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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.33/2007 
6S.77/2007 /hum 
 
Urteil vom 4. Juni 2007 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys, 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt 
Rainer L. Fringeli, 
 
gegen 
 
A.________, 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Advokatin lic. iur. Margrit Wenger, 
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Postfach 157, 4502 Solothurn, 
Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, Postfach 157, 4502 Solothurn. 
 
Gegenstand 
6P.33/2007 
Strafverfahren; Grundsatz in dubio pro reo (Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK
6S.77/2007 
Schändung (Art. 191 StGB
Staatsrechtliche Beschwerde (6P.33/2007) und Nichtigkeitsbeschwerde (6S.77/2007) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Strafkammer, vom 6. Dezember 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Das Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, befand X.________ am 6. Dezember 2006 zweitinstanzlich namentlich der Schändung (Art. 191 StGB) für schuldig und bestrafte ihn mit 9 Monaten Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von 2 Jahren. 
B. 
X.________ führt sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde je mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Strafkammer, vom 6. Dezember 2006 sei aufzuheben und die Sache sei zu seiner Freisprechung von Schuld und Strafe an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Das Obergericht beantragt die Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei, und das Nichteintreten auf die Nichtigkeitsbeschwerde. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn verzichtet auf Gegenbemerkungen zu den beiden Beschwerden. Die Beschwerdegegnerin beantragt die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde; zur staatsrechtlichen Beschwerde hat sie sich nicht vernehmen lassen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das angefochtene Urteil ist vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) am 1. Januar 2007 ergangen. Auf die Rechtsmittel ist deshalb noch das bisherige Verfahrensrecht anwendbar (Art. 132 Abs. 1 BGG, e contrario), hier somit dasjenige der staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 84 ff. OG) und der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde (Art. 268 ff. BStP). 
 
Am 1. Januar 2007 ist der revidierte Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches in Kraft getreten. Die neuen Bestimmungen sind vorliegend aber noch nicht von Bedeutung, da das Bundesgericht im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde nur prüft, ob das kantonale Gericht das eidgenössische Recht richtig angewendet hat (Art. 269 Abs. 1 BStP), mithin das Recht, welches im Zeitpunkt der Ausfällung des angefochtenen Urteils noch gegolten hat (BGE 129 IV 49 E. 5.3 mit Hinweisen). 
2. 
Dem Schuldspruch wegen Schändung (Art. 191 StGB) liegt zusammengefasst folgender Sachverhalt zugrunde: 
 
Am Abend des 23. Juni 2003 traf sich der Beschwerdeführer mit seiner Bekannten B.________ in deren Wohnung. Dort war auch A.________ anwesend, welche vorübergehend bei B.________ wohnte. Nach dem gemeinsamen Konsum einer Pizza rauchten B.________ und der Beschwerdeführer zwei "Joints". Später nahm der Beschwerdeführer zwei "Ecstasy-Pillen" hervor, konsumierte eine selber und teilte die zweite unter den beiden Frauen auf. B.________ begab sich anschliessend aufs Sofa und nickte dort ein. A.________ spielte auf der Matratze mit ihrem Schäferhund und der Beschwerdeführer gesellte sich zu ihr. A.________ schlief - möglicherweise nachdem es zwischen ihr und dem Beschwerdeführer zum Petting gekommen war - auf der Matratze ein. Der Beschwerdeführer entblösste sodann den Unterleib der schlafenden A.________ und lag, als diese erwachte, über ihr. Trotz der verbalen Proteste von A.________ vollzog der Beschwerdeführer in der Folge den Beischlaf. 
 
 
I. Staatsrechtliche Beschwerde 
3. 
3.1 Das Obergericht hat erwogen, es könne nicht ernstlich daran gezweifelt werden, dass es zwischen dem Beschwerdeführer und der Beschwerdegegnerin zum Geschlechtsverkehr gekommen sei. Hierfür sprächen insbesondere die glaubhaften Aussagen der Zeugin B.________, wonach sich im Bereich der Matratze ein gefülltes und verknotetes Kondom befunden habe. Zudem habe der Beschwerdeführer selber eingeräumt, er habe am nächsten Tag sein mitgeführtes Kondom vermisst (angefochtenes Urteil S. 15). Gestützt auf die glaubhaften Aussagen der Beschwerdegegnerin sei des Weiteren davon auszugehen, dass sie den Geschlechtsverkehr mit dem Beschwerdeführer nicht gewollt habe. Namentlich sei es nicht nachvollziehbar, dass sie nach einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr plötzlich und unvermittelt ihren Freund telefonisch hätte kontaktieren wollen (angefochtenes Urteil S. 17). Offenbar als Folge des Drogenkonsums und möglicherweise auch aufgrund der Schlaftrunkenheit und dem für sie überraschenden Geschehen sei die Beschwerdegegnerin jedoch nicht in der Lage gewesen, sich körperlich gegen den Beschwerdeführer zur Wehr zu setzen. Verbal habe sie aber gegen den Geschlechtsverkehr protestiert und den Beschwerdeführer ausdrücklich zum Aufhören aufgefordert (angefochtenes Urteil S. 18). 
3.2 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo". Einerseits bestünden erhebliche Zweifel, dass es in jener Nacht überhaupt zum Geschlechtsverkehr gekommen sei, sei doch das angeblich benutzte Kondom nie aufgefunden worden. Andererseits lägen unüberwindliche Zweifel vor, ob die Beschwerdegegnerin zum Zeitpunkt des allfälligen Geschlechtsverkehrs überhaupt widerstandsunfähig gewesen sei (Beschwerdeschrift S. 4). 
3.3 Aus der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung wird die Rechtsregel "in dubio pro reo" abgeleitet (vgl. BGE 127 I 38 E. 2a mit Hinweisen). 
 
Als Beweiswürdigungsregel besagt die Maxime "in dubio pro reo", dass sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Inwiefern dieser Grundsatz verletzt ist, prüft das Bundesgericht unter dem Gesichtspunkt der Willkür, d.h. es greift nur ein, wenn der Sachrichter den Angeklagten verurteilte, obgleich bei objektiver Würdigung des Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche bzw. schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an dessen Schuld fortbestanden. Willkür in der Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler beruhen oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen. Dabei genügt es nicht, wenn der angefochtene Entscheid sich nur in der Begründung als unhaltbar erweist. Eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis verfassungswidrig ist. 
 
Als Beweislastregel bedeutet die Maxime "in dubio pro reo", dass es Sache des Staates ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist verletzt, wenn der Strafrichter einen Angeklagten (einzig) mit der Begründung verurteilt, er habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Ebenso ist die Maxime verletzt, wenn sich aus den Urteilserwägungen ergibt, dass der Strafrichter von der falschen Meinung ausging, der Angeklagte habe seine Unschuld zu beweisen, und dass er ihn verurteilte, weil ihm dieser Beweis misslang. 
3.4 Das Obergericht hat erörtert, weshalb es insbesondere die Aussagen der Zeugin B.________, wonach sich im Bereich der Matratze ein gefülltes und verknotetes Kondom befunden habe, als glaubhaft eingestuft hat (angefochtenes Urteil S. 9). Des Weiteren konnte das Obergericht ohne Willkür namentlich auf die tatnächsten Aussagen des Beschwerdeführers vor dem Untersuchungsrichteramt Olten vom 25. Juni 2003 abstellen, wo dieser zu Protokoll gab, mit der Beschwerdegegnerin Geschlechtsverkehr gehabt zu haben und sein mitgeführtes Kondom nicht mehr zu finden (angefochtenes Urteil S. 5 mit Hinweis auf die vorinstanzlichen Akten act. 181). Die namentlich auch gestützt auf die Aussagen der Beschwerdegegnerin gezogenen Schlussfolgerungen des Obergerichts, es sei somit in besagter Nacht zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Beschwerdeführer und der Beschwerdegegnerin gekommen, halten der bundesgerichtlichen Willkürprüfung stand und verletzen demzufolge den Grundsatz "in dubio pro reo" nicht. 
3.5 In Bezug auf die Frage der Widerstandsunfähigkeit hat das Obergericht hingegen ausdrücklich erwogen, es sei nicht bewiesen, dass die Beschwerdegegnerin noch über eine Widerstandsfähigkeit verfügt (und tatsächlich körperlichen Widerstand geleistet) habe (angefochtenes Urteil S. 18). Wie weit die Abwehrversuche der Beschwerdegegnerin gediehen seien, könne nicht mit letzter Präzision gesagt werden; unter diesen Umständen sei davon auszugehen, dass die Widerstandsunfähigkeit nicht bestanden habe, zumal andernfalls davon auszugehen wäre, dass sonst eine Vergewaltigung vorläge (angefochtenes Urteil S. 19). 
 
Das Obergericht ist zum Schluss gelangt, dass aufgrund der Aussagen der Beteiligten die für den Tatbestand der Vergewaltigung (Art. 190 StGB) erforderliche Gewaltanwendung nicht erstellt ist (angefochtenes Urteil S. 18). Ein Schuldspruch wegen Schändung (Art. 191 StGB) setzt demgegenüber voraus, dass die Widerstandsunfähigkeit des (urteilsfähigen) Opfers zweifelsfrei nachgewiesen ist. Dies ist - wie auch das Obergericht nach durchgeführter Beweiswürdigung festgehalten hat - vorliegend nicht der Fall. Indem das Obergericht jedoch trotz nicht bewiesener Widerstandsunfähigkeit der Beschwerdegegnerin den Tatbestand von Art. 191 StGB bejaht hat, hat es implizit eine Umkehr der Beweislast statuiert und hierdurch die Unschuldsvermutung bzw. den Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweislastregel verletzt. 
3.6 Die staatsrechtliche Beschwerde ist deshalb gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Der Kanton Solothurn hat dem Beschwerdeführer eine Entschädigung auszurichten (Art. 159 OG). Der Beschwerdegegnerin werden keine Kosten auferlegt. 
II. Nichtigkeitsbeschwerde 
4. 
Mit der Aufhebung des angefochtenen Entscheids ist die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gegenstandslos geworden und am Geschäftsverzeichnis abzuschreiben. In diesem Fall werden praxisgemäss weder Kosten erhoben noch Entschädigungen ausgerichtet. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Solothurn, Strafkammer, vom 6. Dezember 2006 aufgehoben. 
2. 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird als gegenstandslos geworden am Geschäftsverzeichnis abgeschrieben. 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
4. 
Der Kanton Solothurn hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 4. Juni 2007 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: