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[AZA 0/2] 
5P.421/2000/min 
 
II. Z I V I L A B T E I L U N G ******************************** 
 
 
10. Januar 2001 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung, 
Bundesrichter Raselli, Ersatzrichter Zünd und 
Gerichtsschreiber Schett. 
 
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In Sachen 
 
1. A.________, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jean-Pierre 
Menge, Quaderstrasse 5, Postfach 26, 7002 Chur, 
2. Jean-Pierre Menge, Quaderstrasse 5, Postfach 26, 
7002 Chur, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
B.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechts-anwalt Dr. Marco Ettisberger, Poststrasse 43/Martinsplatz, 7000 Chur, Kantonsgericht (Zivilkammer) von Graubünden, 
betreffend 
 
Art. 8, 9 und 29 BV 
(Parteientschädigung; Ehescheidung), 
wird festgestellt und in Erwägung gezogen: 
 
1.- Mit Urteil vom 14. Januar 2000 wies das Bezirksgericht Plessur ein Scheidungsbegehren von B.________ ab, was das Kantonsgericht von Graubünden mit Urteil vom 22. August 2000 bestätigte. Für das Berufungsverfahren sprach das Kantonsgericht der beklagten Ehefrau, der die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt worden war, zu Lasten des Klägers eine Entschädigung von Fr. 1'130.-- zu. Die Honorarnote des Anwalts über Fr. 1'505.-, welche bei einem Aufwand von 7 Stunden auf einem Stundenansatz von Fr. 200.-- (zuzüglich Mehrwertsteuer) basierte, wurde um einen Viertel gekürzt, weil nach Art. 7 der Honoraransätze des bündnerischen Anwaltsverbandes das Honorar bei der unentgeltlichen Rechtspflege 75% des in Art. 3 empfohlenen Stundenansatzes von Fr. 200.-- betrage. 
 
A.________ und ihr Anwalt, Dr. Jean-Pierre Menge, haben mit Eingabe vom 31. Oktober 2000 staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragen, das angefochtene Urteil bezüglich der Parteientschädigung aufzuheben. 
Des Weiteren wird für A.________ die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren beantragt. 
 
B.________ stellt in seiner Vernehmlassung vom 15. Dezember 2000 Antrag auf Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde und ersucht für das bundesgerichtliche Verfahren seinerseits um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. Das Kantonsgericht von Graubünden beantragt, die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. 
2.- Das Kantonsgericht von Graubünden hat vorliegend der obsiegenden Partei deshalb nur eine um 25% gekürzte Parteientschädigung zu Lasten des Prozessgegners zugesprochen, weil sie im Prozess aufgrund der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege durch einen unentgeltlichen Rechtsbeistand vertreten war. Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde wird die Frage aufgeworfen, ob dies verfassungsrechtlich zulässig sei. Das Kantonsgericht beruft sich darauf, dass der unentgeltliche Rechtsbeistand eine staatliche Aufgabe erfülle und zum Staat in ein Rechtsverhältnis trete, aufgrund dessen er einen öffentlichrechtlichen Anspruch auf Entschädigung im Rahmen der anwendbaren kantonalen Vorschriften habe. Das gelte selbst bei Obsiegen im Prozess, und der Staat habe den Anwalt auch dann zu honorieren, wenn eine Parteientschädigung zugesprochen werde, diese aber nicht einbringlich sei. Durch die verbeiständete Partei dürfe sich der Anwalt nicht eine zusätzliche Entschädigung auszahlen lassen, auch dann nicht, wenn die öffentlichrechtliche Entschädigung einem vollen Honorar nicht entspreche. Da nach der Rechtsprechung des Kantonsgerichts die Entschädigung an die obsiegende Partei in der Regel nach den Honoraransätzen des bündnerischen Anwaltsverbandes festgesetzt werde und diese für die unentgeltliche Rechtspflege einen Ansatz von 75% des sonst empfohlenen Stundenansatzes vorsähen, sei auch die Parteientschädigung entsprechend festzulegen. 
 
 
3.- a) Es ist richtig, dass der unentgeltliche Rechtsbeistand einen Entschädigungsanspruch gegenüber dem Staat hat (BGE 122 I 1 E. 3a, 322 E. 3b; 117 Ia 22 E. 4a mit Hinweisen), dies bei Uneinbringlichkeit der Parteientschädigung selbst im Falle des Obsiegens (BGE 122 I 322 E. 3c), während es ihm verwehrt ist, die von ihm vertretene Partei zu einer zusätzlichen Entschädigung anzuhalten (BGE 122 I 322 E. 3b; 108 Ia 11 E. 1). Daraus scheint das Kantonsgericht ableiten zu wollen, dass der unentgeltlich vertretenen Partei keine zusätzlichen Anwaltskosten erwachsen können, welche durch die Gegenpartei zu entschädigen wären. Diese Auffassung müsste allerdings - konsequent zu Ende gedacht - dazu führen, dass die Parteientschädigung nicht nur auf die Höhe des Entschädigungsanspruchs gegenüber dem Staat zu reduzieren wäre, sondern überhaupt entfiele, da der unentgeltlich vertretenen Partei gar keine Kosten entstehen können. 
 
b) Das Kantonsgericht übersieht allerdings zweierlei: 
Erstens ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung nicht, dass die bedürftige Partei definitiv von der Bezahlung sämtlicher Prozesskosten befreit würde. Gelangt die bedürftige Partei im Laufe des Verfahrens oder aufgrund des Prozessausgangs in den Besitz ausreichender Mittel, kann ihr die unentgeltliche Rechtspflege wieder entzogen werden. Auf Grund der Rechtswohltat ausbezahlte Beträge können selbst nach Erledigung des Prozesses zurückverlangt werden, wenn sich die wirtschaftliche Situation des Begünstigten ausreichend verbessert hat (BGE 122 I 5 E. 4a, 322 E. 2c). Auch die Bündner Zivilprozessordnung sieht diese Möglichkeit vor (Art. 45 Abs. 3 ZPO/GR). Dem unentgeltlichen Rechtsbeistand, dem durch den Staat keine volle Entschädigung ausgerichtet wurde, ist unter den nämlichen Voraussetzungen nach kantonalem Recht erlaubt, seine über den staatlichen Entschädigungsanspruch hinausgehenden Honoraransprüche geltend zu machen (zum Beispiel: 
Art. 82 Abs. 3 ZPO/BE; § 133 Abs. 2 ZPO/AG; Christian Favre, L'assistance judiciaire gratuite en droit suisse, Diss. 
Lausanne 1989, S. 141 f.), was als zulässige Nachforderung aus unentgeltlicher Prozessführung vom verbotenen Honorarbezug zu unterscheiden ist. Auch die Standesordnung des bündnerischen Anwaltsverbandes vom 30. Mai 1997 verpflichtet in Ziff. 19 den Anwalt nur dann, sich mit der staatlichen Entschädigung zu begnügen, wenn die vertretene Partei nicht zu Vermögen gelangt ist. Wird somit der obsiegenden Partei als Parteientschädigung nicht ein volles, sondern nur ein reduziertes Honorar zugesprochen, so läuft sie Gefahr, dass sie von ihrem Anwalt noch in Anspruch genommen wird, wenn sie zu Vermögen gelangen sollte. Zweitens übersieht das Kantonsgericht, dass die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands nur den Zweck hat, der bedürftigen Partei den Zugang zum Gericht zu ermöglichen, nicht aber die Gegenpartei, welche im Prozess unterliegt, von der Bezahlung der Parteientschädigung zu entlasten (BGE 117 Ia 295 E. 3; Frank/Sträuli/ Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 
3. Aufl. , Zürich 1997, N. 1 zu § 89). Andreas Heusler hat schon formuliert, dass "natürlich" der Armenanwalt "bei Unterliegen des Gegners und dessen Verurteilung zu den Prozesskosten seine Honorarforderung an diesen geltend macht" (Der Zivilprozess der Schweiz, Mannheim/Berlin/Leipzig 1923, S. 52). Der öffentlichrechtliche Entschädigungsanspruch hat subsidiären Charakter und bleibt ohne Einfluss auf die Prozessentschädigung des unterliegenden Gegners. Er kommt dann zum Tragen, wenn keine Prozessentschädigung geschuldet oder diese uneinbringlich ist. Dass die obsiegende Partei durch einen unentgeltlichen Rechtsbeistand vertreten wird, ist mithin nicht eine wesentliche Tatsache für die Festlegung der Parteientschädigung, weil die öffentlichrechtliche Entschädigung von ihrem Zweck her nur subsidiär zum Tragen kommt. Es folgt daraus, dass es keinen sachlichen Grund gibt, die Entschädigung der obsiegenden Partei deshalb zu kürzen, weil ihr ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt worden ist. Der Entscheid des Kantonsgerichts ist mit dem Rechtsgleichheitsgebot und dem Willkürverbot der Bundesverfassung nicht vereinbar. 
 
c) Es mag schliesslich angefügt werden, dass die Honorarordnung des bündnerischen Anwaltsverbandes vom 30. Mai 1997 zwar wohl, wie das Kantonsgericht seinem Entscheid zugrunde legt, vorsieht, dass die Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistands 75% des üblichen Ansatzes beträgt, dass aber die Standesordnung, die ebenfalls am 30. Mai 1997 erlassen wurde, zugleich festhält, dass sich das Mitglied bei Mandaten der unentgeltlichen Rechtspflege mit der staatlichen Entschädigung begnügt, "sofern die Gegenpartei nicht kostenpflichtig wird". Es war also nie die Meinung, dass der gekürzte Honoraranspruch auch Anwendung finden sollte, wenn die Gegenpartei kostenpflichtig würde. 
 
4.- Die staatsrechtliche Beschwerde ist damit gutzuheissen und das angefochtene Urteil bezüglich der Bemessung der Parteientschädigung aufzuheben. 
 
Beide Parteien haben um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren ersucht. Die Gesuche sind gutzuheissen, weshalb keine Kosten zu erheben sind. Der obsiegenden Beschwerdeführerin ist eine Parteientschädigung zu Lasten des Beschwerdegegners zuzusprechen. Für den Fall der Uneinbringlichkeit ist dem Anwalt der Beschwerdeführerin eine um einen Drittel reduzierte Entschädigung (Art. 9 des Tarifs über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das Verfahren vor dem Bundesgericht) aus der Bundesgerichtskasse zuzusprechen. Aus der Bundesgerichtskasse ist auch der Anwalt des Beschwerdegegners zu entschädigen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.-Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden vom 22. August 2000 bezüglich der Bemessung der Parteientschädigung aufgehoben. 
2.-Den Gesuchen der Parteien um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege wird entsprochen. Zum unentgeltlichen Rechtsbeistand der Beschwerdeführerin wird Rechtsanwalt Dr. Jean-Pierre Menge bestellt, zum unentgeltlichen Rechtsbeistand des Beschwerdegegners Rechtsanwalt Dr. Marco Ettisberger, Chur. 
 
3.-Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4.- Der Beschwerdegegner hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
Auf Nachweis der Uneinbringlichkeit der zugesprochenen Parteientschädigung wird Rechtsanwalt Dr. Jean-Pierre Menge aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'000.-- zuzüglich allfällige im Verlustschein ausgewiesene Betreibungskosten ausgerichtet. 
 
5.- Dem unentgeltlichen Rechtsbeistand des Beschwerdegegners, Rechtsanwalt Dr. Marco Ettisberger, wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'000.-- ausgerichtet. 
 
6.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht (Zivilkammer) von Graubünden schriftlich mitgeteilt. 
 
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Lausanne, 10. Januar 2001 
 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: