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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5P.346/2004 /bnm 
 
Urteil vom 8. November 2004 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer, 
Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Fürsprecher Thomas Biedermann, 
 
gegen 
 
Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern, Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001 Bern, 
 
Betreibungs- und Konkursamt Emmental-Oberaargau, Dienststelle Aarwangen, Eyhalde 2, 4912 Aarwangen. 
 
Gegenstand 
Art. 9 BV (unentgeltliche Rechtspflege in einem Pfändungsverfahren), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern vom 22. Juli 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
A.a Der Schuldner X.________ bezog nach einem Berufsunfall Taggelder der Versicherungsgesellschaft Y.________. Gestützt auf ein versicherungsärztliches Gutachten verfügte die Versicherung die Einstellung der Taggeldzahlung sowie die Ausrichtung einer einmaligen Summe von Fr. 17'500.-- und erklärte damit ihre Leistungspflicht für beendet. 
A.b Mit Schreiben vom 19. April 2004 wies das Betreibungs- und Konkursamt A.________ die Versicherungsgesellschaft an, von dieser Summe einen Teilbetrag von Fr. 10'270.-- dem Schuldner zur Deckung der von Dezember 2003 bis Juni 2004 anstehenden Fehlbeträge des Existenzminimums auszubezahlen und die verbleibenden Fr. 7'230.-- dem Betreibungsamt zu Händen der Pfändungsgläubiger zur Verfügung zu stellen. In seiner Verfügung vom 28. April 2004 hielt das Amt dafür, bei der Kapitalzahlung handle es sich um die Pauschalablösung der Unfalltaggelder und demzufolge um beschränkt pfändbares Ersatzeinkommen gemäss Art. 93 Abs. 1 SchKG
B. 
Gegen diese Verfügung erhob der anwaltlich vertretende Schuldner Beschwerde gemäss Art. 17 SchKG, welche die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern am 22. Juli 2004 guthiess. Die Aufsichtsbehörde hob die angefochtene Verfügung auf und stellte fest, dass die Versicherungsentschädigung von Fr. 17'500.-- nicht pfändbar sei. Das Gesuch des Schuldners um Gewährung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung wies sie ab (Ziff. 2 des Entscheides). 
C. 
Der Schuldner führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV mit dem Begehren, Ziff. 2 des Entscheides der Aufsichtsbehörde vom 22. Juli 2004 aufzuheben. 
 
Die Aufsichtsbehörde verweist auf die massgebende Erwägung des angefochtenen Entscheides, ohne indes einen Antrag in der Sache zu stellen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der angefochtene Entscheid ist dem Anwalt des Beschwerdeführers am 30. Juli 2004 zugegangen. Die 30-tägige Beschwerdefrist gemäss Art. 89 Abs. 1 OG lief infolge der bis zum 15. August 2004 dauernden Gerichtsferien (Art. 34 Abs. 1 OG) am 14. September 2004 ab. Diese Frist ist mit der Eingabe vom 13. September 2004 gewahrt worden. Eine Ausnahme im Sinne von Art. 34 Abs. 2 OG liegt nicht vor, da die vorliegende Beschwerde keine Betreibungs- bzw. Konkurssache beschlägt (vgl. Poudret/Sandoz-Monod, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Band I, 1990, N. 3 zu Art. 34 OG). 
2. 
Die Aufsichtsbehörde führt zur Begründung ihres Entscheides aus, zwar sei die unentgeltliche Verbeiständung im Betreibungsverfahren nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Indessen erübrige sich die Mitwirkung eines Anwaltes bei einem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahren in aller Regel (BGE 122 I 10). Die vorliegende Beschwerde erschöpfe sich im Vorbringen, eine zugesprochene Versicherungsleistung sei unpfändbar, wozu es keines Anwaltes bedürfe, zumal nicht geltend gemacht werde, der Beschwerdeführer sei der deutschen Schriftsprache nicht genügend mächtig. Im Beschwerdeverfahren würden nach konstanter Praxis einfachste Eingaben entgegengenommen; aufgrund der im Beschwerdeverfahren geltenden Untersuchungsmaxime genüge eine Eingabe, die bloss sinngemäss ein Begehren enthalte oder den relevanten Sachverhalt nur andeutungsweise schildere. 
 
Der Beschwerdeführer macht zusammengefasst geltend, der Umstand, dass das Beschwerdeverfahren nach Art. 17 ff. SchKG vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht sei, wie das Obergericht feststelle, schliesse die unentgeltliche Verbeiständung nicht zwingend aus. Im vorliegenden Fall sei die Notwendigkeit einer amtlichen Verbeiständung aufgrund seiner Rechtsunkenntnis, der Komplexität der sich stellenden Rechtsfragen sowie des nicht unbedeutenden, auf dem Spiele stehenden finanziellen Interesses gegeben. Die Aufsichtsbehörde habe dies nicht beachtet, sondern die amtliche Verbeiständung mit dem Hinweis auf die dem Beschwerdeverfahren eigene Untersuchungsmaxime verweigert und damit Art. 29 Abs. 3 BV verletzt. 
2.1 Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. Das Bundesgericht prüft in rechtlicher Hinsicht frei, ob der Anspruch auf Gewährung des Armenrechts missachtet worden ist; auf Willkür beschränkt ist die Prüfung indessen, soweit tatsächliche Feststellungen der kantonalen Instanz in Frage stehen (BGE 129 I 129 E. 2.1 S. 133 mit Hinweisen). 
2.2 Grundsätzlich fällt die unentgeltliche Verbeiständung für jedes staatliche Verfahren in Betracht, in das der Gesuchsteller einbezogen wird oder das zur Wahrung seiner Rechte notwendig ist (BGE 128 I 225 E. 2.3 S. 227 mit Hinweisen). In BGE 122 I 8 hat das Bundesgericht erkannt, der aus Art. 4 aBV abgeleitete Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege könne im SchKG-Beschwerdeverfahren nicht grundsätzlich mit dem Hinweis ausgeschlossen werden, gemäss Art. 67 GebVSchKG (heute Art. 20a Abs. 1 SchKG und Art. 61 Abs. 2 lit. a sowie Art. 62 Abs. 2 GebVSchKG) würden keine Kosten erhoben und keine Entschädigungen zugesprochen. Soweit das SchKG-Beschwerdeverfahren jedoch der Offizialmaxime unterstehe, sei die Mitwirkung eines Rechtsanwalts in aller Regel nicht erforderlich. In einem weiteren Entscheid hat es alsdann diese Rechtsprechung präzisiert; gemäss dieser Präzisierung kann sich auch in dem von der Untersuchungsmaxime beherrschten betreibungsrechtlichen Be- schwerdeverfahren nach Art. 17 ff. SchKG die Verbeiständung durch einen Rechtsanwalt als notwendig erweisen, wenn der Sachverhalt oder die sich stellenden Rechtsfragen komplex oder die Rechtskenntnisse des Gesuchstellers unzureichend sind oder wenn bedeutende Interessen auf dem Spiele stehen (BGE 122 III 392). Diese Rechtsprechung betrifft zwar einen Fall der unentgeltlichen Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren (Art. 152 OG); doch ist nicht ersichtlich, weshalb sie nicht auf das kantonale Beschwerdeverfahren zu übertragen wäre. 
2.3 Entgegen der Auffassung der Aufsichtsbehörde kann die unentgeltliche Verbeiständung somit nicht im Wesentlichen gestützt auf die bei der Ermittlung des pfändbaren Einkommens geltende Untersuchungsmaxime verwehrt werden. Diese lässt eine anwaltliche Vertretung der am Verfahren Beteiligten nicht ohne weiteres als unnötig erscheinen (vgl. BGE 125 V 32 E. 4b S. 36). Das sachgerechte Anlegen eines jeden Verfahrens und dessen richtige Leitung erfordern von der Behörde eine umfassende Kenntnis der einschlägigen Rechtsfragen, geht es doch darum, die rechtserheblichen tatsächlichen Umstände einfliessen zu lassen. Die Erfahrung zeigt, dass ein schlecht begonnenes Verfahren später nur sehr schwer in die richtige Bahn zu bringen ist. Abgesehen davon, dass die Untersuchungsmaxime allfällige Fehlleistungen der Behörde nicht zu verhindern vermag, ist zu bedenken, dass sie nicht unbegrenzt ist. Sie verpflichtet die Behörde zwar, von sich aus alle Elemente in Betracht zu ziehen, die entscheidwesentlich sind, und unabhängig von den Anträgen der Parteien Beweise zu erheben. Diese Pflicht entbindet die Beteiligten indessen nicht davon, durch Hinweise zum Sachverhalt oder Bezeichnung von Beweisen am Verfahren mitzuwirken (dazu BGE 128 III 411 E. 3.2.1 und 3.2.2 S. 412 ff.; und insbesondere BGE 130 III 180 E. 3.2). 
2.4 Mit ihrem Hinweis auf die fehlende inhaltliche Qualität der Beschwerdeschrift spricht die Aufsichtsbehörde nicht die Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege an; ihre diesbezügliche Argumentation dreht sich im Ergebnis vielmehr darum, welche Entschädigung dem Anwalt für die geleistete Arbeit zu entrichten ist. Ebenso wenig lässt sich eine Verweigerung des amtlichen Rechtsbeistandes mit dem Hinweis auf die genügenden Sprachkenntnisse und die Tatsache begründen, dass an die Zulässigkeit von betreibungsrechtlichen Beschwerden keine bzw. keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Damit wird insbesondere die Frage nicht beantwortet, ob der Beschwerdeführer aufgrund seiner rechtlichen Kenntnisse in der Lage war, selbstständig Beschwerde zu führen. Im vorliegenden Fall ging es um die für einen juristischen Laien nicht einfache Abgrenzung einer unpfändbaren Integritätsentschädigung gemäss Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9 SchKG von einem beschränkt pfändbaren Ersatzeinkommen nach Art. 93 SchKG. Die Aufsichtsbehörde stellt nicht fest, dass der Beschwerdeführer über genügende Rechtskenntnisse verfügt, um dieses rechtliche Problem zu erkennen und aufgrund seiner Kenntnisse selbstständig Beschwerde zu führen. Sodann ging es um einen Betrag von Fr. 7'230.-- (vgl. A.b hiervor), womit für den mit finanziellen Problemen kämpfenden Beschwerdeführer auch bedeutende Interessen auf dem Spiele standen. Damit aber ist die unentgeltliche Verbeiständung zu Unrecht verweigert und folglich Art. 29 Abs. 3 BV verletzt worden. 
3. 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist gutzuheissen und Ziff. 2 des angefochtenen Entscheids aufzuheben. Da dem unterliegenden Kanton keine Gerichtskosten überbunden werden können, ist von einer Gerichtsgebühr abzusehen (Art. 156 Abs. 2 OG). Hingegen hat der Kanton den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und Ziff. 2 des Entscheides der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern vom 22. Juli 2004 aufgehoben. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1‘000.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern sowie dem Betreibungs- und Konkursamt A.________ schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 8. November 2004 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: