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[AZA 7] 
H 198/00 Vr 
 
II. Kammer 
 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter 
Frésard; Gerichtsschreiber Nussbaumer 
 
Urteil vom 25. Februar 2002 
 
in Sachen 
Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
1. A.________, 
2. B.________, 
3. C.________, Beschwerdegegner, alle drei vertreten durch Fürsprecher Dr. Beat Stalder, Enge-/Bonstettenstrasse 13, 3000 Bern, 
 
und 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
A.- C.________ war Präsident, A.________ und B.________ waren Mitglieder des Verwaltungsrats der X.________ AG. Nachdem sie die ersten für das Jahr 1995 zu leistenden paritätischen Sozialversicherungsbeiträge erst auf Mahnungen und Betreibungen hin beglichen hatte, blieb die Gesellschaft die Pauschalzahlungen ab September 1995 der Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes (nachfolgend Ausgleichskasse) schuldig. Am 12. März 1996 wurde über sie der Konkurs eröffnet. Im Konkursverfahren meldete die Ausgleichskasse eine Forderung für ausstehende Sozialversicherungsbeiträge, Betreibungskosten, Mahngebühren und Verzugszinsen in Höhe von Fr. 59'221. 55 für die Jahre 1995 und 1996 an. Diesen Betrag machte sie mit Verfügungen vom 25. und 27. März 1997 gegenüber C.________, A.________ und B.________ in solidarischer Haftbarkeit geltend unter gleichzeitiger Abtretung einer allfälligen Konkursdividende. 
 
B.- Die auf Einspruch hin von der Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes gegen die drei belangten Organe über den Betrag von Fr. 49'349. 35 eingereichte Klage wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 29. März 2000 ab. 
 
 
C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides seien die Schadenersatzklagen vollumfänglich zu schützen. 
C.________, A.________ und B.________ lassen die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Die Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes schliesst sich der Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Bundesamtes für Sozialversicherung an. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
 
2.- Die rechtlichen Grundlagen (Art. 52 AHVG, Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) und die zur subsidiären Haftbarkeit der Organe (vgl. statt vieler BGE 123 V 15 Erw. 5b) sowie zur Haftungsvoraussetzung des zumindest grobfahrlässigen Verschuldens (BGE 108 V 186 Erw. 1b, 193 Erw. 2b; ZAK 1985 S. 576 Erw. 2, 619 Erw. 3a) ergangene Rechtsprechung findet sich im angefochtenen Entscheid des kantonalen Gerichts zutreffend wiedergegeben. 
Darauf wird verwiesen. 
 
3.- a) Das kantonale Gericht hat im angefochtenen Entscheid die Rechtzeitigkeit der Schadenersatzverfügungen und der nach erfolgtem Einspruch eingereichten Schadenersatzklage, die Organstellung, den Eintritt eines Schadens im Umfang des eingeklagten Betrages, die Verletzung der Beitragsabrechnungs- und Zahlungspflicht sowie den Kausalzusammenhang bejaht. Hingegen stellte es sich unter Hinweis auf BGE 121 V 245 auf den Standpunkt, die drei in Pflicht genommenen Organe hätten nicht grobfahrlässig gehandelt. 
Zur Begründung führte es an, am 4. September 1995 habe die Gesellschaft die Beitragsausstände von April und Mai 1995 beglichen. Ungeachtet der prekären finanziellen Verhältnisse seien in der Folge weitere Akontozahlungen angeordnet worden. Die Beiträge für Juni 1995 seien am 2. November 1995, diejenigen für Juli 1995 am 29. November 1995 und diejenigen für August 1995 am 13. Dezember 1995 bezahlt worden. Die Firma sei demnach ihren Zahlungspflichten nachgekommen, sobald und solange dies finanziell möglich gewesen sei. Angesichts der getroffenen unternehmerischen Vorkehren, der bis Mitte 1995 weitgehend korrekten Handhabung des Beitragswesens, der bis Dezember 1995 erfolgten Akontozahlungen und der relativ kurzen Dauer der Beitragsausstände könne nicht gesagt werden, die eingeklagten Organe hätten beabsichtigt, ihren Betrieb auf Kosten der Ausgleichskasse weiterzuführen. Vielmehr seien unverzüglich Sanierungsmassnahmen eingeleitet worden, als im Herbst 1995 der Ernst der Lage erkannt worden sei. Es stelle deshalb keinen schweren Normverstoss dar, wenn Ende 1995 und zu Beginn des Jahres 1996 die fälligen Sozialversicherungsbeiträge nicht bezahlt worden seien, um die in Aussicht genommene Sanierung des Betriebes nicht zu gefährden, und gleichzeitig die für die Firma überlebenswichtigen Lohn- und Materiallieferungszahlungen kurzfristig als prioritär erachtet worden seien. Zwar sei es vor allem B.________ gewesen, der als Verwaltungsrat, Mitglied der Arbeitsgruppe Geschäftsführung/Betriebsorganisation sowie als Geschäftsführer gehandelt habe. Bei den übrigen Verwaltungsratsmitgliedern sei dessen Vorgehen jedoch bekannt gewesen und sie seien damit offensichtlich einverstanden gewesen, sodass nicht gesagt werden könne, dass sie durch passives Verhalten eine grobfahrlässige Pflichtverletzung begangen hätten. 
 
b) Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht jede Verletzung der öffentlich-rechtlichen Aufgaben der Arbeitgeberin als Institution der Versicherungsdurchführung ohne weiteres als qualifiziertes Verschulden ihrer Organe im Sinne von Art. 52 AHVG zu werten. Das absichtliche oder grobfahrlässige Missachten von Vorschriften verlangt vielmehr einen Normverstoss von einer gewissen Schwere. Dagegen kann beispielsweise die relativ kurze Dauer des Beitragsausstandes sprechen, wobei aber immer eine Würdigung sämtlicher konkreten Umstände des Einzelfalles Platz zu greifen hat. Die Frage der Dauer des Normverstosses ist somit ein Beurteilungskriterium, welches im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist und im Sinne der Rechtsprechung zu den Entlastungsgründen (BGE 108 V 186 f. Erw. 1b, 200 f. 
Erw. 1) zur Verneinung der Schadenersatzpflicht führen kann (BGE 121 V 244 Erw. 4b mit Hinweis). 
c) Aus den Akten ergibt sich zwar, dass die konkursite Gesellschaft in den Jahren 1993 und 1994 - abgesehen von drei Mahnungen - trotz der ab dem Geschäftsjahr 1992/93 infolge der Rezession und durch den Umbau der Geschäftsliegenschaft (1993/94) auftretenden finanziellen Probleme der Beitragsablieferungs- und Beitragszahlungspflicht nachgekommen ist. Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte, dass die Gesellschaft und ihre Organe angesichts der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten ein besonderes Augenmerk auf die Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge gelegt hätten. Ab 1995 wurden denn auch die monatlich zu entrichtenden Beiträge nicht mehr fristgerecht überwiesen. 
Bereits die Zahlung für den Monat Januar 1995 erfolgte verspätet, sodass die Ausgleichskasse Verzugszinsen in Rechnung stellen musste. Die Beiträge für Februar 1995 mussten zudem unter Auferlegung einer Gebühr gemahnt werden. 
Die Beiträge ab April bis und mit August 1995 wurden erst auf Betreibung hin bezahlt. Die Beiträge ab September 1995 blieb die Gesellschaft schuldig. Unter diesen Umständen kann bereits nicht mehr von einem kurzfristigen Verstoss gegen die Beitragsvorschriften im Sinne von BGE 121 V 243 gesprochen werden. Zwar hat der Verwaltungsrat B.________ der Gesellschaft Ende August 1995 ein Aktionärsdarlehen über Fr. 200'000.- gewährt, womit u.a. sogleich die ausstehenden Beiträge für April und Mai 1995 in Höhe von rund Fr. 21'000.- bezahlt wurden. Des Weitern leitete der Verwaltungsrat Mitte 1995 Sanierungsbemühungen ein, die jedoch durch die Kündigung der beiden Kontokorrentkredite am 26. Februar und am 11. März 1996 ein Ende fanden. Während dieser Sanierungsbemühungen, die anlässlich von Verwaltungsratssitzungen und an zwei ausserordentlichen Generalversammlungen, an welchen jeweils alle drei eingeklagten Organe teilgenommen hatten, diskutiert wurden, war die Sicherstellung der laufenden und die Bezahlung der rückständigen Sozialversicherungsbeiträge nie ein Thema. 
Auch nachdem der Vertreter der Revisionsstelle anlässlich der ausserordentlichen Generalversammlung vom 1. Dezember 1995 den Verwaltungsrat ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass dieser im Konkursfall persönlich für nicht abgerechnete Sozialversicherungsbeiträge hafte, traf der Verwaltungsrat keine Vorkehren, um wenigstens für die ab Dezember 1995 zur Auszahlung gelangenden Löhne die Beiträge sicherzustellen. Dieses Verhalten stellt eine Verletzung der Pflicht dar, in finanziell schwierigen Zeiten nur so viel Lohn auszuzahlen, als dass die darauf unmittelbar ex lege entstandenen Beitragsforderungen gedeckt sind (SVR 1995 AHV Nr. 70 S. 214 Erw. 5). Namentlich bei Einhalten dieser Pflicht wäre der Schaden nicht entstanden, sodass mit dem kantonalen Gericht auch der in der Vernehmlassung wiederum bestrittene Kausalzusammenhang zu bejahen ist. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände ist mit dem Bundesamt für Sozialversicherung von einem haftungsbegründenden qualifizierten Verschulden, wie es Art. 52 AHVG für die Schadenersatzverpflichtung verlangt, auszugehen. Daran ändern die Einwendungen in der Vernehmlassung nichts. Die drei belangten Organe haben daher der Ausgleichskasse in solidarischer Haftbarkeit den eingeklagten Schaden zu ersetzen. 
 
4.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden die Beschwerdegegner kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario in Verbindung mit Art. 156 OG). 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird 
der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern 
vom 29. März 2000 aufgehoben und es werden die drei 
Beschwerdegegner in Gutheissung der Schadenersatzklage 
verpflichtet, der Ausgleichskasse des Schweizerischen 
Gewerbes in solidarischer Haftbarkeit den Betrag von 
Fr. 49'349. 35 zu bezahlen. 
 
II.Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 4500.- werden den Beschwerdegegnern in solidarischer Haftbarkeit auferlegt. 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht 
 
des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche 
Abteilung, und der Ausgleichskasse des Schweizerischen 
Gewerbes zugestellt. 
Luzern, 25. Februar 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: