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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_968/2021  
 
 
Urteil vom 31. Januar 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichterin Koch, 
Gerichtsschreiberin Frey Krieger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Zlabinger, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
1. Jugendanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Spisergasse 22, 9001 St. Gallen, 
2. B.A.________, 
vertreten durch Fürsprecher Daniel Küng, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Einstellung (sexuelle Handlungen mit einem Kind, sexuelle Nötigung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 9. Juni 2021 
(AK.2021.176-AK (KM.2020.15) AK.2021.177-AP 
und AK.2021.205-AP). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Zwischen B.A.________, geboren am 24. Januar 2005 und seiner Schwester, A.A.________, geboren am 1. Juni 2006, kam es ab dem Jahr 2012/2013 zu sexuellen Handlungen. Diese begannen mit "kindlichen Doktorspielen". Ab dem Jahr 2016 bis ca. September 2019 vollzog B.A.________ wiederholt Analverkehr an seiner Schwester.  
 
A.b. Unter anderem wegen Anzeichen von Verwahrlosung platzierten die Lehrpersonen von A.A.________ im Herbst 2019 eine Gefährdungsmeldung. Im Rahmen der alsdann begonnenen Therapie äusserten die Geschwister, dass es zwischen ihnen zu sexuellen Handlungen gekommen sei, worauf anfangs Januar 2020 eine zweite Gefährdungsmeldung erfolgte. Unter Beizug des Kinderschutzzentrums des Kantons St. Gallen bzw. der C.________ brachte sich B.A.________ selbst zur Anzeige, woraufhin die Jugendanwaltschaft des Kantons St. Gallen ein Strafverfahren eröffnete.  
 
B.  
Am 26. März 2021 verfügte die Jugendanwaltschaft des Kantons St. Gallen die Einstellung des Strafverfahrens gegen B.A.________ betreffend sexueller Handlungen mit einem Kind und sexueller Nötigung. 
Die von A.A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies die Anklagekammer des Kantons St. Gallen am 9. Juni 2021 ab. Die Verfahrensgebühr für das Beschwerdeverfahren von Fr. 1'500.-- auferlegte es unter einstweiliger Kostenbefreiung A.A.________. Deren unentgeltlichen Rechtsbeistand entschädigte es mit Fr. 2'237.90 aus der Staatskasse. 
 
C.  
A.A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 9. Juni 2021 sei aufzuheben und die Sache zur Fortsetzung des Jugendstrafverfahrens an die Jugendanwaltschaft des Kantons St. Gallen zurückzuweisen. Eventualiter sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und zur Neubeurteilung an die Anklagekammer zurückzuweisen. A.A.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
D.  
Die Jugendanwaltschaft und die Anklagekammer haben sich nicht vernehmen lassen. B.A.________ beantragt die Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Privatklägerschaft ist zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Bei den Zivilansprüchen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG geht es in erster Linie um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung gemäss Art. 41 ff. OR, die üblicherweise vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden müssen. Richtet sich die Beschwerde gegen die Einstellung oder Nichtanhandnahme eines Verfahrens, hat die Privatklägerschaft nicht notwendigerweise bereits vor den kantonalen Behörden eine Zivilforderung geltend gemacht. Selbst wenn dies bereits erfolgt ist, werden in der Einstellungsverfügung keine Zivilklagen behandelt (Art. 320 Abs. 3 StPO). Die Privatklägerschaft muss im Verfahren vor Bundesgericht darlegen, aus welchen Gründen sich der angefochtene Entscheid inwiefern auf welche Zivilforderung auswirken kann. Das Bundesgericht stellt an die Begründung der Legitimation strenge Anforderungen. Genügt die Beschwerde diesen nicht, kann darauf nur eingetreten werden, wenn aufgrund der Natur der untersuchten Straftat ohne Weiteres ersichtlich ist, um welche Zivilforderung es geht (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4 f. mit Hinweisen). 
Die Beschwerdeführerin hat sich als Straf- und Zivilklägerin konstituiert. Sie wirft dem Beschwerdegegner 2 eine Verletzung ihrer sexuellen Integrität vor und leitet daraus Genugtuungsansprüche ab. Damit ist sie in der Sache im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG zur Beschwerde in Strafsachen gegen die Einstellung des Strafverfahrens legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO und des Grundsatzes "in dubio pro duriore". Das Strafverfahren wegen sexueller Nötigung könne nur bei klarer Straflosigkeit eingestellt werden; andernfalls sei Anklage zu erheben oder ein Strafbefehl zu erlassen. Die Jugendanwaltschaft reklamiere für sich zu Unrecht einen grösseren Ermessensspielraum, wenn sie auch bei nicht ausräumbaren Zweifeln an der Schuld und damit gestützt auf den Grundsatz "in dubio pro reo" eine Einstellung des Verfahrens als möglich erachte. Selbst wenn der Jugendanwaltschaft eine sachrichterliche Funktion zugeschrieben werde, dürfe sich die Anklagekammer nicht auf eine Ermessensüberprüfung beschränken.  
Von der sozial verwahrlosten, entwicklungsverzögerten und im Tatzeitraum neun bis dreizehn Jahre alten Beschwerdeführerin habe keine Widersetzung gegen den Bruder erwartet werden dürfen. Bei sexuellen Übergriffen auf Kinder aus dem sozialen Nahbereich des Täters würden an das Nötigungsmittel des "psychischen-unter-Druck-Setzens" weniger hohe Anforderungen gestellt. Vorliegend seien die Übergriffe durch den Bruder, die engste und wichtigste Bezugsperson erfolgt. Dieser habe den Druck durch "Geister- und Kopfwehgeschichten" erhöht, die aus Sicht der Beschwerdeführerin keineswegs plump gewesen seien. Sie habe damit rechnen müssen, dass ihre engste Bezugsperson leide, würde sie sich dem Analverkehr widersetzen. Damit sei die erzeugte Drucksituation strafrechtlich relevant. Daran ändere nichts, wenn die Gutachterin ausführe, dass der Beschwerdegegner 2 seine Bedürfnisse weder mit Zwang noch mit Gewalt durchgesetzt habe. Die rechtliche Würdigung, ob ein Nötigungsmittel nach Art. 189 StGB gegeben sei, obliege den Strafbehörden. 
 
2.2.  
 
2.2.1. Die Vorinstanz verweist in ihrem Entscheid auf die Erwägungen der Jugendanwaltschaft, welche dargelegt habe, weshalb keine strafrechtlich relevante Druckausübung gegeben sei. Dies decke sich mit den Ergebnissen des Gutachtens, gemäss welchem der Beschwerdegegner 2 seine Bedürfnisse nicht mit Zwang oder Gewalt durchgesetzt und die Beschwerdeführerin die körperliche Nähe ebenfalls gesucht habe. Vorliegend sei eine Überweisung an das Gericht und damit die konsequente Umsetzung des Grundsatzes "in dubio pro duriore" nicht möglich. Die Vorinstanz fungiere demnach auch als Sachrichterin. Soweit sie die nötigen Untersuchungen durchgeführt und daraus die geeigneten Schlüsse gezogen habe, sei sie in ihrem pflichtgemäss ausgeübten Ermessen zu schützen.  
 
2.2.2. Die Jugendstaatsanwaltschaft erwägt, die Beschwerdeführerin habe dem Beschwerdegegner 2 nicht erkennbar zu signalisieren vermocht, dass sie mit dem Analverkehr nicht einverstanden sei. Sie habe sich ausgemalt, dieser könnte auf ihre ablehnende Haltung aggressiv reagieren. Entsprechend habe sie sich ruhig verhalten und sich zu den Handlungen verleiten lassen.  
Es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass der Beschwerdegegner 2 gegenüber seiner Schwester Gewalt angewendet, sie bedroht, eingeschüchtert, dominiert oder unter psychischen Druck gesetzt hätte. Selbst wenn er "Geister- und Kopfwehgeschichten" eingesetzt hätte, hätten diese deren Willensbildung oder -betätigung nicht entscheidend einzuschränken vermocht. Die Beschwerdeführerin sei immer in der Lage gewesen, sich ein Urteil zu bilden und zu entscheiden, ob sie die sexuellen Kontakte wolle oder nicht. Jedenfalls könne daraus, dass sie ihre mit der Zeit ablehnende Haltung nicht deutlich zum Ausdruck gebracht habe, nicht auf eine fehlende Widerstandsunfähigkeit wegen psychischen Drucks geschlossen werden. Zwar sei ihr zu glauben, dass sie für den Fall einer ablehnenden Reaktion Angst vor einer aggressiven Reaktion ihres Bruders gehabt habe. Daraus könne aber nicht geschlossen werden, der Bruder habe diese Angst initiiert oder gezielt eingesetzt. Hinweise, dass er sich je aggressiv verhalten hätte, lägen keine vor. Entsprechend habe er das erstmalige deutliche "Nein" seiner Schwester, welcher zumutbare Selbstschutzmöglichkeiten offen gestanden seien, akzeptiert. Es könne nicht dem Beschwerdegegner 2 angelastet werden, wenn sich die Beschwerdeführerin wegen ihrer "intrinsisch genährten Angst" nicht gegen dessen Ansinnen zur Wehr setze. 
 
2.3.  
 
2.3.1. Bei einem hinreichenden Tatverdacht gegen einen Jugendlichen ist es Aufgabe des Jugendanwaltes bzw. des Jugendrichters, in Anwendung von Art. 299 Abs. 2 StPO die erforderlichen Ermittlungen zu tätigen und Beweise zu erheben, um festzustellen, ob ein Strafbefehl zu erlassen ist (Art. 32 JStPO), eine Anklage vor dem Jugendgericht zu erheben (Art. 33 JStPO) oder das Verfahren einzustellen ist (Art. 139 ff. StPO; HEBEISEN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung/Jugendstrafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 1 und 5 zu Art. 30 JStPO). Die Jugendstrafprozessordnung enthält keine allgemeinen Bestimmungen über die Verfahrenseinstellung, womit sich das Verfahren nach den Art. 320 bis 323 StPO richtet (Art. 3 Abs. 1 JStPO; HEBEISEN, a.a.O., N. 6 zu Art. 30 JStPO). Dementsprechend verfügt die Jugendanwaltschaft gemäss Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO u.a. die Einstellung des Verfahrens, wenn kein Straftatbestand erfüllt ist.  
 
2.3.2. Der Entscheid über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu richten. Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit oder offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden. Die Untersuchungsbehörde hat sorgfältig abzuklären, ob ein Einstellungsgrund vorliegt und darf einen solchen nicht leichthin annehmen. Bei der Beurteilung dieser Frage verfügen die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz über einen gewissen Spielraum, den das Bundesgericht mit Zurückhaltung überprüft. Hingegen ist, sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Ist ein Freispruch genauso wahrscheinlich wie eine Verurteilung, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf. Bei zweifelhafter Beweis- oder Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht. Der Grundsatz, dass im Zweifel nicht eingestellt werden darf, ist auch bei der Überprüfung von Einstellungsverfügungen zu beachten. Diese Grundsätze gelten auch im Jugendstrafverfahren (BGE 143 IV 241 E. 2.2.1; 138 IV 186 E. 4.1; je mit Hinweisen; Urteil 6B_1049/2015 vom 6. September 2016 E. 2.3; HEBEISEN, a.a.O., N. 5 zu Art. 30 JStPO; RIEDO, Jugendstrafrecht und Jugendstrafprozessrecht, 2013, N. 2215).  
 
2.3.3. Die Staatsanwaltschaft und die Beschwerdeinstanz dürfen bei Entscheiden über die Einstellung eines Strafverfahrens den Sachverhalt nicht wie ein urteilendes Gericht feststellen. Sachverhaltsfeststellungen müssen in Berücksichtigung des Grundsatzes "in dubio pro duriore" jedoch auch bei Einstellungen zulässig sein, soweit gewisse Tatachen "klar" bzw. "zweifelsfrei" feststehen, so dass im Falle einer Anklage mit grosser Wahrscheinlichkeit keine abweichende Würdigung zu erwarten ist. Davon kann indes nicht ausgegangen werden, wenn eine abweichende Beweiswürdigung durch das Gericht ebenso wahrscheinlich erscheint. Den Staatsanwaltschaften ist es nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" lediglich bei einer unklaren Beweislage untersagt, der Beweiswürdigung des Gerichts vorzugreifen. Sachverhaltsfeststellungen der Staatsanwaltschaften sind namentlich im Rahmen von Art. 319 Abs.1 lit. b und c StPO in der Regel notwendig. Auch insoweit gilt jedoch, dass der rechtlichen Würdigung der Sachverhalt "in dubio pro duriore", d.h. der klar erstellte Sachverhalt zugrunde gelegt werden muss (BGE 143 IV 241 E. 2.3.2, mit Hinweisen).  
Mithin ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, nach durchgeführter Untersuchung in vorweggenommener Würdigung der Beweise und der Rechtslage nach den hiervor genannten Grundsätzen eine Prognose über den Ausgang eines allfälligen gerichtlichen Verfahrens zu machen. Das Verfahren kann nur eingestellt werden, wenn kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass das Sachgericht entweder von der Unschuld des Beschuldigten überzeugt sein wird oder zumindest derartige Zweifel an dessen Schuld haben wird, dass eine Verurteilung ausgeschlossen scheint. Zwar sieht das Gesetz (Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO und Art. 10 Abs. 3 StPO) den Zweifelsfall nur für die tatsächlichen Voraussetzungen der angeklagten Tat vor. Da aber die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren nach ständiger Rechtsprechung nur bei klarer Straflosigkeit oder offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen einstellen darf, muss auch für die rechtliche Subsumtion eines Verhaltens gelten, dass bei Zweifeln an der rechtlichen Würdigung durch ein Gericht keine Einstellungsverfügung ergehen darf. Je grösser der mit einer rechtlichen Würdigung einhergehende Ermessensspielraum ist - was namentlich bei offen formulierten Straftatbeständen wie der "Nötigung" zu berücksichtigen ist - desto ungewisser ist der Ausgang des gerichtlichen Entscheids und ruft solches nach einer gerichtlichen Überprüfung. Ein wegen (sexueller) Nötigung angehobenes Strafverfahren darf deswegen nur eingestellt werden, wenn offensichtlich ist, dass das Tatbestandselement der nötigenden Zwangseinwirkung offensichtlich nicht gegeben ist (vgl. BGE 146 IV 68 E. 2.1; NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. Aufl. 2020, N. 1839 f.; GRÄDEL/HEINIGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung/Jugendstrafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 9 ff. zu Art. 319 StPO; LANDSHUT/BOSSHARD, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl. 2020 N. 19 f. zu Art. 319 StPO). 
 
2.4. Eine sexuelle Nötigung im Sinne von Art. 189 Abs. 1 StGB ist gegeben, wenn der Täter eine Person zur Duldung einer beischlafsähnlichen oder einer ähnlichen Handlung nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht.  
Die sexuellen Nötigungstatbestände verbieten den Angriff auf die sexuelle Freiheit. Sie gelten als Gewaltdelikte und sind damit prinzipiell als Akte physischer Aggression zu verstehen. Dabei stellt die Tatbestandsvariante des "Unter-psychischen-Druck-Setzens" klar, dass sich die tatbestandsmässige Ausweglosigkeit der Situation auch ergeben kann, ohne dass der Täter eigentliche Gewalt anwendet. Es kann vielmehr genügen, dass dem Opfer ein Widersetzen unter solchen Umständen aus anderen Gründen nicht zuzumuten ist. 
Handelt es sich beim Opfer um ein urteilsfähiges Kind, kann ein Täter aus dem sozialen Nahraum dieses auch ohne aktive Ausübung von Zwang oder Androhung von Nachteilen unter Druck setzen und damit die sexuellen Nötigungstatbestände erfüllen. Das Verhalten einer Bezugsperson kann für ein Kind eine auswegslose Zwangssituation bewirken, auch wenn es in oberflächlicher, kontextloser Betrachtungsweise nicht als direkt bösartig oder objetkiv schwerwiegend erscheint. Der Täter, der einem Kind weismacht, es handle sich um ein schöne Sache, die man zusammen erleben könnte, erzeugt einen enormen psychischen Druck für das Kind, das ihm einen solchen Gefallen nicht abschlagen möchte und das nicht daran schuld sein möchte, wenn der Täter diese angeblich schöne Sache nicht erleben darf. Der Täter, der die Willensbildung des Kindes in dieser Art steuert und manipuliert, schafft für dieses eine derart auswegslose Situation, wie sie von den sexuellen Nötigungstatbeständen erfasst ist. Mithin ist in einem Fall von Kindesmissbrauch im sozialen Nahraum entscheidend, ob von einem Kind angesichts seines Alters, seiner familiären und sozialen Situation, der Nähe des Täters und Funktion des Täters in seinem Leben, seinem Vertrauen in den Täter und der Art und Weise der Vornahme der sexuellen Handlungen durch den Täter (als Normalität, als Selbstverständlichkeit, als etwas Schönes, als ein Spiel), erwartet werden kann, dass es sich diesem eigenständig entgegensetzt (vgl. BGE 146 IV 153 E. 3.3.1 bis 3.5.5 mit weiteren Hinweisen). 
 
2.5.  
 
2.5.1. Die sexuellen Handlungen fanden vorliegend im sozialen Nahraum statt. Indes handelt es sich bei Täter und Opfer um Geschwister im Alter von (anfänglich) neuneinhalb und elf Jahren. Die kognitive Unter- bzw. Überlegenheit von Täter und Opfer präsentiert sich in einer solchen Konstellation - vorbehältlich aussergewöhnlicher Entwicklungsstände - naturgemäss nicht derart offensichtlich, wie dies in einer Erwachsenen-Kind-Konstellation der Fall ist; überdies entfällt die sich bei Erwachsenen aus deren Autoritäts- und/oder Erziehungsfunktion ergebende Machtposition. Nichtsdestotrotz erscheint es keineswegs ausgeschlossen, dass sich aus einer besonders engen Bezugs- und Vertrauensstellung eines (älteren) Geschwisters eine Machtposition ergeben kann, welche gleichermassen auf die Willensbildung und das Bewusstsein des von ihm abhängigen (jüngeren) Geschwisters und damit dergestalt einwirkt, ohne dass diese Einwirkung mit aktiver Zwangsausübung oder dem expliziten Androhen von Nachteilen verbunden sein muss. Daraus kann sich auch für ein Geschwister eine auswegslose Situation im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ergeben. Dies insbesondere deswegen, weil es vorab die emotionale und soziale Abhängigkeit ist, welche mit Verlustängsten einhergeht und die auswegslose Situation schafft. Je näher die Bezugsperson dem Kind und je grösser das Vertrauen des Kindes in diese Bezugsperson ist, desto grösser ist die psychische Zwangssituation und desto auswegsloser dessen Situation.  
Damit sich indes in Konstellationen, in denen der Täter keine erwachsene (Autoritäts-) Person ist, die Frage einer tatbeständlichen psychischen Zwangssituation überhaupt stellen kann, muss namentlich zwischen Geschwistern, deren Altersunterschied "nur" rund eineinhalb Jahre beträgt, zweifelsohne eine besonders starke emotionale und soziale Abhängigkeit gegeben sein. Von einer solchen besonders starken emotionalen und sozialen Abhängigkeit gehen vorliegend explizit sowohl die Vorinstanz als auch die Jugendanwaltschaft aus, wenn sie von einer tiefen und innigen Vertrautheit der Geschwister ausgehen und diese auf deren umzugsbedingte Entwurzelung und darauf zurückführen, die Geschwister hätten "als Kinder bzw. auf der Kinderebene verlässlich und auf Dauer" nur sich selbst gehabt, woraus sich eine sehr enge Bezogenheit aufeinander entwickelt habe. 
 
2.5.2. Die Beschwerdeführerin äusserte sich dahingehend, dass die analen Penetrationen für sie (im Gegensatz zu den früheren "Doktorspielen") "nicht mehr ok" gewesen seien (act. 16 10/32 [Fragen 81 bis 84]). Als sie den Penis ihres Bruders nicht habe anfassen wollen, habe er ihr erzählt, dass er von Geistern heimgesucht würde und dann Albträume habe oder aber er unter Kopfschmerzen leide, wenn sie ihm "nicht mit sexuellen Sachen helfe". Als Zehnjährige sei sie "etwas dumm" gewesen, habe ihm vertraut und habe ihn gewähren lassen, (obwohl) anale Penetrationen "eigentlich sehr viel weh tun würden" (act. 16 6/32 ff. [Fragen 44 bis 61] und (act. 16 8/32 [Frage 61]). Sie habe aber einfach ruhig sein wollen, da sie befürchtet habe, der Bruder würde sonst "aggressiv" reagieren, wobei sie die erwähnte "Aggressivität" mehrfach zu differenzieren versuchte (act. 16 10/32 [Fragen 79 f.] und eindrücklich act. 16 7/32 [Frage 47]). Die Geschichten habe sie aber nur geglaubt, bis sie "zehn bis elf" Jahre alt gewesen sei; nachher sei sie nicht mehr "dumm" gewesen (act. 16 13/32 [Fragen 107 und 112]). Sie habe oftmals versucht, es zu beenden, habe immer wieder zu ihrem Bruder gesagt, dass sie das nicht wolle. Sie habe während und nach den analen Penetrationen gesagt, dass er aufhören solle; er habe nicht aufgehört und sie habe weiterhin gesagt, er solle aufhören. "Seit Mitte England" habe sie ihm das "nachher" so gesagt, dass er dies auch habe verstehen können. Sie sei dann auch ein "bisschen zu gemein" gewesen und hätte Sachen gesagt wie "ich hasse dich" und "ich möchte nicht, dass du das machst (...) ". Dass sie Schmerzen habe, habe sie ihm nicht gesagt (act. 16 12/32 [Frage 103]; 27/32 [Fragen 242 ff.]; 29/32 f. [Fragen 263 ff.]).  
 
2.5.3.  
 
2.5.3.1. Anhand der Aussagen der Beschwerdeführerin liegen deutliche Hinweise für deren grundsätzliche Ablehnung des Analverkehrs vor, welchen sie auf Wunsch des Bruders aber trotzdem an sich vollziehen liess. Damit stellt sich offensichtlich die Frage einer durch den Bruder als engste Vertrauensperson ausgeübten Einflussnahme im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und drängt sich eine sorgfältige Würdigung dieser Umstände im Lichte derselben auf.  
Daran ändert nichts, dass die Beschwerdeführerin die analen Penetrationen im Gegensatz zu den vorgängigen "Doktorspielen" als für sie "nicht mehr ok" qualifiziert. Dies zeigt einzig, dass sie in der Lage war, diese als (weitergehende) sexuelle Handlungen zu erfassen bzw. zu hinterfragen und insbesondere, diese als Verletzung ihrer persönlichen Integrität wahrzunehmen, womit sie in Bezug auf diese urteilsfähig war (vgl. BGE 146 IV 153 E. 3.5.3, mit weiteren Hinweisen; Urteil 6B_518/2020 vom 15. September 2021 E. 1.4). Daraus lässt sich angesichts ihres zumindest in der ersten Tatphase noch sehr jungen Alters und der damit einhergehenden Beeinflussbarkeit durch ihren Bruder als wichtigste Bezugsperson gerade nicht ohne weiteres schliessen, dass sie in der Lage gewesen wäre, sich diesem eigenständig entgegenzusetzen. Anzeichen dafür, dass ihr dies nicht möglich war, ergeben sich daraus, dass sie die analen Penetrationen nicht nur als "nicht mehr ok" bezeichnet hat, sondern darüber hinausgehend offenbar mit starken Schmerzen in Verbindung bringt, dem Ansinnen ihres Bruders aber nichtsdestotrotz immer wieder nachgekommen ist. Selbstredend kann dem Beschwerdegegner 2 als nur eineinhalb Jahre älterer Bruder gegenüber seiner Schwester nicht dieselbe Verantwortung in sexuellen Belangen überbunden werden, die einer erwachsenen Bezugs- und/oder Autoritätsperson gegenüber einem Kind in diesem Alter obliegt und mit welcher einhergeht, einem Kind nicht zu vermitteln, sexuelle Praktiken wie anale Penetrationen mit einem Erwachsenen entsprächen seinem Alter und der Normalität (vgl. BGE 146 IV 153 E. 3.5.5). Nichtsdestotrotz ist der Beschwerdegegner 2 eineinhalb Jahre älter und verspürte offenbar und im Gegensatz zu seiner jüngeren Schwester bereits mit rund elf Jahren und häufig das Bedürfnis, seine Sexualität auszuleben. Dies mittels einer Praktik, die für dieses Alter und als (einvernehmliche) sexuelle Erfahrung als ungewöhnlich erscheint, umso mehr, wenn sie an der noch jüngeren Schwester vollzogen wird. Dies stellt ein gemeinsam und gleichermassen gewolltes "spielerisches Ausprobieren" zweier gleich naiver und unerfahrener Kinder zumindest in Frage. Umso mehr, als sich der Beschwerdegegner 2 trotz seines jungen Alters offenbar einer möglichen Schwangerschaft seiner Schwester bewusst war, er mithin aktiv die entsprechenden Abklärungen und letztlich via die gewählte Praktik die notwendigen Vorkehren traf, um eine solche zu verhindern (vgl. dessen Aussagen in act. 17 4/7 [Frage 26]); act. 24 8/13 [Frage 77] und 9/13 [Frage 82]). Dem Beschwerdegegner 2 muss somit unter diesem Aspekt nicht nur ein überlegtes und durchdachtes, sondern auch zielgerichtetes und für sein Alter in dem Sinne auffällig "reifes" Vorgehen attestiert werden. Wenn er unter diesen Umständen mit Bitten und Drängen Einfluss auf seine neuneinhalb Jahre alte Schwester nimmt und auf deren ablehnende Haltung zwar nicht "aggressiv" reagiert, aber seiner "Enttäuschung" deutlich Ausdruck verleiht (vgl. wiederum act. 16 7/32 [Frage 47]), so ist offensichtlich nicht auszuschliessen, dass er die Beschwerdeführerin unter grossen psychischen Druck gesetzt hat bzw. sich diese nicht wegen einer "bloss intrinsisch genährten" Angst nicht zur Wehr gesetzt hat. Auch in einer Geschwisterbeziehung ist nicht auszuschliessen, dass die jüngere Schwester ihrem älteren Bruder als engste Bezugs- und Vertrauensperson den erbetenen Gefallen nicht abschlagen möchte, so, wie ein Kind dies gegenüber einem Erwachsenen, der eine ebensolche Bezugs- und Vertrauensstellung innehat, nicht möchte. Sollte es überdies zutreffen, dass der Beschwerdegegner 2 Geistergeschichten oder Kopfschmerzen vorgab, unter denen er zu leiden hätte, würde die Beschwerdeführerin seinem Ansinnen nicht nachkommen, käme ein zusätzliches Druckelement hinzu, da nachvollziehbar wäre, dass die Beschwerdeführerin nicht schuld daran sein wollte, wenn ihre nächste Bezugs- und Vertrauensperson leidet. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die familiäre Struktur offenbar insgesamt keine verlässliche in dem Sinne war, als die Eltern im Leben der Kinder (genügend) präsent gewesen wären. 
 
2.5.3.2. Im Hinblick auf zumutbare Selbstschutzmassnahmen ist aber ebenso zu berücksichtigen, dass je älter ein Kind wird, die Einflussmöglichkeit auf dessen Willensbildung abnimmt (vgl. BGE 146 IV 153 E. 3.5.7). Anzeichen, dass dem auch in der vorliegenden Konstellation so war, ergeben sich wiederum anhand der Aussagen der Beschwerdeführerin, gemäss welchen es ihr ab "Mitte England" und damit ab ca. Mitte des Jahres 2017 offenbar möglich war, ihre ablehnende Haltung zumindest deutlicher zum Ausdruck zu bringen, was gemäss ihren Angaben in zeitlicher Hinsicht damit einher ging, dass sie den "Geister- und Kopfwehgeschichten" keinen Glauben mehr schenkte. Alsdann war es gemäss den Angaben der Beschwerdeführerin im Jahr 2017 zu einem Gespräch mit dem Vater gekommen, an welchem auch der Beschwerdegegner 2 beteiligt gewesen sei und sie dem Vater "eigentlich alles" erzählt habe (vgl. act. 16 15/32 f. [Fragen 126 ff.]; 17/32 [Frage 148] und 28/32 [Fragen 252 ff.]). Hinzu kommt, dass sie im Laufe der Zeit auch aus anderen Quellen mehr über Fragen zur Sexualität erfahren hat, namentlich in der Schule (Sexualunterricht in England; vgl. act. 16 2/32 [Fragen 5 f.]) und sie sich offenbar auch einer Kollegien anvertraut hat (act. 16 14/32 [Fragen 118 ff.]).  
 
2.5.3.3. Zusammenfassend handelt es sich vorliegend beim Opfer um ein zwar urteilsfähiges, aber stark beeinflussbares Kind, das sich nicht gegen die als "nicht mehr ok" empfundenen und schmerzenden analen Penetrationen zur Wehr setzt; beim Täter um den eineinhalb Jahre älteren und in sexuellen Belangen auffällig reifen Bruder, der die Position der wichtigsten und engsten Bezugs- und Vertrauensperson einnimmt und offensichtlich einseitig die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse wünscht. Indem die Vorinstanz es unterlassen hat, die mögliche Zwangseinwirkung dieser Konstellation auf die Willensbildung des jüngeren Geschwisters zu würdigen, hat sie keine hinreichend sorgfältige Würdigung der Rechtslage vorgenommen. Damit einhergehend erweist sich auch ihr Schluss, es sei der Beschwerdeführerin zumutbar gewesen, sich ihrem Bruder eigenständig entgegenzusetzen, als nicht haltbar. Die Rechtslage ist unklar und der angefochtene Entscheid verletzt Bundesrecht. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet.  
 
2.6. Zutreffend ist, dass aufgrund des Alters des Beschwerdegegners 2 im Tatzeitraum vorderhand einzig die Ausfällung eines Strafbefehls (und keine Überweisung an das Jugendgericht) in Frage kommt (vgl. Art. 13 ff. JStG und Art. 21 ff. JStG i.V.m. Art. 34 JStPO Abs. 1 lit. a bis c JStPO). Nach sorgfältiger Klärung, ob ein Einstellungsgrund vorliegt, wird die Vorinstanz indes zu berücksichtigen haben, dass sich der Grundsatz "in dubio pro reo" nur auf die beweismässige Würdigung des Sachverhalts, nicht auf dessen rechtliche Subsumtion bezieht. Ist mithin der Ablauf des tatsächlichen Geschehens zweifelhaft, muss die urteilende Behörde ihrem Urteil diejenige Variante zugrunde legen, die für die beschuldigte Person vorteilhafter ist. Bestehen hingegen Zweifel, wie die Tat rechtlich zu beurteilen ist (i.c. ob die tatsächlichen Verhältnisse ausreichen, um in rechtlicher Hinsicht eine "tatsituative Zwangssituation" i.S.v. Art. 189 Abs. 1 StGB zu bejahen), ist gestützt auf das materielle Strafrecht zu entscheiden und nicht die für die angeklagte Person günstigere Lösung zu wählen (SCHMID, a.a.O., N. 241; ESTHER TOPHINKE, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung/Jugendstrafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 76 zu Art. 10 StPO m.w.H.; WOHLERS, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2020, a.a.O., N. 15 zu Art. 10 StPO; OBERHOLZER, a.a.O., N 1091, mit Hinweis auf BGE 120 Ia 31 E. 2b). Mithin gelangt diesfalls allein der Grundsatz in "dubio pro duriore" zur Anwendung und ist in Konstellationen, in denen nicht offensichtlich ist, dass kein Tatbestand erfüllt ist (Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO), ein Strafbefehl zu erlassen, welcher alsdann (auf Einsprache hin) einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist.  
 
3.  
 
3.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Anspruches auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), von Art. 6 Abs. 1 StPO und von Art. 318 Abs. 2 StPO.  
Sie habe bereits im Vorverfahren auf den Tatbestand der Schändung hingewiesen und die Erstellung eines medizinisch-psychiatrischen Gutachtens zur Frage ihrer Urteils- und/oder Widerstandsunfähigkeit beantragt. Die Jugendanwaltschaft habe den Beweisantrag abgelehnt und sich nicht mit dem Tatbestand auseinandergesetzt. Die Vorinstanz folge der Argumentation der Jugendanwaltschaft und gehe fälschlicherweise davon aus, die Geschwister seien aufgrund ihres Alters und einer gutachterlich festgestellten Entwicklungsverzögerung des Beschwerdegegners 2 im Tatzeitpunkt vergleichbar entwickelt gewesen. Es bedürfe immer einer konkreten Abklärung "[durch den Richter]", ob das Opfer in Bezug auf die sexuellen Handlungen seelisch in der Lage gewesen sei, sich gegen diese zu wehren, und ob es darüber habe entscheiden können, die sexuellen Kontakte zu wollen oder nicht. Die Annahme eines vergleichbaren Entwicklungsstandes sei spekulativ. Die Vorinstanz nehme eine unzulässige antizipierende Beweiswürdigung vor, wenn sie die Erstellung eines Gutachtens deswegen ablehne bzw. als obsolet erachte, weil beim Beschwerdegegner 2 wegen des angeblich vergleichbaren Entwicklungsstandes ebenfalls von Urteilsunfähigkeit und damit einhergehend von einer vollumfänglichen Schuldunfähigkeit ausgegangen werden müsste. 
 
3.2. Der Schändung gemäss Art. 191 StGB macht sich schuldig, wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht. Die Frage der altersbedingten Urteilsfähigkeit im Sinn von Art. 191 StGB beurteilt sich danach, ob das Opfer seelisch in der Lage war, sich gegen die sexuellen Handlungen zu wehren, und ob es darüber entscheiden konnte, die sexuellen Kontakte haben zu wollen oder nicht. Eine allein altersbedingte Urteilsunfähigkeit ist nur zurückhaltend anzunehmen; sexuelle Handlungen berühren das Kind in seiner körperlichen und intimen Sphäre, in welcher es eher als in anderen Gebieten zu Bewusstsein und zu einer (Abwehr-) Reaktion fähig ist (BGE 146 IV 153 E. 3.5.3; 120 IV 194 E. 2c; vgl. oben Ziffer 2.5.3.1). Das Opfer ist widerstandsunfähig, wenn es physisch nicht in der Lage ist, sich gegen den sexuellen Übergriff des Täters zur Wehr zu setzen. Beim Zustand kann es sich um dauernde oder vorübergehende, chronische oder situationsbedingte Ausfallerscheinungen handeln wie z.B. während schweren psychischen Defekten (hochgradige Intoxikation durch Alkohol oder Drogen), bei körperlicher Invalidität, während einer Fesselung oder in einer besonderen Lage (PHILIPP MAIER, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N. 6 zu Art. 191 StGB).  
 
3.3. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 3 Abs. 2 lit. c und 107 StPO dient einerseits der Klärung des Sachverhaltes, andererseits stellt er ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Er umfasst insbesondere das Recht der Betroffenen, mit Beweisanträgen, die sich auf entscheidwesentliche Tatsachen beziehen, gehört zu werden und an der Erhebung erheblicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen. Nach dem in Art. 6 StPO verankerten Untersuchungsgrundsatz klären die Strafbehörden alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen von Amtes wegen ab (Abs. 1). Sie untersuchen die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt (Abs. 2). Nach Beendigung des Untersuchungsverfahrens entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob ein Strafbefehl zu erlassen, Anklage zu erheben oder das Verfahren einzustellen ist (Art. 318 Abs. 1 StPO). Über Tatsachen, die unerheblich, offenkundig, der Strafbehörde bereits bekannt oder rechtsgenügend erwiesen sind, wird nicht Beweis geführt (Art. 139 Abs. 2 und Art. 318 Abs. 2 StPO). Nur wenn die Strafverfolgungsorgane ihrer Amtsermittlungspflicht genügen, dürfen sie einen Sachverhalt als erwiesen ansehen. Beweisanträge dürfen nur in den engen Grenzen von Art. 139 Abs. 2 StPO abgewiesen werden (Urteile 6B_224/2017 vom 17. November 2017 E. 2.2 und 6B_673/2014 vom 28. Januar 2015 E. 4; je m.w.H.).  
 
3.4. Die Jugendanwaltschaft hat den Antrag der Beschwerdeführerin auf die Erstellung eines medizinisch-psychiatrischen Gutachtens zur Abklärung ihrer allfälligen Urteils- und/oder Widerstandsunfähigkeit mit der Begründung abgewiesen, es lägen keine Hinweise für eine kognitive Einschränkung vor. Die Vorinstanz geht davon aus, dass die Geschwister aufgrund ihres Alters und einer gutachterlich festgestellten Entwicklungsverzögerung des Beschwerdegegners 2 im Tatzeitpunkt vergleichbar entwickelt gewesen seien. Sollte die Beschwerdeführerin urteilsunfähig gewesen sein, müsse dies entsprechend auch für den Beschwerdegegner 2 angenommen werden, woraus sich dessen Schuldunfähigkeit ergebe. Die Einstellungsverfügung erweise sich demnach auch vor diesem Hintergrund als richtig und erübrigten sich weitere Abklärungen bzw. eine Begutachtung der Beschwerdeführerin.  
 
3.5.  
 
3.5.1. Die altersbedingte Urteilsfähigkeit in Bezug auf sexuelle Handlungen ist relativ. Damit geht einerseits einher, dass sie bloss konkret und damit individuell bestimmbar ist; andererseits korrespondiert die Urteils (un) fähigkeit in Bezug auf sexuelle Handlungen nicht per se mit einer (allenfalls verzögerten) Persönlichkeitsentwicklung. Damit entzieht sich die Frage nach der altersbedingten Urteilsfähigkeit in Bezug auf sexuelle Handlungen einem Vergleich, wie er von der Vorinstanz angestellt worden ist. Da indes offensichtlich ist, dass die zu Beginn der analen Penetrationen rund neuneinhalb Jahre alte Beschwerdeführerin bezüglich dieser sexuellen Handlungen urteilsfähig war, sie diese mithin als Verletzung ihrer persönlichen Integrität wahrgenommen hat (vgl. oben Ziffer 2.5.3.1), ist die Vorinstanz im Ergebnis zu Recht zum Schluss gelangt, dass von der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens zur Frage ihrer Urteils- und/oder Widerstandsunfähigkeit abgesehen werden kann. Dies steht denn auch im Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Zurückhaltung bezüglich altersbedingter Urteilsunfähigkeit (vgl. BGE 146 IV 153 E. 2.5.3; 120 IV 194 E. 2c und Urteil 6B_518/2020 vom 15. September 2021 E. 1.4).  
 
3.5.2. Daran ändert nichts, wenn sich die Beschwerdeführerin ergänzend auf eine nicht bloss altersbedingte, sondern eine "psychische Urteils- und/oder Widerstandsunfähigkeit" beruft. Dass im Kindergartenalter der Verdacht des Autismus im Raum stand, vermag deren Urteilsfähigkeit in Bezug auf den Analverkehr ebensowenig in Frage zu stellen, wie die in den Gefährdungsmeldungen festgestellten Anzeichen einer verzögerten Entwicklung, von Verwahrlosung und die vagen Äusserungen, dass "etwas mit ihrer Psyche nicht stimme" bzw. sie apathisch und unglücklich wirke. Im Ergebnis durfte die Vorinstanz davon ausgehen, dass sich hieraus keine (derartigen) geistigen bzw. kognitiven Beeinträchtigungen ergeben, welche die Urteilsfähigkeit der Beschwerdeführerin in Bezug auf die fraglichen sexuellen Handlungen in Frage stellen. Dass die Beschwerdeführerin wegen diesen psychischen Beeinträchtigungen oder aber wegen anderer Umstände physisch zum Widerstand unfähig gewesen wäre, wird von ihr weder dargetan noch ist solches erkennbar. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet.  
 
4.  
 
4.1. Die Beschwerdeführerin macht schliesslich geltend, bereits im Untersuchungsverfahren darauf hingewiesen zu haben, dass der Sachverhalt auch hinsichtlich des Tatbestandes der Ausnützung einer Notlage in der Tatvariante der "anderweitig begründeten Abhängigkeit" zu würdigen sei. In der Einstellungsverfügung fänden sich jedoch keine entsprechenden Erwägungen. Die Vorinstanz habe zwar den von der Jugendanwaltschaft im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Standpunkt aufgegriffen, begründe dann aber nicht, weshalb auch bezüglich dieses Tatbestandes eine klare Straflosigkeit gegeben sei. Damit habe die Vorinstanz ihre Begründungspflicht verletzt.  
 
4.2. Art. 189 geht Art. 193 StGB (Ausnützung der Notlage) vor, da das sexuelle Selbstbestimmungsrecht durch die Nötigung stärker tangiert wird (MAIER, a.a.O., N. 83 zu Art. 189 StGB m.w.H.).  
Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 145 III 324 E. 6.1; 142 II 49 E. 9.2; 137 II 266 E. 3.2; 136 I 229 E. 5.2). 
Die Rüge der Beschwerdeführerin erweist sich in diesem Punkt als begründet. Die Vorinstanz begründet mit keinem Wort, weshalb der Tatbestand der Ausnützung einer Notlage offensichtlich nicht erfüllt ist. Die Vorinstanz wird mithin für den Fall, dass sie im Hinblick auf die sexuelle Nötigung nach wie vor von einer die Verfahrenseinstellung rechtfertigenden klaren Rechtslage ausgehen sollte, zu prüfen und zu begründen haben, ob solches auch im Hinblick auf den Tatbestand der Ausnützung einer Notlage im Sinne von Art. 193 StGB gilt. 
 
5.  
Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen. 
Der Kanton St. Gallen und der Beschwerdegegner 2 haben die Beschwerdeführerin im Umfang ihres teilweisen Obsiegens angemessen mit jeweils Fr. 1'000.-- zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird im Umfang der vom Kanton St. Gallen auszurichtenden Parteientschädigung gegenstandslos. Es ist im Übrigen gutzuheissen, da die Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin erstellt scheint und ihre Beschwerde gegen die Einstellung des Strafverfahrens nicht aussichtslos war. Die ihr vom Beschwerdegegner 2 auszurichtende Entschädigung von Fr. 1'000.-- hat angesichts von dessen Bedürftigkeit als uneinbringlich zu gelten und ist aus der Bundesgerichtskasse auszurichten. Im Übrigen ist der als unentgeltliche Rechtsbeistand eingesetzte Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin für seine Aufwendungen im bundesgerichtlichen Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen. 
Die Parteientschädigung des teilweise obsiegenden Beschwerdegegners 2 von insgesamt Fr. 1'000.-- ist von der Beschwerdeführerin ebenfalls im Umfang ihres Unterliegens und damit mit Fr. 300.-- zu tragen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Sie hat angesichts von deren Bedürftigkeit als uneinbringlich zu gelten und ist aus der Bundesgerichtskasse auszurichten. Im Betrag von Fr. 700.-- ist der bereits als unentgeltlicher Rechtsbeistand eingesetzte Rechtsvertreter des Beschwerdegegners 2 für seine Aufwendungen im bundesgerichtlichen Verfahren ebenfalls aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen. 
Der Kanton St. Gallen trägt keine Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 4 BGG). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 9. Juni 2021 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Der Kanton St. Gallen hat Rechtsanwalt Stephan Zlabinger für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- auszurichten. 
 
5.  
Rechtsanwalt Stephan Zlabinger wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet. 
 
6.  
Rechtsanwalt Daniel Küng wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 1'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet. 
 
7.  
Dieses Urteil wird den Parteien und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 31. Januar 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Frey Krieger