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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1D_4/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 12. Mai 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Uebersax. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________, 
Beschwerdegegner, 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Bettoni, 
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 
Florhofgasse 2, Postfach, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 19. Januar 2017 der Geschäftsleitung des Kantonsrates Zürich. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Am 23. August 2016 wurde A.________ vom Obergericht des Kantons Zürich vom Vorwurf der Bankgeheimnisverletzung freigesprochen, hingegen wegen versuchter Nötigung, Drohung und Urkundenfälschung bestraft. Vorsitzender Oberrichter war dabei B.________. Sowohl A.________ als auch die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben gegen das Urteil beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht; die beiden Verfahren sind noch hängig (Verfahren Nr. 6B_1314/2016 und 6B_1318/2016).  
 
A.b. B.________ ist inzwischen als Oberrichter zurückgetreten. Mit Schreiben vom 8. November 2016 erstattete A.________ bei der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat Strafanzeige gegen B.________ wegen Verleumdung, eventuell wegen Ehrverletzung. Zur Begründung führte er aus, B.________ habe eines dieser Delikte begangen, indem er sich als vorsitzender Richter im Zusammenhang mit der mündlichen Urteilseröffnung und -begründung vor Publikum und versammelter Presse mit folgenden Worten an A.________ als Angeklagten bzw. Verurteilten gewandt habe:  
 
"Sie sind kein Whistleblower, sondern ein ganz gewöhnlicher Krimineller, nur auf seinen eigenen Vorteil bedachter Krimineller. Ein richtiger Whistleblower steht zu dem, was er gemacht hat, und beruft sich auf Rechtfertigungsgründe." 
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat überwies die Strafanzeige der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich. Diese unterbreitete sie als Gesuch um Ermächtigung zur Strafverfolgung über die Oberstaatsanwaltschaft der Geschäftsleitung des Kantonsrates Zürich. Die Geschäftsleitung holte einen Bericht mit Antrag der Justizkommission des Kantonsrates ein und wies das Ermächtigungsgesuch mit Beschluss vom 19. Januar 2017 ab. 
 
B.   
A.________ erhebt beim Bundesgericht subsidiäre Verfassungsbeschwerde mit dem Antrag, den Beschluss der Geschäftsleitung des Kantonsrates aufzuheben und die Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen B.________ zu erteilen. Mit separater Eingabe ersucht er um Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, anstelle der Geschäftsleitung hätte das Plenum des Kantonsrats entscheiden müssen; die Geschäftsleitung habe Ausstandsregeln verletzt und der Entscheid verstosse in der Sache gegen die anwendbaren Gesetzesbestimmungen sowie gegen die Bundesverfassung und die Europäische Menschenrechtskonvention. 
B.________ und die Oberstaatsanwaltschaft verzichteten auf eine Stellungnahme. Die Geschäftsleitung des Kantonsrates schliesst auf Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gemäss Art. 82 lit. a BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts. Art. 83 BGG regelt die Ausnahmen.  
 
1.1.1. Nach Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO können die Kantone vorsehen, dass die Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht richterlichen Behörde abhängt. Als Vollziehungsbehörden gelten alle Organisationen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen (Urteil des Bundesgerichts 1C_633/2013 vom 23. April 2014 E. 2.1). Der Kanton Zürich hat von dieser Befugnis Gebrauch gemacht und lässt unter anderem die Strafverfolgung der Mitglieder des Regierungsrates und der oberen Gerichte für amtliche Verrichtungen nur mit Ermächtigung des Kantonsrates zu (§ 38 Abs. 1 des Kantonsratsgesetzes vom 5. April 1981 des Kantons Zürich, KRG, LS 171.1; vgl. BGE 135 IV 113 E. 1 S. 115).  
 
1.1.2. Nach Art. 83 lit. e BGG ist die Beschwerde unzulässig gegen Entscheide über die Verweigerung der Ermächtigung zur Strafverfolgung von Behördenmitgliedern oder von Bundespersonal. Einerseits ergibt sich aus dieser Bestimmung, dass das Ermächtigungsverfahren als öffentlich-rechtliche Angelegenheit zu betrachten ist. Die Ermächtigung stellt eine Prozessvoraussetzung für das Strafverfahren dar. Sie wird aber in einem davon getrennten Verwaltungsverfahren erteilt. Erst nach der Ermächtigung kann das Strafverfahren durchgeführt werden (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 S. 272). Andererseits gilt nach der Rechtsprechung der Ausschlussgrund von Art. 83 lit. e BGG für die obersten kantonalen Vollziehungs- und Gerichtsbehörden (vgl. BGE 137 IV 269 E. 1.3.2 S. 272 f.; Urteil des Bundesgerichts 1C_382/2012 vom 10. Oktober 2012). Da die Geschäftsleitung des Kantonsrates zu den obersten kantonalen Behörden zählt, erweist sich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten als ausgeschlossen.  
 
1.2. Zulässig ist hingegen die subsidiäre Verfassungsbeschwerde gemäss Art. 113 ff. BGG. Beim angefochtenen Beschluss handelt es sich um einen anfechtbaren kantonal letztinstanzlichen Endentscheid. Das Ermächtigungsverfahren ist in § 38 Abs. 2-5 KRG lediglich rudimentär geregelt (BGE 135 I 113 E. 1 S. 115). Zur Frage, nach welchen materiellen Kriterien die Ermächtigung zu erteilen oder zu verweigern ist, äussert sich das Gesetz nicht. Es ist indessen anerkannt, dass dabei gegenüber den obersten kantonalen Behörden nicht nur strafrechtliche Gesichtspunkte allein, sondern auch politische bzw. staatspolitische Überlegungen berücksichtigt werden dürfen (vgl. BGE 137 IV 269 E. 2.4 S. 277 f.; 135 IV 113 E. 1 S. 115). Soweit im Ermächtigungsverfahren aus zureichenden staatspolitischen Gründen die Ermächtigung zur Einleitung einer nach rein strafrechtlichen Kriterien angebrachten Strafuntersuchung verweigert werden kann, hat der angefochtene Entscheid überwiegend politischen Charakter. Der kantonale Gesetzgeber ist befugt, derartige Entscheide von der Rechtsweggarantie auszunehmen. Eine richterliche Vorinstanz ist daher nicht erforderlich (Art. 114 BGG i.V.m. Art. 86 Abs. 2 und 3 BGG; BGE 135 IV 113 E. 1 S. 115 f.).  
 
1.3. Mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde kann einzig die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gerügt werden (Art. 116 BGG). Soweit sich der Beschwerdeführer auf Gesetzesrecht beruft, ist dies nur soweit zulässig, als er verbunden damit einen Verfassungsverstoss rügt. Das Bundesgericht prüft die bei ihm angefochtenen Entscheide grundsätzlich nur auf Rechtsverletzungen hin, die von den Beschwerdeführern geltend gemacht und begründet werden, wobei hier die erhöhten Anforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG an die Begründung gelten (unter Einschluss von Willkür bei der Gesetzesanwendung sowie bei der Sachverhaltsfeststellung; vgl. Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 117 BGG).  
 
2.  
 
2.1. Gemäss Art. 115 BGG ist zur Verfassungsbeschwerde berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b).  
 
2.2. Wie bereits dargelegt (vorne E. 1.2), regelt § 38 KRG das Ermächtigungsverfahren nur rudimentär. Die Bestimmung räumt dem privaten Anzeigeerstatter keine Parteirechte ein. Entsprechend hat die Vorinstanz den Beschwerdeführer nicht am Verfahren beteiligt. Da er somit keine Möglichkeit zur Teilnahme hatte, erweist sich die Voraussetzung nach Art. 115 lit. a BGG als erfüllt (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1D_2/2015 vom 4. November 2015 E. 2.3.3). Hingegen verfügt der Beschwerdeführer als privater Anzeiger gestützt auf die gesetzliche Regelung des Ermächtigungsverfahrens über keine Rechtsposition, die ihm ein rechtlich geschütztes Interesse an der Beschwerdeführung verschafft. Damit bleibt einzig zu prüfen, ob er auf anderer massgeblicher Grundlage legitimiert ist. So leitet die Rechtsprechung Verfahrensrechte unmittelbar aus der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention ab. Steht namentlich ein Tötungsdelikt zur Diskussion, besteht mit Blick auf Art. 2 und 3 EMRK ein rechtlich geschütztes Interesse an der Überprüfung einer Ermächtigungsverweigerung; geht es hingegen um weniger schwere Delikte wie etwa Amtsmissbrauch, gibt es keinen entsprechenden Zusammenhang, weshalb die Rechtsprechung die Legitimation in der Sache verneint. Sie anerkennt die Beschwerdeberechtigung lediglich für die Geltendmachung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bzw. derjenigen Verfahrensrechte, die unmittelbar mit der Funktion als Anzeigeerstatter zusammenhängen. Solche ergeben sich für das Strafverfahren aus Art. 105 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Abs. 2 StPO. Im der Strafuntersuchung vorgeschalteten Ermächtigungsverfahren hat der Anzeiger in Anwendung von Art. 29 BV lediglich Anspruch darauf, dass der Kantonsrat im Rahmen des Ermächtigungsentscheides seine Darlegungen entgegen und zur Kenntnis nimmt, seinen Entscheid - wenigstens kurz - begründet und ihm diesen mitteilt (vgl. die Urteile des Bundesgerichts 1D_2/2015 vom 4. November 2015 E. 2.3.8 und 1D_5/2014 vom 10. Dezember 2014 E. 1.2.3).  
 
3.  
 
3.1. Soweit der Beschwerdeführer den Beschluss der Geschäftsleitung des Kantonsrates in der Sache anficht, kann auf die Beschwerde demnach nicht eingetreten werden. Das gilt auch für die behauptete Verletzung der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Ziff. 2 EMRK. In formeller Hinsicht erhebt der Beschwerdeführer zwei Rügen. Erstens macht er geltend, die Geschäftsleitung des Kantonsrates sei sachlich unzuständig gewesen. Nach § 38 Abs. 2 KRG dürfe die Geschäftsleitung nur über offensichtlich unbegründete Anzeigen und Ermächtigungsgesuche selbst entscheiden; die anderen habe es mit Antrag dem gesamten Kantonsrat zu unterbreiten. In seinem Fall liege keine offensichtlich unbegründete Ausgangslage vor. Zweitens ist der Beschwerdeführer der Auffassung, nach § 8a Abs. 1 lit. b KRG hätten alle vier mitwirkenden Ratsmitglieder, die wie der Beschwerdegegner der Schweizerischen Volkspartei (SVP) angehören, in den Ausstand treten müssen.  
 
3.2. Es stellt sich die Frage, ob dem Anzeiger, weil er im Ermächtigungsverfahren Anspruch darauf hat, dass seine Darlegungen entgegen und zur Kenntnis genommen und der Entscheid begründet und ihm mitgeteilt wird, auch das Recht darauf zusteht, dass die zuständige und korrekt besetzte Behörde diesen Ansprüchen nachkommt. Wie es sich damit verhält, kann offen bleiben, da die vom Beschwerdeführer vorgetragenen Rügen ohnehin nicht durchdringen.  
 
3.3. Im Zusammenhang mit seinen formellen Rügen beruft sich der Beschwerdeführer vorwiegend auf das kantonale Gesetzesrecht. Als einzige Verfassungsrügen in formeller Hinsicht behauptet er einen Verstoss gegen das Legalitätsprinzip nach Art. 5 Abs. 1 BV sowie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gemäss Art. 9 BV. Insofern führt er allerdings nicht näher aus, worin die Verfassungsverletzung liegen sollte. Überdies nennt § 38 Abs. 2 KRG ausdrücklich die Zuständigkeit der Geschäftsleitung, und § 8a KRG regelt den Ausstand von Mitgliedern des Kantonsrates. Die Auslegung und Anwendung dieser kantonalen Gesetzesbestimmungen bzw. der entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen kann vom Bundesgericht nur auf Willkür hin geprüft werden. Unter Berufung auf das Legalitätsprinzip lässt sich eine freie Überprüfung nicht erwirken. Willkür wird aber nicht substanziiert behauptet, geschweige denn dargetan. Inwiefern der Grundsatz von Treu und Glauben verletzt worden sein sollte, ist ohnehin nicht nachvollziehbar. Eine Vertrauensgrundlage ergibt sich hier nicht unmitttelbar aus dem Gesetz und wurde im konkreten Fall vom Kantonsrat nie geschaffen, was auch der Beschwerdeführer selbst nicht behauptet. Die formellen Rügen erweisen sich damit als unbegründet, soweit darauf überhaupt einzutreten ist.  
 
3.4. Schliesslich verfügt der Beschwerdeführer entgegen seiner Auffassung im Zusammenhang mit den behaupteten Verstössen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention nicht über ein Recht auf wirksame Beschwerde gemäss Art. 13 EMRK. Der Strafanspruch steht einzig dem Staat zu. Als Anzeiger gilt der Beschwerdeführer insofern nicht als Beteiligter bzw. als Betroffener im Ermächtigungsverfahren hinsichtlich des staatlichen Strafanspruchs gegenüber dem Beschwerdegegner.  
 
4.  
 
4.1. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.  
 
4.2. Bei diesem Verfahrensausgang würde der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig. Ausnahmsweise kann jedoch angesichts der besonderen Umstände des Falles von der Erhebung von Gerichtskosten abgesehen werden (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer ersucht ebenfalls um Entschädigung von Anwaltskosten, was als Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung entgegenzunehmen ist, auch wenn der Beschwerdeführer ohne formelle Vertretung vor Bundesgericht auftritt. Praxisgemäss werden allerdings einer nicht anwaltlich vertretenen Partei grundsätzlich keine Kosten erstattet. Der Beschwerdeführer reichte zwar zwei Honorarnoten von Anwälten ein, die er bezahlt hat. Diese beziehen sich aber auf den Zeitraum vor dem angefochtenen Beschluss der Geschäftsleitung des Kantonsrates und damit nicht auf das bundesgerichtliche Verfahren. Eine Entschädigung entfällt schon deswegen, ohne dass weiter geprüft werden muss, ob gegebenenfalls ein entsprechender Anspruch (nach Art. 64 BGG) bestünde. Damit ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung abzuweisen, soweit es nicht als gegenstandslos abgeschrieben werden kann.  
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen, soweit es nicht als gegenstandslos abzuschreiben ist. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und der Geschäftsleitung des Kantonsrates Zürich schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 12. Mai 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Uebersax