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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1B_82/2019  
 
 
Urteil vom 30. Juli 2019  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, Präsident, 
Bundesrichter Kneubühler, Muschietti, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Reto Ineichen, 
 
gegen  
 
Obergericht des Kantons Nidwalden, 
Präsident der Strafabteilung, 
Marktgasse 4, Postfach 1244, 6371 Stans. 
 
Gegenstand 
Beschlagnahme zur Sicherstellung 
der Verfahrenskosten, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom 31. Januar 2019 
des Präsidenten der Strafabteilung des Obergerichts 
des Kantons Nidwalden (SA 18 20). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 4. Juli 2018 verurteilte das Kantonsgericht Nidwalden A.________ unter anderem wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu 9 Jahren Freiheitsstrafe und Fr. 500.-- Busse. 
Dagegen erhob A.________ Berufung beim Obergericht des Kantons Nidwalden, wo das Verfahren hängig ist. 
A.________ befindet sich in der Justizvollzugsanstalt B.________ im vorzeitigen Strafvollzug. Dort verfügt er über ein Sperrkonto, auf das ein Anteil des Entgelts für die von ihm in der Anstalt erbrachte Arbeit überwiesen wird. Die Gefängnisleitung stellte ab diesem Konto Fr. 4'000.-- zur Barauszahlung an A.________ bereit, der beabsichtigte, diesen Betrag am 31. Januar 2019 an Dritte zu übergeben. 
 
B.  
Mit Verfügung vom 31. Januar 2019 beschlagnahmte der Präsident der Strafabteilung des Obergerichts die Fr. 4'000.-- zur Sicherstellung der Verfahrenskosten. Er forderte die Gefängnisleitung auf, die Fr. 4'000.-- bis zur Übertragung an die Kantonspolizei zu verwahren und wies Letztere an, den beschlagnahmten und von der Gefängnisleitung verwahrten Betrag zu sichern und bei der Gerichtskasse Nidwalden zu hinterlegen. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, die Verfügung des Präsidenten der obergerichtlichen Strafabteilung aufzuheben und den Betrag von Fr. 4'000.--- zur freien Verfügung des Beschwerdeführers bereitzustellen. 
 
D.  
Der Präsident der obergerichtlichen Strafabteilung hat sich vernehmen lassen. Er beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist somit nach Art. 80 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Der angefochtene Entscheid stellt einen Zwischenentscheid dar, der dem Beschwerdeführer einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann (BGE 128 I 129 E. 1 S. 131 mit Hinweisen). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass.  
 
1.2. Art. 98 BGG, der eine Beschränkung der Beschwerdegründe vorsieht, kommt hier nicht zur Anwendung (BGE 140 IV 57 E. 2.2 S. 59 f. mit Hinweisen).  
 
2.  
Der Beschwerdeführer befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug. Diesen regelt Art. 236 StPO. Nach Absatz 4 dieser Bestimmung tritt die beschuldigte Person mit dem Eintritt in die Vollzugsanstalt ihre Strafe an; sie untersteht von diesem Zeitpunkt an dem Vollzugregime, wenn der Zweck der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft dem nicht entgegensteht. Der Gefangene im vorzeitigen Strafvollzug untersteht somit grundsätzlich den Regeln über den Vollzug von Freiheitsstrafen gemäss Art. 74 ff. StGB (vgl. BGE 145 IV 65 E. 2.5.2 S. 73 f. mit Hinweisen; SCHMID/JOSITSCH, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2017, S. 426; HUG/SCHEIDEGGER, in: Donatsch und andere [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 15 zu Art. 236 StPO; MATTHIAS HÄRRI, in: Schweizerische Strafprozessordnung, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, N. 25 zu Art. 236 StPO). Abweichungen können sich aufgrund des Zwecks der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft ergeben. So liegt auf der Hand, dass bei Fluchtgefahr die Gewährung von Urlaub grundsätzlich ausser Betracht fällt oder bei Kollusionsgefahr Einschränkungen des Briefverkehrs oder von Besuchen erforderlich sein können. Eine unterschiedliche Behandlung von Gefangenen im vorzeitigen und ordentlichen Strafvollzug in Bezug auf das Arbeitsentgelt nach Art. 83 StGB rechtfertigt sich dagegen nicht (HÄRRI, a.a.O., N. 26 zu Art. 236 StPO). Gemäss Art. 236 Abs. 4 StPO i.V.m. Art. 81 Abs. 1 StGB ist der Strafgefangene im vorzeitigen Vollzug ebenso zur Arbeit verpflichtet wie der ordentliche. Dann ist er auch in Bezug auf das Arbeitsentgelt gleich zu behandeln. Art. 83 StGB gilt somit auch für den Strafgefangenen im vorzeitigen Vollzug. 
 
3.  
Die Vorinstanz stützt die Beschlagnahme auf Art. 263 Abs. 1 lit. b StPO. Danach können Vermögenswerte einer beschuldigten Person beschlagnahmt werden, wenn sie voraussichtlich zur Sicherstellung von Verfahrenskosten, Geldstrafen, Busse und Entschädigungen gebraucht werden. Insoweit geht es um die so genannte Deckungsbeschlagnahme. Diese wird - was sowohl die Vorinstanz als auch der Beschwerdeführer übergehen - näher geregelt in Art. 268 StPO (SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 2 zu Art. 263 StPO; STEFAN HEIMGARTNER, in: Donatsch und andere [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 9 zu Art. 263 StPO). Danach kann vom Vermögen der beschuldigten Person so viel beschlagnahmt werden, als voraussichtlich nötig ist (a) zur Deckung der Verfahrenskosten und Entschädigungen; (b) der Geldstrafen und Bussen (Abs. 1). Die Strafbehörde nimmt bei der Beschlagnahme auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der beschuldigten Person und ihrer Familie Rücksicht (Abs. 2). Von der Beschlagnahme ausgenommen sind Vermögenswerte, die nach den Artikeln 92-94 SchKG nicht pfändbar sind (Abs. 3). 
Art. 92 SchKG nennt die unpfändbaren Vermögenswerte. Nach dessen Absatz 4 bleiben unter anderem vorbehalten die besonderen Bestimmungen über die Unpfändbarkeit des Strafgesetzbuches. Art. 92 Abs. 4 SchKG verweist insoweit ausdrücklich auf aArt. 378 Abs. 2 StGB. Diese Bestimmung betrifft den Verdienstanteil (heute: Arbeitsentgelt). Gemäss aArt. 378 Abs. 2 StGB dürfen das Guthaben aus Verdienstanteil sowie die auf Rechnung des Guthabens ausbezahlten Beträge weder gepfändet noch mit Arrest belegt noch in eine Konkursmasse einbezogen werden. Jede Abtretung oder Verpfändung des Guthabens aus Verdienstanteil ist nichtig. Diese Bestimmung findet sich heute in Art. 83 Abs. 2 StGB. Das Arbeitsentgelt ist danach unpfändbar (THOMAS WINKLER, in: Kren Kostkiewicz/Vock [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl. 2017, N. 91 zu Art. 92 SchKG). Die von der Vorinstanz angeordnete Beschlagnahme ist somit gemäss Art. 268 Abs. 3 StPO i.V.m. Art. 92 Abs. 4 SchKG und Art. 83 Abs. 2 StGB unzulässig. 
Die Unpfändbarkeit des Arbeitsentgelts hat ihren Sinn. Die meisten Strafgefangenen sind überschuldet. Wäre das Arbeitsentgelt pfändbar, würde das ihre Arbeitsmotivation beeinträchtigen und damit auch die Sicherheit im Strafvollzug. Zudem könnten sie für die Zeit nach der Entlassung nichts ansparen, was der Resozialisierung abträglich wäre (vgl. BGE 125 IV 231 E. 3b S. 234 mit Hinweisen; ANDREA BAECHTOLD UND ANDERE, Strafvollzug, 3. Aufl. 2016, S. 171 N. 106; THOMAS NOLL, in: Strafrecht I, Basler Kommentar, 4. Aufl. 2019, N. 7 zu Art. 83 StGB). 
 
4.  
Gemäss Art. 106 Abs. 1 BGG wendet das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen an. Es kann die Beschwerde daher mit einer anderen Begründung gutheissen, als jener, welche der Beschwerdeführer vorgebracht hat (BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262 mit Hinweisen). Dass sich dieser nicht auf die dargelegten gesetzlichen Bestimmungen berufen hat, schadet ihm daher nicht. 
 
5.  
Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und die Beschlagnahme aufzuheben. 
Die angeofchtene Verfügung erging zur Sicherstellung der Kosten des Berufungsverfahrens und damit im Vermögensinteresse des Kantons. Dieser trägt daher gemäss Art. 66 Abs. 4 BGG die Gerichtskosten. Zudem hat er dem Vertreter des Beschwerdeführers eine Entschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 f. BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG ist damit hinfällig. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Verfügung des Präsidenten der Strafabteilung des Obergerichts des Kantons Nidwalden vom 31. Januar 2019 wird aufgehoben. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Kanton Nidwalden auferlegt. 
 
3.  
Der Kanton Nidwalden hat dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Reto Ineichen, eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Präsidenten der Strafabteilung des Obergerichts des Kantons Nidwalden schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 30. Juli 2019 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Härri