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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_873/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 24. April 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiber Hochuli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Xa.________, 
vertreten durch Fürsprecher Bruno Studer, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Raufhandel; Willkür, rechtliches Gehör, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, vom 13. Juni 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Seit einem Raufhandel vom 8. März 2008 zwischen Aa.________ einerseits sowie den Brüdern Xa.________ und Xb.________ andererseits blieben die beiden Familien verfeindet. Am 16. Mai 2012 kam es in Langenthal zwischen Xa.________ und seinen Brüdern Xc.________ und Xb.________ einerseits sowie den Brüdern Aa.________ und Ab.________ andererseits erneut zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Laut Strafbefehl vom 12. April 2013 wurde Xa.________ ein massiv provozierendes Verhalten gegenüber den Mitgliedern der Familie A.________ zu Last gelegt, welches zur Eskalation der Situation geführt habe. Er habe sich am anschliessenden Raufhandel aktiv beteiligt, ohne dass ihm jedoch eine konkrete Tätlichkeit hätte nachgewiesen werden können. 
 
B.   
Das Regionalgericht Emmental-Oberaargau fand am 10. April 2014 Xa.________ schuldig des Raufhandels gemäss Art. 133 Abs. 1 StGB und der Nichtabgabe von Ausweisen und Kontrollschildern trotz behördlicher Aufforderung (Art. 97 Ziff. 1 aSVG [in der bis Ende 2011 gültig gewesenen Fassung]). Vom Vorwurf des Ungehorsams im Betreibungsverfahren sprach es ihn frei. Es verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen à Fr. 90.--, aufgeschoben bei einer Probezeit von 4 Jahren, sowie zu einer Verbindungsbusse von Fr. 180.--. Zudem widerrief es den bedingten Vollzug einer am 17. Mai 2010 ausgefällten Geldstrafe von 30 Tagessätzen à Fr. 120.--. 
 
Hinsichtlich des Freispruchs sowie in Bezug auf den Schuldspruch betreffend Nichtabgabe von Ausweisen und Kontrollschildern liess Xa.________ das erstinstanzliche Urteil in Rechtskraft erwachsen. 
 
Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 13. Juni 2016 auf Berufung des Xa.________ den Schuldspruch wegen Raufhandels. Es bestrafte ihn mit einer Geldstrafe von 34 Tagessätzen zu Fr. 100.--, schob deren Vollzug auf und setzte eine Probezeit von 4 Jahren fest. 
 
C.   
Xa.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und er freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.  
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, seine Verurteilung wegen Raufhandels verletze den Anklagegrundsatz und Art. 133 StGB. Laut Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern vom 12. April 2013 werde ihm zwar eine aktive Beteiligung an einem Raufhandel durch Provokation vorgeworfen. Eine konkrete Tätlichkeit habe ihm aber nicht nachgewiesen werden können. Wohl komme eine psychische Einwirkung als tatbestandsmässige Beteiligung an einem Raufhandel in Frage. Doch setze dies voraus, dass der Raufhandel mit mindestens drei kämpfenden Personen im Zeitpunkt des Eintreffens des nur psychisch mitwirkenden Beschwerdeführers schon hätte im Gange sein müssen. Als er auf die vermeintlichen Raufhandels-Kontrahenten - die beiden Brüder Ab.________ und Aa.________ - gestossen sei, sei kein Raufhandel im Gange gewesen. Das habe auch die Vorinstanz zutreffend so festgestellt. Also komme nur eine aktive Beteiligung durch konkrete wechselseitige Tätlichkeiten in Frage, welche dem Beschwerdeführer jedoch laut Anklage nicht hätten vorgeworfen werden können.  
 
 
1.2. In tatsächlicher Hinsicht ist gemäss Vorinstanz von folgendem Sachverhalt auszugehen.  
 
Nachdem sich Ab.________ und Xc.________ auf dem Parkplatz bei der Post in Langenthal um ca. 16.50 Uhr begegneten, kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung, wobei schliesslich Ab.________ Xc.________ in den Unterleib trat. Daraufhin avisierten die beiden telefonisch ihre Brüder. Xc.________ rief auch die Polizei an (Phase 1). Ohne deren Eintreffen vor Ort abzuwarten, begab er sich zum Polizeiposten, wo er den Vorfall um ca. 17 Uhr melden wollte. Ein Polizist sagte ihm am Schalter, weil das Büro bereits geschlossen sei, solle er den Vorfall am Freitag nach Auffahrt anmelden kommen. Als Xc.________ das Verwaltungsgebäude verlassen wollte, näherten sich Mitglieder der Familie A.________. Auch diesen erteilte der Polizist die gleiche Auskunft. Die Gruppe A.________ zog sich daraufhin Richtung Parkplatz zurück. Gleichzeitig fuhr Xb.________ mit seinem Auto vor. Nach dem Aussteigen wurde er sofort von Aa.________ in ein Handgemenge verwickelt. Dessen Familienmitglieder konnten ihn davon abhalten, Xb.________ zu schlagen. Letzterer konnte sich aus den Händen der A.________ befreien und lief zu seinem Bruder Xc.________ vor dem Eingang zum Verwaltungsgebäude, wo beide in der Nähe eines Polizisten blieben. Vor dem Verwaltungsgebäude kam es zu verbalen Attacken zwischen den Mitgliedern der beiden Familien. Die inzwischen vor Ort anwesenden Polizisten konnten die beiden sich gegenseitig massiv provozierenden Gruppen kaum beruhigen (Phase 2). Zu Beginn der Phase 3 wurde die Gruppe A.________ von der Polizei auf dem Vorplatz vor dem Verwaltungsgebäude nochmals aufgefordert, nach Hause zu gehen. Als Ab.________ und Aa.________ auf dem Abmarsch waren, fuhr Xa.________ mit seinem Auto auf den gegenüber liegenden Parkplatz beim Stadttheater. Er stieg aus seinem Wagen aus und hielt lautstark schreiend Gegenstände (einen Radmutternschlüssel und einen Schraubenzieher) in seinen Händen, welche er in die Höhe hob und schwenkte. So ging er auf die beiden Brüder A.________ zu. Dadurch eskalierte die Situation. Ab.________ und Aa.________ rannten auf Xa.________ los. Es kam zu einem Handgemenge. Sie packten ihn, versuchten ihm die Werkzeuge wegzunehmen und nahmen ihn in den Würgegriff, damit er die Gegenstände loslasse, was er jedoch nicht tat. Xc.________ und Xb.________ eilten zu ihrem Bruder. Während Xb.________ in das Handgemenge eingriff, bedrohte Xc.________ die sich streitende Personengruppe durch gefährliche Annäherungsmanöver mit seinem Auto. Er drängte die Gruppe dadurch gegen eine Mauer. Nach vorinstanzlichem Fazit verhielten sich alle fünf Personen nicht nur abwehrend oder schlichtend. Vielmehr hätten sich alle aktiv physisch (mittels Schlägen, Würgen, Ringen und Autofahrmanöver) und/oder psychisch (mittels verbaler und nonverbaler Provokation) an der Auseinandersetzung beteiligt. Xb.________ und Ab.________ erlitten dabei je eine Kopfverletzung. Xa.________ trug Schürfungen und Schwellungen davon. 
 
 
1.3.  
 
1.3.1. Nach dem Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion; Art. 9 und Art. 325 StPO; Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK). Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden (Immutabilitätsprinzip), nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (vgl. Art. 350 StPO). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Das Akkusationsprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 141 IV 132 E. 3.4.1; 140 IV 188 E. 1.3; 133 IV 235 E. 6.2 f.; 126 I 19 E. 2a; je mit Hinweisen). Die beschuldigte Person muss unter dem Gesichtspunkt der Informationsfunktion aus der Anklage ersehen können, wessen sie angeklagt ist. Das bedingt eine zureichende Umschreibung der Tat. Entscheidend ist, dass der Betroffene genau weiss, welcher konkreter Handlungen er beschuldigt und wie sein Verhalten rechtlich qualifiziert wird, damit er sich in seiner Verteidigung richtig vorbereiten kann. Er darf nicht Gefahr laufen, erst an der Gerichtsverhandlung mit neuen Anschuldigungen konfrontiert zu werden (vgl. BGE 103 Ia 6 E. 1b; Urteile 6B_492/2015 vom 2. Dezember 2015 E. 2.2, nicht publiziert in: BGE 141 IV 437; 6B_1151/2015 vom 21. Dezember 2016 E. 2.2; je mit Hinweisen).  
 
 
1.3.2. Aus dem als Anklageschrift geltenden Strafbefehl (Art. 356 Abs. 1 StPO) der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern vom 12. April 2013 ergibt sich der gegen den Beschwerdeführer erhobene Vorwurf in tatsächlicher Hinsicht klar. Ihm wird die aktive - nicht nur verteidigende - Beteiligung am Raufhandel im Rahmen der Phase 3 (vgl. E. 1.2 hievor) vorgeworfen. Ohne Nachweis einer konkreten Tätlichkeit habe er die Mitglieder der Familie A.________ durch sein Verhalten massiv provoziert. Auch nachdem ihn die Brüder A.________ gestellt, geschlagen und in den Würgegriff genommen hätten, habe er die Werkzeuge nicht losgelassen. Ebenso habe er der Aufforderung einer eingreifenden Polizistin keine Folge geleistet und ihr die Gegenstände zunächst nicht ausgehändigt. Erst als sie wiederholt mit dem Einsatz des Pfeffersprays drohte, habe er ihr die Werkzeuge gegeben.  
 
 
1.3.3. Bei tätlichen Auseinandersetzungen mehrerer Personen lässt sich oft nicht nachweisen, wer die Körperverletzung einer Person verursacht hat. Gemäss dem abstrakten Gefährdungstatbestand von Art. 133 StGB ist in solchen Situationen bereits die Beteiligung strafbar. Der Verletzungserfolg ist objektive Strafbarkeitsbedingung (BGE 137 IV 1 E. 4.2.2 S. 4; 141 IV 454 E. 2.3.2 S. 457 f.; Urteil 6B_116/2016 vom 1. Juni 2016 E. 2). Die Sachverhaltsfeststellung gemäss angefochtenem Entscheid ist insoweit unbestritten, als es im Rahmen der Phase 3 unter den fünf Anwesenden (vgl. hievor E. 1.2 i.f.) zu einer wechselseitigen tätlichen Auseinandersetzung mit Verletzungsfolgen kam. Zwar trifft zu, dass nach herrschender Lehre eine psychische Mitwirkung - etwa durch Anfeuerungen, warnende Zurufe oder Ratschläge (STEFAN MAEDER, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 3. Aufl. 2013, Art. 133 StGB N. 13 i.f. mit Hinweisen) - nur dann eine tatbestandsmässige Beteiligung an einem Raufhandel sein kann, wenn mindestens drei Personen wechselseitig tätlich kämpfen (Urteil 6B_1056/2015 vom 4. Dezember 2015 E. 4.1 i.f. mit Hinweisen).  
 
1.3.4. Entgegen dem Beschwerdeführer kann jedoch keine Rede davon sein, dass ihm gemäss Anklage mangels Nachweises einer konkreten Tätlichkeit "bloss eine psychische Einwirkung" durch Provokation vor Beginn der Auseinandersetzung zum Vorwurf gemacht worden wäre. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung lässt offensichtlich nicht darauf schliessen, der Beschwerdeführer habe sich von den Brüdern A.________ vom ersten Körperkontakt an widerstandslos in den Würgegriff nehmen lassen und sich während der anschliessenden Fortsetzung des Gerangels unter Beteiligung seiner Brüder völlig passiv verhalten, so dass er von Art. 133 Abs. 1 StGB nicht erfasst würde (vgl. BGE 137 IV 1 E. 4.2.2 S. 4 mit Hinweisen). Nach seiner - unbestrittenen - Provokation vor Eintritt in das Handgemenge insbesondere gegenüber dem ihm aus der früheren Begegnung von 2008 bekannten Raufhandelsgegner Aa.________ gab der Beschwerdeführer gemäss Anklage und laut Sachverhaltsfeststellung seine kampfbereite Haltung auch dann nicht auf, als ihn die Gebrüder A.________ bereits in den Würgegriff genommen hatten. Vielmehr behielt er anhaltend provokativ die als Waffen einsetzbaren Werkzeuge in seinen Händen. Einerseits vermochte er, trotz des Würgegriffes - nach eigenen Angaben irrtümlich - seinen Bruder in die Hand zu beissen. Andererseits leistete er aktiven Widerstand gegen die Abnahme der Werkzeuge zuerst gegenüber den Gebrüdern A.________ und anschliessend auch gegenüber der eingreifenden Polizistin.  
 
1.3.5. Nach unbestrittener Sachverhaltsfeststellung hatten die zahlreichen gegenseitigen verbalen und nonverbalen Provokationen zwischen den Mitgliedern der beiden Familien die Stimmung so sehr aufgeladen, dass der provokative Auftritt des Beschwerdeführers den anschliessenden Raufhandel erst auslöste. Unter diesen Umständen lassen sich die letzte, zur Eskalation führende Provokation des Beschwerdeführers vor dem Einstieg in das handgreifliche Gerangel mit den Gebrüdern A.________ und die anschliessende wechselseitige tätliche Auseinandersetzung aller Beteiligten nicht in zwei Phasen aufgliedern (vgl. BGE 137 IV 1 E. 4.3.1 S. 5). Vielmehr ist hier das Tatgeschehen als Einheit zu betrachten. Obwohl der Beschwerdeführer im weiteren Verlauf des Raufhandels im Würgegriff der Gebrüder A.________ mehrheitlich nur - aber immerhin - noch beschränkt aktiv sein konnte, erfüllte er auch unter Mitberücksichtigung seiner anhaltend provokativen Widerstandsleistung gegen das Loslassen der Werkzeuge den Tatbestand des Raufhandels in objektiver Hinsicht.  
 
1.4. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz die Beweislage bundesrechtskonform gewürdigt und zu Recht eine Verletzung des Anklageprinzips verneint. Auch ohne Nachweis einer konkreten Tätlichkeit steht fest, dass der Beschwerdeführer den Raufhandel durch seine Provokation erst ausgelöst, sich aktiv auf die Auseinandersetzung und das Handgemenge mit den Gebrüdern A.________ eingelassen und den Raufhandel auch nach Eintritt seines Bruders Xb.________ durch kampfbereite Widerstandsleistung weiterhin unterstützt hat. Jedenfalls beschränkte sich seine Teilnahme nicht auf eine rein psychische Einwirkung (vgl. dazu die beispielhafte Aufzählung von STEFAN MAEDER, a.a.O., Art. 133 StGB N. 13 i.f. mit Hinweisen) und auch nicht nur auf eine Provokation vor Beginn des eigentlichen Raufhandels. Inwiefern die Vorinstanzen Art. 133 Abs. 1 StGB durch Bestätigung der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Raufhandels verletzt haben sollen, ist nicht ersichtlich.  
 
2.   
Die Beschwerde erweist sich insgesamt als unbegründet. Aus diesen Gründen ist sie abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 24. April 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Hochuli