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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.432/2003 /sta 
 
Urteil vom 18. August 2003 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb, 
Gerichtsschreiberin Scherrer. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Stephan Schmidli, Dählhölzliweg 3, Postfach 229, 3000 Bern 6, 
 
gegen 
 
Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland, Amthaus, Hodlerstrasse 7, 3011 Bern, 
Staatsanwaltschaft III Bern-Mittelland, Amthaus, Hodlerstrasse 7, 3011 Bern, 
Haftgericht III Bern-Mittelland, Amthaus, Hodlerstrasse 7, 3011 Bern. 
 
Gegenstand 
Art. 10 Abs. 2, Art. 29 Abs. 2 und Art. 31 BV
Art. 5 Ziff. 1 lit. c und Art. 5 Ziff. 3 EMRK 
(Anordnung der Untersuchungshaft), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Haftgerichts III Bern-Mittelland vom 21. Juli 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ wird verdächtigt, am 16. März 2000 mit zwei Komplizen einen Massagesalon in Bern überfallen und dabei Fr. 90'000.-- erbeutet zu haben. Mit Beschluss vom 14. Mai 2002 eröffnete der Untersuchungsrichter 7 des Untersuchungsrichteramtes III Bern-Mittelland eine Voruntersuchung gegen den Angeschuldigten wegen qualifizierten Raubes und schrieb ihn national zur Verhaftung aus. Aufgrund der Ausschreibung wurde X.________ am 11. Juli 2003 um 23.57 Uhr am Zollamt Thayngen im Kanton Schaffhausen angehalten und arrestiert. In der Folge wurde er ins Regionalgefängnis Bern überführt, wo er am 14. Juli 2003 um 13.45 Uhr eintraf. Das Regionalgefängnis meldete dem Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland den Eintritt am 14. Juli 2003 per Fax mit dem Formular "Eintritt Stammblatt". Das erwähnte Formular wurde während der Ferienabwesenheit des Untersuchungsrichters 7 an die als stellvertretende Gerichtssekretärin tätige Rechtspraktikantin weitergeleitet. Diese legte das Formular offenbar irrtümlich zu der vom Untersuchungsrichter 7 nach seiner Ferienrückkehr per 21. Juli 2003 zu bearbeitenden Post. Am 18. Juli 2003 erkundigte sich Fürsprecher Marc Wälti, Bern, nach dem Stand des Verfahrens X.________, worauf hin man erkannte, dass dem Beschuldigten die Haft noch nicht eröffnet worden war. Dies wurde am selben Tag um 18 Uhr nachgeholt. Die Untersuchungsrichterin 8 stellte hierauf dem Haftgericht III Bern-Mittelland noch am Freitag, 18. Juli 2003, Antrag auf Anordnung der Untersuchungshaft wegen Flucht- und Kollusionsgefahr. 
B. 
Der Antrag der Untersuchungsrichterin ging am Montag, 21. Juli 2003, beim Haftgericht III Bern-Mittelland ein. Die Verhandlung in Anwesenheit des Beschuldigten wurde gleichentags um 9.15 Uhr durchgeführt. Der Haftrichter hiess gestützt darauf den Antrag auf Anordnung der Untersuchungshaft gut und eröffnete dem Beschuldigten den Entscheid mündlich, übersetzt und begründet, unter Hinweis auf die Möglichkeit, jederzeit ein Haftentlassungsgesuch zu stellen. 
C. 
Mit Eingabe vom 25. Juli 2003 erhebt X.________ gegen die Anordnung der Untersuchungshaft staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Er rügt die Verletzung des verfassungsmässigen Rechts auf persönliche Freiheit, des Beschleunigungsgebotes und des rechtlichen Gehörs. Infolgedessen beantragt er die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die umgehende Entlassung aus der Haft unter freiem Geleit. Gleichzeitig stellt er Antrag auf Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
Sowohl der Untersuchungs- und der Haftrichter als auch der Staatsanwalt schliessen in ihren Vernehmlassungen auf Abweisung der Beschwerde. Sie bestreiten nicht, dass die Frist für die erste Einvernahme verletzt worden ist; der Beschwerdeführer müsse sich jedoch mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit und allenfalls daraus fliessenden Entschädigungs- oder Genugtuungsansprüchen begnügen, da die Haftgründe nach wie vor gegeben seien. 
 
In seiner Replik vom 14. August 2003 hält der Beschwerdeführer an seinen Anträgen fest. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Der Beschwerdeführer wirft den kantonalen Behörden eine Verletzung der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV, Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMKR), des Beschleunigungsgebotes (Art. 31 BV, Art. 5 Ziff. 3 EMRK, Art. 182 ff. des Gesetzes über das Strafverfahren vom 15. März 1995 [StrV]) und des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) vor. Dazu ist er legitimiert (Art. 88 OG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, sodass auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist. 
1.2 Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen Anordnung der Untersuchungshaft kann ausser der Aufhebung des angefochtenen Entscheids auch die sofortige Entlassung aus der Haft verlangt werden, da im Falle einer nicht gerechtfertigten strafprozessualen Haft die von der Verfassung geforderte Lage nicht schon mit der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, sondern erst durch eine positive Anordnung hergestellt werden kann (BGE 124 I 327 E. 4a S. 332; 115 Ia 293 E. 1a S. 296, je mit Hinweisen). 
1.3 Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit gegen die Haftanordnung erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechts frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 123 I 31 E. 3a S. 35, 268 E. 2d S. 271, je mit Hinweisen). 
2. 
Der Beschwerdeführer macht vorab dem Untersuchungsrichter, respektive dessen Stellvertreterin, zum Vorwurf, dass ihm erst am 18. Juli 2003 auf Intervention seines Anwaltes hin, die Haft eröffnet worden war, obwohl er bereits am 14. Juli 2003 im Regionalgefängnis eingetroffen war. Zum einen sei er nicht innerhalb von 24 Stunden der um die Verhaftung nachsuchenden Behörde vorgeführt worden. Vielmehr seien seit seiner Verhaftung beinahe volle sechs Tage ins Land gegangen. Zum andern sei es dadurch unmöglich gewesen, in der Gesamtdauer von 96 Stunden, die dem Haftgericht nach der Anhaltung zur Verfügung ständen, einen Entscheid auszufällen. Das in Art. 5 EMRK statuierte Beschleunigungsgebot sei mehrfach verletzt worden. 
2.1 Nach Art. 182 Abs. 1 StrV ist eine verhaftete Person innerhalb von 24 Stunden seit der Verhaftung oder der polizeilichen Festnahme durch die Untersuchungsbehörde einzuvernehmen. Diese hat innert 24 Stunden nach der ersten Einvernahme über das weitere Vorgehen zu entscheiden (Art. 183 Abs. 1 StrV); erachtet sie die Freilassung als nicht angezeigt, stellt sie Antrag auf Anordnung von Untersuchungshaft. Darüber hat das Haftgericht nach Durchführung einer mündlichen, nicht öffentlichen Verhandlung spätestens innert 48 Stunden zu entscheiden (Art. 184 Abs. 2 und Art. 185 Abs. 2 StrV). Fällt das Ende dieser Frist auf einen Sonntag oder staatlich anerkannten Feiertag, verlängert sich diese bis 12 Uhr des nachfolgenden Werktages; der Samstag gilt als Werktag (Art. 185 Abs. 2 StrV). 
2.2 Es ist offensichtlich und wird auch nicht bestritten, dass diese Fristen vorliegend nicht eingehalten wurden. Die erste Einvernahme des Beschwerdeführers erfolgte - offenbar aufgrund einer Verkettung von Unterlassungen und Versehen - rund sechs Tage nach seiner Festnahme im Kanton Schaffhausen beziehungsweise vier Tage nach seiner Überführung ins Regionalgefängnis Bern-Mittelland. Die Einvernahme hätte noch am 14. Juli 2003 erfolgen müssen, zumal der Beschwerdeführer bereits um 13.45 im Regionalgefängnis eintraf. Spätestens jedoch am 15. Juli 2003 hätte der Untersuchungsrichter, respektive dessen Stellvertreterin, den Beschuldigten einvernehmen müssen. Ab diesem Zeitpunkt bis zur verspäteten Einvernahme am 18. Juli 2003 um 18 Uhr war der Beschwerdeführer daher gesetzwidrig und damit sowohl unter Verletzung der persönlichen Freiheit als auch von Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK inhaftiert. Diesbezüglich ist die Rüge begründet. 
2.3 Art. 5 Ziff. 1 lit. c in Verbindung mit Ziff. 3 EMRK und Art. 9 Abs. 2 und 3 des Internationalen Paktes vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II; SR 0.103.2) schreiben vor, dass eine in Untersuchungshaft versetzte Person unverzüglich einem Richter oder einem zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten vorgeführt werden muss, der die Befugnis hat, sie aus der Haft zu entlassen. Nach der Rechtsprechung der Strassburger Organe (dargestellt in BGE 119 Ia 221 E. 7 S. 231 f.) ist eine am neunten Tag nach der Festnahme erfolgte Vorführung vor den Haftrichter verspätet, jedenfalls wenn wie hier keine besonderen Umstände vorliegen, die eine Verzögerung allenfalls rechtfertigen könnten. Die Rüge, der konventionsrechtliche Anspruch des Beschwerdeführers auf unverzügliche Vorführung vor den Haftrichter sei verletzt, ist somit ebenfalls begründet. Daran ändert nichts, dass der Haftrichter nach Erhalt des Antrages auf Untersuchungshaft die Fristen gemäss Art. 185 Abs. 2 StrV eingehalten hat. Insgesamt war seit der Festnahme eine zu lange Zeitspanne verstrichen. 
3. 
Dies führt indessen entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht zur sofortigen Haftentlassung, hat doch in der Zwischenzeit der gesetzliche Richter im gesetzlich vorgesehenen Verfahren die Haft angeordnet. Seit dem angefochtenen Haftentscheid vom 21. Juli 2003 sind die verfassungs- und konventionsrechtlichen Anforderungen an die Haftanordnung erfüllt, zumal der Beschwerdeführer das Vorliegen der Haftgründe nicht bestreitet und anlässlich der Verhandlung am 21. Juli 2003 vor dem Haftrichter eingestanden hat, am 16. März 2000 im Massagesalon gewesen zu sein. Verlangt er heute freies Geleit bis in seine Heimat, zeigt dies deutlich, dass die Fluchtgefahr nach wie vor besteht. Aus zuvor erlittenen Verfassungs- und Konventionsverletzungen kann der Beschwerdeführer daher heute kein Recht auf sofortige Haftentlassung ableiten. Auch eine allfällige Verletzung des rechtlichen Gehörs durch den Haftrichter, weil dieser den Inhaftierten nicht zur Fristüberschreitung angehört hatte, vermag keine Haftentlassung zu rechtfertigen. 
 
Die durch die verspätete Anhörung und Haftprüfung erlittene Verfassungs- und Konventionsverletzung kann nachträglich nicht geheilt werden, was nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtes zu einer Abweisung der Beschwerde führt (ebenso Entscheid 1P.98/1999 vom 5. März 1999). Mit der in E. 2.2 und 2.3 erfolgten formellen Feststellung der Verfassungs- und Konventionsverletzungen durch den Kanton Bern sind die Anforderungen der EMRK erfüllt. Der Beschwerdeführer hat keinen Anspruch darauf, dass die erwähnten Verletzungen zusätzlich im Dispositiv des Entscheides festgehalten werden (BGE 124 I 327 E. 4d S. 334 mit Hinweisen). Aus den vom Beschwerdeführer zitierten Entscheiden BGE 124 I 274 und 123 I 329 ergibt sich nichts anderes. Mit Blick auf Art. 5 Ziff. 5 EMRK erweist sich im Übrigen auch die Befürchtung des Beschwerdeführers, die einschlägigen kantonalen Verfahrensbestimmungen und die Anforderungen von Art. 5 Ziff. 3 EMRK könnten "zur Makulatur verkommen", als unbegründet. 
4. 
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen ist. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist indes gutzuheissen, da die Mittellosigkeit des Beschwerdeführers offensichtlich scheint und die Beschwerde nicht aussichtslos war (Art. 152 Abs. 1 und 2 OG). Dementsprechend sind keine Kosten zu erheben. Fürsprecher Stephan Schmidli, Bern, ist als unentgeltlicher Verteidiger einzusetzen und aus der Gerichtskasse angemessen zu entschädigen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt: 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben. 
2.2 Fürsprecher Stephan Schmidli, Bern, wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit einem Honorar von Fr. 1'500.-- entschädigt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland, der Staatsanwaltschaft III Bern-Mittelland und dem Haftgericht III Bern-Mittelland schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 18. August 2003 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: