Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
Urteilskopf

144 III 152


18. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_3/2017 vom 15. Februar 2018

Regeste

Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 OR; Art. 335b OR; Berechnung der Probezeit.
Ist der Tag des Stellenantritts bei der Berechnung der Probezeit mitzuzählen (E. 4)?

Erwägungen ab Seite 152

BGE 144 III 152 S. 152
Aus den Erwägungen:

4.

4.1 Strittig ist im bundesgerichtlichen Verfahren, ob die Kündigung noch während der Probezeit erfolgte.

4.2 Gemäss Art. 335b OR kann das Arbeitsverhältnis während der Probezeit jederzeit mit einer Kündigungsfrist von sieben Tagen gekündigt werden; als Probezeit gilt der erste Monat eines Arbeitsverhältnisses (Abs. 1). Durch schriftliche Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag können abweichende Vereinbarungen getroffen werden; die Probezeit darf jedoch auf höchstens drei Monate verlängert werden (Abs. 2).
Die Probezeit soll den Parteien des Arbeitsvertrags ermöglichen, sich kennen zu lernen, damit sie abschätzen können, ob sie die gegenseitigen Erwartungen erfüllen (vgl. BGE 134 III 108 E. 7.1.1). Hierfür steht ihnen bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen von Gesetzes wegen die Dauer eines Kalendermonats zur Verfügung, wobei es grundsätzlich nicht auf die effektiv geleistete Arbeit, sondern die Dauer des
BGE 144 III 152 S. 153
Arbeitsverhältnisses ankommt (siehe BGE 136 III 562 E. 3 S. 563 f. mit Hinweisen). Bei einer effektiven Verkürzung der Probezeit infolge Krankheit, Unfall oder Erfüllung einer nicht freiwillig übernommenen gesetzlichen Pflicht erfolgt immerhin eine entsprechende Verlängerung der Probezeit (Art. 335b Abs. 3 OR).

4.3 Der Beschwerdeführer trat die Stelle am 15. Juli 2015 an. Mangels abweichender vertraglicher Abrede betrug die Probezeit einen Monat. Sie verlängerte sich infolge Krankheit gemäss Art. 335b Abs. 3 OR um einen Tag. Die Kündigung erfolgte am 16. August 2015.
Die Vorinstanz stellte bei der Berechnung auf Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 OR ab. Ausgehend vom Tag des Stellenantritts am 15. Juli 2015 schloss sie, die Probezeit hätte grundsätzlich bis am 15. August 2015 gedauert, sei aber bis am 16. August 2015 verlängert worden. Die Kündigung sei damit noch innerhalb der Probezeit erfolgt. Der Beschwerdeführer macht dagegen geltend, Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 OR sei auf die Berechnung der Probezeit nicht anwendbar, und letztere habe deshalb - unter Berücksichtigung der Verlängerung - bereits am 15. August 2015 geendet.

4.4

4.4.1 Die Probezeit nach Art. 335b Abs. 1 OR beginnt grundsätzlich am Tag des Stellenantritts, wie es Art. 350 Abs. 2 OR in der Fassung vom 30. März 1911 denn auch noch ausdrücklich normiert hatte (siehe STAEHELIN, Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 2014, N. 5 zu Art. 335b OR). Massgebend ist dabei der tatsächliche und nicht der vereinbarte Stellenantritt (so STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, Arbeitsvertrag, 7. Aufl. 2012, N. 3 zu Art. 335b OR mit Hinweis).
Zu entscheiden ist, ob der Tag des Stellenantritts bei der Berechnung der Probezeit mitzuzählen ist oder nicht.

4.4.2 Nach einem Grundprinzip des Fristenrechts, das auf das römische Recht zurückgeht, erfolgt die Fristberechnung nach Kalendertagen, also Zeiträumen zwischen Mitternacht und Mitternacht (sogenannte Zivilkomputation). Damit geht einher, dass nur Tage mitgezählt werden, die voll zur Verfügung stehen (vgl. etwa ERNST/OBERHOLZER, Fristen und Fristberechnung gemäss Zivilprozessordnung [ZPO], 2013, S. 1 Rz. 1; SCHRANER, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2000, N. 7 zu Art. 77 OR; siehe auch Urteil C 26/01 vom 15. Januar 2003 E. 2.3.1).
Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 OR bestimmt Folgendes: Soll die Erfüllung einer Verbindlichkeit oder eine andere Rechtshandlung mit dem
BGE 144 III 152 S. 154
Ablaufe einer bestimmten Frist nach Abschluss des Vertrags erfolgen, so fällt ihr Zeitpunkt, "wenn die Frist nach Monaten oder einem mehrere Monate umfassenden Zeitraume (Jahr, halbes Jahr, Vierteljahr) bestimmt ist, auf denjenigen Tag des letzten Monates, der durch seine Zahl dem Tage des Vertragsabschlusses entspricht, und, wenn dieser Tag in dem letzten Monate fehlt, auf den letzten Tag dieses Monates". Die Bestimmung stellt sicher, dass dem Leistenden ein voller Monat respektive ein voller mehrere Monate umfassender Zeitraum zur Erfüllung einer Verbindlichkeit beziehungsweise zur Vornahme einer Rechtshandlung zur Verfügung steht. Da ihm nur ein Bruchteil des Tags des fristauslösenden Zeitpunkts verbleibt, wird dieser Tag zu seinem Schutz nicht mitgezählt (vgl. BGE 103 V 157 E. 2a und 2b; BGE 97 IV 238 E. 2 S. 239). Ziffer 3 von Art. 77 Abs. 1 OR bringt in dieser Hinsicht dasselbe Prinzip zum Ausdruck wie Ziffer 1, gemäss der, wenn die Frist nach Tagen bestimmt ist, der Tag, an dem der Vertrag geschlossen wurde, nicht mitgerechnet wird (siehe BGE 81 II 135 E. 2 S. 137).
Für den Beginn der Frist stellt Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 OR auf den Tag "des Vertragsabschlusses" ab. Art. 77 Abs. 2 OR präzisiert, dass die Frist in gleicher Weise auch dann berechnet wird, "wenn sie nicht von dem Tage des Vertragsschlusses, sondern von einem andern Zeitpunkte an zu laufen hat".

4.4.3 Wird der Arbeitsvertrag am Tag abgeschlossen, in dessen Verlauf auch noch der Stellenantritt erfolgt, steht dieser Tag nicht voll zur Verfügung. Er wird daher entsprechend dem Prinzip der Zivilkomputation nicht mitgezählt. Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 OR ist ohne Weiteres anwendbar (siehe etwa BRÜHWILER, Einzelarbeitsvertrag, 3. Aufl. 2014, N. 1 zu Art. 335b OR; STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., N. 2 zu Art. 335b OR; vgl. sodann auch Urteil 4C.386/1994 vom 11. Juli 1995 E. 2, in: Jahrbuch des schweizerischen Arbeitsrechts [JAR] 1996 S. 126 f.).
Vorliegend haben die Parteien keinen schriftlichen Arbeitsvertrag unterzeichnet. Dass der Arbeitsvertrag schon vor dem Tag des Stellenantritts mündlich abgeschlossen worden wäre, hat die Vorinstanz nicht festgestellt. Der Beschwerdeführer bringt auch nichts Derartiges vor, und es ist ohnehin nicht erkennbar, inwiefern er zu einer dahingehenden Ergänzung des Sachverhalts berechtigt wäre. Entsprechend ist für das Bundesgericht massgeblich, dass der Arbeitsvertrag am Tag des Stellenantritts abgeschlossen wurde. Die Probezeit hätte somit in
BGE 144 III 152 S. 155
Anwendung von Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 OR grundsätzlich am 15. August 2015 geendet, verlängerte sich aber wegen Krankheit gemäss Art. 335b Abs. 3 OR um einen Tag. Die Kündigung ging dem Beschwerdeführer am 16. August 2015 und somit innerhalb der Probezeit zu. Die Vorinstanz hat dies zu Recht erkannt.
Damit kann offenbleiben, wie die Probezeit zu berechnen ist, wenn der Arbeitsvertrag schon vor dem Tag des Stellenantritts abgeschlossen wurde (siehe dazu CHANSON, arvonline 2010 Nr. 677; PORTMANN/RUDOLPH, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 6. Aufl. 2015, N. 8 zu Art. 335b OR; WEBER, Berner Kommentar, 2. Aufl. 2005, N. 19 zu Art. 77 OR; vgl. auch Urteil 4C.45/2004 vom 31. März 2004 E. 4.3).

Inhalt

Ganzes Dokument:
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 4

Referenzen

BGE: 134 III 108, 136 III 562, 103 V 157, 97 IV 238 mehr...

Artikel: Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 OR, Art. 335b OR, Art. 335b Abs. 3 OR, Art. 77 OR mehr...