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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_17/2010 
 
Urteil vom 6. Juli 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, präsidierendes Mitglied 
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys, 
Gerichtsschreiber Borner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Luzi Bardill, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Sennhofstrasse 17, 7001 Chur, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Widerhandlung gegen die Jagd- und Waffengesetzgebung; Verweigerung der Jagdberechtigung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, I. Strafkammer, vom 1. Juli 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Das Bezirksgericht Hinterrhein verurteilte X.________ am 18. März 2009 wegen mehrfacher einfacher und qualifizierter Widerhandlung gegen das Jagd- und das Waffengesetz zu einer bedingten Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je Fr. 100.-- und zu einer Busse von Fr. 700.--. Gleichzeitig verweigerte es ihm die Jagdberechtigung für die Dauer von vier Jahren. 
 
Eine Berufung des Verurteilten - beschränkt auf den unbedingten Vollzug der Verweigerung der Jagdberechtigung - wies das Kantonsgericht von Graubünden am 1. Juli 2009 ab. 
 
B. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Verweigerung der Jagdberechtigung von vier Jahren sei bei einer Probezeit von fünf Jahren bedingt aufzuschieben; eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Das Kantonsgericht begehrt unter Hinweis auf seine Urteilsbegründung, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei (act. 10). Die Staatsanwaltschaft Graubünden hat auf eine Vernehmlassung verzichtet (act. 11). 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Streitig ist, ob die Nebenstrafe "Entzug und Verweigerung der Jagdberechtigung" (Art. 20 JSG) auch bedingt ausgesprochen werden kann. Dass im revidierten Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs (AT StGB) im Rahmen des bedingten Vollzugs Nebenstrafen nicht mehr erwähnt werden, erachtet die Vorinstanz als qualifiziertes Schweigen, während der Beschwerdeführer darin eine ausfüllungsbedürftige Lücke sieht. 
 
2. 
Eine echte Gesetzeslücke liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts vor, wenn der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen, und dem Gesetz diesbezüglich weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann. Von einer unechten oder rechtspolitischen Lücke ist demgegenüber die Rede, wenn dem Gesetz zwar eine Antwort, aber keine befriedigende zu entnehmen ist. Echte Lücken zu füllen, ist dem Richter aufgegeben, unechte zu korrigieren, ist ihm nach traditioneller Auffassung grundsätzlich verwehrt, es sei denn, die Berufung auf den als massgeblich erachteten Wortsinn der Norm stelle einen Rechtsmissbrauch dar (zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil 4A_347/2009 vom 16. Nov. 2009, E. 3.3 mit Hinweisen). 
 
2.1 Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 aStGB sah vor, den Vollzug einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als 18 Monaten oder einer Nebenstrafe unter bestimmten Voraussetzungen aufzuschieben. 
 
Im Rahmen der Revision des AT StGB ordnete der Gesetzgeber das Berufsverbot (Art. 67 StGB) den "anderen Massnahmen" (Art. 66 ff. StGB) zu und strich die übrigen Nebenstrafen ersatzlos. Weil der neue AT StGB somit keine Nebenstrafen mehr kennt, sind diese beim bedingten Strafvollzug (Art. 42 ff. StGB) auch nicht mehr erwähnt. 
Die Botschaft zur Revision des AT StGB (BBl 1999 II 2153) erwähnt ausdrücklich, dass etwa 125 Nebengesetze mit Strafbestimmungen an den neuen AT angepasst werden müssten. Dies würde jedoch weit über das Ziel der Revision hinausschiessen. Mit der Revision sollen nur die Gesetze von herausragender praktischer Bedeutung - SVG, ANAG und BetmG - angepasst werden. Sobald das Parlament das neue Sanktionensystem verabschiedet habe, wären die übrigen Nebengesetze gründlich zu durchforsten und entsprechend zu überarbeiten. 
 
2.2 Von einer Anpassung der etwa 125 Nebengesetze - inklusive des JSG - wurde bisher nichts bekannt. Ob dies allenfalls mit der Kritik an der Revision zusammenhängt, ist hier nicht von Belang. Entscheidend ist vielmehr, dass der bedingte bzw. unbedingte Vollzug von Nebenstrafen im ganzen Revisionsverfahren - soweit ersichtlich - nirgends angesprochen wurde. Da weder SVG, ANAG noch BetmG Nebenstrafen kennen, wurde dem Thema auch von daher keine Beachtung geschenkt. Mit dem Beschwerdeführer ist deshalb anzunehmen, dass der bedingte Vollzug der Nebenstrafen schlicht vergessen wurde. Wenn nämlich die Nebenstrafen nicht mehr bedingt hätten ausgesprochen werden sollen, so hätte dies höchstwahrscheinlich in der Botschaft oder in den parlamentarischen Beratungen seinen Niederschlag gefunden. 
Die Revision hat den bisherigen Sanktionenkatalog erweitert und das System flexibler und durchlässiger gestaltet (vgl. BBl 1999 II 1979 ff.). Im gleichen Atemzug die Möglichkeit des bedingten Vollzugs von Nebenstrafen abzuschaffen, stünde in krassem Gegensatz zur skizzierten Grundidee. Vielmehr wäre zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber für die Nebenstrafen sowohl den bedingten als auch den teilbedingten Vollzug festgeschrieben hätte. Diese Wahlmöglichkeit erlaubt es nämlich dem Richter, eine ausgewogene Kombination von Sanktionen anzuordnen, um dem Einzelfall möglichst gerecht zu werden. 
 
Diese Lücke hätte die Vorinstanz ausfüllen dürfen und müssen. 
 
2.3 Die Beschwerde ist gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die Vorinstanz wird neu entscheiden, ob sie die Verweigerung der Jagdberechtigung für die Dauer von vier Jahren allenfalls bedingt bzw. teilbedingt anordnen kann. 
 
3. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Kanton Graubünden den Beschwerdeführer angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Verfahrenskosten entfallen (Art. 66 Abs. 4 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden vom 1. Juli 2009 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Graubünden hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 6. Juli 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Das präsidierende Mitglied Der Gerichtsschreiber: 
 
Schneider Borner