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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
H 184/06 
 
Urteil vom 25. April 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Seiler, 
Gerichtsschreiber Wey. 
 
Parteien 
J.________, 1939, Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Josef Ulrich, Industriestrasse 7, 6005 Luzern, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Zug, Baarerstrasse 11, 6300 Zug, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 22. August 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1939 geborene J.________ war (zusammen mit H.________) zunächst Gesellschafter und Geschäftsführer mit Kollektivunterschrift der Firma X.________ GmbH, ab 1. Oktober 2002 Gesellschafter ohne Zeichnungsberechtigung. Die Firma X.________ GmbH war in Z.________ ansässig, weshalb der Anschluss an die Ausgleichskasse Zug erfolgte. Am 20. Februar 2002 verlegte sie ihren Sitz nach Y.________ und war ab diesem Zeitpunkt der Ausgleichskasse des Kantons Aargau angeschlossen. Mit Verfügung des Konkursrichters des Bezirks O.________ vom 13. August 2002 wurde über die Firma X.________ GmbH der Konkurs eröffnet und am 22. Oktober 2002 mangels Aktiven wieder eingestellt. 
Gestützt auf den Bericht der Revisionsstelle der Ausgleichskassen vom 20. Oktober 2002 erliess die Ausgleichskasse Zug am 13. Juni 2003 gegen J.________ die Verfügung, aufgrund entgangener Sozialversicherungsbeiträge Schadenersatz im Umfang von Fr. 37'027.60 zu bezahlen. Eine gleich lautende Verfügung erging am 25. Februar 2004 gegen H.________. Die dagegen eingereichten Einsprachen vom 11. Juli 2003 und 29. April 2004 lehnte die Ausgleichskasse Zug ab (Einspracheentscheid vom 13. Juli 2005). 
B. 
Die von J.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 22. August 2006 insoweit gut, als es die Höhe des Schadenersatzes auf Fr. 33'329.10 reduzierte. 
C. 
J.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, die Schadenersatzklage sei abzuweisen. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Während die Ausgleichskasse Zug auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung. 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
1.1 Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
1.2 Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Bundesgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
2. 
2.1 Nach Art. 52 AHVG hat ein Arbeitgeber, der durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften einen Schaden verschuldet, diesen der Ausgleichskasse zu ersetzen. Ist der Arbeitgeber eine juristische Person, so können subsidiär gegebenenfalls die verantwortlichen Organe in Anspruch genommen werden (BGE 123 V 12 E. 5b S. 15, 122 V 65 E. 4a S. 66, 119 V 401 E. 2 S. 405, je mit Hinweisen). 
2.2 Mit Verfügung vom 13. Juni 2003 wurde der Beschwerdeführer gestützt auf Art. 52 AHVG verpflichtet, der Ausgleichskasse Zug für in den Jahren 1999 bis 2001 angefallenen Schaden Ersatz zu leisten. Im genannten Zeitraum hatte die Firma X.________ GmbH Sitz im Kanton Zug, sodass die Zahlungspflicht gegenüber der Ausgleichskasse Zug bestand und demzufolge auch diese zuständig war, den Schadenersatz durch Verfügung geltend zu machen (Art. 52 Abs. 2 AHVG). Dass sich der Sitz der Firma X.________ GmbH ab 20. Februar 2002 in Y.________ und damit ab diesem Zeitpunkt im Zuständigkeitsbereich der Ausgleichskasse des Kantons Aargau befand, ändert an der Gläubigerstellung der Ausgleichskasse Zug in Bezug auf den vorliegend in Frage stehenden Schadenersatz nichts. 
2.3 Der seit 1. Januar 2003 in Kraft stehende und hier intertemporalrechtlich zur Anwendung gelangende Art. 52 Abs. 5 AHVG regelt die örtliche Zuständigkeit der kantonalen Beschwerdeinstanz in Schadenersatzprozessen gemäss Art. 52 AHVG und entspricht dem bisherigen Art. 81 Abs. 3 AHVV. Danach ist für die Beschwerde das Versicherungsgericht des Kantons zuständig, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat. Es gilt denn auch die vor der Gesetzesänderung ergangene Rechtsprechung weiterhin, wonach bei Schadenersatzklagen gegen juristische Personen und deren Organe die Beschwerde dort zu erheben ist, wo die juristische Person ihren Sitz hat oder vor dem Konkurs hatte, und zwar ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der in Anspruch genommenen Organe (vgl. Urteil des Bundesgerichts H 130/06 vom 13. Februar 2007 mit Hinweisen). Nachdem die Firma X.________ GmbH ihren Sitz nach Y.________ verlegt hat, ist das Versicherungsgericht des Kantons Aargau örtlich zuständig. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Schadenersatz geltend machende Behörde die Ausgleichskasse Zug (und nicht diejenige des Kantons Aargau) ist. 
3. 
In materieller Hinsicht bringt der Beschwerdeführer zunächst vor, er sei nicht haftbar für den von der Ausgleichskasse Zug revisionsweise eingeforderten Schadenersatz, weil die abgerechneten Beträge bis im Jahre 2001 bezahlt worden seien und er im Zeitpunkt des Konkurses und der Revision nicht mehr Geschäftsführer gewesen sei. Die Ausgleichskasse Zug begründet die Schadenersatzforderung damit, dass in den Jahren 1999 bis 2001 nicht alle Lohnzahlungen deklariert und abgerechnet worden seien. Es handelt sich folglich um ein Fehlverhalten zu einer Zeit, als der Beschwerdeführer unbestritten noch Geschäftsführer war. Werden nicht alle Löhne deklariert und abgerechnet, so liegt ohne weiteres ein pflichtwidriges Verhalten (Art. 14 Abs. 1 AHVG; Art. 34 ff. AHVV) vor, das grundsätzlich grobfahrlässig im Sinne von Art. 52 AHVG ist. Des Weiteren zielt das Argument des Beschwerdeführers ins Leere, er sei zur fraglichen Zeit aufgrund des erlittenen Schleudertraumas arbeitsunfähig gewesen und habe seiner Tätigkeit als Geschäftsführer daher (entschuldbar) nicht nachgehen können. Hierzu hat die Vorinstanz festgestellt, die einem Geschäftsführer zwingend obliegenden Überwachungsfunktionen hätten vom Beschwerdeführer mit Blick auf die aufgrund des erlittenen Schleudertraumas geltend gemachten Einschränkungen auch bei grundsätzlicher Arbeitsunfähigkeit vorgenommen werden können. An diese Tatsachenfeststellung ist das Bundesgericht gebunden, zumal der Beschwerdeführer nichts vorbringt, was diese Feststellung als offensichtlich unrichtig erscheinen liesse (vgl. E. 1.2). 
4. 
4.1 Geringfügige Entgelte aus Nebenerwerb können gemäss Art. 5 Abs. 5 AHVG in Verbindung mit Art. 8bis AHVV von der Beitragspflicht ausgenommen werden, sofern sie Fr. 2'000.- pro Kalenderjahr nicht übersteigen und sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer zustimmen. Mit Blick auf diese Regelung macht der Beschwerdeführer geltend, ein Teil der Schadenersatzforderungen sei darauf zurückzuführen, dass Arbeitnehmer nicht über Fr. 2'000.- hinausgehende jährliche Löhne bezogen hätten, die von der Beitragspflicht befreit seien. 
4.2 Die Vorinstanz hat dieses Argument verworfen mit der Begründung, auf den entsprechenden Löhnen seien Abzüge vorgenommen worden, die bei Fehlen einer Beitragspflicht wieder den Arbeitnehmern hätten zurückerstattet werden müssen, was aus den Akten indessen nicht hervorgehe. Im Einspracheentscheid wurde weiter argumentiert, bei einem Verzicht auf eine Beitragserhebung hätte vorgängig das Einverständnis der Ausgleichskasse eingeholt werden müssen, was im vorliegenden Fall unterblieben sei. Das letztgenannte Argument ist unzutreffend: Ein Einverständnis der Ausgleichskasse ist nicht erforderlich, und die Verzichtserklärung kann auch nachträglich noch eingeholt werden (SVR 1996 AHV Nr. 77 E. 4). Im Übrigen ist es durchaus üblich (gemäss Art. 51 Abs. 1 AHVG gar vorgeschrieben), die Abzüge vorzunehmen, wenn noch nicht feststeht, ob im betreffenden Jahr der massgebende Betrag von Fr. 2'000.- überschritten wird. 
4.3 Freilich ist es Sache des Arbeitgebers und nicht der Ausgleichskasse, die Verzichtserklärungen beizubringen (SVR 1996 AHV Nr. 77 E. 4e). Der Beschwerdeführer hat bereits in seiner Einsprache vom 11. Juli 2003 vorgebracht, die Verzichtserklärungen seien jeweils nachträglich eingeholt worden. Gestützt darauf hat er den Beweisantrag gestellt, die sich beim Konkursamt befindlichen Unterlagen seien zu edieren. Die Ausgleichskasse hat im Einspracheentscheid diesem Beweisantrag nicht stattgegeben mit dem vorgenannten Argument, der Beschwerdeführer habe seine Arbeitgeberpflichten verletzt, indem er das Einverständnis der Ausgleichskasse nicht eingeholt und die Verzichtserklärungen nicht vorgelegt habe. Wie ausgeführt, ist ein solches Einverständnis jedoch gar nicht erforderlich. Da der Beschwerdeführer inzwischen als Geschäftsführer der Firma X.________ GmbH ausgeschieden war und über diese zudem der Konkurs eröffnet worden war, hatte der Beschwerdeführer keinen Zugriff mehr auf die Geschäftsbücher. Der Beweisantrag auf Aktenedition war somit begründet und entscheiderheblich. Sollten die Verzichtserklärungen für die Fr. 2'000.- nicht übersteigenden Jahreslöhne nämlich wie behauptet vorliegen, so bestünde - sofern es sich dabei um Nebeneinkommen handelt - insoweit keine Beitragspflicht und dementsprechend auch kein Schaden der Ausgleichskasse (ob der Arbeitgeber die in diesem Fall zu Unrecht vom Lohn abgezogenen Beiträge den betroffenen Arbeitnehmern zurückerstattet, betrifft einzig das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und kann für die Ausgleichskasse von vornherein keinen Schaden zur Folge haben). In der Beschwerde an die Vorinstanz hat der Beschwerdeführer den Antrag erneuert, doch hat auch die Vorinstanz diesem nicht stattgegeben. Damit ist der entscheiderhebliche Sachverhalt insoweit unvollständig festgestellt. 
4.4 Unbegründet ist hingegen der vom Beschwerdeführer vorinstanzlich gestellte Eventualantrag, es sei bei den betreffenden Arbeitnehmern erneut eine Verzichtserklärung einzuholen. Zwar kann die Zustimmung nachträglich beigebracht werden, nach Sinn und Zweck der Regelung muss sie aber innert nützlicher Frist, in der Regel vor der Abrechnung (Art. 36 AHVV) erfolgen. Einer derart verspätet eingeholten Erklärung wäre daher die erforderliche Beweisfunktion abzusprechen. 
5. 
5.1 Der Beschwerdeführer macht sodann, wie bereits vor den Vorinstanzen, geltend, einige der angeblichen Arbeitnehmer seien in Wirklichkeit selbstständig erwerbend gewesen, sodass für die Firma X.________ GmbH ihnen gegenüber keine Abrechnungspflicht bestanden habe. Auch diesbezüglich hat er vorinstanzlich entsprechende Beweisanträge gestellt. 
5.2 Die Vorinstanz hat - ohne die beantragten Beweise abzunehmen - dazu ausgeführt, der Arbeitgeber könne sich nicht exkulpieren mit dem Argument, er habe die Tätigkeit eines bei ihm Versicherten als selbstständige Erwerbstätigkeit betrachtet, denn er müsse sich vergewissern, ob eine solche tatsächlich vorliegt. Zwar ist dieser, die Frage des Verschuldens betreffenden Auffassung beizupflichten. Vorab ist indessen zu klären, ob überhaupt ein Schaden vorliegt: Waren die betreffenden Personen nämlich tatsächlich selbstständig erwerbend, und sind sie als solche ihrer Beitragspflicht für die Bezüge von der Firma X.________ GmbH nachgekommen, so kann für die Ausgleichskasse durch das Verhalten des Beschwerdeführers von vornherein kein Schaden entstanden sein - selbst wenn sich der Beschwerdeführer schuldhaft nicht genügend vergewissert hat, ob bei den betreffenden Personen wirklich eine selbstständige Erwerbstätigkeit vorlag. 
6. 
Die Beweisanträge des Beschwerdeführers waren somit begründet und entscheiderheblich, der Sachverhalt ist diesbezüglich folglich unvollständig festgestellt. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben, und die Sache ist zwecks Durchführung der genannten Beweismassnahmen (E. 4.3 und 5.2) an die Vorinstanz zurückzuweisen. Alsdann ist über das Ausmass des Ersatzanspruchs der Ausgleichskasse Zug neu zu entscheiden. 
7. 
Der Beschwerdeführer obsiegt damit nur teilweise; der grösste Teil der Nachforderungen entfällt auf Lohnforderungen von mehr als Fr. 2'000.- pro Jahr. Der Beschwerdeführer macht auch selber lediglich bezüglich dreier Personen geltend, sie seien selbstständig erwerbend gewesen. Selbst wenn die anzuordnenden Beweise daher zu seinen Gunsten ausfallen werden, obsiegt er nur zum kleineren Teil. Die Gerichtskosten werden somit anteilsmässig auferlegt (Art. 156 in Verbindung mit Art. 153 OG). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 22. August 2006 und der Einspracheentscheid der Ausgleichskasse des Kantons Zug vom 13. Juli 2005 aufgehoben, und es wird die Sache an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen, damit es die Schadenersatzforderung der Beschwerdegegnerin im Sinne der Erwägungen neu festsetze. 
2. 
Von den Gerichtskosten von Fr. 3'000.- werden dem Beschwerdeführer Fr. 2'000.- und der Beschwerdegegnerin Fr. 1'000.- auferlegt. Der Anteil des Beschwerdeführers ist durch den geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 3'000.- gedeckt; der Differenzbetrag von Fr. 1'000.- wird zurückerstattet. 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 25. April 2007 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: