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[AZA 0/4] 
1A.55/2000 
126 II 348 
 
37. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen 
Abteilung vom 30. Juni 2000 i.S. X. gegen 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich 
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) 
Art. 16 Abs. 3 OHG; Art. 5 Abs. 3 BV; Art. 124 BV
Beginn der Verwirkungsfrist bei Straftaten, deren 
Schadensfolgen für das Opfer erst einige Zeit nach demtatbestandsmässigen Verhalten eintreten bzw. erkennbarwerden (E. 2-5; Präzisierung der Rechtsprechung); beiAnsteckung des Opfers mit dem HI-Virus und späteremAusbruch von AIDS (E. 6 u. 7). 
Art. 16 al. 3 LAVI; art. 5 al. 3 Cst. ; art. 124 Cst. 
Début du délai de péremption dans le cas d'infractionsdont les suites dommageables ne sont survenues ou n'ont étédécouvertes par la victime qu'un certain temps après lecomportement délictueux (consid. 2-5; précision dejurisprudence); en cas de contamination par le virus HIV etd'apparition ultérieure de la maladie (consid. 6 et 7). 
Art. 16 cpv. 3 LAV; art. 5 cpv. 3 Cost. ; art. 124 Cost. 
Inizio del termine di perenzione nel caso di reati le cuiconseguenze dannose per la vittima si verificano, rispettivamente sono riconoscibili, solo dopo un certolasso di tempo dal comportamento delittuoso (consid. 2-5; precisazione della giurisprudenza); in caso d'infezione conil virus HIV e l'insorgere ulteriore dell'AIDS (consid. 6 e7). 
 
Am 19. Januar 1998 reichte X. bei der Direktion derJustiz des Kantons Zürich ein Opferhilfegesuch umAusrichtung einer Entschädigung und Genugtuung ein. Siemachte geltend, sie sei am 31. Juli 1993 in PortoSeguro/Brasilien von einem Unbekannten vergewaltigt undberaubt worden. Bei der Vergewaltigung sei sie vom Tätermit dem HI-Virus infiziert worden. Nach ihrer Rückkehr indie Schweiz habe sie sich zwar wegen Unterleibsbeschwerdenund psychischen Problemen in ärztliche Behandlung begeben. 
Die HIV-Infektion habe jedoch erst nach Ausbruch derAIDS-Krankheit (u.a. Operation eines Non-Hodgkin-Lymphoms)Anfang August 1997 diagnostiziert werden können, nachdem X. 
wegen starker Kopfschmerzen, Redeausfall, vorübergehenderErblindung des linken Auges, Schwindel usw. notfallmässigins Universitätsspital Zürich habe eingewiesen werdenmüssen. 
Mit Verfügung vom 22. April 1998 wies die Direktion derJustiz des Kantons Zürich das Opferhilfegesuch alsverspätet und daher verwirkt ab. Eine von X. dagegenerhobene kantonale Beschwerde wurde am 5. Januar 2000 vomSozialversicherungsgericht (II. Kammer) des Kantons Zürichebenfalls abschlägig entschieden. 
Gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichtesgelangte X. mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 14. 
Februar 2000 an das Bundesgericht. 
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. 
Aus den Erwägungen: 
2.- a) Die Bestimmungen des Opferhilfegesetzes vom 4. 
Oktober 1991 [OHG; SR 312. 5] über die Entschädigung undGenugtuung gelten für Straftaten, die nach dem 1. Januar1993 (Inkrafttreten des OHG) verübt wurden (Art. 12 Abs. 3O-pferhilfeverordnung vom 18. November 1992 [OHV, SR312. 51]). 
b) Wird eine Person, die das Schweizer Bürgerrecht undWohnsitz in der Schweiz hat, im Ausland Opfer einerStraftat, kann sie im Kanton ihres Wohnsitzes Entschädigungund Genugtuung verlangen, sofern sie nicht von einemausländischen Staat eine genügende Leistung erhält (Art. 11Abs. 3 OHG; s. auch Art. 1 Abs. 2 lit. c OHG). 
c) Art. 16 Abs. 3 OHG bestimmt Folgendes: 
 
"Das Opfer muss die Gesuche um Entschädigung undGenugtuung innert zwei Jahren nach der Straftat bei der Behörde einreichen; andernfalls verwirkt es seine Ansprüche.. " 
 
aa) Der Wortlaut von Art. 16 Abs. 3 OHG verlangt für dasEinsetzen des Fristenlaufes eine "Straftat" ("infraction", "reato"). Eine Straftat im Sinne des OHG liegtgrundsätzlich vor, wenn der objektive Straftatbestanderfüllt und kein Rechtfertigungsgrund gegeben ist (BGE 125II 265 E. 2a/bb S. 268; 122 II 211 E. 3b S. 215, je mitHinweisen; vgl. Botschaft vom 25. April 1990 zum OHG, BBl1990 II 977). 
Mit dieser relativ kurzen Verwirkungsfrist, diegrundsätzlich weder unterbrochen noch wiederhergestelltwerden kann, wollte der Gesetzgeber die Opfer dazuanhalten, sich rasch zu entscheiden, ob sie entsprechendeAnsprüche erheben wollen. Zudem soll damit sichergestelltwerden, dass der Entscheid der Opferhilfebehörde möglichstbald erfolgen kann, in einem Zeitpunkt, in dem die genauenUmstände der Straftat noch eruierbar sind (BGE 126 II 97 E. 2c S. 100; 123 II 241 E. 3c S. 243, je mit Hinweisen). 
Ferner ist auch dem berechtigten Interesse desentschädigungspflichtigen Kantons Rechnung zu tragen, allfällige Regressforderungen gegenüber dem Täterrechtzeitig (vor Ablauf der Verjährung) anzubringen (vgl. 
PETER GOMM, Einzelfragen bei der Ausrichtung vonEntschädigung und Genugtuung nach dem Opferhilfegesetz, in: 
 
Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1998, Solothurn1998, S. 673 ff., 689). 
bb) Dem Opfer darf es allerdings nicht faktischverunmöglicht sein, innerhalb der Verwirkungsfrist einsubstanziertes Opferhilfegesuch zu stellen. Andernfallswürde der Sinn und Zweck des OHG unterlaufen (vgl. BBl 1990II 909 ff., S. 942; BGE 123 II 241 E. 3c S. 243). Zwarmüssen im Zeitpunkt der Einreichung des Opferhilfegesuchesdie Tatbestandsmerkmale noch nicht durch Strafuntersuchungoder Anklageerhebung konkretisiert (oder gar durch einrechtskräftiges Urteil nachgewiesen) sein. Nach Treu undGlauben muss dem Opfer allerdings ein Minimum anInformationen über die Straftat bzw. deren Umstände undSchadensfolgen vorliegen, die es ihm möglich und zumutbarmachen, ein ausreichend substanziertes Opferhilfegesuch zustellen (vgl. BGE 126 II 97 E. 2e S. 101 f.). In derLiteratur wird überwiegend die Auffassung vertreten, beiStraftaten, deren Schadensfolgen für das Opfer erst einigeZeit nach dem tatbestandsmässigen Verhalten eintreten bzw. 
erkennbar werden, setze die Verwirkungsfrist von Art. 16Abs. 3 OHG erst ab Eintritt des Erfolges ein (vgl. RUTHBANTLI KELLER, Überblick über das Opferhilfegesetz, Kriminalistik 1995, S. 65 ff., 69; RUTH BANTLIKELLER/ULRICH WEDER/KURT MEIER, Anwendungsprobleme desOpferhilfegesetzes, Plädoyer 1995 Nr. 5, S. 30 ff., 44;PETER GOMM/PETER STEIN/DOMINIK ZEHNTNER, Kommentar zumOpferhilfegesetz, Bern 1995, Art. 16 N. 16-18). DasBundesgericht hat diese Frage bisher ausdrücklich offengelassen (nicht publiziertes Urteil vom 3. November 1999i. S. G., E. 4c; vgl. auch BGE 123 II 241 E. 3d S. 243 f.). 
3.- Unbestrittenermassen wurde die Beschwerdeführerin am 31. Juli 1993 von einem unbekannten Straftäter beraubt undvergewaltigt. Anlässlich eines operativen Eingriffes am 7. 
August 1997 wurde bei der Beschwerdeführerin eineHIV-Infektion entdeckt und der Ausbruch von AIDS"festgestellt, was ihr am 12. August 1997 mitgeteiltwurde". Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie sei durchden Vergewaltiger mit dem HI-Virus infiziert worden. Imangefochtenen Entscheid wird eingeräumt, dassoffensichtlich keine weitere Infektionsmöglichkeitbestanden habe. 
 
a) Als Straftaten im Sinne des OHG fallen im vorliegendenFall folgende Tatbestände in Betracht: Vergewaltigung (Art. 190 StGB), Raub (Art. 140 StGB), Verbreiten menschlicherKrankheiten (Art. 231 StGB) und schwere Körperverletzung(Art. 122 StGB). Sämtliche Tatbestandsmerkmale derVergewaltigung und des Raubes waren der Beschwerdeführerinnach eigener Darstellung bereits am 31. Juli 1993 bekannt. 
Hinsichtlich dieser Straftaten (die sie im Übrigen auch inBrasilien polizeilich zur Anzeige brachte) waren ihreOpferhilfeansprüche bereits vor der Einreichung desOpferhilfegesuches (19. Januar 1998) offensichtlichverwirkt. 
 
b) Fraglich ist die Verwirkung bei den übrigen beidenStraftatbeständen, Art. 231 und Art. 122 StGB. Zunächststellt sich die Frage, wann diese Tatbestände ausstrafrechtlicher Sicht objektiv als vollendet anzusehenwaren. Nach den Feststellungen der Vorinstanz ist von einerAnsteckung der Beschwerdeführerin mit dem HI-Virus am 31. 
Juli 1993 auszugehen. Der Straftatbestand von Art. 231 StGBwar daher ebenfalls schon im Sommer 1993 erfüllt. 
Allerdings wurde die HIV-Infektion erst (nach Ausbruch derAIDS-Krankheit) am 7. August 1997 ärztlich festgestellt. 
Unbestrittenermassen erfuhr die Beschwerdeführerin erst am 12. August 1997 von der HIV-Infektion. Die Frage, inwelchem Zeitpunkt der Straftatbestand der schwerenKörperverletzung (Art. 122 StGB) erfüllt war, hängt davonab, ob man bereits die HIV-Infektion als vollendete schwereKörperverletzung ansieht oder erst den Ausbruch derAIDS-Krankheit. 
c) Nach der Praxis des Bundesgerichtes werden dieobjektiven Tatbestände von Art. 231 Ziff. 1 StGB(Verbreiten menschlicher Krankheiten) und Art. 122 Abs. 1StGB (schwere Körperverletzung) grundsätzlich bereits durchdie blosse HIV-Infektion erfüllt (BGE 125 IV 242 E. 2a/aaS. 245, E. 2b und c S. 248, mit Hinweisen). 
 
Der Kassationshof weist in diesem Zusammenhangausdrücklich darauf hin, dass - über die HIV-Infektionhinaus - schon vor dem Ausbruch der AIDS-Krankheiterhebliche psychische, gesundheitliche und sozialeBelastungen eintreten können, sobald das Opfer von derAnsteckung erfährt. Dazu gehörten nicht nur die "Gewissheit, mit einer zumindest möglicherweise tödlich verlaufendenKrankheit infiziert zu sein", was zu einer "reaktivenDepression" führen könne, sondern auch die "nichtunerheblichen Nebenwirkungen" der gegen die HIV-Infektioneingeleiteten Kombinationstherapie. Erwähnt wird auch nochdas Risiko einer "sozialen Isolation bzw. Diskriminierung"von HIV-Infizierten (BGE 125 IV 242 E. 2b/bb S. 246 f.;vgl. zu diesen Folgen auch MARIO M. PEDRAZZINI, HIV imPersönlichkeitsrecht und öffentlichen Recht, in: Michael G. 
Koch/Mario M. Pedrazzini/Adrian Staehelin, HIV und Recht, Basel 1999, S. 41 ff., 53, 72). Solche Umstände lagen hierjedenfalls im Zeitraum zwischen Juli 1993 und Juli 1997nicht vor. Eine Strafverfolgung wegen Ansteckung mit demHI-Virus ist im Übrigen zwangsläufig nur möglich, wennzumindest die Infektion diagnostiziert und dem Opfer bzw. 
der Strafverfolgungsbehörde bekannt ist (vgl. auchCHRISTIAN HUBER, HIV-Infektion und AIDS-Erkrankung imLichte des Art. 231 StGB sowie der Körperverletzungs- undTötungsdelikte, SJZ 85/1989 S. 149 ff.; ders. , AusgewählteFragen zur Strafbarkeit der HIV-Übertragung, ZStrR 115/1997S. 113 ff.; KARL-LUDWIG KUNZ, AIDS und Strafrecht: DieStrafbarkeit der HIV-Infektion nach schweizerischem Recht, ZStrR 107/1990 S. 39 ff.). 
4.- Im angefochtenen Entscheid wird erwogen, "entgegender strafrechtlichen und zivilrechtlichenVerjährungsregelung" beginne die Verwirkungsfrist von Art. 16 Abs. 3 OHG zwar "nicht mit der Ausübung derrechtswidrigen Handlung, sondern erst dann, wenn derschädliche Erfolg beim Opfer eingetreten ist". "Die schwereKörperverletzung im Sinne von Art. 122 Abs. 3 StGB unddamit auch der schädliche Erfolg" trete jedoch bereits "mitder Übertragung des HI-Virus" ein. 
a) Selbst wenn aus strafrechtlicher Sicht bereits dienicht diagnostizierte und vom Opfer nicht erkannteHIV-Ansteckung eine schwere Körperverletzung darstellt, istdamit noch keineswegs gesagt, dass der Ausbruch dereigentlichen AIDS-Krankheit nicht als Vollendung einesseparaten Körperverletzungstatbestandes (in Idealkonkurrenzzur blossen HIV-Ansteckung) angesehen werden könnte. Füreine solche Beurteilung spräche jedenfalls, dass dieAIDS-Krankheit ("Stadium IV") weit schwerwiegenderegesundheitliche Folgen nach sich zieht als dieasymptomatische Phase der (stillen) HIV-Infektion ("StadiumII"), und dass die Betroffenen (wie im vorliegenden Fall)von der HIV-Infektion oft erst nach Ausbruch derAIDS-Erkrankung erfahren (vgl. Bundesamt fürGesundheitswesenund Eidgenössische Kommission für Aidsfragen [Hrsg. ],Bericht "AIDS in der Schweiz": Die Epidemie, die Folgen, die Massnahmen, Bern 1989, S. 7 ff.; HUBER, a.a.O., 1989, S. 151; MAX KELLER, Rechtliche Bedeutung des Status"HIV-positiv". Leitfaden für Sozialversicherungsrecht, Privatversicherungsrecht, Arbeitsrecht, Strafrecht, Basel1993, S. 25 f.; KUNZ, a.a.O., S. 39 f.). 
 
b) Auch bei einer gegenteiligen strafrechtlichenBetrachtungsweise wäre indessen noch viel wenigerentschieden, ob der Ausbruch der AIDS-Erkrankung nichtzumindest aus opferrechtlicher Sicht als massgeblichesAuftreten einer "Straftat" im Sinne von Art. 16 Abs. 3 OHGanzusehen wäre, welche die Verwirkungsfrist in Lauf setzt. 
Für eine solche L-ösung spräche namentlich der Umstand, dass das OHG bei der Frage nach dem Anspruch aufEntschädigung und Genugtuung auch auf den "Erfolg derStraftat" abstellt (vgl. Art. 11 Abs. 2 OHG). 
c) Dass die strafrechtliche Verfolgungsverjährung bereitsmit der blossen Ausführung der strafbaren Handlung zulaufen beginnt (Art. 71 Abs. 1 StGB), vermag am bisherGesagten grundsätzlich nichts zu ändern. Zwar ist - ingewissen Grenzen - auch dem Interesse desentschädigungspflichtigen Kantons Rechnung zu tragen, allfällige Regressforderungen gegenüber dem mutmasslichenTäter rechtzeitig (noch vor Ablauf der Verjährung)anbringen zu können. Die strafrechtlicheVerfolgungsverjährung und die opferrechtlicheVerwirkungsfrist von Art. 16 Abs. 3 OHG verfolgen jedochunterschiedliche Ziele. 
Einerseits ist auf den Schutzzweck des OHG sowie von Art. 124 BV - gerade zugunsten der Opfer schwererGewaltverbrechen - hinzuweisen. Das OHG soll den Opfern vonStraftaten wirksame Hilfe ermöglichen und ihreRechtsstellung verbessern (Art. 1 Abs. 1 OHG). Der Grad derBetroffenheit des Opfers stellt dabei ein massgeblichesKriterium für die Frage der Zulässigkeit der beantragtenOpferhilfe dar (BGE 125 II 265 E. 2a S. 268 mit Hinweisen). 
Zum andern ist auf die - dem Grundsatz von Treu und Glauben(Art. 5 Abs. 3 BV) entspringende - bundesgerichtlichePraxis hinzuweisen, wonach das Opfer die Verwirkungsfristvon Art. 16 Abs. 3 OHG nach Massgabe des Zumutbaren zuwahren hat (vgl. oben, E. 2c/bb). Im Übrigen wäre dieabsolute strafrechtliche Verfolgungsverjährung für schwereKörperverletzung (selbst wenn sie schon am 31. Juli 1993 zulaufen begann) mit 15 Jahren erheblich länger als die blosszweijährige Verwirkungsfrist von Art. 16 Abs. 3 OHG (Art. 
 
70 Abs. 3 i.V.m. Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 und Art. 122Abs. 4 StGB). Das Interesse des Kantons Zürich an einerallfälligen Durchsetzung von Regressansprüchen erscheint imvorliegenden Fall auch nicht vorrangig. Insbesonderebestehen nur geringe Aussichten dafür, dass der unbekannte(mutmasslich in Brasilien lebende und selbst HIV-positiveoder aidskranke) Täter jemals innerhalb derVerfolgungsverjährungsfrist eruiert und regressweisebelangt werden könnte. Ausserdem ist zu bemerken, dass essich hier um einen ausgesprochen untypischen Fall einerschweren Körperverletzung handelt. In aller Regel ist fürden von einer schweren Körperverletzung Betroffenen schonnach der Tatausführung die massgebliche Beeinträchtigungder gesundheitlichen Integrität zumindest in Umrissen spür-bzw. erkennbar. Bei einer Ansteckung mit dem HI-Virus istdies jedoch nicht der Fall. 
5.- Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass derAusbruch der AIDS-Krankheit im August 1997 denverjährungsrechtlichen Fristenlauf - auch für denTatbestand der schweren Körperverletzung - nicht erst inGang setzte, wäre für die streitige Frage der Verwirkungvon Opferansprüchen jedenfalls auf den Sinn und Zweck desOpferhilfegesetzes abzustellen. 
a) Das Opferhilfegesetz bezweckt, Opfern von schwerenStraftaten im Sinne von Art. 2 OHG rasch und auf möglichstunbürokratische Weise wirksame Hilfe zu leisten, und zwarunabhängig davon, ob der Täter ermittelt worden ist und ober sich schuldhaft verhalten hat (vgl. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 OHG). Damit das Opfer seine Ansprüche - im Lichteder Verwirkungsfrist von Art. 16 Abs. 3 OHG - überhauptwirksam geltend machen kann, muss es über seine Rechteausreichend informiert sein. Das Gesetz sieht daherbesondere Mitteilungs- und Beratungspflichten der Behördenvor. Die Polizei hat das Opfer bei der ersten Einvernahmeüber die kantonalen Opferhilfe-Beratungsstellen zuinformieren (Art. 6 Abs. 1 OHG). Diese haben das Opfer zuberaten und über seine Rechte zu informieren (Art. 1 Abs. 2, Art. 3 Abs. 2 OHG). Zur juristischen Beratung gehörtinsbesondere auch ein Hinweis auf die Verwirkungsfrist vonArt. 16 Abs. 3 OHG. Eine Verletzung der gesetzlichenInformations- und Beratungspflichten kann Ausnahmen von denVerwirkungsfolgen rechtfertigen (vgl. BGE 123 II 241 E. 3eund f S. 244 f.). 
 
 
b) Die wirksame Inanspruchnahme von Opferhilfe setzt nachdem in Art. 5 Abs. 3 BV verankerten Grundsatz von Treu undGlauben aber auch voraus, dass das Opfer überhaupt davonKenntnis erhält, dass es von einer schweren Straftatbetroffen ist. Die Praxis verlangtfür die ausreichende Substanzierung einesOpferhilfegesuches die Glaubhaftmachung einertatbestandsmässigen und rechtswidrigen Straftat (BGE 126 II97 E. 2e und f S. 101 f.; 125 II 265 E. 2a/bb S. 268; 122II 211 E. 3b S. 215, je mit Hinweisen). Zum objektivenTatbestand der schweren Körperverletzung gehört einelebensgefährliche Verletzung (Art. 122 Abs. 1 StGB), eineVerstümmelung, Entstellung oder bleibendeArbeitsunfähigkeit usw. (i.S.v. Art. 122 Abs. 2 StGB) odereine andere schwere Schädigung des Körpers oder derkörperlichen oder geistigen Gesundheit des Opfers (Art. 122Abs. 3 StGB). 
c) Damit das Opfer das Vorliegen einer Straftat im Sinnedes OHG überhaupt glaubhaft machen kann, muss es diemassgebliche Schädigung bzw. Verletzung erkannt habenkönnen (vgl. BGE 126 II 97 E. 2c S. 100 mit Hinweisen). 
Anders zu entscheiden hiesse, dem Sinn und Zweck des OHGzuwiderlaufende Anforderungen an die rechtzeitigeEinreichung eines (substanzierten) Opferhilfegesuches zustellen. 
d) Nach der Praxis des Bundesgerichtes erscheint ausopferhilferechtlicher Sicht massgeblich, ob dieBeeinträchtigung des Geschädigten in seiner körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität das legitimeBedürfnis begründet, die Hilfsangebote und die Schutzrechtedes OHG - ganz oder zumindest teilweise - in Anspruch zunehmen (vgl. BGE 125 II 265 E. 2a/aa in fine S. 268). ImSommer 1993 bestand für die Beschwerdeführerin kein Anlass, in Bezug auf die ihr nicht bekannte HIV-Ansteckung und dieerst 1997 ärztlich diagnostizierte AIDS-Erkrankung bzw. 
schwere Körperverletzung die Hilfsangebote des OHG inAnspruch zu nehmen. Konkludent verzichtet hat dieBeschwerdeführerin nur auf jene Opferhilfeansprüche, welchedie (ihr schon im Sommer 1993 bekannten) Straftatbeständeder Vergewaltigung und des Raubes betrafen. Es ist legitimund widerspricht dem Sinn und Zweck des OHG nicht, wenn dasOpfer einer Vergewaltigung auf seine diesbezüglichenEntschädigungs- und Genugtuungsansprüche verzichtet, dieihm gesetzlich zustehenden Rechte jedoch in Anspruch nimmt, sobald es erkennt, dass es nicht nur von Raub undVergewaltigung betroffen ist, sondern darüber hinaus auchnoch von einer schweren Körperverletzung (hier: Ansteckungmit einer möglicherweise tödlich verlaufenden Krankheit). 
Im vorliegenden Fall wurden die HIV-Infektion und derAusbruch der AIDS-Krankheit von den Ärzten erst am 7. 
August 1997 festgestellt. Die Beschwerdeführerin erhieltdavon unbestrittenermassen erst am 12. August 1997Kenntnis. Fünf Monate nach Kenntnisnahme, nämlich am 19. 
Januar 1998, reichte sie das Opferhilfegesuch ein. 
6.- In seinem nicht publizierten Urteil vom 3. November1999 i.S. G. liess das Bundesgericht die Frage ausdrücklichoffen, ob der Sinn und Zweck des OHG in Fällen wie demvorliegenden, bei denen die Schadensfolgen einermutmasslichen Straftat erst einige Zeit nach demtatbestandsmässigen Verhalten eintreten bzw. erkennbarwerden, verlangen kann, dass die Verwirkungsfrist erst abEintritt des schädigenden Erfolges einsetzt (vgl. auch BGE123 II 241 E. 3d S. 243 f.). 
a) Im Fall G. war es nach einem ärztlichen Heileingriffzu einer schweren Hirnschädigung eines Kindes gekommen. DasBundesgericht konnte feststellen, dass die Verwirkungsfristvon Art. 16 Abs. 3 OHG "selbst dann als unbenutztabgelaufen anzusehen" war, "wenn sie ab Zeitpunkt desErfolgseintrittes berechnet" würde. Der ärztlicheHeileingriff war am 4. Dezember 1995 erfolgt. Am 24. Juni1996 hatten die Eltern des Opfers ihren Rechtsvertreter"zur Vertretung in Sachen Herzoperation vom 4.12.1995"beauftragt. Obwohl die geltend gemachten Schadensfolgen derOperation spätestens Mitte 1996 schon bekannt waren, reichte der Rechtsvertreter erst am 7. April 1999 einOpferhilfegesuch ein. 
b) Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin innertfünf Monaten seit Kenntnis der HIV-Infektion und derAIDS-Erkrankung das Opferhilfegesuch eingereicht. BezüglichVergewaltigung und Raub sind allfällige Opferhilfeansprüchezwar verwirkt. Es ist aber immerhin darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin noch in Brasilien (am 15. 
September 1993 bei der Polizei von Bahia) Strafanzeigegegen Unbekannt erhoben hat. Gemäss den vorliegenden Aktenliess sich die Beschwerdeführerin nach ihrer Rückkehr indie Schweiz ab 3. Mai 1994 bei verschiedenen Ärzten (Dr. 
A., Dr. F. und Dr. H.) wegen Dysmenorrhoe (starkenBeschwerden während der Regelblutung) ärztlich behandeln. 
Gemäss Krankengeschichte erzählte die Patientin ihrenÄrzten mehrmals ausdrücklich von der "Vergewaltigung inBrasilien". Während der symptomlosen Latenzzeit ("StadiumII") konnte die HIV-Infektion nur durch positivenHIV-Antikörpertest festgestellt werden (vgl. KUNZ, a.a.O.,S. 40). Laut ärztlichem Bericht wurden bis August 1997"keine HIV-Tests" durchgeführt. Da sie wegen derVergewaltigung auch unter schweren psychischen Problemenlitt, begab sich die Beschwerdeführerin ab Oktober 1994 inpsychotherapeutische Behandlung. Unbestrittenermassen wurdedie HIV-Infektion erstnach Ausbruch der AIDS-Krankheit (Operation einesNon-Hodgkin-Lymphoms) am 7. August 1997 diagnostiziert, nachdem die Beschwerdeführerin am 1. August 1997 wegenstarker Kopfschmerzen, Redeausfall, vorübergehenderErblindung des linken Auges, Schwindel usw. notfallmässigins Universitätsspital Zürich hatte eingewiesen werdenmüssen. Am 4. September 1997 erfolgte die offizielleDiagnose: "HIV-Infektion, Stadium C3 (AIDS)". Am 19. Januar1998 reichte sie das Opferhilfegesuch ein. 
c) Bei dieser Sachlage hat die Beschwerdeführerin allesihr nach Treu und Glauben Zumutbare unternommen, um ihreOpferrechte zu wahren. Sie hat die Vergewaltigung noch inBrasilien bei der Polizei angezeigt. Nach ihrer Rückkehr indie Schweiz hat sie sich aufgrund von unspezifischenKrankheitsanzeichen (Beschwerden während der Regelblutung)sofort in ärztliche Behandlung begeben. DieBeschwerdeführerin hat ihre Ärzte mehrmals ausdrücklichüber die Vergewaltigung informiert. Dass die Ärztelediglich eine "Dysmenorrhoe" diagnostizierten (die mit derVergewaltigung "nichts zu tun" gehabt habe), kann nicht derBeschwerdeführerin angelastet werden. Nachdem eine durchdie Vergewaltigung ausgelöste psychische Depressionanhielt, unterzog sie sich einer Psychotherapie. Erst nachAusbruch der AIDS-Krankheit, nämlich am 12. August 1997, teilten die behandelnden Ärzte der Beschwerdeführerin mit, sie sei HIV-infiziert und aidskrank. Fünf Monate späterreichte sie das Opferhilfegesuch ein. 
7.- Im Lichte der vorstehenden Erwägungen widersprichtes nicht nur dem Sinn und Zweck des OHG und von Art. 124BV, sondern auch dem verfassungsmässigen Grundsatz von Treuund Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV), wenn die kantonalenInstanzen im hier zu beurteilenden konkreten Fall von einerVerwirkung der Opferhilfeansprüche bezüglich derStraftatbestände von Art. 231 und Art. 122 StGB ausgegangensind. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und derangefochtene Entscheid aufzuheben. Die kantonalen Behördenwerden darüber zu befinden haben, ob und inwieweit diegesetzlichen Voraussetzungen für die Zusprechung einerEntschädigung und Genugtuung erfüllt sind. 
Lausanne, 30. Juni 2000