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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_122/2022  
 
 
Urteil vom 11. Juli 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, 
nebenamtlicher Bundesrichter Fellmann, 
Gerichtsschreiberin Dambeck. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern, Schermenweg 5, Postfach, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
Entzug des Führerausweises für Motorfahrzeuge, 
 
Beschwerde gegen das Urteil der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern vom 16. Juni 2021 (300.2021.27). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern (SVSA) eröffnete mit Schreiben vom 21. Oktober 2019 ein Administrativverfahren gegen A.________. Es warf ihm vor, am 17. Juni 2019 als Lenker eines Personenwagens gegenüber einer Fussgängerin auf dem Fussgängerstreifen den Vortritt nicht belassen zu haben. Gleichzeitig sistierte das SVSA das Verfahren bis zum Abschluss des Strafverfahrens.  
 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Bern-Mittelland, erklärte A.________ aufgrund des Vorfalls vom 17. Juni 2019 mit Strafbefehl vom 16. September 2019 (mit Berichtigung vom 14. Oktober 2019) unter anderem wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln schuldig. Der Strafbefehl beruhte auf folgendem Sachverhalt: 
Am 17. Juni 2019 um 18.20 Uhr wollte Polizistin B.________ anlässlich einer Verkehrsüberwachung an der Viktoriastrasse in Bern die Strasse via Fussgängerstreifen überqueren. Der zu diesem Zeitpunkt auf der Viktoriastrasse fahrende Beschwerdeführer brachte seinen Personenwagen erst mitten auf dem Fussgängerstreifen und nur eine Armlänge von der Polizistin entfernt zum Stillstand. Hätte der Beschwerdeführer die gebotene Aufmerksamkeit und elementare Vorsicht bei der Fahrt innerorts vor einem Fussgängerstreifen eingehalten, so hätte er die Polizistin, die sogar eine Leuchtweste trug, frühzeitig sehen und anhalten können und müssen. Dadurch wäre die konkrete Gefährdung der Polizistin verhindert worden. Obwohl der Beschwerdeführer durch die Polizistin danach mehrfach verbal sowie durch Klopfen am Fenster aufgefordert wurde, das Fenster beifahrerseitig herunterzulassen, leistete er dieser Aufforderung keine Folge, sondern streckte sich einzig zum Beifahrerfenster hin. Schliesslich winkte er der Polizistin zu und führte seine Fahrt einfach fort, ohne der Aufforderung der Polizistin nachzukommen. 
 
Seine gegen den Strafbefehl vom 16. September 2019 eingereichte Einsprache zog A.________ am 10. September 2020 zurück, sodass der Strafbefehl in Rechtskraft erwuchs. 
 
Daraufhin nahm das SVSA das Administrativverfahren am 28. Dezember 2020 wieder auf. Mit Verfügung vom 25. Januar 2021 entzog das SVSA A.________ den Führerausweis für Motorfahrzeuge wegen einer schweren Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften für die Dauer von drei Monaten. 
 
1.2. Gegen die Verfügung des SVSA vom 25. Januar 2021 erhob A.________ am 6. Februar 2021 Beschwerde bei der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern. Die Rekurskommission wies die Beschwerde von A.________ mit Urteil vom 16. Juni 2021 ab.  
 
1.3. Mit als "Beschwerde" bezeichneter Eingabe vom 17. Februar 2022 gelangt A.________ gegen das Urteil der Rekurskommission vom 16. Juni 2021 an das Bundesgericht. Er verlangt sinngemäss die Aufhebung des angefochtenen Urteils.  
 
Das SVSA und die Rekurskommission beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist. Das zur Vernehmlassung eingeladene Bundesamt für Strassen (ASTRA) teilt mit, dass es das angefochtene Urteil für zutreffend hält und schliesst auf Abweisung des Rechtsmittels. 
 
Zu den Vernehmlassungen des SVSA, der Rekurskommission und des ASTRA reicht A.________ (Beschwerdeführer) am 21. Mai 2022 eine weitere Stellungnahme ein. 
 
2.  
Das Bundesgericht entscheidet (bei Einstimmigkeit) in Dreierbesetzung und im vereinfachten Verfahren über die Abweisung offensichtlich unbegründeter Beschwerden (vgl. Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG). Der Entscheid wird summarisch begründet; dabei kann ganz oder teilweise auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG). 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer wendet sich fristgerecht gegen einen kantonal letztinstanzlichen, verfahrensabschliessenden Entscheid der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern. Bei der Rekurskommission handelt es sich um eine zulässige Vorinstanz des Bundesgerichts (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG und Art. 74 des Gesetzes des Kantons Bern vom 11. Juni 2009 über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft [GSOG/BE; BSG 161.1]; Urteile 1C_339/2016 vom 7. November 2016 E. 4; 1C_441/2012 vom 4. März 2013 E. 1.1). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist das Rechtsmittel als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten entgegen zu nehmen und auf die Beschwerde einzutreten (vgl. Art. 82 lit. a, Art. 83, Art. 89, Art. 90 und Art. 100 Abs. 1 BGG).  
 
3.2. Die Vorinstanz erwog, dass der dem Strafbefehl vom 16. September 2019 (mit Berichtigung vom 14. Oktober 2019) zugrunde liegende Sachverhalt für ihre rechtliche Beurteilung verbindlich sei. Der Beschwerdeführer habe seine Einsprache gegen den Strafbefehl zurückgezogen, obschon er seit dem Eröffnungsschreiben des SVSA vom 21. Oktober 2019 um das laufende Administrativverfahren und die Bindungswirkung des Strafverfahrens wusste.  
 
Weiter erwog die Vorinstanz, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten die Pflicht zur besonderen Vorsicht vor Fussgängerstreifen im Sinne von Art. 33 Abs. 2 SVG und Art. 6 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11) verletzt habe. Die Missachtung des Vortrittsrechts von Fussgängern auf der Fahrbahn durch unvorsichtige Fahrzeuglenker stelle in der Regel sowohl objektiv als auch subjektiv eine schwere Verletzung der Verkehrsregeln dar. Im konkreten Fall müsse davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer die Fussgängerin auf dem Fussgängerstreifen während mehrerer Sekunden nicht gesehen bzw. wahrgenommen habe. Daraus sei zu schliessen, dass der Beschwerdeführer auf einen Fussgängerstreifen zufuhr, ohne dem Verkehrsgeschehen vor ihm die gebotene Aufmerksamkeit zu widmen. Mit seiner Fahrweise habe der Beschwerdeführer die Sicherheit der Fussgängerin ernstlich und grobfahrlässig gefährdet. Entsprechend liege eine schwere Widerhandlung im Sinne von Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG vor. 
 
3.3. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, überzeugt nicht.  
 
3.3.1. Die Voraussetzungen, unter denen die Administrativbehörden an die Sachverhaltsfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils gebunden sind, hat die Vorinstanz in E. 2.2 des angefochtenen Urteils zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Namentlich erwog die Vorinstanz im Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Administrativbehörde auch an einen nur auf Polizeiberichten beruhenden Sachverhalt eines Strafbefehls gebunden sein kann, wenn der Betroffene wusste oder voraussehen musste, dass neben dem Strafverfahren ein Administrativverfahren eröffnet wird. In diesem Fall muss der Betroffene nach dem Grundsatz von Treu und Glauben allfällige Verteidigungsrechte und Beweisanträge bereits im Strafverfahren vorbringen und dort die nötigen Rechtsmittel ergreifen (vgl. BGE 139 II 95 E. 3.2; 123 II 97 E. 3c/aa; Urteile 1C_491/2021 vom 17. Februar 2022 E. 4.3; 1C_33/2018 vom 6. Juli 2018 E. 3.2; 1C_539/2016 vom 20. Februar 2017 E. 2.2). Im vorliegenden Fall wies das SVSA den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21. Oktober 2019 ausdrücklich darauf hin, dass aufgrund des Vorfalls vom 17. Juni 2019 ein Administrativverfahren eröffnet werde, das einen Führerausweisentzug zur Folge haben könne. Allfällige Einwände oder Entlastungsargumente gegen den zur Last gelegten Sachverhalt seien unbedingt bereits im Strafverfahren vorzubringen. Ungeachtet dessen zog der Beschwerdeführer seine Einsprache gegen den Strafbefehl am 10. September 2020 zurück. Rechtserhebliche Gründe, vom durch die Vorinstanz gemäss Strafbefehl vom 16. September 2019 (mit Berichtigung vom 14. Oktober 2019) festgestellten Sachverhalt abzuweichen, sind darüber hinaus weder ersichtlich noch geltend gemacht. Insbesondere der vom Beschwerdeführer behauptete Einsatz einer Knieprothese und der Druck einer ungerechtfertigten Betreibung, die ihn zum Rückzug der Einsprache bewogen haben sollen, sind keine hinreichenden Gründe, vom Sachverhaltsfundament des vorinstanzlichen Urteils abzuweichen.  
 
3.3.2. Das angefochtene Urteil erweist sich auch im Hinblick auf die rechtliche Würdigung des Vorfalls vom 17. Juni 2019 als bundesrechtskonform. In E. 2.6 des angefochtenen Urteils erwägt die Vorinstanz, dass es sich bei den Pflichten gemäss Art. 33 Abs. 2 SVG und Art. 6 Abs. 1 VRV um grundlegende Verkehrsregeln handelt (vgl. Urteile 1C_327/2012 vom 27. Februar 2013 E. 2.2; 1C_402/2009 vom 17. Februar 2010 E. 4.1; zu den erwähnten Pflichten vgl. E. 3.2 hiervor). Sodann legt die Vorinstanz in E. 2.7 das gesetzliche System der Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsvorschriften im Sinne der Art. 16 ff. SVG zutreffend dar. Weiter erwägt sie im Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, dass eine grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG grundsätzlich einer schweren Widerhandlung im Sinne von Art. 16c SVG entspricht (vgl. angefochtenes Urteil, E. 2.7.1 und BGE 141 II 220 E. 3.3.3; 132 II 234 E. 3). Ebenfalls zutreffend sind die Erwägungen der Vorinstanz, wonach die Missachtung des Vortrittsrechts von Fussgängern auf der Fahrbahn in aller Regel sowohl objektiv als auch subjektiv eine schwere Verletzung von Verkehrsregeln darstellt, zumal bei unaufmerksamem Fahren innerorts im Bereich eines Fussgängerstreifens die Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder gar Verletzung von Fussgängern nahe liegt (vgl. angefochtenes Urteil, E. 2.7.2 und Urteile 1C_490/2016 vom 10. März 2017 E. 3.5; 1C_402/2009 vom 17. Februar 2010 E. 4.1).  
 
3.3.3. Sodann führt die Vorinstanz nachvollziehbar aus, dass die Fussgängerin hier zunächst die Gegenfahrbahn überqueren musste, um auf die Fahrbahn des Beschwerdeführers zu gelangen. Dieser müsse jene somit während mehreren Sekunden nicht wahrgenommen haben, obschon er dem Verkehrsgeschehen insbesondere auf dem Fussgängerstreifen eine erhöhte Aufmerksamkeit hätte entgegen bringen müssen. Nach der Vorinstanz hätte der Beschwerdeführer die Fussgängerin bei gebotener Aufmerksamkeit ohne Weiteres rechtzeitig gesehen und noch vor dem Fussgängerstreifen anhalten können. Mit seinem Verhalten habe er ohne ersichtlichen Grund gegen eine grundlegende Verkehrsregel verstossen und in schwerer Weise bedenkenlos Leib und Leben der Fussgängerin gefährdet, was als rücksichtslos und damit grobfahrlässig zu bezeichnen sei.  
 
Der Beschwerdeführer macht dagegen zwar geltend, die Polizistin sei an der "überraschenden Begegnung auf dem Fussgängerstreifen mitschuldig", legt jedoch in keiner Weise dar, inwieweit sich die Fussgängerin nicht regelkonform verhalten haben soll. Hinzu kommt, dass im Bereich von Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelungen innerorts bereits eine ungenügende Aufmerksamkeit von geringer Dauer eine ernstliche Gefahr für Fussgänger hervorrufen kann (vgl. Urteil 1C_402/2009 vom 17. Februar 2010 E. 4.1). Die Auffassung der Vorinstanz, wonach der Beschwerdeführer eine schwere Widerhandlung im Sinne von Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG begangen hat, ist bei dieser Ausgangslage nicht zu beanstanden. 
 
3.3.4. Der Beschwerdeführer wendet sich sodann gegen die Dauer des Führerausweisentzugs von drei Monaten. Er macht unter anderem geltend, dass er relativ weit weg von einer Haltestelle des öffentlichen Verkehrs wohne und sich sein Golfklub rund 40 Kilometer von seinem Wohnort entfernt befinde. Abgesehen davon, dass er seine diesbezüglichen Ausführungen nicht näher belegt, verkennt der Beschwerdeführer, dass es sich bei der dreimonatigen Entzugsdauer gemäss Art. 16c Abs. 2 lit. a SVG um eine Mindestentzugsdauer handelt. Diese kann abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmefällen nicht unterschritten werden (vgl. Art. 16 Abs. 3 Satz 2 SVG; BGE 141 II 220 E. 3.3.3). Das vorinstanzliche Urteil erweist sich auch in diesem Punkt als bundesrechtskonform.  
 
4.  
Nach dem Dargelegten ist die im Sinne von Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG offensichtlich unbegründete Beschwerde im vereinfachten Verfahren gemäss Art. 109 Abs. 3 BGG mit summarischer Begründung und unter Verweisung auf den angefochtenen Entscheid abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet (vgl. Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 11. Juli 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dambeck