Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
I 829/05
Urteil vom 16. August 2006
III. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiber Flückiger
Parteien
H.________, 1982, Beschwerdeführer, vertreten durch die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung, Dr. Joseph Hofstetter, Rechtsanwalt, Kantonsstrasse 40, 6207 Nottwil,
gegen
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
(Entscheid vom 14. Oktober 2005)
Sachverhalt:
A.
Der 1982 geborene H.________ leidet als Folge eines am 14. Dezember 2002 erlittenen Sportunfalls an inkompletter Tetraplegie. Er meldete sich am 7. Februar 2003 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Luzern übernahm unter anderem - nach Beizug eines Abklärungsberichts der Hilfsmittelberatung für Behinderte, vom 7. Oktober 2003 - mit Verfügungen vom 6. und 18. November 2003 die Kosten verschiedener invaliditätsbedingter Abänderungen am Motorfahrzeug Audi A6 Avant. Dagegen lehnte sie es mit Verfügung vom 17. November 2003 ab, die Kosten für den Einbau einer Standheizung mit Fernbedienung zu vergüten. Zur Begründung wurde erklärt, vergütungsfähig seien nur diejenigen Änderungen, welche für das sichere Bedienen des Fahrzeuges erforderlich seien, was auf die Standheizung nicht zutreffe. Daran hielt die IV-Stelle mit Einspracheentscheid vom 2. September 2004 fest.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern ab (Entscheid vom 14. Oktober 2005).
C.
H.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei ihm Kostengutsprache zu erteilen für eine Standheizung mit Fernbedienung in seinem Auto.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III. des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das EVG in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 gilt indessen bisheriges Recht für die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim EVG hängigen Beschwerden. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim EVG hängig war, richtet sich dessen Kognition noch nach Art. 132 Abs. 1 OG.
2.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Voraussetzungen des Anspruchs auf Hilfsmittel der Eidgenössischen Invalidenversicherung (Art. 8 Abs. 3 lit. d in Verbindung mit Art. 21 IVG), die Umschreibung der vergütungsfähigen Hilfsmittel in der Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (HVI, erlassen gestützt auf Art. 21 Abs. 2 und 4 IVG in Verbindung mit Art. 14 IVV) sowie die Liste der Hilfsmittel (Anhang zur HVI) und deren Charakter (BGE 121 V 260 Erw. 2b mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig ist auch, dass Ziffer 10.05 HVI-Anhang invaliditätsbedingte Abänderungen von Motorfahrzeugen erwähnt, wobei die Bestimmung keinen Stern (*) enthält (vgl. dazu Art. 2 Abs. 2 HVI), sodass die gesetzliche Zielrichtung dieser Hilfsmittelkategorie auf die Fortbewegung, die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt und die Selbstsorge gemäss Art. 21 Abs. 2 IVG und Art. 2 Abs. 1 HVI erweitert wird (BGE 121 V 261 ff. Erw. 3a und b). Die frühere erwerbliche Ausrichtung gilt demnach mit Bezug auf Ziffer 10.05 seit der am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen Änderung - trotz der unverändert gebliebenen Formulierung am Anfang von Ziffer 10 - nicht mehr (in BGE 126 V 70 nicht veröffentlichte Erw. 2b des Urteils I. vom 22. Mai 2000, I 312/99).
3.
Mit den Verfügungen vom 6. und 18. November 2003 hat die IV-Stelle in Anerkennung des grundsätzlichen, sich aus Ziffer 10.05 HVI-Anhang ergebenden Anspruchs die Kosten verschiedener invaliditätsbedingter Abänderungen am Fahrzeug des Beschwerdeführers übernommen. Streitig und zu prüfen ist einzig, ob dieser Anspruch auch eine Standheizung mit Fernbedienung umfasst, deren Kosten sich gemäss dem Abklärungsbericht des SAHB vom 7. Oktober 2003 auf Fr. 2'610.- (minus 13% Rabatt) belaufen.
3.1 Entscheidend für den Umfang des Anspruchs auf Abänderungen an Motorfahrzeugen ist, ob die behinderungsbedingt notwendige Anpassung im Vordergrund steht, ob die Vorkehr zur Erreichung eines der in Art. 21 Abs. 1 und 2 IVG umschriebenen Zwecke während längerer Zeit notwendig ist und ob die Erfordernisse der Einfachheit und Zweckmässigkeit des Hilfsmittels gegeben sind (vgl. BGE 121 V 264 Erw. 4). Die Hilfsmittelabgabe zu nicht erwerblichen Zwecken beschränkt sich auf kostspielige Geräte (Art. 21 Abs. 2 IVG), wobei dieses Kriterium beim hier zur Diskussion stehenden Betrag erfüllt ist (vgl. BGE 121 V 264 Erw. 4).
3.2 In zeitlicher Hinsicht beschränkt sich die gerichtliche Prüfung praxisgemäss auf den Sachverhalt, wie er sich bis zum Einspracheentscheid entwickelt hat (BGE 116 V 248 Erw. 1a; RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101 Erw. 2a [= Urteil S. vom 29. Dezember 2000, U 170/00]). Zu beurteilen ist demzufolge der Zeitraum bis 2. September 2004.
3.3
3.3.1 Nach dem Gesagten (Erw. 2 am Ende) ist der Anspruch auf invaliditätsbedingte Abänderungen von Motorfahrzeugen nach Ziffer 10.05 HVI-Anhang nicht (mehr) auf erwerbliche Zwecke beschränkt. Er besteht auch, soweit eine Abänderung für die Fortbewegung, die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder die Selbstsorge notwendig ist. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat unter diesem Gesichtspunkt den Anspruch eines Paraplegikers, der über keinen Garagenplatz verfügte und sein Auto deshalb ganztätig im Freien parkieren musste, auf eine Standheizung verneint mit der Begründung, Vereisung und Beschlag an den Scheiben liessen sich auch mit der Standardheizung des Fahrzeugs entfernen. Zudem könne der Betroffene dies selbst vom Rollstuhl aus zumindest an den Seitenscheiben durch mechanische oder chemische Mittel unterstützen. Eine Standheizung führe zwar allenfalls rascher zu klaren Scheiben und lasse sich mittels einer Zeitautomatik oder Fernbedienung bereits in Gang setzen, bevor sich der Versicherte ins Fahrzeug begibt. Eine wesentliche Erleichterung für die behinderte Person, welche die Finanzierung dieser kostspieligen Zusatzausrüstung durch die Invalidenversicherung als verhältnismässig erscheinen liesse, könne darin aber nicht gesehen werden (Urteil M. vom 11. Dezember 2003, I 589/03, Erw. 3.2).
3.3.2 Der vorliegende Fall unterscheidet sich von diesem Präjudiz in zweierlei Hinsicht: Einerseits ist der Beschwerdeführer nicht Paraplegiker, sondern er leidet an inkompletter Tetraplegie. Er kann gemäss Abklärungsbericht des SHAB-Zentrums vom 7. Oktober 2003 die beschlagenen Scheiben nicht vom Rollstuhl aus säubern. Zudem kann ihm weniger als einem Paraplegiker zugemutet werden, in einem kalten Auto sitzend zu warten, bis die Standardheizung die Scheiben enteist hat. Andererseits fällt der Umstand ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer zu Hause über einen Garagenplatz verfügt. Das Problem einer Vereisung oder eines Beschlags der Scheiben stellt sich somit nur, wenn er sich mit dem Auto auswärts aufhält.
3.4 Der Beschwerdeführer lässt in diesem Zusammenhang geltend machen, sein Anspruch stütze sich nicht nur auf die in Art. 21 Abs. 2 IVG und Art. 2 Abs. 1 HVI genannten Zwecksetzungen. Vielmehr sei das Motorfahrzeug auch notwendig gewesen, um den Weg zu einer Ausbildungsstätte zu bewältigen (Vorkurs der Maturitätsschule für Erwachsene in X.________ vom 31. Januar 2004 bis im Mai 2004), und er werde auch künftig aus erwerblichen Gründen auf das Auto angewiesen sein. In diesem Zusammenhang benötige er eine Standheizung. Auch diesbezüglich ist jedoch zu beachten, dass dem Beschwerdeführer zu Hause ein Garagenplatz zur Verfügung steht. In unseren Breitengraden kommt es auch im Winter äusserst selten vor, dass die Scheiben tagsüber, während eines Arbeitstages, vereisen. Sollte diese Situation doch einmal eintreten, lässt sich die Entfernung von Eis und Beschlag in leichteren Fällen mit der Standardheizung erreichen (vgl. das bereits zitierte Urteil M. vom 11. Dezember 2003, I 589/03, Erw. 3.2), in den sehr seltenen Fällen einer starken Vereisung auch mit einer zu erwartenden Mithilfe von Drittpersonen, z.B. Kolleginnen und Kollegen (vgl. Ziff. 13.05.7* KHMI). Angesichts des ausgesprochenen Ausnahmecharakters dieser Konstellation ist es dem Beschwerdeführer zuzumuten, den mit diesem Vorgehen verbundenen erhöhten Aufwand in Kauf zu nehmen. Auch mit Blick auf die erwerbliche Zwecksetzung ist deshalb der Anspruch auf eine Standheizung zu verneinen.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse SPIDA und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 16. August 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: