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[AZA 0] 
1P.634/1999/boh 
 
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG 
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5. Januar 2000 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Aeschlimann, Bundesrichter Jacot-Guillarmod und Gerichtsschreiberin Camprubi. 
 
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In Sachen 
 
G.F.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Georges Schmid, Brückenweg 6, Visp, 
 
gegen 
 
J.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Julen, Haus Aurora, Zermatt, 
Staatsanwaltschaft für das Oberwallis, vertreten durch Beat Ritz, ausserordentlicher Staatsanwalt, 
Kantonsgericht des Kantons Wallis, Strafgerichtshof I, 
 
betreffend 
Art. 4 BV 
(Strafverfahren, Nichteintreten auf Berufung), 
zieht das Bundesgericht in Erwägung: 
 
1.- Im Nachgang zu einem Verkehrsunfall wurde J.________ vom Richter des Bezirkes Visp am 5. Mai 1999 von der fahrlässigen Tötung an L.F.________ freigesprochen. Die Erbengemeinschaft L.F.________ erhob dagegen Berufung beim Kantonsgericht des Kantons Wallis, Strafgerichtshof I, das auf das Rechtsmittel am 20. Oktober 1999 nicht eintrat. G.F.________ führt dagegen staatsrechtliche Beschwerde. Sie rügt im Wesentlichen eine willkürliche Anwendung der Strafprozessordnung des Kantons Wallis vom 22. Februar 1962 (StPO; GS LVI, 299). 
 
J.________ beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen. Das Kantonsgericht verzichtet auf eine Stellungnahme. 
 
2.- Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der bei ihm eingereichten staatsrechtlichen Beschwerden von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 125 I 14 E. 2a S. 16, 253 E. 1a S. 254; 125 II 293 E. 1a S.299, mit Hinweisen). 
 
a) Nach Art. 88 OG steht das Recht, staatsrechtliche Beschwerde zu führen, Bürgern (Privaten) und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemeinverbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben. Ob die Legitimationspraxis des Bundesgerichts zur Willkürbeschwerde (siehe dazu BGE 121 I 267 E. 2 S. 268 f.; 120 Ia 110 E. 1a S. 111; 119 Ia 445 E. 1a/aa S. 447; 117 Ia 90 E. 2 S. 93; vgl. auch BGE 125 I 253 E. 1b S. 254 f.; 121 IV 317 E. 3b S. 324) nach der am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Bundesverfassung vom 18. April 1999, und insbesondere im Licht von Art. 9 BV (vgl. Art. 4 der alten Bundesverfassung [aBV]), gelockert werden muss, kann offen bleiben. Denn im Zusammenhang mit Straftaten, welche die körperliche oder psychische Integrität einer anderen Person beeinträchtigt haben, wird in Art. 8 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz [OHG]; SR 312. 5) ohnehin eine Spezialregelung getroffen. Diese gilt auch für die staatsrechtliche Beschwerde (BGE 125 I 253 E. 1c S. 255; 120 Ia 101 E. 2a S. 105; 157 E. 2c S. 162). Dernach kann das Opfer ein Strafurteil mit den gleichen Rechtsmitteln anfechten wie der Beschuldigte, wenn es sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf deren Beurteilung auswirken kann. Auch der Ehegatte des Opfers kommt in den Genuss dieser Regelung (Art. 2 Abs. 2 OHG). 
 
Streitgegenstand bildet hier die Beteiligung der Beschwerdeführerin am erstinstanzlichen Strafverfahren, welche wiederum als Voraussetzung für deren Legitimation im kantonsgerichtlichen Verfahren gilt. Da sich somit die Eintretensfrage für das bundesgerichtliche Verfahren mit der materiellrechtlichen Frage deckt, ist die Beschwerdelegitimation ohne weiteres zu bejahen. 
 
b) Soweit die Beschwerdeführerin beantragt, das Kantonsgericht sei anzuweisen, die Berufung an die Hand zu nehmen, ist wegen der grundsätzlich kassatorischen Wirkung der staatsrechtlichen Beschwerde (BGE 125 I 104 E. 1b S. 107, mit Hinweisen) auf diese Beschwerde nicht einzutreten. 
 
3.- Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet (Art. 36a Abs. 1 lit. b OG). 
 
a) Willkür liegt nach der Rechtsprechung nicht schon vor, wenn eine andere Lösung in Betracht zu ziehen oder sogar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht weicht vom Entscheid der kantonalen Behörde nur ab, wenn dieser offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (statt vieler BGE 125 II 10 E. 3a S. 15, mit Hinweisen). 
 
b) Das Kantonsgericht hat die Legitimation der Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 8 OHG sowie auf Art. 179 Ziff. 1 StPO verneint, da sich diese nicht rechtsgültig als Zivilpartei im erstinstanzlichen Verfahren gestellt habe. Sie habe gegen die Nichteröffnung des Strafverfahrens zwar Beschwerde erhoben und über ihren Rechtsvertreter am Verfahren teilgenommen. Sie habe jedoch weder eine Vollmacht hinterlegt noch habe sie sich ausdrücklich als Zivilpartei gestellt noch Zivilansprüche geltend gemacht. Da sie anwaltlich vertreten sei, habe die erste Instanz von einer entsprechenden Aufklärung absehen dürfen. 
 
c) Die Form der in Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG vorgeschriebenen Beteiligung am Strafverfahren als Legitimationsvoraussetzung wird nicht durch das Opferhilfegesetz, sondern durch das kantonale Prozessrecht geregelt (BGE 120 Ia 101 E. 2d S. 107, mit Hinweis). Gemäss Art. 179 Ziff. 1 StPO kann bei Offizialdelikten die Zivilpartei gegen einen Freispruch oder gegen die Befreiung von einem Anklagepunkt, für den sie sich als Zivilpartei gestellt hat, Berufung einlegen. Wer sich im erstinstanzlichen Strafverfahren als Zivilpartei stellen will, muss dies gemäss Art. 48 Ziff. 1 Satz 2 StPO ausdrücklich zu Protokoll geben. 
 
d) Ob das Kantonsgericht die von der Beschwerdeführerin angeblich am 22. Dezember 1997 eingereichte Vollmacht hätte berücksichtigen sollen, kann offen bleiben. Denn das Kantonsgericht durfte ohne Willkür das Vorliegen einer ausdrücklichen Erklärung der Beschwerdeführerin im Sinne von Art. 48 Ziff. 1 Satz 2 StPO und somit deren Parteistellung im erstinstanzlichen Verfahren verneinen. Dass sich die Beschwerdeführerin in jenem Verfahren den Anträgen der Staatsanwaltschaft angeschlossen haben soll, ändert nichts daran. Sie räumt selber ein, dass sie keine Zivilansprüche geltend machte. Das stellt mit Blick auf den Wortlaut von Art. 48 Ziff. 1 Satz 2 StPO, worin von einer ausdrücklichen Erklärung die Rede ist, einen vertretbaren Grund dar, um die Parteistellung der Beschwerdeführerin zu verneinen. Das gilt umso mehr, als sie anwaltlich vertreten war. Entgegen ihrer Ansicht war das Kantonsgericht ferner weder an die Meinung der ersten Instanz noch an diejenige des Untersuchungsrichteramts Oberwallis gebunden. Von der allgemeinen Regel gemäss Art. 178 StPO, wonach Berufung erklären kann, wer als Partei vor erster Instanz am Verfahren teilgenommen hat, ist nichts anderes abzuleiten. 
 
e) Das Kantonsgericht hat mithin weder die Strafprozessordnung willkürlich angewendet noch gegen das formelle Rechtsverweigerungsverbot oder gegen das Gleichbehandlungsgebot verstossen. Ob die Eigentumsgarantie vom angefochtenen Entscheid überhaupt berührt ist, kann schliesslich offen bleiben. Denn die entsprechende Argumentation der Beschwerdeführerin deckt sich mit derjenigen der willkürlichen Anwendung der Strafprozessordnung, und die Kognition des Bundesgerichts wäre auf Willkür beschränkt, da es sich höchstens um einen leichten Eingriff handeln könnte. 
 
4.- Nach dem Gesagten ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Die Beschwerdeführerin, die unterliegt, hat die Gerichtsgebühr zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie hat zudem dem Beschwerdegegner, der anwaltlich vertreten ist, eine angemessene Parteientschädigung zu leisten (Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht 
im Verfahren nach Art. 36a OG
 
1.- Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.- Der Beschwerdeführerin wird eine Gerichtsgebühr von Fr. 2'000. -- auferlegt. 
 
3.- Die Beschwerdeführerin hat den privaten Beschwerdegegner für die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens mit Fr. 1'000. -- zu entschädigen. 
 
4.- Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft für das Oberwallis sowie dem Kantonsgericht des Kantons Wallis, Strafgerichtshof I, schriftlich mitgeteilt. 
 
______________ 
 
Lausanne, 5. Januar 2000 
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: