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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
K 148/02 
 
Urteil vom 20. Januar 2005 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiberin Kopp Käch 
 
Parteien 
G.________, 1982, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
CSS Versicherung, Rösslimattstrasse 40, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
(Entscheid vom 29. November 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1982 geborene G.________ ist bei der CSS Versicherung (nachfolgend CSS) krankenversichert. Gemäss Zahnschadenformular Befunde/Kostenvoranschlag vom 11. Januar 2000 diagnostizierte Dr. med. Dr. med. dent. S.________ bei der Versicherten pericoronale Infekte und follikuläre Zysten mit chronischer unspezifischer Entzündung bei verlagerten Weisheitszähnen und entfernte die vier Zähne ambulant im Spital X._________. Mit Verfügung vom 16. Juni 2000 bejahte die CSS nach Rücksprache mit dem Vertrauenszahnarzt Dr. med. dent. C.________ eine Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für die Behandlung des Zahnes 38, verneinte eine solche jedoch für die Behandlung der Zähne 18, 28 und 48. Mit Einspracheentscheid vom 8. Januar 2001 hielt sie an ihrem Standpunkt fest. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 29. November 2002 ab. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt G.________ die Rückerstattung der gesamten Zahnbehandlungskosten durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung. Zur Begründung verweist sie auf die Angaben des behandelnden Arztes Dr. med. Dr. med. dent. S.________. 
Die CSS schliesst unter Hinweis auf eine Stellungnahme des Vertrauenszahnarztes Dr. med. dent. B.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Krankenversicherung (seit 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit) verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Krankenversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 129 V 4 Erw. 1.2), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier: 8. Januar 2001) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar. 
2. 
Das kantonale Gericht hat die massgebenden gesetzlichen Grundlagen über den Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für zahnärztliche Behandlungen (Art. 31 Abs. 1 KVG, Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in Verbindung mit Art. 33 lit. d KVV sowie Art. 17-19 KLV) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. 
3. 
3.1 Was die Erkrankung der Zähne als Teil des Kausystems anbelangt, regelt Art. 17 lit. a KLV gestützt auf Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG die Übernahme der Kosten der zahnärztlichen Behandlung in zwei Fällen, nämlich gemäss Ziff. 1 beim idiopathischen internen Zahngranulom und gemäss Ziff. 2 bei der Verlagerung und Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen mit Krankheitswert (z.B. Abszess, Zyste). 
3.2 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat nach Einholen eines Grundsatzgutachtens mit Ergänzungsbericht vom 31. Oktober 2000/ 21. April 2001 - wie dies das kantonale Gericht zutreffend dargelegt hat - in seiner Rechtsprechung erkannt, dass der Krankheitswert gemäss Art. 17 lit. a KLV einen gegenüber dem allgemein definierten Begriff der Krankheit gemäss Art. 2 KVG qualifizierten Begriff darstellt, welchem Abgrenzungsfunktion zukommt, indem er die Behandlung nicht schwerer Erkrankungen der Zähne von der Leistungspflicht der sozialen Krankenversicherung ausschliesst. Was zunächst den Begriff der Verlagerung von Zähnen und Zahnkeimen anbelangt, hat das Gericht darin eine Abweichung von Lage und Achsenrichtung gesehen, wobei das Wort "und" nicht in dem Sinne verwendet worden ist, dass es kumulativ sowohl einer Abweichung von der Lage wie auch von der Achsenrichtung bedarf. Den qualifizierten Krankheitswert sieht das Gericht sodann in Übereinstimmung mit dem Grundsatzgutachten und dem Ergänzungsbericht bei der Dentition in Entwicklung - im Sinne eines Richtwertes bis zum 18. Altersjahr - in der Behinderung einer geordneten Gebissentwicklung oder in einem pathologischen Geschehen, bei bleibender Dentition in einem pathologischen Geschehen. Neben den in Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV in Klammern aufgeführten Beispielen des Abszesses und der Zyste hat das Gericht das Erfordernis des qualifizierten Krankheitswertes in Form von pathologischem Geschehen bei Erscheinungsformen als erfüllt gesehen, die erhebliche Schäden an den benachbarten Zähnen, am Kieferknochen und an benachbarten Weichteilen verursacht haben oder gemäss klinischem und allenfalls radiologischem Befund mit hoher Wahrscheinlichkeit verursachen werden. Bei in Entwicklung befindlicher Dentition ist der qualifizierte Krankheitswert auch gegeben, wenn verlagerte Zähne den Durchbruch benachbarter Zähne behindern oder verlagerte Zähne trotz Beseitigung von Durchbruchshindernissen und genügendem Platzangebot nicht durchbrechen können (vgl. BGE 127 V 328 und 391). 
4. 
4.1 Hinsichtlich der Übernahme der Kosten für zahnärztliche Behandlungen unterscheidet Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV nicht zwischen der Behandlung von Weisheitszähnen und von anderen Zähnen. Die Behandlungskosten sind von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen, wenn die Zähne verlagert sind und das Leiden Krankheitswert erreicht, wobei als Beispiele für einen solchen Krankheitswert in Klammern der Abszess und die Zyste genannt werden. 
Die Leistungspflicht für die Behandlung von verlagerten Weisheitszähnen ist demzufolge bei Vorliegen des erforderlichen qualifizierten Krankheitswertes gleich zu beurteilen wie diejenige für die Behandlung anderer verlagerter Zähne. Dieser qualifizierte Krankheitswert beinhaltet im Wesentlichen zwei Elemente, nämlich einerseits die Pathologie mit einer Gefährdung des Lebens oder einer Beeinträchtigung der Gesundheit und andererseits die notwendigen Massnahmen, um die Gefährdung oder Beeinträchtigung zu beseitigen oder zumindest zu verringern (BGE 130 V 464). So haben auch die Experten den qualifizierten Krankheitswert verneint, wenn ein pathologisches Geschehen mit einfachen Massnahmen behoben werden kann. 
4.2 Im oben zitierten Urteil hat das Eidgenössische Versicherungsgericht dargelegt, dass verlagerte Weisheitszähne gemäss Ansicht der beigezogenen Experten gegenüber andern verlagerten oder überzähligen Zähnen insofern eine besondere Stellung einnehmen, als sie von ihrer topografischen Lage her besonders häufig Lage-Anomalien zeigen. Entwicklungsgeschichtlich hat dazu beigetragen, dass der Kiefer des Menschen kleiner, die Zähne grösser geworden sind, sodass der Platz auf dem Kieferknochen für die Zähne, namentlich für die hintersten, nicht mehr ausreicht. Neben der Abweichung von der Lage ist oft eine solche von der Achse festzustellen, wodurch Nachbarstrukturen geschädigt werden können. Aus diesen Gründen geben die Weisheitszähne häufig Anlass zu entzündlichen Komplikationen und Zystenbildungen, die wegen ihrer Lage schwerwiegende Folgen haben können wie einen Durchbruch von Abszessen in anatomischen Logen von vitaler Bedeutung oder eine Spontanfraktur des Unterkiefers infolge Schwächung durch grosse Zysten (BGE 127 V 335 Erw. 6b und 397 Erw. 3c/cc). 
4.3 Bei der Behandlung verlagerter Weisheitszähne ist zudem die Besonderheit zu berücksichtigen, dass diese entfernt werden, ohne dass an ihrer Stelle ein Ersatz (z.B. Implantat) als tunlich erscheint, während andere verlagerte Zähne nicht ersatzlos entfernt werden können, sondern durch zahnärztliche Massnahmen zu erhalten sind oder an ihrer Stelle eine Ersatzlösung zu suchen ist, um die Kaufunktion aufrechtzuerhalten. 
4.4 Aufgrund der geschilderten Unterschiede kann demzufolge, wie das Eidgenössische Versicherungsgericht im zitierten BGE 130 V 464 dargelegt hat, bei verlagerten Weisheitszähnen und anderen verlagerten Zähnen bei identischer Pathologie der qualifizierte Krankheitswert im oben umschriebenen Sinn nicht gleich beurteilt werden. Um an die Übernahme der Kosten für die Behandlung verlagerter Weisheitszähne nicht geringere Anforderungen an die Schwere des Leidens zu stellen als für die Behandlung anderer verlagerter Zähne, kann bei Weisheitszähnen nicht jede Pathologie genügen, die bei andern verlagerten Zähnen die Übernahme rechtfertigt. Eine Pathologie wie beispielsweise eine Zyste oder ein Abszess, sofern ohne grossen Aufwand behandelbar, macht die Entfernung eines Weisheitszahnes nicht zur Behandlung einer schweren Erkrankung des Kausystems im Sinne von Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG in Verbindung mit Art. 17 KLV. Anders ist es zu halten, wenn entweder die Entfernung des verlagerten Weisheitszahnes wegen besonderer Verhältnisse oder die Behandlung der Pathologie schwierig und aufwändig ist (vgl. BGE 127 V 328; RKUV 2002 Nr. KV 202 S. 91, K 12/01). 
4.5 Die versicherte Person und der sie behandelnde Arzt haben dem Krankenversicherer alle medizinischen Grundlagen dafür zu liefern, dass er die Voraussetzungen für die Leistungspflicht prüfen kann (ZBJV 138/2002 S. 422). Werden gleichzeitig mehrere Weisheitszähne entfernt, ist der Nachweis für jeden Weisheitszahn zu erbringen. 
5. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Behandlungskosten des Zahnes 38 als Pflichtleistung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung anerkannt. Streitig und zu prüfen ist vorliegend noch die Leistungspflicht bezüglich der Behandlung der Zähne 18, 28 und 48. 
5.1 Im Zahnschadenformular vom 11. Januar 2000 diagnostizierte der behandelnde Arzt pericoronale Infekte und follikuläre Zysten mit chronischer unspezifischer Entzündung bei verlagerten Weisheitszähnen. In den folgenden Berichten präzisierte er, die Verlagerung aller vier Zähne sei deutlich ausgeprägt und in impaktierter Lage. Bezüglich Krankheitswert machte der Arzt einerseits eine Störung der normalen Gebissentwicklung in Form der Auslösung oder drohenden Auslösung eines Engstandes sowie des drohenden Vorwachsens der Wurzeln im Unterkiefer auf den Mandibularkanal oder der drohenden Umwachsung desselben, andrerseits eine Begleitpathologie in Form rezidivierender pericoronaler Infekte, follikulärer Zysten im Bereich der unteren Weisheitszähne, Schmerz durch auf den Mandibularkanal vorwachsende Wurzeln im Unterkiefer rechts sowie eine Denudierung von Zahnhals und Wurzeln der an Zahn 18, 28 und 48 angrenzenden Zähne geltend. 
5.2 Nach Beizug ihres Vertrauenszahnarztes Dr. med. dent. C.________ anerkannte die CSS eine Leistungspflicht für die Behandlung des Zahnes 38. Die Übernahme der Behandlungskosten für die Zähne 18, 28 und 48 lehnte sie ab, im Wesentlichen mit der Begründung, es fehle der gesetzlich geforderte Krankheitswert. An diesem Standpunkt hielt sie gestützt auf einen Bericht des Vertrauenszahnarztes Dr. med. dent. B.________ im kantonalen und im vorliegenden Verfahren fest. 
5.3 Die Vorinstanz würdigte die verschiedenen medizinischen Berichte und kam zum Schluss, dass wohl von einer Verlagerung der in Frage stehenden Zähne 18, 28 und 48 ausgegangen werden könne, nicht indessen vom Vorliegen eines qualifizierten Krankheitswertes in Form von pathologischem Geschehen oder in Form der Behinderung einer geordneten Gebissentwicklung. 
5.4 Was zunächst die Verlagerung der Zähne 18, 28 und 48 anbelangt, ergibt sich aus den Akten kein einheitliches Bild. Dr. med. Dr. med. dent. S.________ zunächst geht von einer ausgeprägten Verlagerung aus, wohingegen nach Dr. med. dent. C.________ keine Verlagerung vorliegt und gemäss Dr. med. dent. B.________ von einer definitiven Verlagerung im aktuellen Entwicklungsstand dieser Zähne nicht gesprochen werden kann. Die Frage der Verlagerung dieser drei Weisheitszähne kann indessen offen bleiben, weil die Pathologie und die notwendigen Massnahmen zu deren Beseitigung oder Verringerung für das Vorliegen des erforderlichen qualifizierten Krankheitswertes nicht ausreichen. Die Behandlung bestand im Wesentlichen in der Entfernung der Weisheitszähne sowie in fünf Konsultationen nach dem Eingriff. Selbst wenn die vom behandelnden Arzt geltend gemachte Pathologie vorhanden war - wobei diese teilweise nur Zahn 38 betraf, dessen Behandlung bereits als der Leistungspflicht unterliegend anerkannt ist -, konnte sie durch die Entfernung der Weisheitszähne behoben werden, ohne dass ein Ersatz der entfernten Zähne oder andere aufwändige Massnahmen notwendig geworden wären. Ein drohender Engstand der Frontzähne oder dessen Verschlimmerung durch die Weisheitszähne wurde erstmals in der Replikbeilage im vorinstanzlichen Verfahren geltend gemacht und kann nicht als erstellt gelten. Auch fehlen jegliche Anhaltspunkte für irgendwelche Schwierigkeiten oder besondere Komplikationen bei der Entfernung der Weisheitszähne, sodass in Anbetracht der Rechtsprechung die Voraussetzungen für eine diesbezügliche Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht erfüllt sind. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt. 
Luzern, 20. Januar 2005 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: