstanzlichen Verfahren noch kein Thema. Das Obergericht befasst sich in seinem Urteil lediglich mit der Frage, ob die Voraussetzungen der Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt (Art. 100bis StGB) erfüllt sind, was in Übereinstimmung mit dem zu diesem Zweck eingeholten psychiatrischen Gutachten verneint wird. Dass erstmals in der Nichtigkeitsbeschwerde eine Begutachtung beantragt wird, hindert das Bundesgericht allerdings nicht, auf die Beschwerde einzutreten. Vorausgesetzt ist, dass sich die Rüge auf Tatsachen stützen kann, die im kantonalen Verfahren festgestellt wurden (BGE 102 IV 74 E. 1a). 
2.2 Nach Art. 13 Abs. 1 StGB ordnet die urteilende Behörde eine Untersuchung des Beschuldigten an, wenn sie Zweifel an dessen Zurechnungsfähigkeit hat. Der Richter soll also seine Zweifel nicht selber beseitigen, etwa durch Zuhilfenahme psychiatrischer Fachliteratur, sondern, wie sich aus Absatz 2 von Artikel 13 StGB ergibt, durch Beizug von Sachverständigen. Artikel 13 StGB gilt nicht nur, wenn der Richter tatsächlich Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit hegt, sondern auch, wenn er nach den Umständen des Falles Zweifel haben sollte (BGE 106 IV 241 E. 1a mit Hinweisen). 
 
Es fragt sich, welche Umstände gegeben sein müssen, um anzunehmen, der Richter müsse im oben dargelegten Sinn ernsthafte Zweifel haben. Das Bundesgericht hat dies beispielsweise angenommen bei Drogenabhängigkeit, bei einer Frau, die mit ihrer schizophrenen Tochter zusammenlebte, bei einem Sexualdelinquenten mit möglicherweise abnorm starkem Geschlechtstrieb, nicht aber bei Angetrunkenheit. Dabei genügt es, wenn ernsthafter Anlass zu Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit aufgrund eines solchen Umstandes bestand. In der Literatur wird der Beizug eines Sachverständigen erst gefordert, wenn unter anderem Anzeichen vorliegen, die geeignet sind, Zweifel hinsichtlich der vollen Schuldfähigkeit zu erwecken, wie etwa ein Widerspruch zwischen Tat und Täterpersönlichkeit oder völlig unübliches Verhalten; ein Sachverständiger ist ferner beizuziehen, wenn ein Angeklagter in einem früheren Verfahren für vermindert schuldfähig erklärt wurde, wenn er in ärztlicher Behandlung stand oder steht, wenn die Schuldfähigkeit eines Epileptikers, eines geistig Zurückgebliebenen, eines Schwachsinnigen oder eines Hirngeschädigten zu beurteilen ist oder wenn in seiner bisherigen Lebensführung oder bei der seiner Angehörigen besondere Auffälligkeiten, etwa mehrere Selbstmordversuche, aufgetreten sind (BGE 116 IV 273 E. 4a mit Hinweisen). 
2.3 Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was im Lichte dieser Rechtsprechung Anlass geboten hätte, an seiner Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln. Aus dem Sachverhalt, wie er dem angefochtenen Urteil zu entnehmen ist, ergeben sich keine Anhaltspunkte, die dazu führen müssten, den Geisteszustand des Beschwerdeführers durch eine psychiatrische Fachperson abklären zu lassen. Weder ist ein Widerspruch zwischen Tat und Täterpersönlichkeit erkennbar noch kann gesagt werden, die Tat erscheine mit der bisherigen Lebensführung unvereinbar. 
2.4 Der Beschwerdeführer macht geltend, bei einem Mittäter, der eine ähnliche Lebensgeschichte wie er aufweise, sei eine verminderte Zurechnungsfähigkeit angenommen worden. 
 
Daraus lässt sich nichts herleiten. Entscheidend sind nämlich die konkreten Verhältnisse des Betroffenen, aus denen sich Zweifel ergeben müssten. Festzuhalten bleibt immerhin, dass der psychiatrische Gutachter beim erwähnten Mittäter von einer vollen Zurechnungsfähigkeit bei der Tatbegehung ausging, so dass auch von daher ein Vergleich unbehelflich ist. Dass der Gutachter zugleich erwähnte, es könne allenfalls aufgrund der gestörten Persönlichkeitsentwicklung, der Anpassungsstörung und der subkulturellen Einbindung des Mittäters trotzdem eine leicht verminderte Zurechnungsfähigkeit angenommen werden, lässt sich nicht auf den Beschwerdeführer übertragen. Dieser verweist zwar auf angeblich gleich gelagerte Probleme der Anpassung und der Einbindung (wobei er den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt zum Teil in unzulässiger Weise ergänzt). Dass überdies auch die Entwicklung seiner Persönlichkeit gestört wäre, macht er jedoch zu Recht nicht geltend. Denn das im Hinblick auf eine allfällige Arbeitserziehung erstellte psychiatrische Gutachten kommt zum Schluss, dass beim Beschwerdeführer weder aufgrund der Akten noch der Vorgeschichte oder der Untersuchungsbefunde eine psychische Störung zu erkennen sei; namentlich liege keine Persönlichkeitsstörung, also keine schwere Störung der charakterlichen Konstitution und des Verhaltens vor, wenngleich sich in seiner Jugend einige diesbezügliche Merkmale finden liessen. Es bestehe derzeit keine Gefährdung der charakterlichen Entwicklung. 
Dass die Vorinstanz angesichts der unterschiedlichen Ausgangslage nicht zu gleichen Schlussfolgerungen gelangt, ist deshalb nicht zu beanstanden. 
2.5 Somit musste die Vorinstanz keine Zweifel über die Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers haben, weshalb sie keine weiteren Abklärungen zu treffen hatte. Die Rügen der Bundesrechtsverletzung sind unbegründet. 
3. 
Die Vorinstanz hält in ihrem Urteil fest, dass bei den Angeklagten, die nicht begutachtet wurden, ähnliche Umstände bei der Gewichtung der persönlichen Verhältnisse wie beim erwähnten Mittäter zu berücksichtigen seien und sich weitere Abklärungen, ob auch bei ihnen eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit bestanden habe, erübrigen würden. Dem Beschwerdeführer sei deshalb der nicht reibungslose Verlauf seiner Jugend und die Entwurzelungsproblematik aufgrund der Immigration aus der Türkei in seiner Kindheit strafmindernd zugutezuhalten. 
3.1 Der Beschwerdeführer rügt in diesem Zusammenhang, dass die Angeklagten ungleich behandelt würden. Indem die Vorinstanz einem der Mitangeklagten im Unterschied zum Beschwerdeführer eine Strafmilderung und damit eine um ein Jahr tiefere Untergrenze des Strafrahmens zubillige, verletze sie den bundesrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung der Straftäter und damit letztlich die Strafzumessungskriterien von Art. 63 ff. StGB
-:- 
 
3.2 Der Beschwerdeführer übersieht, dass die Vorinstanz beim Mittäter eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit im Sinne von Art. 11 StGB zu berücksichtigen hatte, was beim Beschwerdeführer nicht der Fall ist. Dazu kommt, dass das Vorliegen eines Strafmilderungsgrundes den ordentlichen Strafrahmen nicht automatisch erweitert. Gemäss der gesetzlichen Ausgestaltung kann dieser Rahmen unterschritten werden, sofern es die Umstände des konkreten Falles erfordern, namentlich um einem erheblich reduzierten Verschulden Rechnung zu tragen. Beim Beschwerdeführer hat die Vorinstanz das Verschulden als "nicht mehr ganz leicht" eingestuft und dementsprechend die Strafe am untersten Rand des ordentlichen Strafrahmens angesiedelt, was - auch im Vergleich mit dem erwähnten Mittäter, der mit 5 Jahren Zuchthaus bestraft wurde - nicht zu beanstanden ist. 
4. 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist deshalb abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten (Art. 278 Abs. 1 BStP). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 5. Februar 2007 
Im Namen des Kassationshofs 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: