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Urteilskopf

142 II 517


45. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Greina-Stiftung zur Erhaltung der alpinen Fliessgewässer sowie World Wide Fund for Nature (WWF) Schweiz, Stiftung für Natur und Umwelt, Pro Natura, Schweizerischer Bund für Naturschutz und Schweizerischer Fischerei-Verband je gegen Kraftwerke Zervreila AG und Mitb. sowie Regierungsrat des Kantons Graubünden (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_526/2015 / 1C_528/2015 vom 12. Oktober 2016

Regeste

Projekt "Überleitung Lugnez": Konzession für zusätzliche Wasserfassungen für die bestehenden Kraftwerksanlagen (Art. 29 ff. GSchG; Art. 7 ff. BGF; Art. 8 und 10a ff. USG).
Das Projekt stellt keine wesentliche Änderung der bestehenden Konzessionen dar, die eine neue Gesamtkonzession erfordern würde (E. 3.1 und 3.2).
Dennoch dürfen die Umweltauswirkungen des Projekts nicht isoliert von denjenigen der bestehenden Anlagen beurteilt werden. Eine gesamthafte Betrachtung ist aus umweltrechtlicher Sicht jedenfalls für die Wasserentnahmen im Valsertal und im Lugnez erforderlich, die gemeinsame Restwasserstrecken haben (E. 3.3).
Anlässlich der Zusatzkonzession müssen Massnahmen zur Erhaltung und zur Verbesserung der natürlichen Lebensräume geprüft werden; dabei erstreckt sich die Prüfungspflicht auch auf die bestehenden Anlagen (E. 3.4). Ist deren Sanierung umweltrechtlich geboten, muss sie mit dem Konzessions- und Bewilligungsverfahren für die "Überleitung Lugnez" koordiniert werden (E. 3.5). Differenzierung zwischen der Restwassersanierung nach Art. 80 ff. GSchG (E. 3.5.1) und den übrigen Sanierungspflichten (Art. 39a, 43a und 83a GSchG; Art. 10 BGF; E. 3.5.2).

Sachverhalt ab Seite 518

BGE 142 II 517 S. 518

A. Die Kraftwerke Zervreila AG (KWZ) betreibt heute die vier Kraftwerkszentralen Zervreila, Safien Platz, Rothenbrunnen und Realta. Die durchschnittliche Produktion liegt bei rund 550 GWh pro Jahr, wobei rund 55 % des in den Anlagen produzierten Stroms im Winterhalbjahr anfällt. Die betreffenden Wasserrechtsverleihungen zur
BGE 142 II 517 S. 519
Nutzung des Valserrheins, der Rabiusa und der Carnusa enden am 31. Dezember 2037.
Das Konzessionsprojekt "Überleitung Lugnez" der KWZ umfasst fünf neue Wasserfassungen im oberen Lugnez (Stgira, Blangias Nord, Diesrut, Ramosa und Cavel). Damit sollen Teile der Abflüsse von fünf Nebenbächen des Glenner (Glogn) gefasst und durch einen 13 km langen unterirdischen Stollen ins bestehende Ausgleichsbecken Zervreila im Valsertal geleitet werden. Von dort aus wird das Wasser entweder in den Stausee Zervreila gepumpt oder als Laufwasser in den bestehenden Kraftwerksstufen Safien und Rothenbrunnen verarbeitet, mit Rückgabe in den Hinterrhein. Dadurch können jährlich rund 32 Mio. m3 Wasser zusätzlich genutzt und die Stromproduktion um jährlich circa 80 GWh (d.h. rund 15 %) erhöht werden.

B. Am 25. Juni 2012 reichten die KWZ sowie die Konzessionsgemeinden das Projekt Überleitung Lugnez zusammen mit Nachträgen zu den bestehenden Wasserrechtsverleihungen der Regierung zur Genehmigung ein.
Dagegen erhoben die Stiftung World Wide Fund for Nature Schweiz (WWF), der Verein Pro Natura, Schweizerischer Bund für Naturschutz (Pro Natura), der Schweizerische Fischerei-Verband (SFV) sowie die Schweizerische Greina Stiftung zur Erhaltung der alpinen Fliessgewässer (SGS) Einsprache.
Mit Beschluss vom 12. November 2013 wies die Regierung des Kantons Graubünden die Einsprachen ab und genehmigte die Wasserrechtsverleihung an die KWZ für die Nutzung der Gewässer im oberen Lugnez unter Bedingungen und Auflagen; genehmigt wurden auch die Nachträge zu den bestehenden Wasserrechtsverleihungen.
Die dagegen erhobene Beschwerde der Umwelt- und Naturschutzverbände wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden am 8. September 2015 ab.

C. Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid haben WWF, Pro Natura und SFV am 12. Oktober 2015 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht erhoben (Verfahren 1C_528/2015). Sie beantragen in der Hauptsache, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und dem Konzessionsgesuch "Überleitung Lugnez" sei die Genehmigung zu verweigern.
Am 12. Oktober 2015 hat auch die SGS Beschwerde erhoben (Verfahren 1C_526/2015). Sie ficht lediglich den Kosten- und Entschädigungsentscheid des Verwaltungsgerichts an.
BGE 142 II 517 S. 520

D. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) vertritt in seiner Vernehmlassung unter anderem die Auffassung, dass die Konzession mit den anstehenden Sanierungen für die bestehenden Anlagen koordiniert werden müsse.

E. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde 1C_528/2015 teilweise gut und weist die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Regierung des Kantons Graubünden und zur Neuverlegung der Kosten und Entschädigungen an das Verwaltungsgericht zurück. Die Beschwerde 1C_526/2015 der SGS wird als gegenstandslos geworden abgeschrieben.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. [...] Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, das Projekt stelle eine wesentliche Änderung der bestehenden Konzession dar, die einer Neukonzessionierung gleichkomme, mit der Folge, dass die Umweltbeeinträchtigungen der gesamten Anlage - und nicht nur der Überleitung Lugnez - zu prüfen seien. Jedenfalls aber müsse das streitige Projekt mit den gesetzlich gebotenen Sanierungsmassnahmen koordiniert werden (gemäss Art. 80 ff. GSchG [SR 814.20] betreffend Restwasser, Art. 39a i.V.m. Art. 83a GSchG betreffend Schwall und Sunk, Art. 43a i.V.m. Art. 83a GSchG betreffend Geschiebehaushalt und Art. 10 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über die Fischerei [BGF; SR 923.0]).
Dagegen gehen die kantonalen Instanzen und die Beschwerdegegnerin davon aus, das Projekt Überleitung Lugnez könne unabhängig von den bestehenden Anlagen im Valsertal beurteilt werden. Es stelle keine derart weitgehende Änderung des ursprünglichen Nutzungskonzepts dar, dass es materiell der Erteilung einer neuen Konzession für die Gesamtanlage gleichkomme. Zu prüfen sei daher nur, ob das Projekt selbst den gesetzlichen Anforderungen entspreche [...]. Dies sei aufgrund der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zu bejahen. [...]

3. Art. 43 des Bundesgesetzes vom 22. Dezember 1916 über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte (Wasserrechtsgesetz, WRG; SR 721.80) bestimmt, dass die Konzession dem Konzessionär nach Massgabe des Verleihungsakts ein wohlerworbenes Recht auf Benutzung des Gewässers verschafft (Abs. 1), das nur aus Gründen des öffentlichen Wohles und gegen volle Entschädigung
BGE 142 II 517 S. 521
zurückgezogen oder geschmälert werden darf (Abs. 2). Dieses Recht ist grundsätzlich auch gegen nachträgliche Verschlechterungen der Rechtslage geschützt. Dementsprechend kommen die am 1. November 1992 in Kraft getretenen Restwasservorschriften der Art. 29 ff. GSchG auf vorbestehende Wassernutzungsrechte nicht ohne Weiteres zur Anwendung. Vielmehr bestimmt Art. 80 GSchG, dass Restwassersanierungen zulässig und geboten sind, soweit hierdurch nicht in die Substanz der bestehenden wohlerworbenen Rechte eingegriffen wird (Abs. 1); weitergehende Massnahmen bedürfen einer besonderen Rechtfertigung und sind entschädigungspflichtig (Abs. 2).
Nach Ablauf einer Konzession müssen Wasserentnahmen neu konzessioniert werden und haben daher vollumfänglich den Anforderungen des Gewässer- und Umweltschutzrechts zu entsprechen (BGE 120 Ib 233 E. 3b S. 237 mit Hinweisen). Gleiches gilt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wenn eine noch laufende Konzession so wesentlich geändert wird, dass dies materiell der Erteilung einer neuen Konzession gleichkommt (grundlegend BGE 119 Ib 254 [Curciusa] E. 5b S. 269 f.). Dies wird bei wesentlichen Änderungen von Art und Umfang der Wassernutzung angenommen (vgl. VERONIKA HUBER-WÄLCHLI, in: Kommentar zum Gewässerschutzgesetz und zum Wasserbaugesetz [nachfolgend: GSchG-Kommentar], Hettich/ Jansen/Norer [Hrsg.], 2016, N. 62 ff. zu Art. 29 GschG; GIERI CAVIEZEL, Wasserrechtskonzessionen und Umweltrecht, ZBl 105/2004 S. 69 ff., insb. S. 92 f.). Eine wesentliche Änderung wurde im Fall Curciusa bejaht, weil u.a. die Speicherung des Wassers in einem Stausee mit mehr als doppeltem Inhalt, die überwiegende Nutzung des Wassers im Winter statt im Sommer, die Erhöhung des nutzbaren Gefälles um 7 % und eine unterirdische statt einer oberirdischen Zentrale vorgesehen waren. Gewisse kantonale Wassernutzungsgesetze regeln ausdrücklich, wann eine wesentliche Änderung einer Konzession anzunehmen ist (z.B. Art. 12 Abs. 2 des Berner Wassernutzungsgesetzes vom 23. November 1997 [BSG 752.41]); eine solche Regelung fehlt aber im Wasserrechtsgesetz des Kantons Graubünden vom 12. März 1995 (BWRG; BR 810.100).

3.1 Formell wurden nicht die bestehenden Konzessionen der Beschwerdegegnerin geändert, sondern eine neue Konzession für die Überleitung Lugnez erteilt. Diese steht allerdings in einem engen Zusammenhang mit den bestehenden Wasserkraftanlagen: Die fünf neuen Wasserfassungen im Lugnez-Tal dienen der Erhöhung der
BGE 142 II 517 S. 522
Stromproduktion und der besseren Auslastung der bestehenden Anlagen der Beschwerdegegnerin; ohne diese könnte das neu gefasste Wasser nicht verwertet werden.
Aufgrund dieses engen Konnexes prüften die kantonalen Instanzen zu Recht, ob das neue Projekt eine derart weitgehende Änderung des ursprünglichen Nutzungskonzepts darstellt, dass es materiell der Erteilung einer neuen Konzession für die Gesamtanlage gleichkommt. Sie verneinten dies: Das neue Einzugsgebiet von 29 km2 im hinteren Lugnez, die Erhöhung der nutzbaren Wassermenge von 32 Mio. m3 jährlich und das sich daraus ergebende zusätzliche Energiepotenzial von 80 GWh seien zwar nicht unerheblich, stünden aber gegenüber dem bereits bestehenden Einzugsgebiet von rund 200 km2 und der bisherigen Energieproduktion von 550 GWh doch in einem untergeordneten Verhältnis. Die bestehenden Anlagen wiesen eine genügende Kapazität auf und würden baulich nicht verändert; insbesondere werde das Speichervolumen des Stausees Zervreila nicht erhöht. Im Vergleich zur bestehenden Nutzung führe das Projekt Überleitung Lugnez auch nicht zu einer grundsätzlich anderen Nutzung; namentlich seien keine massgebenden Veränderungen der saisonalen Abflüsse zu erwarten.

3.2 Diese Erwägungen sind im Grundsatz nicht zu beanstanden. Wie der Regierungsrat in seinem Entscheid dargelegt hat, führt die Überleitung zu einer Verlängerung der Volllastbetriebszeiten in den bestehenden Zentralen von wenigen Minuten täglich im Winter und ca. 1 Stunde im Sommer; diese Nutzungsänderung rechtfertigt per se nicht die Annahme einer Neukonzessionierung der gesamten Anlage.
Problematisch erscheint allerdings die unterschiedliche Laufdauer der Konzessionen: Während die bestehenden Konzessionen Ende 2037 auslaufen, wird die Konzession für die Überleitung Lugnez auf die Dauer von 80 Jahren vom Tage der Inbetriebnahme der Anlagen an erteilt. Auch wenn die gleichzeitig genehmigten Nachträge zu den bestehenden Konzessionen lediglich das Verfahren nach deren Ablauf regeln und keine Verpflichtung zur Erneuerung der bestehenden Wasserrechte enthalten, wie das Verwaltungsgericht betonte, wird die Erneuerung de facto präjudiziert: Läuft die Konzession für die Überleitung Lugnez weiter, müssen die hierfür benötigten Kraftwerksanlagen bestehen und funktionsfähig bleiben; es wäre deshalb ökonomisch sinnlos, auf die Nutzung der Gewässer im Oberen Valsertal und im Safiental zu verzichten. Allerdings erscheint ein derartiger
BGE 142 II 517 S. 523
Verzicht ohnehin unwahrscheinlich, angesichts der bestehenden Anlagen und des öffentlichen Interesses an der Nutzung erneuerbarer Energien. Aus rechtlicher Sicht ist entscheidend, dass nach Ablauf der bestehenden Konzessionen Umfang, Art und Bedingungen der Nutzung neu festgelegt werden können, unter Beachtung aller Vorgaben des Gewässer- und Umweltschutzrechts. Dies wird durch die Konzession Überleitung Lugnez nicht verhindert.

3.3 Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Umweltauswirkungen der Überleitung Lugnez isoliert betrachtet werden dürften, ohne die Beeinträchtigungen durch die bestehenden Anlagen der Beschwerdegegnerin zu berücksichtigen. Wie schon dargelegt, bilden die neuen Wasserentnahmen mit den bestehenden Anlagen der Beschwerdegegnerin eine betriebliche und funktionale Einheit. Nach ständiger Rechtsprechung erstreckt sich die UVP-Pflicht auf alle zu einer Gesamtanlage gehörenden Teile (vgl. zuletzt BGE 142 II 20 E. 3.1 S. 25 f. mit zahlreichen Hinweisen), d.h. die Umweltrechtskonformität eines Projekts ist unter Einbezug aller räumlich und funktional zusammenhängenden Teile der Gesamtanlage zu beurteilen, auch soweit letztere nicht Gegenstand des Bewilligungsverfahrens bilden.
Eine solche Gesamtbetrachtung erscheint jedenfalls für die Wasserentnahmen im Valsertal und im Lugnez geboten, die gemeinsame Restwasserstrecken haben: Beide beeinflussen gemeinsam den Abfluss des Glenners unterhalb der Einmündung des Valserrheins. Zum Schutz z.B. der Glenner-Auen auf dieser Strecke kommen daher sowohl Sanierungsmassnahmen bei den bestehenden Anlagen als auch Massnahmen beim Projekt "Überleitung Lugnez" in Betracht. Zum Teil lassen sich Massnahmen auch nicht eindeutig den neuen oder den alten Anlagen zuordnen: Müssten z.B. zum Schutz der Auen Wasservolumen aus dem Zervreilastausee für periodische Hochwasserereignisse zur Verfügung gestellt werden, können diese ebenso aus den bestehenden wie aus den neuen Einzugsgebieten stammen. Das umweltrechtliche Prinzip der ganzheitlichen Betrachtungsweise, das auch Art. 29 ff. GSchG zugrunde liegt (vgl. ALAIN GRIFFEL, Die Grundprinzipien des schweizerischen Umweltrechts, 2001, Rz. 391 S. 286 ff.), gebietet insoweit eine gesamtheitliche Betrachtung der umweltrechtlichen Auswirkungen in ihrem Zusammenwirken.

3.4 Zum gleichen Ergebnis führen die von den Beschwerdeführern angerufenen fischereirechtlichen Bestimmungen (Art. 7 ff. BGF, insbesondere Art. 8 Abs. 5 und 9 BGF):
BGE 142 II 517 S. 524
Zwar bedürfen Wasserentnahmen nach Art. 29 GSchG formell keiner fischereirechtlichen Bewilligung (Art. 8 Abs. 4 BGF); diese ist vielmehr in der umfassenderen Bewilligung nach Art. 29 ff. GSchG mitenthalten (BGE 125 II 18 E. 4a/bb S. 22). Art. 9 BGF ist jedoch bei der Anwendung der Art. 29 ff. GSchG heranzuziehen (so schon Urteil 1C_371/2012 vom 30. Mai 2013 E. 4.2, in: URP 2013 S. 721, RDAF 2014 I S. 370; vgl. auch HUBER-WÄLCHLI, a.a.O., N. 68 vor Art. 29-36 GSchG). Angesichts der im Umwelt- und Gewässerschutz notwendigen ganzheitlichen Betrachtungsweise muss materiell im Ergebnis dasselbe resultieren, wie wenn die einschlägigen Spezialbestimmungen direkt angewendet worden wären (MARTIN PESTALOZZI, Sicherung angemessener Restwassermengen - alles oder nichts?, URP 1996 S. 708 ff., insb. 713).
Nach Art. 7 BGF müssen die Kantone nicht nur bestehende Bachläufe, Uferpartien und Wasservegetationen, die dem Laichen und dem Aufwachsen der Fische dienen, erhalten (Abs. 1), sondern nach Möglichkeit auch Massnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Wassertiere sowie zur lokalen Wiederherstellung zerstörter Lebensräume treffen (Abs. 2; ähnlich Art. 37 Abs. 2 GSchG bei Wasserverbauungen [vgl. Urteil 1C_185/2016 vom 6. Juli 2016 E. 2.2.2] und Art. 3 NHG [SR 451] bei Landschaftseingriffen [vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1251/2012 vom 15. Januar 2014 E. 25.4, in: URP 2015 27]).
Werden Eingriffe in die Gewässer bewilligt, müssen die Behörden nach Art. 9 BGF alle Massnahmen vorschreiben, die geeignet sind, günstige Lebensbedingungen für die Wassertiere zu schaffen, die freie Fischwanderung sicherzustellen, die natürliche Fortpflanzung zu ermöglichen und zu verhindern, dass Fische und Krebse durch bauliche Anlagen oder Maschinen getötet oder verletzt werden (Abs. 1). Solche Massnahmen müssen bereits bei der Projektierung der technischen Eingriffe vorgesehen werden (Abs. 3). Diese für Neuanlagen konzipierte Bestimmung findet gemäss Art. 8 Abs. 5 BFG auch Anwendung, wenn eine Anlage erweitert wird.
Dabei erstreckt sich die Prüfungspflicht nicht nur auf die neuen Anlagenteile, sondern auch auf die bestehenden. Im Urteil 1A.270/ 1994 vom 10. Juli 1995 E. 4c (in: URP 1996 S. 235, RDAF 1997 I S. 523) hielt das Bundesgericht fest, dass es grundsätzlich sachgerecht sei, fischereirechtliche Sanierungsmassnahmen zu einem Zeitpunkt anzuordnen, in welchem bei einer Anlage Veränderungen
BGE 142 II 517 S. 525
beabsichtigt seien. Gleiches gelte, wenn zwar keine Veränderung der bestehenden Kraftwerksanlagen geplant sei, aber eine neue Nebenanlage errichtet werde, die zu einer höheren Stromproduktion führen solle, da fischereirechtliche Sanierungsmassnahmen dem Betreiber eher zuzumuten seien, wenn die Wirtschaftlichkeit der Anlage durch den Bau einer neuen Nebenanlage erhöht werde.
Allerdings dürfen derartige Massnahmen nicht in die Substanz wohlerworbener Wasserrechte eingreifen (zit. Urteil 1A.270/1994 vom 10. Juli 1995, E. 5 mit Hinweisen). Soweit die fischereirechtlichen Massnahmen daher die bestehenden Wasserfassungen schmälern, ist Art. 10 BGF zu beachten, wonach die Massnahmen wirtschaftlich tragbar sein müssen. Dies entspricht Art. 80 GSchG, wonach die bestehenden wohlerworbenen Wasserrechte in ihrer Substanz gewahrt (Abs. 1) oder entschädigt werden müssen (Abs. 2; vgl. zum Ganzen BGE 139 II 28 E. 2.7 S. 33 ff. und E. 3.7 S. 45 f.).

3.5 Dies bedeutet nicht, dass eine Zusatzkonzession stets eine sofortige Sanierungspflicht für die bestehenden Anlagenteile auslöst, unabhängig vom Ablauf der Sanierungsfristen und vom Stand der kantonalen Sanierungsplanung. Art. 18 Abs. 1 USG (SR 814.01) betreffend den Umbau und die Erweiterung sanierungsbedürftiger Anlagen ist auf Immissionen zugeschnitten und auf Wasserentnahmen nicht unmittelbar anwendbar. Vielmehr ist zu differenzieren:

3.5.1 Steht der Ablauf der Sanierungsfrist kurz bevor, ist es dem Betreiber in aller Regel zumutbar, die Sanierung gleichzeitig mit der beantragten Änderung oder mit der Zusatznutzung zu realisieren. Dies gilt erst recht, wenn die Frist schon abgelaufen, die Sanierung also überfällig ist. Dies ist für die Restwassersanierungen gemäss Art. 80 ff. GSchG der Fall, die bereits Ende 2012 hätten abgeschlossen sein müssen (Art. 81 Abs. 2 GSchG). In dieser Situation besteht kein schutzwürdiges Interesse des Betreibers, die bestehende Anlage durch neue Wasserfassungen zu erweitern, ohne gleichzeitig die gebotene Restwassersanierung der bestehenden Anlage zu realisieren. Eine materielle und formelle Koordination von Restwassersanierung und Zusatzkonzessionierung ist jedenfalls dann erforderlich, wenn zwischen ihnen ein enger sachlicher Zusammenhang besteht; dies ist nach dem oben (E. 3.3) Gesagten für die Wasserentnahmen im Lugnez und im Oberen Valsertal zu bejahen.

3.5.2 Dagegen läuft die Frist für Sanierungsmassnahmen nach Art. 39a GSchG Schwall und Sunk) und Art. 43a GSchG
BGE 142 II 517 S. 526
(Geschiebehaushalt) noch bis zum 31. Dezember 2030 (Art. 83a Abs. 1 GSchG). Hier kann es sich unter Umständen rechtfertigen, die Sanierungen auf ein nachfolgendes Verfahren zu verlegen, insbesondere wenn ein Koordinationsbedarf mit weiteren Kraftwerksbetreibern auf derselben Gewässerstrecke besteht und das neue Projekt die gebotene Sanierung nicht negativ präjudiziert.
Zugunsten einer vorgezogenen Sanierung kann dagegen berücksichtigt werden, dass die anfallenden Kosten fast vollständig von der nationalen Netzgesellschaft (Swissgrid) ersetzt werden (vgl. Art. 17d der Energieverordnung vom 7. Dezember 1998 [EnV; SR 730.01] i.V.m. Anh. 1.7 EnV). Die Art. 39a und 43a GSchG unterscheiden nicht zwischen neuen und bestehenden Anlagen; stattdessen trug der Gesetzgeber den wohlerworbenen Rechten von Konzessionsinhabern dadurch Rechnung, dass er Beiträge an die Sanierungskosten gewährt. Die wohlerworbenen Rechte werden somit nicht schon bei der Anordnung der Massnahme, sondern erst bei deren Finanzierung berücksichtigt (Parlamentarische Initiative Schutz und Nutzung der Gewässer, Bericht der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats vom 12. August 2008, BBl 2008 8043 ff., insb. 8053 Ziff. 2.3 und 8061 f. zu Art. 39a und Art. 43a; BAFU, Erläuternder Bericht Parlamentarische Initiative Schutz und Nutzung der Gewässer - Änderung der Gewässerschutz-, Wasserbau-, Energie- und Fischereiverordnung vom 20. April 2011, Ziff. 2.3.1 S. 7; ANNE-CHRISTINE FAVRE, GSchG-Kommentar, a.a.O., N. 18 ff. zu Art. 83 GSchG).

3.6 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer - keine Neukonzessionierung der gesamten Anlage vorliegt. Allerdings bedeutet dies - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - nicht, dass die Umweltverträglichkeit der Überleitung Lugnez isoliert, unabhängig von den bestehenden Anlagen der Beschwerdegegnerin im Gebiet Zervreila und deren Sanierungsbedürftigkeit, beurteilt werden dürfte. Vielmehr bedarf es einer gesamthaften Betrachtung; soweit die Sanierung der bestehenden Anlagenteile im Valsertal umweltrechtlich geboten erscheint, muss das Sanierungsverfahren mit dem Konzessions- und Bewilligungsverfahren für die Überleitung Lugnez koordiniert werden.
Da dies nicht geschehen ist und die Projektunterlagen auch keine Aussagen zur geplanten Sanierung der bestehenden Anlagen enthalten, leidet der angefochtene Entscheid schon aus diesem Grund
BGE 142 II 517 S. 527
an einem erheblichen Mangel. Im Folgenden ist - auch aus Gründen der Verfahrensökonomie - auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführer einzugehen. (...)

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Erwägungen 2 3

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