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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess {T 7} 
H 84/06 
 
Urteil vom 21. November 2006 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ursprung, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Schön; Gerichtsschreiberin Schüpfer 
 
Parteien 
S.________, 1957, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Paul H. Langner, Heuelstrasse 21, 
8030 Zürich, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgen- 
strasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
(Entscheid vom 7. März 2006) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die Firma B.________ war von 1979 bis zum 29. Februar 2004 der Ausgleichskasse des Kantons Zürich (nachfolgend: Ausgleichskasse) als Arbeitgeberin angeschlossen. S.________ war seit 1996 in verschiedenen Funktionen - als Delegierter, Mitglied und Präsident - im Verwaltungsrat der Firma tätig. Im März 2004 wurde deren Sitz in den Kanton Aargau verlegt und die Gesellschaft in R.________ umfirmiert. Am 5. April 2004 wurde über sie der Konkurs eröffnet, welcher bereits am 21. April 2004 mangels Aktiven wieder eingestellt wurde. Mit Verfügung vom 5. April 2005 verpflichtete die Ausgleichskasse S.________ zur Bezahlung von Schadenersatz für entgangene Beiträge in der Höhe von Fr. 69'911.50. Auf Einsprache hin wurde die Forderung auf Fr. 36'826.10 reduziert (Entscheid vom 17. Mai 2005). 
B. 
Auf die dagegen von S.________ erhobene Beschwerde trat das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 21. September 2005 nur insoweit ein, als es sich um Schadenersatz für entgangene kantonalrechtliche Sozialversicherungsbeiträge nebst Nebenkosten zu Gunsten der Familienausgleichskasse handelte. Im übrigen wurden die Akten an das zuständige Versicherungsgericht des Kantons Aargau überwiesen, welches die Beschwerde abwies und die Schadenersatzforderung im Betrag von Fr. 27'829.30 bestätigte (Entscheid vom 7. März 2006). 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S.________ beantragen, Dispositiv-Ziffer 2 des vorinstanzlichen Entscheides sei aufzuheben; eventuell sei die im Entscheid vom 7. März 2006 auferlegte Schadenersatzverpflichtung auf den Betrag von Fr. 13'831.65 zu reduzieren. 
 
Die Ausgleichskasse des Kantons Zürich und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf Vernehmlassung. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Die hier noch zu beurteilende Schadenersatzforderung der Ausgleichskasse betrifft nur entgangene Beiträge kraft Bundesrechts, sodass auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde vollumfänglich einzutreten ist (BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweisen). 
2. 
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
3. 
Im angefochtenen Entscheid werden die rechtlichen Grundlagen über die Arbeitgeberhaftung (Art. 52 AHVG; Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) sowie die hiezu ergangene Rechtsprechung, insbesondere über die Haftung der Organe eines Arbeitgebers (BGE 129 V 11, 126 V 237, 123 V 15 Erw. 5b, je mit Hinweisen), den zu ersetzenden Schaden (BGE 126 V 444 Erw. 3a, 123 V 15 Erw. 5b, je mit Hinweisen), die erforderliche Widerrechtlichkeit (BGE 118 V 195 Erw. 2a mit Hinweisen), die Voraussetzung des Verschuldens und den dabei zu berücksichtigenden - differenzierten - Sorgfaltsmassstab (BGE 108 V 202 Erw. 3a, ZAK 1992 S. 248 Erw. 4b, je mit Hinweisen; vgl. auch Thomas Nussbaumer, Die Haftung des Verwaltungsrates nach Art. 52 AHVG, in: AJP S. 1081) sowie den adäquaten Kausalzusammenhang (BGE 125 V 461 Erw. 5a) richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. 
4. 
4.1 Wie das kantonale Gericht verbindlich festgestellt hat (vgl. Erw. 2.1 hievor), ist die konkursite Gesellschaft den ihr als Arbeitgeberin obliegenden Zahlungsverpflichtungen nur unvollständig nachgekommen. Ungedeckt blieben bundesrechtliche Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von Fr. 27'829.30 (einschliesslich Nebenkosten). Die Beitragsausstände betreffen die Monate Januar und Februar 2004. Dabei musste die Ausgleichskasse die Firma wiederholt mahnen und betreiben. Damit verstiess die Arbeitgeberin gegen die Beitragszahlungs- und Abrechnungspflicht und missachtete Vorschriften im Sinne von Art. 52 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV
4.2 Der Beschwerdeführer bestreitet vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht insbesondere sein Verschulden. Er habe sich intensiv darum bemüht, alle Forderungen der Ausgleichskasse zu begleichen. Als der Konkurs unausweichlich erschien, habe er die Kasse am 18. März 2004 um eine Aufstellung der ausstehenden Beiträge gebeten und die geforderte Summe auch beglichen. Da die entsprechende Rechnung vom 19. März 2004 aber auch Beiträge enthalten habe, die erst nach der Sitzverlegung in den Kanton Aargau geschuldet gewesen seien, habe er diese Beiträge direkt der Ausgleichskasse des Kantons Aargau überwiesen. Zudem könne ihm kein Verschulden für die Nichtbezahlung jener Beiträge angelastet werden, deren Fälligkeit erst in die Zeit nach der Konkurseröffnung vom 5. April 2004 fielen. Das gelte unter anderem für die Verzugszinsverfügungen vom 22. April 2004. 
5. 
5.1 Die Nichtbezahlung der Beiträge darf als solche nicht einem qualifizierten Verschulden gleichgesetzt werden, weil dies auf eine nach Gesetz und Rechtsprechung unzulässige, da in Art. 52 AHVG gerade nicht vorgesehene Kausalhaftung hinausliefe (vgl. ZAK 1985 S. 51 Erw. 2a mit Hinweisen), sondern es sind die gesamten Umstände zu würdigen. Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht jede Verletzung der öffentlichrechtlichen Aufgaben der Arbeitgeberin als Institution der Versicherungsdurchführung ohne weiteres als qualifiziertes Verschulden ihrer Organe im Sinne von Art. 52 AHVG zu werten. Das absichtliche oder grobfahrlässige Missachten von Vorschriften verlangt vielmehr einen Normverstoss von einer gewissen Schwere. Dagegen kann beispielsweise die relativ kurze Dauer des Beitragsausstandes sprechen, wobei aber immer eine Würdigung sämtlicher konkreten Umstände des Einzelfalles Platz zu greifen hat. Die Frage der Dauer des Normverstosses ist somit ein Beurteilungskriterium, welches im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist und im Sinne der Rechtsprechung zu den Entlastungsgründen zur Verneinung der Schadenersatzpflicht führen kann (BGE 121 V 244 Erw. 4b mit Hinweisen). 
5.2 Aus der unbestritten gebliebenen Darstellung des Sachverhalts ergibt sich, dass der Beschwerdeführer im Wissen um namhafte Ausstände im Zeitpunkt, als der Konkurs der Firma absehbar war, ausserordentlich darum bemüht war, die offenen Forderungen der Ausgleichskasse zu begleichen. Wie das kantonale Gericht verbindlich feststellte, hat er die am 10. November 2003 mit der Kasse geschlossenen Abzahlungsvereinbarung in allen Punkten fristgerecht eingehalten. Zudem hat er sich noch im März 2004 bei der SVA erkundigt, wie hoch der Ausstand sei und in der Folge kurz vor der Konkurseröffnung Fr. 270'000.- und Fr. 7'500.- überwiesen. Die Vorinstanz erachtete es als grobes Verschulden, dass der Beschwerdeführer nicht die ganze damals verlangte Summe von Fr. 315'354.57 überwiesen hat. Die Reduktion von Fr. 45'000.- (recte: Fr. 37'854.57) sei eigenmächtig erfolgt. Das kantonale Gericht attestiert dem Beschwerdeführer ausdrücklich, es sei seine Absicht gewesen, keine Sozialversicherungsbeiträge schuldig zu bleiben. 
 
Zu beurteilen bleibt somit, ob es als grobes Verschulden zu werten ist, dass der Beschwerdeführer einen Teil der Beiträge direkt der neu zuständigen Ausgleichskasse des Kantons Aargau überwiesen hat. Dies ist zu verneinen. Das Vorgehen des Beschwerdeführers, insbesondere der Umstand, dass er sich vor Bezahlung der Rechnung an die Ausgleichskassen der Kantone Zürich einerseits und Aargau andererseits nicht nochmals erkundigte, ob seine Aufteilungsberechnung richtig sei, ist in Würdigung der gesamten Umstände als leichtes, nicht aber als qualifiziertes Verschulden zu werten. Nachdem ihm die Abrechnung erst nach der Sitzverlegung zugestellt worden war, hatte er Anlass zu glauben, nicht den ganzen Betrag zu schulden. Dies ergibt sich auch daraus, dass die in Rechnung gestellten Beiträge nachträglich teilweise storniert werden mussten. Deshalb entfällt eine Haftung für Schadenersatz nach Art. 52 AHVG
6. 
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Leistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Die unterliegende Ausgleichskasse hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). Der obsiegende Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 7. März 2006 und der Einspracheentscheid der Ausgleichskasse des Kantons Zürich vom 17. Mai 2005 aufgehoben. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1900.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
3. 
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 1900.- wird dem Beschwerdeführer zurückerstattet. 
4. 
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 21. November 2006 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: